Читать книгу Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas - C. M. Spoerri - Страница 21
Kapitel 12 - Damaris
ОглавлениеTag 27, Monat 1, 1 EP 10 251 – 5 Jahre zuvor
Es war nun schon ein paar Monate her, seit ich den Greif getroffen hatte, und bisher war ich ihm nicht wieder begegnet, obwohl ich stets Ausschau nach ihm hielt. Jeden Tag kreisten meine Gedanken um dieses majestätische Tier, über das ich nun in Büchern las, die mir meine Schwester gab.
Sie hatte mich schon als kleines Kind dazu gezwungen, lesen und schreiben zu lernen, und obwohl ich es nicht so gut beherrschte wie sie, saß ich nun stundenlang auf dem Bett und blätterte in den vergilbten Werken. Die meisten enthielten kurze Beschreibungen von Tieren und Pflanzen. Aber zu einigen gab es detailgetreue Skizzen, sodass ich mich kaum von den Seiten losreißen konnte. Eine davon stellte sogar einen Greif dar – meine Lieblingszeichnung.
»Ris, wärst du so nett und würdest dich mal um Frieda kümmern?«, hörte ich meine Schwester aus dem Nebenraum rufen. »Sie muss gemolken werden.«
Seufzend legte ich das Buch beiseite und erhob mich vom Bett. In das grausige Wetter hinauszugehen, widerstrebte mir zutiefst, denn es schneite seit Tagen so stark, dass wir kaum noch aus der Hütte kamen. Dennoch mussten wir uns um die Ziege namens Frieda kümmern, die im Stall nebenan hauste und uns mit ihrer Milch versorgte. Gabriella und ich hatten einen kleinen Pfad dorthin freigeschaufelt, der allerdings immer wieder mit Schnee zugedeckt wurde.
Als ich den Wohnraum betrat, in welchem meine Schwester gerade dabei war, über dem Kochtopf einen Sud anzurühren, hob sie nur kurz den Kopf, um mich anzusehen.
»Wer hätte gedacht, dass aus dir mal eine Leseratte wird?« Sie grinste, während sie weiter mit ein paar Kräutern hantierte, die sie in exakt abgemessenen Portionen und einer festgelegten Reihenfolge in die Brühe gab.
Ich schnaubte zur Antwort und zog mir einen dicken Wollmantel sowie eine Mütze über, ehe ich nach der Schaufel griff, die neben der Tür stand. Ich würde mir ziemlich sicher meinen Weg zum Stall freiräumen müssen.
»Nimm die Handschuhe mit«, ermahnte mich meine Schwester und ich brummte ein »Jaja«, während ich die dicken Pelzhandschuhe überstreifte.
Wie erwartet empfing mich ein eisiger Wind, als ich die Tür öffnete, und trieb mir dicke Schneeflocken ins Gesicht.
Blöde Ziege … konnte die nicht mal einen Tag ohne Melken überleben?
Ich zog den Mantel fester um meinen hageren Körper und schloss die Tür hinter mir, damit die Wärme im Haus blieb. Dann machte ich mich daran, den Weg zum Stall freizuschaufeln – eine schweißtreibende Arbeit, die mich bald heftig schnaufen ließ.
Ich sah das Unglück, noch ehe ich das kleine Gebäude erreichte: Die Stalltür stand sperrangelweit offen. Wahrscheinlich hatte ich sie bei meinem letzten Besuch nicht richtig geschlossen und der Wind hatte sie aufgestoßen.
»Mist«, murmelte ich und bemühte mich, schneller voranzukommen.
Hoffentlich war die Ziege klug genug, nicht in den Schneesturm hinauszurennen.
War sie nicht.
Als ich den Stall erreicht und ein magisches Licht gebildet hatte – etwas, das ich seit einem Vierteljahr beherrschte –, war mir sofort klar, dass die Ziege ausgebüxt war. Denn im tiefen Schnee waren unschwer ihre Spuren zu erkennen, die sich in Richtung Bergpfad verloren.
Ich stöhnte genervt und verengte die Augen zu Schlitzen, um in die Dunkelheit zu spähen. Doch durch den heftigen Schneefall gab es keine Chance, weiter als zehn Schritt zu sehen.
»Wieso tust du das, Frieda?« Ich warf einen Blick zur kleinen Blockhütte, in der es wohlig warm war.
Ich könnte zurückgehen und meiner Schwester Bescheid geben, sodass wir gemeinsam nach Frieda suchten. Gabriella würde sofort alles stehen und liegen lassen, denn die Ziege war unsere Lebensversicherung im Winter. Aber genau da lag der Knackpunkt: Wenn meine Schwester das Brauen des Sudes, den sie gerade herstellte, unterbrach, würde dieser nutzlos sein – und viele wertvolle Kräuter verschwendet, weil sie mich nicht alleine nach Frieda suchen lassen würde.
Also blieb nur eine Möglichkeit …
»Wenn ich dich in die Finger kriege, werde ich dir deinen haarigen Hintern versohlen«, brummte ich, ehe ich die Schaufel an der Stallwand abstellte, den Kragen meines Mantels hochschlug und die Mütze tiefer ins Gesicht zog.
Dann begann ich, durch den tiefen Schnee zu stapfen, wobei ich den Blick abwechselnd nach vorne in die Dunkelheit und auf den Boden richtete, wo ich Friedas Hufspuren sah.
Ich war vielleicht zehn Minuten unterwegs, da erreichte ich eine Felsformation, zwischen welcher der Bergpfad, der zu unserem Haus führte, eine Biegung beschrieb. Die Ziege schien ziemlich weit gekommen zu sein – erstaunlich in diesem heftigen Schneesturm.
Gerade als ich überlegte, vielleicht doch besser umzukehren und Gabriella zur Verstärkung zu holen, hörte ich mit einem Mal ein lautes Blöken, das eindeutig Frieda zuzuordnen war.
»Na endlich. Hab ich dich«, murmelte ich und intensivierte meine Bemühungen, durch den Schnee voranzustapfen.
Das Blöken erklang erneut, dieses Mal schien es sich zu entfernen.
»Bleib stehen, du dummes Tier!«, rief ich in die Nacht. »Ich habe keine Lust, ewig hier draußen zu sein! Es ist arschkalt!«
Ich bog um die Felsen – und erstarrte wie vom Donner gerührt.
Mir gegenüber standen drei hochgewachsene Gestalten mit vermummten Gesichtern und langen, dunklen Mänteln. Eine von ihnen hielt die Ziege, um deren Hals ein Strick lag.
Meine Gedanken rasten. Ich hatte nur Friedas Spuren gesehen – was bedeutete, dass diese Fremden nicht beim Stall gewesen sein konnten. Die Ziege war ihnen also in die Arme gelaufen. Aber … was trieben die drei Gestalten hier? Waren sie auf dem Weg zu Gabriella und mir?
»Nehmt sie mit«, erklang eine tiefe, hohle Stimme.