Читать книгу Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas - C. M. Spoerri - Страница 20
Kapitel 11 - Cilian
ОглавлениеDas … hätte nicht geschehen dürfen. Auf keinen Fall. Und doch habe ich es zugelassen.
Verdammt …
Aber in Damaris’ Augen zu sehen, war, als würde ich in das stärkste Heilmittel eintauchen, das es gibt. Ja, es ist egoistisch, denn ich habe ihr dadurch falsche Hoffnungen gemacht. Aber meine Seele hat sich so sehr nach dem verzehrt, was ich in ihrem Inneren für ein paar Sekunden erkannt habe: bedingungslose Zuneigung. Ohne Vorwurf. Ohne zu urteilen. Reines Verständnis und … Liebe?
Ich weiß nicht, ob ein junges Mädchen wie sie überhaupt zu Liebe fähig ist, aber als ich in diese blaugrünen Augen blickte, war ich mir sicher, kein Mädchen, sondern eine Frau vor mir zu haben.
Das darf nie wieder passieren … nie mehr.
Ich räuspere mich, während ich mich von Damaris abwende und zum Balkon trete.
Ich brauche jetzt frische Luft …
Draußen lasse ich meinen Blick über die Stadt gleiten, die man von hier aus teilweise überblicken kann. Damaris’ Zimmer liegt zur Ostseite, sodass sie den Sonnenaufgang, nicht aber den Sonnenuntergang sehen kann, der nun den Himmel in glühende Farben eintaucht. Bald wird es dunkel sein – ich kann bereits die ersten Sterne über uns funkeln sehen. Die Region der Palmenhaine, wo sich die prunkvollen Herrenhäuser der vermögenderen Bevölkerungsschicht befinden, bildet den Abschluss der Stadt, ehe sie von den Mauern zur Wüste hin abgegrenzt wird.
Chakas … es ist meine Heimat und ich liebe sie. Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, dass ich hier nicht hingehöre.
Meine Augen wandern über die Stadtmauern zu den Dünen, welche die ersten Ausläufer der Goharwüste darstellen.
»Ihr seht bedrückt aus«, ertönt Damaris’ Stimme neben mir.
Ich wende mich ihr zu und erkenne, dass sie ans Geländer des Balkons getreten ist. Die Unterarme stützt sie darauf ab, während sie ebenfalls ihren Blick über die Stadt schweifen lässt. Ihr Gesicht wirkt entspannt und ein Lächeln spielt um ihre Lippen. Das erste echte Lächeln, das ich bei ihr wahrnehme.
Darf ich mir vielleicht einbilden, dass auch ich ihr guttue?
Jetzt wendet sie sich mir zu und für einen Moment sehen wir uns an. Sie wirkt viel erwachsener als alle Mädchen in ihrem Alter. Was wohl daran liegt, dass Damaris sehr rasch ihre Kindheit überwinden und im wahren Leben ankommen musste. Ihr schwarzes, kurzes Haar glänzt im letzten Licht des Tages und ihre Augen wirken nun beinahe blau.
»Ab morgen wirst du im Wasserzirkel in den Grundlagen der Magie unterrichtet«, sage ich, ohne auf ihre Andeutung einzugehen. »Im Greifenorden zu trainieren, erscheint mir noch verfrüht für dich.«
Sie zieht die Augenbrauen zusammen, ehe sie den Blick von mir abwendet und nickt. »Keine persönlichen Gespräche mehr, verstanden«, erwidert sie mit kühlem Tonfall.
Ich schnaube leise und spüre, wie sich ein Schmunzeln auf meinen Zügen ausbreiten will. Ich mag die Art, wie sie ihr Herz auf der Zunge trägt. Es geschieht selten, dass jemand mir gegenüber offen erklärt, was ihn stört – und in all den Jahrzehnten habe ich mich viel zu sehr daran gewöhnt.
»Ich dachte, Ihr wolltet mich besser kennenlernen?« Sie wendet mir ihr Gesicht wieder zu. »Wieso darf ich dann nicht auch Euch kennenlernen?«
Da hat sie allerdings recht …
»Nun gut, was möchtest du von mir wissen?« Ich lehne mich seitlich ans Geländer und betrachte sie abwartend.
Sie imitiert meine Haltung, nachdem sie sich mir ebenfalls zugewendet hat. »Ist diese Catina Eure Gemahlin?«
Dass sie sich für mein Privatleben interessiert, lässt mich leise seufzen. »Nein. Sie ist … eine Freundin.«
»Eine sehr gute Freundin, wie mir scheint.« Damaris hebt vielsagend die Augenbrauen.
Eigentlich müsste ich sie darauf hinweisen, dass es sich nicht geziemt, so mit mir zu sprechen. Aber irgendwie bereitet es mir Vergnügen, mal mit jemandem zu reden, der kein Blatt vor den Mund nimmt – gleichgültig, ob sein Gegenüber ein Ordensleiter und Zirkelrat ist oder nicht.
»Ja, eine sehr gute Freundin«, bestätige ich nickend.
»Hm.« Damaris tippt sich mit dem Finger an die Unterlippe. »Und Mica?«
Dass sie so gezielt nach den Frauen fragt, die sie bisher in meiner Gegenwart kennengelernt hat, lässt mich fast auflachen. »Ebenfalls eine gute Freundin«, antworte ich.
»Nur gut?«, hakt sie nach.
»Nur gut.« Ich nicke immer noch schmunzelnd. Jeder andere an meiner Stelle hätte spätestens jetzt das Gespräch beendet, denn mit wem ich was wann mache, geht nun wirklich niemanden etwas an. Schon gar keine Schülerin. Aber mir bereitet es Spaß, daher rede ich weiter. »Sie ist seit zwei Jahren verheiratet.«
»Und wo ist ihr Gemahl?«
Damaris hat wirklich ein Händchen dafür, die richtigen Fragen zu stellen. Trotzdem antworte ich, wenngleich ich ihr nicht ganz die Wahrheit darüber sage, wer Micas Gemahl in Wirklichkeit ist. »Er ist viel unterwegs.«
Das scheint ihr zu genügen, sie nickt verstehend.
»Wer hat dir Magie beigebracht?«, will ich nun im Gegenzug wissen.
Damaris senkt den Blick und sieht auf die Brüstung, während sie darauf mit dem Finger entlangfährt. »Meine Schwester«, gesteht sie zerknirscht.
»Du hast erzählt, sie wäre eine Erdmagierin?«
Langsam dämmert mir, dass ich es mit einer viel größeren Anfängerin zu tun habe, als ich anfangs annahm. Erdmagie unterscheidet sich stark von Wassermagie. Wenn jemand, der ein anderes Element beherrscht, einer anderen Person Zauber beibringen will, läuft das meistens schief. Denn man muss sich in ein Element hineindenken, es begreifen können. Gerade Wasser ist eine derartige Urgewalt, dass es Jahre benötigt, sie zu beherrschen.
»Ja, aber Ella hat mir trotzdem vieles zeigen können«, erwidert Damaris trotzig, während ihre Augen herausfordernd funkeln.
»Das bezweifle ich auch nicht«, sage ich beschwichtigend. »Nur ist es etwas anderes, wenn man Magie im Zirkel lernt, als wenn man …«
»Das ist mir klar«, unterbricht mich das Mädchen und atmet tief durch. »Deswegen bin ich ja hier.«
Ich hebe eine Augenbraue, sage aber nichts weiter dazu.
»Tut mir leid«, murmelt sie und senkt den Blick wieder. »Ich bin einfach … Es ist nur …«
»Du vermisst sie. Deine Schwester.« Dass ich ins Schwarze getroffen habe, merke ich, als sie nichts erwidert, sondern nur weiterhin die Augen gesenkt hält. »Es ist vollkommen normal, dass man Heimweh hat, wenn man länger von zu Hause weg ist«, sage ich sanft.
Nun hebt sie doch den Blick und als sie mich ansieht, merke ich, dass in ihren Augen Tränen glitzern. Rasch schaut sie zur Stadt und atmet erneut tief durch.
»Damaris, möchtest du mir erzählen, was geschah, nachdem deine Schwester Schneeflocke geheilt hat?«, frage ich mit leiser Stimme.
Sie sieht mich nicht an, sondern lenkt ihren Blick nun in den Himmel, wo ich tatsächlich ihren Greif kreisen sehen kann. »Es war in einer Winternacht«, antwortet sie leise. »Da wurde mir klar, dass er mein Freund werden könnte.«