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Jugenderinnerungen

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Bereits mit sechzehn Jahren hatte ich einen großen Bekanntenkreis. Meine besten Freunde waren Siggi, Bernd und Biggi. Wir vier bildeten damals eine fast untrennbare Einheit und verbrachten jede freie Minute miteinander. Um uns herum bildete sich eine große Clique, die zeitweise dreißig bis fünfunddreißig Mitglieder zählte, aber niemand war so dicht beieinander wie wir vier. Wir trafen uns mit unseren Mofas und Mopeds täglich am Bolzplatz Bonhoefferstraße direkt neben den Gleisen. Dort saßen wir, redeten bestimmt viel Unsinn und rauchten. Für Zigaretten hatten wir anfangs kein Geld. Nur Biggi, die bereits eine Ausbildung zur Friseuse absolvierte, hatte immer ›Aktive‹. Siggi und ich drehten unsere Zigaretten selbst. Wir drehten sie mit ›Schwarzer Krauser‹, einem wirklich starken Tabak. Das hatte nicht nur den Vorteil automatisch unter Beweis zu stellen, dass wir knallharte Jungs waren, sondern auch den, dass wir nie angeschnorrt wurden. Wenn wir ein bisschen Geld übrighatten, holten wir einen Sechserpack Bier von der Tanke und tranken. Anfangs war das noch sehr selten, aber die Abstände verringerten sich rasch, denn wir alle erkannten schnell, dass der Alkohol den Alltag ein wenig in den Hintergrund rücken ließ, und das hob die Stimmung. Wenn kein Geld für Bier da war, griff ich von Zeit zu Zeit auf einen meiner heimischen Kellerräume zurück. Dort stapelte mein Vater unzählige Präsente, die er von Kunden und Firmen, mit denen er zusammenarbeitete, erhielt. Bei uns stand der ganze Keller voller Schnaps, den niemand trank. Mehr als einmal habe ich von dort eine Flasche mitgehen lassen.

Für meine Eltern, insbesondere für meine Mutter war es, auch wenn ihr selbst das vielleicht nicht so bewusst war, eine sicherlich schwierige Zeit, denn ich begann mich radikal von der Familie zu lösen und lebte fortan mein eigenes Leben. Um Erlaubnis habe ich nie gebeten, und schon mit 16 Jahren traf ich die meisten meiner Entscheidungen allein. Meine Mutter musste sich von heute auf morgen daran gewöhnen, dass der Stubenhocker, der ich bisher war, von Stund an kaum noch nach Hause kam.

Irgendwann hatte ich die zehnte Klasse der Realschule beendet und war, trotz meiner seltenen Besuche des Unterrichts, irgendwie da durchgekommen. Das Zeugnis war grottenschlecht, aber zumindest hatte ich meine mittlere Reife in der Tasche. Der wirkliche Ernst des Lebens begann für mich mit der Suche nach einer passenden Leerstelle. Das war nicht so einfach, weil ich bei der Auswahl, der für mich in Frage kommenden Berufe nicht sonderlich flexibel war. Während der zehnten Klasse absolvierte ich ein Schülerpraktikum in dem alteingesessenen Zweiradgeschäft Saalfred in Witten. Das Praktikum machte mir richtig viel Spaß. Die alten Saalfred‘s waren sehr nette Leute, denen nie ein böses Wort über die Lippen kam und die mich behandelten, als wäre ich ein Familienmitglied. Im Betrieb arbeitete auch deren Sohn Ulrich. Jedes Mal, wenn Ulrich irgendein Motorrad repariert hatte, ging es an die Probefahrt, zu der er mich regelmäßig mitnahm. Natürlich hat es mich schwer beeindruckt, wenn er mit mir hinten drauf auf schweren Maschinen mit waghalsigen Wheelies anfuhr und anschließend mit einhundertvierzig Sachen durch die Wittener Innenstadt stürmte.

Ich hatte dort, bereits vor dem Praktikum mein allererstes Moped, eine alte gebrauchte Kreidler, gekauft. Im Praktikum baute ich dann selbst, allerdings ohne es zu wissen, mein erstes ›vernünftiges‹ Moped zusammen. Eine weiße Honda CB50. Sie war zu meiner größten Überraschung und Freude der Lohn für mein Praktikum. Von da an stand für mich unumstößlich fest, dass ich Motorradmechaniker werden würde.

Nun, leider hatten Saalfred’s selbst nicht die Möglichkeit mir eine Lehrstelle anzubieten, und bei den wenigen anderen umliegenden Motorradgeschäften, die man im Übrigen an einer Hand abzählen konnte, sah es nicht anders aus.

So begab es sich, dass ich in dem Abgangsjahr von der Schule keine Lehrstelle fand.

Daraus resultierend versuchte ich diverse andere Dinge. So arbeitete ich für, wenn ich mich recht erinnere, genau einen Tag in einem Bauelektrofachunternehmen. Sofort war klar, das war nicht das Richtige für mich, denn der Tag dort wollte einfach kein Ende nehmen.

Einen weiteren Tag verbrachte ich in einer Kunstschlosserei. Das muss mich so schrecklich gelangweilt haben, dass ich mich an Details überhaupt nicht mehr erinnern kann. Es folgte eine Reihe von weiteren Versuchen, die allesamt nicht fruchten wollten. Ich wollte das Arbeitsleben nicht, und das Arbeitsleben wollte mich nicht.

Rückblickend sehe ich es so, dass man als jugendlicher Schulabgänger einfach nicht in der Lage ist, bedeutende und langfristige Entscheidungen wie die Berufswahl zu treffen. In diesem sprunghaften Alter wirft man, wenn die Eltern dieses Verhalten zulassen, selbst die guten Chancen einfach fort.

Wenn mein Vater nicht gewesen wäre, wäre ich möglicherweise nie oder zumindest erst sehr viel später ans Arbeiten gekommen. Er hatte, bedingt durch seine guten beruflichen Kontakte, alle Stellen für mich beschafft und beschaffte nun auch den ersten Job, den ich etwas länger ausführte als nur wenige Tage.

Ich arbeitete als Hilfsarbeiter bei einem Kooperationspartner der Deutschen Bahn. Dieser wiederum verlieh mich direkt an die Deutsche Bahn, die noch nicht privatisiert war. Mein erster ›richtiger‹ Arbeitsplatz war also in einer öffentlichen Einrichtung und dort in der Gleiskontrolle. Die Leute dort hatten exakt die Aufgabe, die der Name der Abteilung wiederspiegelte, nämlich die permanente Kontrolle des Schienennetzes auf Schäden in einem bestimmten Bezirk. Wir waren für kleinere Reparaturarbeiten zuständig. Trafen wir auf große Schäden, wurde deren Beseitigung entsprechenden Fachfirmen übertragen. Im Winter gehörte es zu unseren Aufgaben zu verhindern, dass Weichen einfroren. Es handelte sich überwiegend um einfache Arbeiten, die weder sonderlich anstrengend waren noch Anspruch an den Intellekt stellten.

Ich fühlte mich dort von Anfang an wohl und kam mit den deutlich älteren Arbeitskollegen gut zurecht. Es waren einfache, aber gute Leute. Sie trugen Namen wie Adolf und Eugen. In der Regel saßen vier Mann auf einem Einsatzwagen. Einer davon war der Fahrer, der auch tatsächlich nichts anderes tat als zu fahren. An den jeweiligen Baustellen angekommen, gestaltete sich die Arbeitsverteilung meist so, dass drei von uns sich ein Urteil darüber bildeten, was der Vierte tat. Überarbeiten war unmöglich. Meinem damaligen Lebenswandel, der durchaus auch unter der Woche Kneipenbesuche vorsah, die erst um ein oder zwei Uhr in der Früh endeten, kam die Möglichkeit über Tage noch ein bis zwei Stündchen im Auto zu schlafen sehr gelegen.

Nachdem ich ein paar Wochen gearbeitet hatte, meldete sich plötzlich und unerwartet die Schulbehörde. Ich war zu dieser Zeit noch nicht volljährig, und aus irgendeinem Grund, den ich bis heute nicht verstehe, bestand Schulpflicht für mich. Fortan musste ich einmal in der Woche eine Berufsschule besuchen. Die Klasse, in die ich ging, bestand nur aus Jungs, und sie waren allesamt, wie ich, Hilfsarbeiter, doch anders als ich, verfügten die meisten über keinen Schulabschluss oder maximal über den irgendeiner Sonderschule. Ich will nicht überheblich klingen, aber zwischen meinen Klassenkameraden und mir bestand eine kolossale intellektuelle Differenz.

Der Klassenlehrer, der dort alle Fächer unterrichtete, nahm mich nach dem zweiten oder dritten Schulbesuch zur Seite. Er befand meine Besuche in dieser Klasse für unsinnig und überflüssig, und wir vereinbarten, dass ich nicht mehr erscheinen müsse. Er hat irgendwie dafür gesorgt, dass diese Vereinbarung weder bei der Schulbehörde noch bei meinem Arbeitgeber ankam, und so verschaffte er mir zumindest bis zu meinem achtzehnten Geburtstag, an dem die Schulpflicht endete, einen weiteren freien Tag pro Woche.

Von meinem Gehalt bei der Bahn gab ich 200,00 Mark im Monat meiner Mutter. Ich selbst gestand mir pro Woche 50,00 Mark zu. Der Rest ging aufs Sparbuch. Und so begab es sich, dass da in relativ kurzer Zeit ein paar ›Tausender‹ drauf waren. Jedenfalls konnte ich mir, nachdem ich endlich, im dritten Anlauf, meine Führerscheinprüfung bestanden hatte, ein Auto kaufen, und was für eins!

Mein erstes Auto war ein quietschgelber Opel Manta A. Es war ein tolles Auto, wenn auch der Fahrersitz irgendwie nie richtig befestigt war und deshalb ein gewisses Eigenleben entwickelte. Von Zeit zu Zeit führte das dazu, dass der Sitz beim Beschleunigen nach hinten schoss. Im schlechtesten Fall verlor ich in solchen Momenten den Kontakt zu Pedalerie. Wenn das passierte erforderten plötzliche Bremsmanöver teils artistische Verrenkungen. Ich empfand das damals nicht als Mangel, sondern eher als interessantes Detail und dachte gar nicht daran Geld für eine so überflüssige Reparatur auszugeben. Im Übrigen war mein Auto ein Rennwagen. Sogar ein Monteur hat mir irgendwann einmal gesagt, dass der Wagen ›renne wie Teufel‹. Ein weiterer Mangel, den ich ebenfalls nie beheben ließ, bestand darin, dass der erste Gang und der Rückwärtsgang nur einen Millimeter auseinander zu liegen schienen. Mehr als einmal versuchte ich einen Kavalierstart, um, wem auch immer, zu imponieren und wurde davon überrascht, dass der Wagen rückwärts raste. In jedem Fall war mein Schutzengel in der Nähe, denn niemals ist dabei irgendetwas passiert.

Mit diesem Auto war ich ungeachtet der technischen Mängel der King of Currywurst. Aufgrund meines finanziellen Vorteils war ich der Erste von uns, der überhaupt ein Auto hatte.

Bedauerlicherweise wurde mir irgendwann wegen Arbeitsmangel gekündigt, und so endete diese für mich sehr angenehme Zeit, und ich wurde arbeitslos.

Das war Anfang der 1980er Jahre. Den Begriff Hartz 4 und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten gab es noch nicht. Ich bekam Arbeitslosengeld, dass sich aus dem letzten Einkommen berechnete, und auch wenn es nur 65% davon waren, war es viel für mich, und ich hatte deutlich mehr Geld in der Tasche, als jeder der irgendwo eine Ausbildung absolvierte. Außerdem war ich sehr sparsam.

Ich komme aus einer Familie, von der man immer annahm, dass ein gewisser Wohlstand bestand. Der allerdings war, wenn er denn überhaupt existierte, nur für meinen Vater greifbar, der ansonsten seiner Familie nur das Haushaltsgeld zur Verfügung stellte, dass unbedingt notwendig war, um nicht hungern zu müssen, und ich erinnere mich, dass es darum sehr häufig zu Auseinandersetzungen zwischen meinen Eltern kam.

Von da an lebte ich für mehrere Jahre von Gelegenheitsjobs, eine länger andauernde Anstellung ergab sich lange Zeit nicht. So sehr ich diesen Zustand in meiner jugendlichen Unvernunft auch schätzte, so war es doch eine dunkle Phase, denn ich wurde ziemlich apathisch, und alles um mich herum, war mir scheißegal. Ich verbrachte meine Zeit mit Schlafen, Rumgammeln, Rauchen und Trinken. Die Kluft zwischen mir und der Asozialität schrumpfte gefährlich zusammen.

Koexistenz!

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