Читать книгу Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas - C. M. Spoerri - Страница 13

Kapitel 4 - Cilian

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Mir ist bewusst, dass ich mit meinen Worten Damaris’ Stimmung gedämpft habe, aber ich kann nichts dagegen tun, dass manchmal der Zyniker in mir durchbricht. Das Leben ist grausam – ich habe es oft genug am eigenen Leib erfahren. Und dennoch gibt es immer wieder Dinge, die es lebenswert machen. Damaris hat noch viele Jahre vor sich, aber je eher sie sich der Vergänglichkeit unseres Daseins bewusst wird, desto besser. Denn nur dann gelingt es einem, den Moment zu genießen und ganz im Hier und Jetzt zu leben. Etwas, das für den Greifenorden äußerst wichtig ist.

Ein Seitenblick zu ihr zeigt mir, dass sie tief in Gedanken versunken ist, während ich sie weiter durch den Zirkel und zu den Greifenställen führe. Ihre vollen Lippen sind zu einer schmalen Linie zusammengepresst und eine kleine Falte zeigt sich zwischen ihren Augenbrauen.

Sie ist noch so jung … und ich habe das Gefühl, dass sie noch eine wichtige Rolle spielen wird. Wieso mir dieser Gedanke gerade kommt, weiß ich nicht. Nur, dass ich ihn im Hinterkopf behalten sollte. Meine Einschätzung von Menschen hat sich in den vergangenen Jahren verbessert, sodass ich mir inzwischen ziemlich sicher bin, auf mein Bauchgefühl vertrauen zu können.

Noch während ich in meine Überlegungen versunken bin, gelangen wir zu den Stallungen der Greife, welche früher bei den Klippen lagen. Inzwischen habe ich ein neues Gebäude errichten lassen, das sich näher beim Zirkel befindet und damit leichter zu erreichen ist. In den alten Stallungen habe ich eine Brutstation errichtet, in welcher die Greifenweibchen in Ruhe ihre Eier legen und sich um die Jungtiere kümmern können.

Wie auch in der ehemaligen Höhle gibt es in den Stallungen viele Nester, die mit Stroh ausgelegt sind und sich auf mehreren Etagen in den steinernen Wänden erstrecken. Die Greife können direkt von außen durch eine Art Fenster zu ihren zugewiesenen Schlafplätzen fliegen. Aufgrund der vielen Öffnungen ist der Stall lichtdurchflutet, aber auch zugig, da ein steter Wind herrscht, der vom Meer her kommt.

Da die meisten Greife auf ihrem morgendlichen Flug oder im Unterricht sind, befinden sich nur zwei kränkliche Tiere hier, die mich jedoch mit einem freudigen Gurren begrüßen. Wenn ich abends herkomme und der Stall voll ist, wird die Luft erfüllt vom lauten Schreien und Kreischen dieser majestätischen Geschöpfe, was mir jedes Mal das Herz aufgehen lässt.

Damaris bleibt stehen und sieht sich staunend um. Wenn ihr der strenge Geruch nach Raubtieren und Vögeln, der in den Stallungen herrscht, etwas ausmacht, so zeigt sie es nicht.

»Hier wird Schneeflocke während der nächsten Jahre untergebracht«, erkläre ich und gehe auf einen der Greife zu, der sich beim letzten Flug einen Flügel gebrochen hat, als er zu nahe an die Klippen kam und vom Wind dagegen geworfen wurde. Zwar haben die Heiler des Zirkels den Bruch gerichtet, aber auf meine Anweisung nicht vollständig geheilt. Der Kleine soll lernen, dass es gefährlich ist, im Sturm zu fliegen, und ich bin nun mal ein Freund des natürlichen Heilungsprozesses. Auch wenn mit Magie der Flügel binnen weniger Minuten geheilt wäre, so finde ich es besser, wenn der Körper lernt, sich selbst zu regenerieren.

Ich streiche dem Tier über den Adlerschnabel und es lässt ein leises Fiepen vernehmen.

»Wie viele Greife habt Ihr?«, fragt Damaris, während sie beobachtet, wie ich den Greif am Hals kraule.

»Im Moment sind es dreiundsiebzig«, antworte ich und kann den Stolz in meiner Stimme kaum unterdrücken. »Davon sind vierundvierzig an Magier gebunden.«

»Vierundvierzig?«, wiederholt sie verblüfft. »Und alle wurden von Euch ausgebildet?«

»Werden«, korrigiere ich sie. »Es dauert viele Jahre, bis man die Kräfte, die einem ein Greif geben kann, gänzlich zu kontrollieren vermag. Daher ist es wichtig, dass du hergekommen bist. Ohne die entsprechende Anleitung kann es äußerst gefährlich werden, sich mit einem Greif zu verbinden.«

Damaris schenkt mir einen unergründlichen Blick aus ihren grünblauen Augen und legt den Kopf schief. »Glaubt Ihr wirklich, dass Schneeflocke sich hier wohlfühlen könnte? Er hat nicht so gute Erfahrungen mit anderen Greifen.«

Ich sehe sie zuversichtlich an. »Mit Sicherheit. Greife sind zwar sensible Geschöpfe, aber sie sind auch intelligent und er wird sich von dir erklären lassen, dass er hier artgerechter leben kann als in deinen Gemächern. Zudem sorge ich dafür, dass sich die anderen Greife ihm gegenüber benehmen, versprochen.«

»Hm.« Damaris scheint noch nicht ganz überzeugt zu sein, aber sie nickt trotzdem.

»Guten Morgen, Cilian«, erklingt eine männliche Stimme hinter mir und ich drehe mich zum Sprecher um, den ich erst jetzt bemerke.

»Adrién«, antworte ich und schenke dem jungen Mann, der gerade hinter einem Stapel Heu hervortritt, ein freundliches, aber distanziertes Lächeln.

Er ist seit fünf Jahren ein Greifenreiter und verfügt über ein erstaunliches Talent in Erdmagie. Obwohl sein Greif Silbersturm sich mit ihm verbunden und ihn damit als würdig befunden hat, so bin ich Adrién gegenüber skeptisch. Er besitzt diese Art, einen mit seinem düsteren Blick anzusehen, dass man unwillkürlich denkt, er hecke etwas aus. Aber er ist ein guter Reiter, der irgendwann vielleicht eine Truppe anführen kann.

»So früh in den Stallungen?«, fragt Adrién, während er auf uns zukommt.

Er trägt schwarze Hosen, ein dunkelblaues Hemd und hat sein schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengenommen. Seine grauen Augen streifen erst mich, dann bleiben sie an Damaris hängen, und die Art, wie er sie mit seinem dunklen Blick mustert, ruft in mir den Drang hervor, mich vor sie zu stellen. Was ich natürlich nicht tue. Das Mädchen ist alt genug, um es mit einem Kerl wie ihm selbst aufzunehmen.

»Ich zeige dieser neuen Greifenreiterin gerade den Zirkel«, erkläre ich und verenge die Augen ein wenig. »Solltest du nicht in der Arena sein, um zu trainieren?«

»Ich habe heute Morgen frei«, antwortet er. Falls es ihm auffällt, dass ich mich gestern um ein paar Jahre verjüngt habe und nun äußerlich nur noch knapp zwei Jahre älter aussehe als er, so ist es in seiner verschlossenen Miene nicht zu erkennen. »Ihr könnt Mica fragen – sie hat es nach dem gestrigen Vorfall für klüger gehalten, wenn ich ein paar Mal mit dem Training aussetze.«

»Du solltest dich von Rosendorn und vor allem von Laora fernhalten«, sage ich mit mahnendem Tonfall. »Sie sind nicht gut auf dich zu sprechen.«

»Ich wollte nur nach dem Greif sehen«, erwidert Adrién.

»Das solltest du bleiben lassen.« Ich deute in Richtung Ausgang.

Adrién nickt und wirft Damaris einen letzten Blick zu, ehe er sich wortlos abwendet und die Stallungen verlässt.

»Der ist ja vielleicht mal schrullig«, entfährt es der jungen Magierin neben mir und ich schmunzle unwillkürlich.

Die Art, wie sie freiheraus sagt, was sie denkt, stellt eine willkommene Abwechslung dar. Ansonsten behandeln mich die meisten Menschen mit einem Respekt, der mir fast schon unangenehm ist, und überlegen sich die Worte zehnmal, ehe sie sie aussprechen. Ihnen ist leider nur allzu gut in Erinnerung, dass ich der Sohn des ehemaligen Zirkelleiters bin. Manche Dinge vergessen die Menschen nur langsam …

Ich wende den Blick von der Tür ab, hinter der Adrién verschwunden ist. »Besser, du gehst ihm aus dem Weg«, murmle ich. »Er war gestern für einen Unfall in der Arena verantwortlich.«

»Unfall?« Damaris sieht mich fragend an.

Ich nicke. »Rosendorn, der Greif, der da drüben liegt, ist vom Himmel gestürzt und hat sich alle vier Pfoten gebrochen. Zum Glück hat seine Reiterin Laora gerade eine kurze Pause gemacht, sonst wäre sie ebenfalls verletzt worden.« Ich hole leise Luft. »Es gelang mir nur mit Mühe, sie zu beruhigen und ihr zu versichern, dass die Verletzungen des Greifen nicht so schwer sind, als dass er sich nicht wieder vollständig erholen würde. Sie weiß zwar, dass wir über hervorragende Heiler verfügen, aber der Schock saß wohl sehr tief.«

»Das klingt schrecklich«, murmelt Damaris.

»Unfälle passieren nun mal in der Arena«, antworte ich. »Aber auf diesen war niemand von uns vorbereitet.«

Damaris nickt und folgt mir, während ich zu Rosendorns Strohbett gehe, um mich zu vergewissern, dass es dem Greifenweibchen gut geht. Es begrüßt mich gurrend und lässt sich von mir die Pfoten untersuchen, ehe es sich wieder wie eine Katze einrollt. Ich werde nachher einen Erdmagier zu ihr schicken, der die Verletzungen vollständig heilt. In diesem Fall ist es mir lieber, sie kann wieder in der Arena trainieren, statt hier Adrién ausgeliefert zu sein. Wer weiß, was der schwarzhaarige Magier wirklich bei ihr wollte?

»Was ist das für eine Arena, von der Ihr gesprochen habt?«, fragt Damaris, nachdem wir die Stallungen verlassen haben.

»So wird das Trainingsgelände genannt«, erkläre ich ihr bereitwillig. »Ich zeige es dir nach dem Frühstück. Dort finden die praktischen Übungen und Kämpfe statt.«

»Auch Wettkämpfe?«

»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Ich möchte verhindern, dass es zu Wetteifern unter den Greifenreitern kommt.«

»Kräftemessen war ohnehin noch nie so mein Ding«, murmelt sie.

Ich mustere sie von der Seite. »Dennoch würde ich mich freuen, wenn du mir nachher zeigst, was du und Schneeflocke in den vergangenen Jahren gelernt habt.«

Sie verengt die Augen und nickt erneut. »Das kann ich gerne tun.«

Ich führe sie durch den Innenhof des magischen Zirkels und zum Wasserzirkel, wo wir in meinen Gemächern frühstücken werden. Es geschieht selten, dass ich jemanden dorthin mitnehme, aber in Damaris’ Fall möchte ich eine Ausnahme machen. Es liegt mir daran, ihr Vertrauen zu gewinnen, und das wiederum gelingt mir, wenn sie sich so willkommen wie möglich fühlt.

Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas

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