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Das Doktorspiel
ОглавлениеWir waren befreundet, wie Jungs es in diesem Alter eben sind, beziehungsweise früher einmal waren. Heute sitzen die Kids allein ihn ihren Zimmern vor ihren Computern, Playstations, Xboxen und weiß der Teufel, was es sonst noch so gibt. Auf ihren Köpfen tragen sie Gaming-Headsets und brüllen ihre Bildschirme an. Wenn sie sich mit anderen unterhalten, dann über Teamspeak. Es drängt sich die Frage auf, ob sie die Gesichter ihrer Gesprächspartner überhaupt kennen. Sie bewegen sich in fremden Welten, in denen seltsame Wesen leben, und sie sprechen eine Mischung aus Deutsch und irgendeinem Spielekauderwelsch. Ich jedenfalls kann diesen Gesprächen nicht folgen. Sie haben unendlich viele Freunde, wenn auch nur auf Facebook. Mit diesen Freunden aber treffen sie sich nicht, und viele von denen kennen sie auch nicht.
Früher war die Welt eine völlig andere. Als ich zehn war, gab es nur drei Fernsehprogramme. Im Übrigen hatte damals noch nicht einmal jede Familie einen eigenen Fernseher. Das Programm begann unter der Woche erst am Nachmittag gegen fünfzehn oder sechzehn Uhr. Nur sonntags begann es früher, und ich erinnere mich, dass die ganze Familie nach dem Mittagessen vor der Flimmerkiste saß und Flipper oder Pipi Langstrumpf guckte. Wenn wir zu Hause waren, dann spielten wir Geschwister miteinander, wir lasen oder wir hörten ›der Schatz im Silbersee‹ und viele andere Hörspiele von Langspielplatten. Wir bastelten mit der Oma oder spielten mit ihr ›Mensch ärgere dich nicht‹. Draußen fuhren wir Fahrrad, bildeten Banden mit anderen Kindern und streiften auf der Suche nach Abenteuern durch die umliegenden Wälder. Wir gruben Löcher in den Gärten und suchten nach Schätzen, und wir veranstalteten Kinderolympiaden auf der Straße, durch die vielleicht fünf Mal am Tag ein Auto fuhr. Die Straßenränder waren völlig frei, denn nur wenige Familien hatten ein Auto. Im Winter fuhren wir stundenlang Schlitten oder Gleitschuh, und unsere Eltern mussten uns regelmäßig mit Gewalt von draußen reinholen.
Wir waren echte Kinder, die sich dreckig machten, die viele soziale Kontakte hatten und bei denen Streitigkeiten nicht über Mobbing, sondern über ordentliche Prügeleien ausgetragen wurden. Die Prügeleien gibt es noch heute von Zeit zu Zeit. Der Unterschied ist nur, dass sie früher mit der ersten Träne, die jemand vergoss, endeten.
*****
Thomas wohnte nur ein paar Häuser weiter in derselben Straße. Seit über drei Jahren gingen wir nun schon in dieselbe Klasse und waren praktisch unzertrennlich. Es verging eigentlich kein Tag, an dem wir uns nicht sahen, denn wir trafen uns natürlich auch an den Wochenenden und anderen schulfreien Tagen. Man fuhr damals noch nicht jedes Jahr in Urlaub, und so verbrachten wir auch die Ferien miteinander.
Irgendwann sprachen wir das erste Mal über Sex, beziehungsweise über das, von dem wir glaubten, dass es Sex sei. Wir hatten überhaupt keine Ahnung und natürlich in unserem Alter keinerlei Erfahrungen, sondern wussten lediglich, dass Mädchen irgendwie anders waren als wir Jungs. Unabhängig davon fanden wir sie doof. Ganz sicher wussten wir damals nicht, was die Mädels in ihren Schlüpfern beherbergten. Ich kann mich nicht erinnern jemals mit einem Mädchen Onkel Doktor gespielt zu haben. Mit meiner älteren Schwester habe ich als Kind einmal Küssen geübt, allerdings ohne es mit irgendeiner Gefühlsregung zu verbinden. Wir hatten es bei den Erwachsenen gesehen und waren einfach neugierig.
Ganz genau dagegen wussten wir, was es in unseren eigenen Schlüpfern zu sehen gab. Bei uns zu Hause hieß er Piepmatz. Schon sehr früh habe ich für mich entdeckt, dass es von Zeit zu Zeit sehr schöne Gefühle erzeugte, wenn ich ihn anfasste. Für mich hatte das überhaupt nichts mit Sex zu tun. Ich fasste ihn einfach gerne an und rubbelte meine Vorhaut vor und zurück. Niemand hat mir das gezeigt. Es kam von ganz allein, und ich dachte mir überhaupt nichts dabei. Also spielte ich mit meinem Piepmatz durchaus auch im Beisein anderer.
Ich erinnere mich an einen Abend zu Hause im Wohnzimmer, an dem ich gemeinsam mit meiner Mutter Fernsehen schaute. Während dessen spielte meine Hand, die unter meiner Schlafanzughose verborgen war, völlig ungeniert mit meinem Piepmatz, bis meine Mutter mir plötzlich und mit strengem Blick sagte: »Lass doch deinen Piepmatz endlich mal in Ruhe!«
Das war das allererste Mal in meinem Leben, dass ich wahrnahm, dass es hier um mehr als nur um schöne Gefühle ging. Meine Mutter schien verärgert. Damals habe ich das nicht verstanden, aber mein Treiben selbstverständlich sofort eingestellt. Von da an spielte ich nur noch an mir rum, wenn ich allein war.
Ich war und wurde nicht aufgeklärt. Das hat später die BRAVO übernommen. Bis dahin reichte es für meine Mutter aus, mich darauf hinzuweisen, dass man das, was ich so gerne tat, nicht machte. So war das damals eben.
Thomas hatte sicherlich ähnliche Erfahrungen mit sich gemacht. An irgendeinem Tag im Sommer, es war warm und sonnig, bahnte sich, wie auch immer das begann, ein Onkel-Doktor-Spiel an. Wir sprachen über unsere Piepmätze, und es ging darum sich gegenseitig anzufassen. Ich weiß, dass wir sehr aufgeregt waren. Wieso der Wunsch nach gegenseitigem Anfassen in uns aufkeimte, wussten wir wahrscheinlich nicht, denn keiner von uns konnte ahnen, dass die Berührung einer fremden Hand um ein Vielfaches schöner sein konnte als die der Eigenen. Es war ein für uns noch nicht greifbares Abenteuer, das sich darüber hinaus mit dem Umstand verband, dass uns durchaus bewusst war, dass wir etwas planten, was man nicht tat. Das und unsere völlige Ahnungslosigkeit machten es sehr schwer, uns einfach zu sagen, was wir wollten. Also benötigten wir ein Gerüst und einen Mantel, der die Verwerflichkeit verdecken würde und verpackten es zu einem Spiel.
Wir haben uns nicht einfach gegenseitig in die Hosen gegriffen und am Piepmatz des anderen gespielt, sondern machten daraus so eine Art Wettbewerb. Jeder von uns musste fünf unterschiedliche Berührungsmethoden vorschlagen. Es durfte keine Überschneidungen geben. Nur wenn uns das gelang, würden wir es auch tun. Ort der Austragung sollte der Spitzboden bei mir zu Hause sein. Ich erinnere mich nicht mehr an jede Methode, aber daran, dass es uns, wenn es auch einige Zeit in Anspruch nahm, gelungen ist, und ich bin heute sehr erstaunt, wie fantasievoll wir schon mit 10 Jahren waren. Anfangs beschränkten wir uns darauf, nur die Hände einzusetzen, was dazu führte, dass uns die Ideen sehr schnell ausgingen, aber wir wollten es, wir wollten es sogar unbedingt, und so beschlossen wir, uns nicht ausschließlich auf unsere Hände zu beschränken. Dementsprechend ging unser Repertoire der erdachten Praktiken, deutlich über das Anfassen hinaus. Wir sprachen unter anderem über Oralverkehr und Analverkehr, selbstverständlich ohne zu wissen, dass wir das taten, allerdings drückten wir es sehr viel kindlicher aus und planten den Piepmatz des anderen in den Mund zu nehmen und den Eigenen in das Popoloch des anderen zu stecken.
Die 10 Berührungsarten waren gefunden, und wir gingen zu mir nach Hause. Unser Ziel war der Spitzboden, der nur über eine Klappe im Treppenhaus zu erreichen war. Dort oben gab es einen ungenutzten Raum, der die Arena für unser Spiel sein sollte. Da wir Gefahr liefen, überrascht zu werden, ging ich zu meiner Mutter, erzählte ihr irgendeine Geschichte und bat um den Schlüssel zu diesem Raum. Ich weiß nicht, was sie gedacht hat, was wir tun würden, denn ich glaube kaum, dass sie die Wahrheit auch nur erahnen konnte, aber sie verweigerte mir den Schlüssel. Sie wollte nicht, dass wir beide uns dort oben einschließen und hat natürlich unterstellt, dass es um irgendeinen Unsinn ging, den sie von vornherein unterbinden wollte.
Ich konnte bitten und betteln wie ich wollte, sie ließ sich nicht erweichen, und ich war total ernüchtert. Meine Erregung war weitestgehend verschwunden, und damit auch der Ständer, den ich gefühlte Stunden mit mir herumgetragen hatte. Völlig geknickt verließen Thomas und ich das Haus und gingen wieder nach draußen. Auch Thomas war enttäuscht, doch ihn hatte weder die Lust noch sein Ständer verlassen. Er schlug vor, dass wir uns irgendwo in die Büsche schlagen sollten, um dort wenigstens einen Teil unserer Berührungsarten zu versuchen. Ich erinnere mich sehr unsicher gewesen zu sein und haderte mit mir, ob ich das jetzt wirklich noch wollte. Der Ärger über das völlig unverständliche Verhalten meiner Mutter, hatte die Lust verscheucht. Und doch war ich ein Junge, der jetzt nicht kneifen wollte, um hinterher nicht als Feigling da zu stehen. Dass keiner von uns beiden später jemals mit anderen darüber sprechen würde, war mir nicht klar.
Also stimmte ich zu. Das Gebüsch war schnell gefunden. Thomas und ich saßen nebeneinander. Er öffnete hektisch seine Hose und ließ seinen Piepmatz, der sichtbar steil in die Höhe ragte, frei. Ich habe ihn nicht als besonders dick in Erinnerung, doch er war etwas länger als meiner, was mich damals zwar nicht störte, mir aber immerhin auffiel. Sein Piepmatz war der erigierte Penis eines Zehnjährigen. Natürlich war der nicht besonders groß. Aber der hatte etwas, was ich nicht hatte. In seinem Schritt wuchsen Schamhaare, die mich irritierten, denn ich wusste nicht, dass es sie gab und dass sie auch mir eines Tages wachsen würden. Hastig öffnete auch ich meine Hose, und auch mein Piepmatz war hoch aufgerichtet. Thomas fasste sofort beherzt zu, und es war überwältigend. Ich hätte es damals nicht als geil bezeichnen können, weil dieses Wort ganz sicher noch nicht zu meinem Sprachschatz gehörte, aber genau das hätte es auf den Punkt getroffen. Die Berührung seiner Hand war wesentlich schöner, als wenn ich mich selbst anfasste. Das Gefühl war extrem angenehm und so wahnsinnig intensiv, dass ich nicht in der Lage bin es passend zu beschreiben und glaube, dass ich so wie damals nie wieder empfunden habe. Das war das erste Mal, dass eine fremde Hand, außer vielleicht die meiner Mutter, die mich als Kleinkind wusch, mich dort berührte. Ich war wie elektrisiert und genoss den Moment sehr. Auch ich berührte den Piepmatz von Thomas und nahm ihn in die Hand, aber ich empfand ihn als Fremdkörper. Es war mir nicht angenehm, und so schwand meine Lust noch einmal dahin. Als Thomas sich zur Seite beugte, um meinen Piepmatz in den Mund zu nehmen, wich ich ihm aus. Das war mir zuviel, und ich hatte plötzlich einfach das Gefühl, dass es nicht richtig war. Schnell schloss ich meine Hose und erklärte ihm irgendwie, dass mir das nicht angenehm war und dass ich, wenn ich ›sowas‹ jemals in meinem Leben noch einmal machen sollte, es nur noch mit einem Mädchen tun würde.
*****
Das war mein erstes und für lange Zeit einziges Erlebnis mit einem Jungen. Ich weiß, dass ich mich in der Folge, nämlich als junger pubertierender Bengel oft darüber geärgert habe, dass ich doch ›gekniffen‹ hatte. Bestimmt tausend Mal stellte ich mir vor, wie es gewesen wäre, wenn wir weitergemacht hätten. Aber dazu kam es nie, denn dieses Erlebnis ging einher mit dem Ende unserer Freundschaft. Wir wechselten die Schulen und gingen fortan auf unterschiedliche Gymnasien. Vielleicht hätte es eine Wiederholung gegeben, wenn wir weiter auf eine gemeinsame Schule gegangen wären. Nach dem Schulwechsel haben wir uns nie wiedergesehen, obwohl wir noch immer in einer Straße wohnten.
Die Gedanken an dieses Erlebnis verließen mich erst, als ich mit sechzehn die ersten wirklichen Erfahrungen mit Mädchen machte. Von da an habe ich für sehr lange Zeit weder an mein Erlebnis mit Thomas gedacht noch jemals für mich ins Auge gefasst, Sex mit einem Jungen oder einem Mann haben zu wollen. Das war für mich völlig undenkbar, denn ich schloss für mich zweifelsfrei aus schwul zu sein, mehr noch ich verurteilte Homosexualität und fand sie ekelhaft. So habe ich das nicht nur kommuniziert, sondern über viele Jahre auch tatsächlich empfunden. Dabei hatte ich immer mal wieder Kontakt zu Homosexuellen. Faktisch war es sogar so, dass ich als Jugendlicher und junger Erwachsener einen gewissen Reiz auf Schwule ausgeübt haben muss, denn ich wurde im Vergleich zu meinen Freunden ziemlich häufig angesprochen. Das hat mich solange nicht gestört, wie ein einfaches ›Nein‹ ausreichte, um mich der unerwünschten Umwerbung entziehen zu können. Wenn das funktionierte, war alles gut. Ich kannte ausschließlich sehr nette Schwule. Einer, er hieß Uwe, verkehrte in den gleichen Kneipen wie ich und versuchte immer wieder mich zu gemeinsamen Unternehmungen zu überreden, aber ich lehnte regelmäßig dankend ab, und damit war es dann auch gut. Wir tranken trotzdem unser Bier zusammen und unterhielten uns. Irgendwann lernte Uwe Michael kennen, und sein Interesse an mir erlosch.