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Telefonsex
ОглавлениеNacht um Nacht vertat ich mit der unnützen Jagd nach einem potenziellen Spielpartner. Leider traf ich nach Lissy nie wieder auf eine Frau. Meine nicht enden wollende erfolglose Suche, veranlasste mich, nach Alternativen Ausschau zu halten. Irgendwann realisierte ich, dass es für mich wahrscheinlich keine einfache und schnelle Lösung geben würde und begann deshalb meinen Blick vorsichtig auf die Welt der Prostitution zu richten. Natürlich wusste ich immer, dass es Frauen gab, die ihre Körper für Geld verkauften, aber bislang war es für mich völlig undenkbar, solche Dienste in Anspruch zu nehmen. Geld für Sex? Hatte ich das nötig? Ehrliche Antwort: Ja! Mit Geld würde ich mir all meine Wünsche erfüllen können, ohne ein Risiko oder gar eine Verpflichtung einzugehen.
Aufmerksam studierte ich die Inserate von Prostituierten in einem Bochumer Wochenblatt. Auch die hatte ich natürlich vorher schon mal gesehen, aber ihnen nie Beachtung geschenkt. Ich begann ganz genau hinzusehen. Damals bewarben die Damen des käuflichen Gewerbes ihre Dienste noch über Kleinanzeigen, die den Nachteil hatten, dass man ihnen praktisch keinerlei Informationen entnehmen konnte.
Da hieß es zum Beispiel, ›Gabi, 20 Jahre, schlank mit Megabusen, erwartet dich‹, oder, ›Monika, pervers und mollig‹. Dazu gab es die entsprechenden Telefonnummern. Über diesen kleinen Klecks an Informationen gingen die Inserate nicht hinaus, und wenn man mehr wissen wollte, musste man anrufen. Ich war zögerlich, denn ich hatte Schwierigkeiten mir vorzustellen, zu einer Frau zu gehen, von der ich rein gar nichts wusste, um dann Sex mit ihr zu haben. Was wäre, wenn die Frau hässlich ist, was wenn sie in Wirklichkeit nicht 20, sondern 50 Jahre alt ist? Was wäre, wenn ich selbst der Frau nicht gefallen würde?
Langer Rede kurzer Sinn, ich traute mich nicht. Es gab allerdings auch einige alternative Inserate, in denen Frauen ihre Dienste bewarben, die sich nicht mit Freiern trafen, sondern mit denen man stattdessen einfach nur telefonierte. Meistens boten sie diese Gespräche über die damals als 0190er-Nummern bekannten und sehr teuren Telefonverbindungen an. Da kostete eine Minute Gespräch auch schon einmal fast zwei Mark, manchmal auch mehr. Das war mir erstens zu teuer, und zweitens konnte ich es nicht verbergen, weil diese Nummern in der Telefonrechnung ersichtlich wurden. Maria hätte das ganz sicher wahrgenommen, und ich wäre definitiv in arge Erklärungsnot geraten. Also kamen die 0190er-Nummern für mich nicht in Frage. Vereinzelt aber gab es auch ganz ›normale‹ Telefonnummern, über die derlei Dienste beworben wurden. Es kam die Nacht, in der die Notgeilheit so groß war, dass ich eine solche Nummer anrief.
Es meldete sich eine weibliche sehr nette junge Stimme, der ich zögerlich erklärte, dass ich sowas zum ersten Mal in meinem Leben mache. Die junge Stimme war sehr verständnisvoll und meinte, das sei nichts wofür man sich schämen müsse und eigentlich ganz normal. Sie erklärte mir, dass ein Telefonat 50 Mark kosten würde. Die Bezahlung erfolge ganz einfach auf dem Postweg, und ich solle die 50 Mark in einen Briefumschlag stecken und diesen an eine Adresse versenden, die sie mir gab. Dass das wahrscheinlich teurer war als die meisten Gespräche über eine 0190er-Nummer, ignorierte ich geflissentlich. Weiter erklärte sie, dass ich, um diesen Telefondienst in Anspruch nehmen zu können, ihr meinen Namen, meine Adresse und meine Telefonnummer geben müsse. Damals hatten die Telefone keine Displays, und ISDN war wohl auch noch nicht sehr verbreitet. Sie würde dann via Klicktel meine Identität prüfen. Wenn diese zur Telefonnummer passte, würde sie zurückrufen. Die Bezahlung sei durch die Identitätsprüfung gesichert, und man könne dann sofort zur Sache kommen.
Ich erschrak, denn ich wusste, dass wir in Klicktel gelistet waren, allerdings nicht mit der Nummer, die ich ihr gegeben hatte, sondern mit der Nummer des Telefons, dass in unserem Wohnzimmer stand. Die beiden Nummern waren weitestgehend identisch und unterschieden sich nur durch die letzte Stelle. Ich musste also um jeden Preis verhindern, dass die junge Stimme dort unten anrief, Maria damit aus dem Bett holte und mich damit in eine sehr unangenehme Situation brachte, aus der ich nur herausfinden konnte, wenn ich eine plausible Erklärung dafür fand, warum mitten in der Nacht eine Telefonsexagentur anruft und nach mir verlangt. Ich erklärte ihr, dass ich von einem Zweittelefon aus anrief, erläuterte ihr die Differenz der Nummer zu der in Klicktel hinterlegten Telefonnummer und bat sie eindringlich ganz bestimmt nur auf dem Zweittelefon zurückzurufen.
Gott sei Dank, begriff sie das, und es lief ganz genau so, wie sie es erklärt hatte. Nach wenigen Minuten klingelte das Telefon, und ich hatte den ersten Telefonsex meines Lebens.
Auf den Inhalt des Gespräches will ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen, denn der war zweifellos völlig unspektakulär und nur aufgrund des Umstandes, dass es für mich das erste Mal war, doch irgendwie aufregend. Ich ließ mir von der Dame ein paar Fantasien vortragen und masturbierte währenddessen. Wahrscheinlich kam ich sehr schnell, was ihr ganz bestimmt völlig egal war, denn jedes Gespräch kostete unabhängig von der Dauer die besagten 50 Mark. Insofern waren die Frauen, die sich hinter den Stimmen verbargen, mit Sicherheit sogar sehr daran interessiert, die Gespräche so kurz wie möglich zu halten. Am nächsten Tag verschickte ich den ersten Umschlag an die Telefonsexagentur.
So wirklich zufriedenstellend war das für mich nicht, aber es war eben erst einmal was Neues, etwas Verruchtes, etwas, das mit Sex zu tun hatte, und es trug dazu bei, die Projektoren meines Kopfkinos für eine Weile zum Schweigen zu bringen. Allerdings nie für lange, und daraus ergab sich, dass es nicht bei diesem ersten Gespräch blieb. Es folgten in kurzer Abfolge sicherlich noch ein halbes Dutzend weitere Telefonate.
Nach einem dieser Gespräche widerfuhr mir ein Missgeschick. Wie immer nahm ich einen Briefumschlag, adressierte ihn sorgfältig, steckte einen Fünfzigmarkschein und einen Zettel mit einer Nummer, die der Zuordnung diente, hinein und marschierte zum nächsten Briefkasten. Ich warf ihn durch den Schlitz. Eine Sekunde später rutschte mir das Herz in die Hose, und es fühlte sich an, als hätte ich einen Steinbrocken verschluckt. Die Briefmarke…. Ich hatte es versäumt eine Briefmarke auf den Umschlag zu kleben. Das würde dazu führen, dass der Brief, wenn er vom Empfänger nicht angenommen werden würde, zurück an den Absender ging. Die Chance, dass Maria ihn in die Finger bekam, war groß. Natürlich versuchte ich den Brief wieder herauszufischen, aber der Briefkasten war fast leer, so dass er ziemlich weit unten lag und damit für mich unerreichbar blieb. Im ersten Augenblick war guter Rat teuer, doch dann kam ich auf das Naheliegendste und rief bei der Telefonsexagentur an. Ich erläuterte meiner Gesprächspartnerin mein Missgeschick und bettelte sie förmlich an, den unfrankierten Briefumschlag auf jeden Fall anzunehmen. Sie versprach das zwar, aber ich war skeptisch und durchlebte einige wenige Tage voller Angst, dass er doch zurückkommen und mich damit in große Verlegenheit bringen würde. Die Dame jedoch hielt ihr Wort, denn der Brief kam nicht zurück.
Der Telefonsex befriedigte mich auf die Dauer nicht so wirklich. Ein guter Schweinefilm aus der Videothek nebenan erfüllte den gleichen Zweck, eigentlich sogar viel besser, weil die Fantasien hier auch bebildert waren. Billiger war es allemal. Also gab ich die Telefonsexabenteuer schnell wieder auf. Durch diese ersten Erfahrungen allerdings sank meine Hemmschwelle, überhaupt mit Gleichgesinnten aus dem Internet zu telefonieren. Ich richtete mein Augenmerk nun explizit darauf ›Telefongesprächspartner‹ im Internet aufzuspüren. Die Sache allerdings hatte einen Haken, denn schon damals gab es die Rückwärtssuche. Man konnte also anhand einer Telefonnummer recherchieren, mit wem man da sprach. Das galt zwar nicht für jeden Telefonanschluss, wohl aber für meinen, und auch wenn die letzte Ziffer des Dachbodenanschlusses sich vom Hauptanschluss unterschied, landete man bei der Suche nach dem Inhaber der Nummer doch sehr schnell bei mir zu Hause. Daraus ergab sich ein Risiko, dass ich nicht eingehen wollte.
Also suchte ich nach Gesprächspartnern unter der Prämisse, dass sie mir ihre Telefonnummer verraten würden. Meine eigene wollte ich unter keinen Umständen herausgeben, aber so sahen es leider auch die meisten anderen Herren am gegenüberliegenden Ende der Leitung. Auch sie wollten dieses Risiko nicht eingehen. Und wieder einmal investierte ich Stunde um Stunde und Nacht um Nacht, um irgendjemanden zu finden, mit dem ich versaute Gespräche führen konnte, aber das gelang mir nie.
Etwas anderes hingegen gelang mir, denn ich traf in einem Chatroom auf einen vermeintlich jungen Mann aus Bonn, der sich Guido nannte. Guido ging sehr offen mit seiner Homosexualität um und lebte sie, wie er mir erzählte, auch völlig uneingeschränkt aus. Ich ›traf‹ also einen Mann, der nach Sexualpartnern suchte und kein Deckmäntelchen um diese Angelegenheit machte. Nachdem wir ein paar Mal gechattet hatten, schickte er mir ein Bild, eine Adresse und eine Telefonnummer und sprach eine Einladung aus. Er wollte, dass ich ihn besuche. Auch wenn mir die genaue Erinnerung an diesen Moment fehlt, wird es wohl so gewesen sein, dass mir der Arsch auf Grundeis gegangen ist. Darüber hinaus wollte er, dass ich ihn anrufe, nicht irgendwann und vielleicht mal, sondern jetzt sofort. Prompt erfasste mich die Angst, die Situation könnte mir entgleiten, aber ich wollte mich an dieser Stelle nicht als Feigling outen. Unabhängig davon wähnte ich mich am Ziel all meiner Bemühungen. Warum nun hatte ich Angst einen harmlosen Anruf zu tätigen, zumal es gar nicht gesagt war, dass an dessen Ende zwingend ein Treffen mit Guido herauskommen würde? Ich sah mich in einem außerordentlich schweren Konflikt zwischen dem ungeheuren Druck, den meine Notgeilheit mir auferlegte und einer für mich kaum zu definierenden Angst vor unangenehmen Empfindungen, wie Antipathien, Versagensängste, Scham , Schüchternheit, fehlendem Selbstbewusstsein und vielen anderen, die sich aus einem Treffen unter Männern ergeben könnten. Ich erinnere mich, dass mir dieser Anruf ganz schwergefallen ist, weil ich plötzlich eine Riesenangst vor meinem eigenen Wagemut hatte, aber dennoch wählte ich seine Nummer.