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Rudolf von Habsburg im Vormarsch
ОглавлениеDas Abflauen der Konflikte um das Staufererbe nach 1252 war aber nicht das Ende einer gewalttätigen Zeit. Die Jahre bis zur Wahl von Rudolf IV. von Habsburg zum König des Heiligen Römischen Reichs 1273 werden gemeinhin als Interregnum bezeichnet, als Zeit zwischen der Königsherrschaft oder als königslose Zeit. Dies stimmt der Form nach nicht. 1245, nach der päpstlichen Absetzung von Kaiser Friedrich, wählten seine Gegner mit Heinrich Raspe einen Gegenkönig, nach dessen Tod mit Wilhelm von Holland erneut einen Kontrahenten, gesetzt gegen Friedrichs Sohn Konrad IV. Wilhelm von Holland war wenig präsent im Reich, und seine beiden 1257 gleichzeitig gewählten Nachfolger, Richard von Cornwall, der Bruder des englischen Königs, und Alfons von Kastilien, glänzten vollends durch Abwesenheit. Die königslose Zeit war in diesem Sinn eine Zeit mit Königen in Abwesenheit.
Die grossen und kleinen Fürsten nutzten diese Situation zum Ausbau ihrer Machtbasis. Wenn der Frieden nicht durch den König und seine Gefolgsleute garantiert werden konnte, mussten die lokalen Machthaber selbst dafür sorgen. Der erfolgreichste dieser Fürsten in den Reichslandschaften Schwaben und Burgund war Rudolf IV. von Habsburg. Er erwies sich in den Jahren nach dem Ende der Stauferwirren als oft geschickter, mal gewalttätiger, dann wieder ausgleichender Politiker. Innert 20 Jahren schwang er sich zum dominierenden Machthaber zwischen Strassburg, Freiburg im Uechtland, Luzern und Konstanz auf. In den 1250er-Jahren erweiterte er seine Machtbasis primär im Elsass und auf dem Schwarzwald. Er heiratete 1254 mit Gertrud von Hohenberg eine schwäbische Adlige, die ihm Besitz beidseits des Rheins im Breisgau und im Elsass in die Ehe brachte. Gleichzeitig schaltete er Kontrahenten wie die Herren von Tiefenstein im Schwarzwald mit Gewalt aus. Die Gründung der Stadt Waldshut und die Vogtei über das Kloster St. Blasien sicherten seine neue Machtstellung ab, die er sich offenbar beidseits des Ober- und Hochrheins aufbauen wollte. Mit der Stadt Basel lag er in Fehde.
Habsburgische Aktivitäten in der Innerschweiz sind in den 1250er- und 1260er-Jahren wenige überliefert. Es scheint sogar eher so, dass die Laufenburger Linie Ansprüche und Güter liquidierte, zum Beispiel in Sarnen, Alpnach und Kägiswil 1257 jeweils an ihre Dienstleute vor Ort.18 So wird auch ein schwerer Konflikt zwischen dem Kloster Murbach und seinem Luzerner Vogt Arnold von Rotenburg im März desselben Jahres vor einem durch den Papst delegierten Richter ohne Zutun der landgräflichen Gewalt, das heisst der Habsburger, entschieden. Bezeugt wird der Entscheid vom regionalen Adel und von Stadtbürgern.19
In die Schweizer Geschichte eingegangen und unterschiedlich interpretiert worden ist ein Auftritt Rudolfs von Habsburg 1257/58 in Uri. Im Dezember 1257 schlichtete er in Altdorf eine Fehde zwischen den Familien Izeling und Gruoba.20 Er trat als Landgraf im Elsass zusammen mit den Landleuten von Uri als Schiedsrichter auf. Im Mai des folgenden Jahres vollstreckte er die Güterliquidation der Izeling, nachdem diese die Fehde nicht beendet hatten. Der Auftritt Rudolfs in Uri wurde verschiedentlich damit in Zusammenhang gebracht, dass die Habsburger in Uri, wie auch in Schwyz und Unterwalden, weiterhin vogteiliche Rechte ausgeübt hätten. Im Wortlaut der Urkunden ist davon aber nichts zu finden. Der Habsburger scheint als neutraler Vermittler vor Ort gewesen zu sein, der im Konfliktfall auch mächtig genug war, die Vollstreckung des Urteils durchsetzen zu können. Es war in diesen Jahren schlicht kein König und auch kein Reichsvogt als Stellvertreter in der Nähe, der Recht hätte durchsetzen können. Der Friede musste mit den Kräften vor Ort gesichert werden.
Der schlichtende Rudolf befand sich kurze Zeit später wieder im Vorwärtsgang. Einerseits im Elsass, wo er in den Jahren nach 1260 seine Stellung zusammen mit der Bürgerschaft von Strassburg gegen den dortigen Bischof festigte. In dieser Fehde stand ihm sein Vetter Gottfried von Habsburg-Laufenburg zur Seite, der seine Aktivitäten mehr und mehr an den Hochrhein verlegte und in der Innerschweiz kaum mehr Präsenz zeigte. Rudolf nahm gleichzeitig Einfluss auf Hartmann V. von Kyburg, den er gegenüber dessen Onkel Hartmann IV. in Schutz nahm. Der ältere Hartmann war der Bruder der Mutter Rudolfs, Heilwig von Kyburg. Er war in kinderloser Ehe mit Margarete von Savoyen verheiratet, der Schwester von Peter II. von Savoyen, der mit den englischen Königen verschwägert war und rund um den Genfersee energisch eine neue Machtbasis aufbaute. Der 1257 gewählte König Richard von Cornwall war sein Neffe, und über ihn erlangte er verschiedene Reichslehen im Aareraum. Der Savoyer wurde so zum schärfsten Konkurrenten der Kyburger und der Habsburger.
Hartmann IV. starb 1264 als letzter männlicher Kyburger, ein Jahr zuvor war bereits sein Neffe verstorben. Dieser hinterliess neben seiner Witwe Elisabeth von Chalon eine Erbtochter, Anna von Kyburg. Zusammen mit dem verwandten Hugo von Werdenberg und seinem Vetter Gottfried konnte Rudolf die Vormundschaft der Erbtochter übernehmen. Der Habsburger wie der Savoyer konnten Ansprüche an das Kyburger Erbe stellen. Rudolf von Habsburg war schneller, nutzte die Abwesenheit Peters von Savoyen, der in Flandern engagiert war, und riss das Kyburger Erbe an sich. Peter von Savoyen versuchte nach seiner Rückkehr an den Genfersee seine Ansprüche im Aareraum mit militärischen Mitteln zurückzuholen, scheiterte aber. Die beiden Kontrahenten einigten sich im Herbst 1267. Die Witwe Margarete von Savoyen wurde abgefunden, kehrte an den Genfersee zurück und verstarb 1273. Fünf Jahre zuvor war bereits ihr Bruder Peter verstorben. Rudolf von Habsburg schwang sich damit zum unbestrittenen Machthaber zwischen Freiburg im Uechtland und Konstanz auf.21
Seinen Anspruch auf das Kyburger Erbe versicherte er in den folgenden Jahren mit dynastischen Mitteln. Nach dem Ableben der Margarete von Savoyen und nachdem Anna von Kyburg volljährig geworden war, verheiratete er diese im Frühjahr 1273 mit seinem Vetter Eberhard von Habsburg-Laufenburg. Gleichzeitig kompensierte er wohl kyburgische und laufenburgische Schulden mit der Übernahme des kyburgischen Besitzes im Aargau und Zürichgau. Dazu gehörten auch – pauschal genannt – Güter und Leute in Schwyz, Stans und den Waldstätten. Diese Urkunde geistert seither als Phantom durch die Schweizer Geschichtsforschung. Sie ist verbürgt über das Archivverzeichnis der Burg in Baden und ist wahrscheinlich im Mai 1415 nach der Eroberung des Steins von Baden und der Plünderung des habsburgischen Archivs durch die Eidgenossen vernichtet worden. Diese Überschreibung ist eines der ungelösten Rätsel der Frühgeschichte der Eidgenossenschaft, weil der genaue Beschrieb der darin verzeichneten Güter und Rechte nicht mehr vorhanden ist.22
Es gibt einige wenige Indizien, die diesen Vorgang verdeutlichen. 1278 verschreibt König Rudolf Johanna von England, der Verlobten seines Sohnes Hartmann, nebst Gütern im Aargau den 1273 verzeichneten Besitz für den Fall einer Heirat. Es war gängige Praxis, eine potenzielle Mitgift auf umstrittenen Ansprüchen zu versichern. Die Verbindung kam aber nicht zustande, weil Hartmann 1281 verstarb.23 Ein auf das Jahr 1281 datierter habsburgischer Pfandrodel wirft weiteres Licht auf die Verschreibung von 1273. Am Schluss des Rodels sind Einkünfte notiert, die dem Grafen Eberhard von Habsburg-Laufenburg, Ehemann der Anna von Kyburg, verpfändet gewesen sein sollen. Es waren dies Einkünfte wahrscheinlich aus Nidwalden (Thomas von Röschenried), von freien Leuten in Schwyz, aus dem Haslital, von den Höfen Froburg und Kyburg (im Land Schwyz gelegen), von Arth, Sempach, Willisau und dem Amt Lenzburg, zusammengezählt 270 Mark Silber. Was war verpfändet, Rechte aufgrund einer Reichsvogtei (Hasli, Schwyz), aufgrund landgräflicher Rechte (Nidwalden, Lenzburg) oder aufgrund von grundherrlichem Besitz (Höfe Froburg, Kyburg und Arth)? Es ist nicht zu unterscheiden und auch nicht zu entscheiden.24 Waren das mehr als Ansprüche? Konnte der Laufenburger diese Einkünfte überhaupt eintreiben? Das Haslital verbündete sich zum Schutz seiner Rechte im Juni 1275 mit der Stadt Bern.25 Vielleicht suchten die Talleute die Unterstützung von Bern gegen die Ansprecher der an den Laufenburger verpfändeten Rechte.
Was klar ist: Wenn inskünftig von habsburgischen Rechten in der Innerschweiz die Rede war, waren es nicht mehr laufenburgische Ansprüche, sondern solche der älteren Linie von Rudolf von Habsburg.