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Auf dem Gymnasium
ОглавлениеMit dem Wechsel auf das Gymnasium, für das es damals in meinem Fall keine Empfehlung gab, wurde es wirklich ernst. Ob es daran lag, dass meine Mutter einer Akademikerfamilie entstammte, oder ob mein Vater darauf bestand, dass ich eine höhere Schule zu besuchen hatte, entzieht sich meiner Erinnerung. Fakt ist, ich hatte dorthin zu gehen. Auf dem Gymnasium war ich vom Anfang bis zum unrühmlichen Ende sehr unglücklich. Eigentlich hatte ich in jedem Fach Schwierigkeiten. Insbesondere die Mathematik wollte sich in meinem Hirn einfach nicht etablieren. Hatten mir die naturwissenschaftlichen Fächer am Anfang noch gefallen, verblasste dieses Interesse doch auch sehr schnell und vor allen Dingen endgültig. Es gab nur ein einziges Fach, in dem ich immer glänzte, und das war Deutsch. Schon als kleiner Junge habe ich Geschichten geschrieben, meist irgendwelche Fantasien von Superhelden oder Außerirdischen. Anfangs schrieb ich sie in Schulhefte, aber schon als zehn- oder elfjähriger Junge verfasste ich einen ersten ›Roman‹ auf der Schreibmaschine meines Großvaters. Leider ist mir der Verbleib dieses Werkes nicht bekannt, und auch dessen Inhalt kann ich nicht mehr hervorholen. Der literarische Wert wird nicht sehr hoch gewesen sein. Allerdings weiß ich noch, dass es zirka 70 Schreibmaschinenseiten umfasste, die weder Absätze noch Leerzeilen enthielten, und dass, so denke ich, ist für einen kleinen Jungen schon eine beachtenswerte Leistung.
Jedenfalls glaube ich, dass meine frühkindlichen schriftstellerischen Ambitionen dazu geführt haben, dass meine Aufsätze in der Regel ein gewisses Aufsehen erregten. Sie strotzten vor Fantasie, sie waren flüssig und weitestgehend fehlerfrei geschrieben, und, wenn das Thema die Gelegenheit hergab, durchaus blutrünstig. Es gab Lehrer, die das nicht in Ordnung fanden, es gab andere, die erstaunt feststellten, dass die Inhalte, ob blutrünstig oder nicht, sie fesselten.
Ich war ein sehr unglücklicher Schüler und ich erhöhte den Leidensdruck selbst, indem ich die aufgetragenen Hausaufgaben regelmäßig nicht machte. Immer wieder setzte ich mich dem Stress aus, sie entweder von einem Klassenkameraden in Windeseile abzuschreiben, eine wie auch immer geartete Ausrede für den Lehrkörper zu entwickeln, oder aber auch von Zeit zu Zeit einfach zuzugeben, dass ich meiner Verpflichtung nicht nachgekommen bin. Irgendwie habe ich mich über die Jahre durchgemogelt. Ein Wunder, dass ich nur eine Ehrenrunde drehte.
Einen Ausgleich fand ich als Pubertierender im Sport. Ich praktizierte mit viel Begeisterung und vor allen Dingen auch sehr erfolgreich Jiu-Jitsu. Völlig anders als in der Schule, glänzte ich hier durch herausragende Prüfungsergebnisse, wenn es darum ging, das Recht zu erwerben, den nächst höheren Gürtel zu tragen. Anfangs trainierte ich zwei Mal in der Woche und muss mich dabei recht talentiert angestellt haben. Der Club bot für die ganz besonders guten Mitglieder ein Kampftraining an. Dazu musste man eingeladen werden. Es war nicht möglich, einfach daran teilzunehmen, und so erfüllte es mich mit großem Stolz, als mein Coach, immerhin Vizeeuropameister seiner Gewichtsklasse, mich fragte, ob ich zukünftig an diesem Training teilnehmen wolle. Natürlich wollte ich. Von diesem Tage an, ging ich dreimal in der Woche in den Club. Das Ziel des Kampftrainings war es, den potentiellen Wettkämpfer auf anstehende Wettbewerbe vorzubereiten, und auch das gelang in meinem Fall hervorragend.
Solche Wettkämpfe, meist Städtemeisterschaften, fanden fast jede Woche statt und fast immer sonntags. Da ich nicht nur durch hervorragende Technik glänzte, sondern die Vorbereitung auf anstehende Meisterschaften mit sehr viel Ehrgeiz, Biss und Sportsgeist bestritt, nahm ich beinahe wöchentlich an diesen Wettbewerben teil. Und auch das mit großem Erfolg. Ich brachte von jeder dieser Veranstaltungen eine Urkunde mit, die nicht nur die Teilnahme, sondern in der Regel auch einen Sieg bescheinigte.
Der Sport entschädigte mich für die vielen Niederlagen in der Schule, und ich denke, dass es in erster Linie ihm zu verdanken war, dass ich, trotzdem ich ein grottenschlechter Schüler war, damals über ein erstaunliches Maß an Selbstbewusstsein verfügte. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es zwischen uns Klassenkameraden sowas wie einen Konkurrenzkampf hinsichtlich der schulischen Leistungen gab. Für meine Mitschüler und Mitschülerinnen war ich ein vollwertiges Mitglied ihrer Klasse. Dieses Selbstbewusstsein war es auch, das dazu führte, dass ich spätestens vom zweiten Halbjahr der Sexta an, regelmäßig einstimmig zum Klassensprecher gewählt wurde. Warum? Weil eben dieses Selbstbewusstsein mich dazu veranlasste, den Lehrkörper zu reglementieren, wenn er etwas tat, dass nicht der allgemeinen Schulordnung entsprach. Die allgemeine Schulordnung, kurz ›AschO‹, kannte ich weitestgehend auswendig. Es ließ die Lehrer und Lehrerinnen schlecht dastehen, wenn ein frühpubertierender Junge ihnen erklärte, was sie zu tun oder zu lassen hatten. Naheliegend, dass die Betroffenen es mir sehr übelnahmen. Das ging so bis zur Obertertia und das, obwohl ich die Quarta wiederholte, lückenlos.
Mein Ruf eilte mir voraus. Meine neuen Klassenkameraden in der zweiten Quarta wussten von dem Jungen, der den Lehrkörper regelmäßig zusammenstauchte und fanden das naturgemäß ganz toll. So gewissenhaft und klug ich die Interessen meiner Mitschüler vertrat, so ungeschickt und dumm verhielt ich mich bei anderen Gelegenheiten. Wie in diesem Alter üblich, musste man als Junge regelmäßig irgendwelche dummen Mutproben bewältigen. Sehr beliebt waren Streiche, die sich gegen die Lehrerschaft richteten. Ideen dazu gab es reichlich. Den Kandidaten zu finden, der solche Streiche ausführte, war dagegen schwierig, denn das Risiko einer Bestrafung war hoch. Wer das tat, erntete die Anerkennung der Klassenkameraden. Mehr als einmal stellte ich mich zur Verfügung. Es kam was kommen musste, aber soweit dachte ich damals nicht, die Schulleitung nahm einen wirklich harmlosen Streich, der niemandem schadete, zum Anlass mich der Schule zu verweisen. Die Obertertia durfte ich noch beenden, aber das Lehrerkollegium legte meinen Eltern unmissverständlich ans Herz, eine neue Schule für mich zu suchen.
Mein Vater hielt sich aus all dem heraus, und meine Mutter überließ die Wahl meiner zukünftigen Bildungsstätte mir. Ich nutzte die Gelegenheit, die Schullaufbahn deutlich zu verkürzen und wählte eine Realschule, auf der ich nur noch ein Jahr abzuleisten hatte. Obwohl ich meinen Eltern nicht wirklich übelnahm, an dieser Stelle nicht mahnend auf mich eingewirkt zu haben, empfinde ich jedes Mal, wenn ich an diese Dinge zurückdenke, großes Unverständnis. Wenn es aus meiner heutigen Sicht um meinen Sohn gegangen wäre, hätte ich Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, damit er die Chance hätte, ein Abitur, mindestens aber ein Fachabitur zu machen. Der Wechsel kam, und ich lernte einen anderen Schlag Menschen kennen. Ich will nicht sagen, dass sie unintelligenter waren, aber sie waren dennoch anders. Sie waren deutlich direkter im Umgang miteinander und irgendwie echt, und sie bildeten Kollektive. Am Gymnasium waren die Schüler eher für sich.