Читать книгу Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas - C. M. Spoerri - Страница 10
Kapitel 1 - Cilian
ОглавлениеDie Macht, die durch meine Adern fließt, zerreißt mich beinahe. Ich presse die Augen zusammen, mahle mit den Kiefern und balle die Hände zu Fäusten, während ich versuche, möglichst gleichmäßig zu atmen.
Mein Körper verändert sich, es fühlt sich an, als würde jede Muskelfaser bersten und sich neu formen. Was ungefähr dem entspricht, was mit mir gerade geschieht – ich bin dabei, mich zu verjüngen. Nicht viel, nur ein paar Jahre, die mein Äußeres wieder aussehen lassen, als wäre ich erst dreiundzwanzig. Dabei ist meine Seele schon so lange auf dieser Welt … viel zu lange.
Ich habe eine Weile gebraucht, um mich zu diesem Schritt durchzuringen, da ich im Grunde einfach gerne in Würde sterben möchte. Aber die Verjüngung war notwendig, denn je älter ich äußerlich werde, desto weniger hält mich in diesem Leben. Desto weniger Sinn sehe ich darin, weiterhin meinen Posten als einer der fünf Räte des Zirkels von Chakas zu bekleiden. Eine Aufgabe, die ich gleichermaßen liebe, wie ich sie hasse. Ich liebe sie, da sie mir einen Sinn im Leben gibt. Und hasse sie, weil sie alles von mir abverlangt, mich regelrecht aufsaugt.
Die Magie zerrt an meinem Innersten und ich spüre, dass es Zeit ist, loszulassen. Langsam bringe ich meine Kräfte zum Versiegen, schicke sie zurück in die Nähe meines Herzens, wo ich jederzeit wieder darauf zugreifen kann.
Ein leises Krächzen erklingt neben mir und ich muss meine Augen nicht öffnen, um zu wissen, dass es mein Königsgreif Mondsichel ist, denn sein Geist stößt meinen an, wärmt ihn, hält ihn in einer liebevollen Umarmung umschlungen.
Doch. Es gibt noch etwas, das mich in diesem Leben hält: der Greifenorden von Chakas, dessen Oberhaupt ich seit vielen Jahren bin. Ich habe ihn zu dem gemacht, was er nun ist, habe jeden einzelnen Greifenreiter, der sich hier im magischen Zirkel aufhält, ausgesucht und ausgebildet. Inzwischen zählt der Orden fast vier Dutzend Mitglieder, worauf ich stolz bin. Aber es sollen noch viel mehr werden und irgendwann werde ich es schaffen, die Greifenreiter in alle Regionen von Altra zu entsenden, damit sie über die Menschen wachen und sie beschützen. Das ist mein Ziel und auch der Grund, wieso ich nun vor dem Spiegel in meinen Gemächern stehe und langsam den Kopf hebe.
Es benötigt einiges an Überwindung, die Augen zu öffnen und meinem jüngeren Ich ins Gesicht zu blicken. Ich blinzle, sehe den Spiegel im Schein der Kerzen, die ich um mich herum entzündet habe, und … meine Reflexion darauf. Die braunblonden Locken, die stets unbändig in mein Gesicht fallen, den Dreitagebart, den ich mir seit Kurzem wachsen lasse, die azurblauen Augen, die mich jeden verdammten Tag meines Lebens an meinen toten Vater erinnern.
Rasch wende ich den Blick von meinem Gesicht ab und lasse ihn stattdessen über den Körper wandern. Da ich allen gesagt habe, dass ich heute Abend nicht gestört werden will, habe ich mich bis auf den Lendenschurz ausgezogen und kann nun problemlos die Veränderungen an mir sehen, welche ich dem Verjüngungsritual zu verdanken habe. Meine Muskeln sind definiert und so straff, dass sie sich zusammenziehen, als ich mich ein wenig bewege. Ich bin nicht allzu breitschultrig oder muskelbepackt, war immer schon schlank und groß gewachsen. Im Grunde bin ich zufrieden mit meinem Körper. Und mich in der alten Form zu sehen, ringt mir nun doch noch ein Lächeln ab. Es fühlt sich fast an, als wäre eine schwere Last von meinen Schultern genommen worden.
Im Selbstbetrug war ich schon immer gut …
»Willkommen zurück, Cilian«, murmle ich mir zu und greife dann zu einem leichten Burnus aus hellem Leinen und meinen Stiefeln, die ich anziehe.
Ein Blick zum Balkon, der an mein Schlafzimmer angrenzt, zeigt mir, dass sich mein Greif inzwischen hingelegt hat. Er ist ein beeindruckendes Geschöpf und sein Löwenkörper pechschwarz. Die Federn, welche den Adlerkopf bedecken, sind ebenfalls schwarz, doch die Flügel und der Schnabel glänzen im Mondlicht silbern – bei Tageslicht besitzen sie die Farbe von Anthrazit. Ein weißer Federkranz an seiner Kehle hat ihm den Namen ›Mondsichel‹ eingebracht.
»Danke für deine Magie, mein Junge«, sage ich zu ihm.
Er lässt ein Gurren hören, das eher zu einer Taube als zu einem Adler passt, und blinzelt mich müde an. Auch ihn hat das Magiewirken angestrengt, was mir ein schlechtes Gewissen beschert. Natürlich hätte ich die Verjüngung auch ohne seine Hilfe geschafft – ich bin ein genügend mächtiger Magier, und nur ein paar Jahre zu verändern, kostet mich nicht allzu viel Körperwärme, die für den Zauber notwendig ist. Doch mit den Kräften des Greifs geht es schneller und ist weniger auslaugend. Wie jeder Greifenreiter habe ich mich mit meinem tierischen Gefährten verbunden und wir können in Gedanken kommunizieren. Nicht mit Worten, sondern eher mit Bildern, die wir uns gegenseitig im Geist schicken.
So wie jetzt – Mondsichel lässt vor meinem inneren Auge einen Berg Fleisch erscheinen und ich lache leise auf.
»Du bekommst morgen eine Extraportion, wie versprochen.« Ich schmunzle und will gerade zu ihm gehen, um ihn zwischen den katzenartigen Ohren auf seinem Adlerkopf zu kraulen, da lässt mich ein Klopfen an meiner Tür innehalten. »Ich habe doch gesagt, ich will heute Abend nicht mehr gestört werden«, murmle ich leise, durchquere aber das Zimmer und öffne die Tür.
Vor mir steht eine junge Frau, die den Unmut, der sich in mir bilden wollte, augenblicklich wegwischt. Ein Blick in ihr Gesicht – und meine Lippen verziehen sich automatisch zu einem Lächeln.
»Mica«, höre ich mich sagen und würde mir am liebsten auf die Zunge beißen, weil ich den Namen viel zu sanft ausgesprochen habe.
Mica ist eine meiner besten Greifenreiterinnen. Während ich Wassermagie beherrsche, kann sie über das Feuer gebieten und bildet inzwischen selbst Rekruten aus.
»Cilian«, erwidert sie und ihr Blick gleitet erstaunt über mein verjüngtes Gesicht. »Du … siehst verändert aus.« Sie legt den Kopf schief und wischt sich ein paar Strähnen ihres silbernen Haares, das sie der Begegnung mit einer Sirene zu verdanken hat, nach hinten. Es lässt sie älter aussehen als ihre einundzwanzig Jahre, aber womöglich liegt dieser Eindruck auch an ihren klugen, dunklen Augen. »Hast du dich verjüngt?«
Ich nicke und fahre mir mit der Hand durch die Locken – vergebens, sie fallen wie immer direkt in meine Stirn zurück. »Nur ein paar Jahre, es war wieder an der Zeit.«
Sie nickt ebenfalls und ein Lächeln erscheint auf ihrem hübschen Gesicht. »Steht dir.«
Ich versuche, mich nicht zu sehr über das Kompliment zu freuen. Sie ist tabu für mich, da sie verheiratet ist und ein Kind erwartet, wie mir ein Blick auf ihren runden Bauch in Erinnerung ruft. Und ich gönne ihr das Glück von ganzem Herzen … trotzdem wird eben Letzteres immer ein wenig schwerer in ihrer Nähe. Da kann ich nichts dagegen tun.
»Lass mich raten, du bist jetzt … vierundzwanzig?« Ihr Lächeln wird breiter.
»Dreiundzwanzig«, korrigiere ich sie.
»Gibt es einen Grund dafür, dass du ausgerechnet dieses Alter gewählt hast?«, will sie wissen.
»Nein.«
Doch. Aber das geht nur mich etwas an.
»Hm.« Sie scheint zu merken, dass ich ihr nicht die Wahrheit sage, bohrt aber nicht weiter nach.
»Und gibt es einen Grund, wieso du mich spätabends in meinen Gemächern aufsuchst?«, wechsle ich das Thema.
»Ah, richtig«, antwortet sie und das Lächeln verschwindet aus ihrem Gesicht. Kein gutes Zeichen … »Es gibt … also da ist ein Neuankömmling.«
»Für den Zirkel?« Ich hebe überrascht die Augenbrauen. Normalerweise werden die jungen Magier, die im magischen Zirkel ausgebildet werden sollen, in einer feierlichen Zeremonie alljährlich zur Sommersonnenwende aufgenommen. Dass mitten in der Nacht ein Anwärter auftaucht, ist äußerst ungewöhnlich.
Mica schüttelt den Kopf. »Für den Greifenorden.«
Meine Augenbrauen hüpfen noch stärker in die Höhe und ich muss mich zusammenreißen, damit mein Mund nicht aufklappt. »Den …«
Mica nickt mit vielsagendem Blick. »Sie ist mit einem Greif hierher geflogen. Du solltest sie dir ansehen. Sie scheint etwas … Besonderes zu sein.«
»Sie?«
»Ein Mädchen von vielleicht …« Sie zieht die Augenbrauen zusammen und tippt sich mit dem Finger nachdenklich an die Unterlippe. »… sechzehn, siebzehn Jahren?« Das Lächeln kehrt auf ihr Gesicht zurück. »Sie ist sympathisch, aber ich glaube, sie hat es faustdick hinter den hübschen Ohren. Nun ja, damit kennst du dich ja aus.« Sie grinst mich an und ich erinnere mich nur zu gut daran, dass auch Mica nicht die einfachste Greifenreiterin war, als ich sie unter meine Fittiche nahm.
Ich erwidere ihr Lächeln und unterdrücke den Drang, ihr über den Arm zu streichen. »Nun gut, dann führ mich zu ihr.«
»Wie der Herr befiehlt.« Sie lacht leise und wendet sich zum Gehen, während ihre silbernen Locken im Schein der Fackeln glänzen, die den Gang erhellen.
Mit einem Schmunzeln auf den Lippen folge ich ihr.
Da es Abend ist, begegnet uns kaum jemand, während wir durch den Wasserzirkel schreiten, in dem sich meine Gemächer befinden. Früher habe ich im Hauptgebäude gewohnt, inzwischen aber ein Zimmer in dem Zirkelgebäude gewählt, in welchem ich Wassermagie unterrichte – neben meinen Aufgaben im Greifenorden eine schöne Abwechslung, wenn auch ziemlich anstrengend. Doch die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen hat mir immer schon gefallen, auch schon bevor …
Rasch verscheuche ich die aufkommenden Gedanken an meine Vergangenheit, die mich nur traurig stimmen würden, und versuche stattdessen, mit Mica ein unverfängliches Gespräch zu starten.
»Wie geht es deinem Gemahl?« Ich merke im selben Moment, dass es die falsche Frage war, denn das Gesicht der Greifenreiterin verfinstert sich.
»Ich habe ihn seit zwei Wochen nicht mehr gesehen«, antwortet sie schulterzuckend. »Ich nehme an, es geht ihm gut, sonst hätte er sich gemeldet.«
Ich nicke stumm. Beziehungen sind schwierig und Mica hat sich wahrlich nicht den einfachsten Mann ausgesucht, mit dem sie ihr Leben verbringt.
Als wir im Nebengebäude ankommen, in welchem der Greifenorden untergebracht ist, bleibe ich kurz stehen und betrachte es. Im schwachen Licht, das der Mond und die Sterne auf den magischen Zirkel werfen, erscheint es beinahe weiß. Wir haben es vor einem Jahr errichtet, als die alten Räumlichkeiten nicht mehr ausreichten, um die Greifenreiter zu unterrichten. Hier findet der Theorieunterricht statt – der praktische allerdings in einer Arena, die zwischen den Klippen am Meer gut vor neugierigen Blicken verborgen ist.
»Kommst du?«, fragt Mica, die ebenfalls stehen geblieben ist. »Sie wartet in der Bibliothek.«
Ich nicke und folge der jungen Frau, die nun das helle Gebäude betritt.
Die Wärme des Tages ist hier noch deutlich zu spüren – heute war es besonders heiß. In Chakas herrscht ein trockenes Wüstenklima, das häufig zu schlaflosen Nächten führen kann, wenn man die Hitze nicht gewohnt ist. Obwohl die Handelsstadt direkt am Meer liegt, kann nicht einmal die sanfte Brise, die stets vom Hafen über die Stadt weht, eine wirkliche Abkühlung bringen. Ich liebe die Wärme, die mich Tag und Nacht umgibt – deswegen könnte ich mir auch nicht vorstellen, woanders zu leben. Selbst wenn ich nicht Zirkelrat und Ordensleiter wäre.
Wir durchqueren die Eingangshalle und betreten die Bibliothek, welche noch nicht allzu viele Bücher besitzt. Die meisten Regale sind leer, da ich erst vor Kurzem beschlossen habe, alles, was man über Greife und Greifenmagie wissen sollte, hier zu sammeln. Aber ich habe vor, irgendwann die umfangreichste Bibliothek zu besitzen, die es über diese besonderen Geschöpfe gibt, daher habe ich auch selbst begonnen, mein Wissen in Büchern festzuhalten. Das Schreiben hilft mir, abends, wenn ich nicht schlafen kann, auf andere Gedanken zu kommen und mich auf das zu konzentrieren, was mir am Herzen liegt: der Greifenorden.
Als ich nun die Bibliothek betrete, sehe ich mich suchend um und entdecke eine junge Frau, die auf einem der roten Sessel sitzt, die ich überall zum Lesen und Verweilen habe hinstellen lassen. Die Anwärterin hat pechschwarzes Haar, das glatt bis knapp über ihren Nacken fällt, und Sommersprossen auf ihrer Stupsnase. Ihr Gesicht ist schmal, ihre Augen wirken klug und neugierig, als sie auf mich treffen. Ich vermeine, ihre hellen Iriden kurz auffunkeln zu sehen, aber das kann ich mir auch einbilden. Ihre Miene bleibt ernst und skeptisch, während Mica und ich auf sie zugehen.
Mir fällt auf, dass sie Kleidung aus dichtem Stoff trägt, der bestimmt viel zu warm ist. Ich werde ihr angemessene Gewänder geben lassen, damit sie sich hier wohler fühlt.
Als sie sich erhebt, erkenne ich, dass sie schlank, beinahe zierlich ist. Sie reicht mir gerade mal bis zur Brust und ist damit sogar noch kleiner als Mica.
Mit einem Lächeln strecke ich ihr die Hand entgegen, welche sie jedoch nicht ergreift. Stattdessen mustert sie mich mit undurchsichtigem Blick.