Читать книгу Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas - C. M. Spoerri - Страница 11

Kapitel 2 - Damaris

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Der Greifenorden von Chakas … das ist er also. Als ich eingewilligt habe, hierher zu gehen, war mir nicht klar, dass es einer Reise zum anderen Ende der Welt gleichkommt. In dieser Wüstenstadt ist es viel zu warm und stickig – mir fehlt die Kälte, die mich im Talmerengebirge stets umgab. Zudem konnte ich in der trockenen Einöde nur wenige Bäume oder andere Pflanzen ausmachen.

Sand, Steppe und Felsen … nicht gerade das, was Hochgefühle in mir hervorruft.

Das Einzige, was mich beeindruckt hat, war das Meer. Es ist das erste Mal, dass ich es sehe, und nie im Leben hätte ich mir vorgestellt, dass es so … endlos ist. Beinahe habe ich dieselbe Ehrfurcht verspürt, wie wenn ich über die Bergspitzen der Talmeren fliege und mir gegenüber den Gesteinsmassen, die seit Jahrtausenden das Land Altra teilen, klein und unbedeutend vorkomme.

Den Sonnenuntergang, den mir die Götter boten, als ich an der Küste ankam, werde ich wohl für immer in meinem Herzen tragen. Er war atemberaubend schön.

Ansonsten fühle ich mich hier reichlich fehl am Platz. Während ich auf diesen ominösen Ordensleiter gewartet habe, überlegte ich, ob ich nicht einfach abhauen könnte. Dann dachte ich wieder an das Versprechen, das ich meiner älteren Schwester gab, und seufzte die halb vollen Bücherregale an.

Drei Jahre …

Drei verdammte Jahre soll ich hierbleiben und meine Kräfte unter Kontrolle bekommen.

Das ist viel zu lange …

Doch es bleibt mir wohl keine Wahl, denn die Alternative ist, dass ich weiterhin eine Gefahr für meine Umwelt darstelle. Und das will ich nicht mehr. Nie wieder. Also habe ich eingewilligt, mich im Orden von Chakas zu einer richtigen Greifenreiterin ausbilden zu lassen.

Jetzt sitze ich also hier im Magierzirkel. Ich weiß, dass es für jedes der vier Elemente – Feuer, Wasser, Erde und Luft – eine Elementgilde in der Stadt gibt. Wenn man auch noch Magie in sich trägt, muss man diese im Magierzirkel, der ebenfalls in vier Elemente unterteilt ist, beherrschen lernen. Jedes Element besitzt andere Eigenschaften und hilft dem Träger, seinen Beruf zu erlernen. Luftbegabte können beispielsweise gut jagen, Feuerbegabte sind hervorragende Kämpfer oder Schmiede. Jeder hat also seinen Platz in Altra – auch ich mit meiner Wasserbegabung und der Magie, die vor einigen Jahren in mir erwachte.

Mein Blick gleitet zum Fenster, wo mein Greif namens Schneeflocke sitzt. Der Name passt zu seinem weißen Löwenfell und den ebenso weißen Federn. Er hat es in dem stickigen Raum nicht ausgehalten und sich stattdessen auf die Fensterbank begeben, auf der er nun wie eine Katze balanciert – ein ziemlich beeindruckendes Kunststück, das er mit seinen Löwenpranken vollführt.

Gerade als ich überlege, zu ihm zu gehen und ihm die Federn zu streicheln, betritt die komische Frau mit den Silberlocken, die sich mir als Mica vorgestellt hat, wieder den Raum – gefolgt von einem jungen Mann, der auf der Stelle meinen Blick gefangen nimmt.

Ist das der Ordensleiter? Ich habe mir einen alten Sack mit langem Bart vorgestellt – nun einen derart attraktiven Mann zu sehen, verblüfft mich über alle Maßen.

Gut, vielleicht wird der Aufenthalt hier doch interessanter, als ich dachte …

Ich muss ihn ziemlich dämlich anstarren, denn das Lächeln, das er mir schenkt, wirkt fast schon mitleidig, während er vor mich tritt und mir seine Hand entgegenstreckt. Aber ich kann nichts anderes tun, als in diesen azurblauen Augen zu ertrinken, die mich sanft mustern, während mein Herz zu flattern beginnt, als wäre es ein Kolibri, der zu viel Honig genascht hat.

»Willkommen in Chakas«, spricht er mit einer gottgleichen Stimme, die mich erschaudern lässt. »Mein Name ist Cilian und ich leite den Greifenorden.«

Als ich seine Hand immer noch nicht schüttle, zieht er sie zurück und sein Lächeln wird ein wenig breiter.

Verdammt noch eins, jemand hat die ohnehin schon hohen Temperaturen in diesem Raum erhöht. Anders ist nicht zu erklären, dass meine Wangen zu brennen beginnen.

Zum Glück wendet sich Cilian in dem Moment von mir ab, denn Schneeflocke hat ein heiseres Krächzen ausgestoßen und ist elegant von der Fensterbank gesprungen, um den Neuankömmling ebenfalls in Augenschein zu nehmen. Mit seiner beeindruckenden Gestalt schlendert der Greif wie ein Löwe auf Cilian zu, die katzenartigen Ohren eng an den Kopf gelegt, jeden Muskel angespannt. Dabei schickt er mir ein Bild eines Wolfes – einem Tier, das er mit Argwohn verbindet. Ich verstehe das Signal, das er mir damit senden möchte: Vorsicht.

»Ein Albino«, stößt Cilian verwundert aus und benennt damit eine Tatsache, die mir selbst erst vor einigen Monaten klar geworden ist.

Meine Erfahrung mit Greifen ist gelinde gesagt gering – eigentlich beschränkt sie sich ausschließlich auf Schneeflocke. Ich habe zwar Bücher gelesen, in denen diese Kreaturen beschrieben wurden und sogar Zeichnungen gesehen, aber diese waren schwarz-weiß. Daher habe ich auch angenommen, es wäre normal, dass Greife weiß sind und rote Augen besitzen.

Nun ja, wie man sich täuschen kann …

»Du hast dich mit ihm verbunden?«

Cilians Frage ist an mich gerichtet, obwohl er nur noch Augen für meinen Greif hat.

»Ja«, sage ich endlich mein erstes Wort und lenke damit Cilians Aufmerksamkeit wieder auf mich.

Er hebt eine Augenbraue. Wenn er darüber erstaunt ist, dass ich eine für mein Alter ziemlich tiefe Stimme besitze, ist das die einzige Regung, die seine Überraschung verrät. »Wie lange seid ihr schon verbunden?«, will er wissen.

»Seit fünf Jahren«, erkläre ich und verschränke trotzig die Arme vor der Brust.

»Seit …« Cilians Augen weiten sich ein wenig, während er sich gedankenversunken über den Dreitagebart streicht. »Wie alt bist du?«

Hoppla, der wird aber rasch persönlich …

Ich strecke den Rücken durch und versuche, mich größer zu machen, als ich bin. Mir ist sehr wohl bewusst, dass ich nicht durch meine Körpergröße punkten kann, trotzdem wünschte ich mir im Moment, nicht die Kleinste im Raum zu sein. »Siebzehn«, antworte ich kurz angebunden.

»Siebzehn«, murmelt er.

Dass er alles wiederholen muss, was ich sage, macht ihn gerade etwas unattraktiver … Halt, nein. Er lächelt wieder.

Gut, er ist trotzdem noch attraktiv.

»Das ist eine lange Zeit«, meint er und runzelt die Stirn. »Und wieso bist du erst jetzt hergekommen?«

Weil Oshema nicht mal eben um die Ecke liegt, vielleicht?

Ich unterdrücke das Augenverdrehen und zwinge mich zu einem ernsten Gesichtsausdruck. »Mir wurde erst vor Kurzem bewusst, dass ich meine Kräfte beherrschen lernen muss.«

Cilian nickt verstehend, obwohl ich in seinen Augen Unverständnis lese. »Welches Element trägst du in dir?« Er sieht auf meine ringlose Hand. Ich habe mich erfolgreich vor der Aufnahme in einen magischen Zirkel gedrückt – im Nachhinein dämlich, denn alles, was ich über Magie weiß, habe ich mir selbst beigebracht oder von meiner Schwester erfahren.

»Wasser«, antworte ich und mein Blick fällt auf Cilians Ringfinger, an dem ich einen schwarzen Magierring erkenne, wie ihn alle Magier normalerweise tragen. In seinen ist eine blaue Wasserrune geritzt.

Hallo, Seelenverwandter …

Erneut nickt Cilian und lässt dabei seine braunblonden Locken wippen.

Wie schön es sein muss, mit den Händen durch sein halblanges Haar zu fahren …

Rasch beiße ich mir auf die Innenseite der Wange, um mich von diesen dämlichen Gedanken abzuhalten.

Was ist nur mit mir los? Seit wann lasse ich mich von einem Mann derart verzaubern? Nun gut, meine Begegnungen mit Männern sind größtenteils begrenzt auf alte Bauern und Bergarbeiter, die zu uns kamen, um von meiner Schwester Heiltränke und Tinkturen zu kaufen. Zwar waren ab und an auch attraktive Reisende dabei, doch keiner ließ mein Herz höher schlagen. Nicht so, wie es im Moment gerade der Fall ist, während ich Cilian gegenüberstehe.

»Bist du alleine hergereist?«, führt der Ordensleiter sein Verhör fort.

»Ja.« Ich lege den Kopf schief. »Ich soll Euch von Eurem Freund grüßen.«

Cilians Augenbrauen ziehen sich fragend zusammen.

»Léthaniel«, präzisiere ich.

Ein leises Keuchen erinnert mich daran, dass die junge Frau mit den Silberlocken ja auch noch im Raum ist – und anscheinend mit dem Namen des Feuermagiers, der mich in den Talmeren traf, nicht nur gute Erinnerungen verbindet. Ihr Gesicht hat eine ungesund bleiche Farbe angenommen.

Was Léthaniel wohl mit dieser Mica verbindet?

Auch Cilian hat sich ihr zugewandt und sieht sie besorgt an. Mica schüttelt kaum merklich den Kopf und schenkt ihm ein gezwungenes Lächeln.

Dass die beiden sich ohne Worte zu verstehen scheinen, lässt in mir einen kleinen Schwall Eifersucht hochsteigen. Und ich ärgere mich im selben Moment darüber, dass ich mich frage, ob Cilian womöglich der Vater des Kindes ist, welches Mica ganz offensichtlich unter ihrem Herzen trägt.

Vollkommen unangebrachte Gedanken und Gefühle! Ich bin hier, um etwas zu lernen, nicht, um mir über das Liebesleben irgendwelcher Magier den Kopf zu zerbrechen.

Cilian wendet sich mir wieder zu. »Wie ist dein Name?«

»Ris«, antworte ich aus alter Gewohnheit und korrigiere mich gleich darauf. »Damaris.«

»Damaris.«

Gut, meinen Namen darf er, so oft er will, wiederholen – er spricht ihn so schön aus, dass ich trotz der hohen Temperaturen eine Gänsehaut verspüre.

»Und woher kommst du, Damaris?«

Jap, wenn er ab jetzt jede Frage mit meinem Namen beendet, werde ich ihm die ganze Nacht Rede und Antwort stehen.

»Aus Oshema.« Ich werfe einen Blick zu Schneeflocke, der sich vier Schritt entfernt hingesetzt hat und Cilian mit seinen roten Augen aufmerksam mustert.

»Ungewöhnlich«, murmelt der Ordensleiter mehr zu sich selbst als zu mir. »Ich wusste nicht, dass es in Oshema Greife gibt.«

Und ich nicht, dass es in Chakas einen Greifenorden gibt – was soll’s?

Sage ich natürlich nicht, sondern nicke mit verständnisvoller Miene.

»Du musst müde sein«, bemerkt Cilian und lächelt mich entschuldigend an. »Wir können uns morgen gerne weiter unterhalten.« Er legt den Kopf schief und sein Blick wird so warm, dass ich schlucke. »Mica zeigt dir deine neuen Gemächer. Du wirst im Gebäude des Greifenordens wohnen.«

Mir egal wo, Hauptsache, ich bekomme endlich eine Mütze Schlaf. Die Reise hierher war lang und beschwerlich, obwohl ich die meiste Zeit davon auf Schneeflockes Rücken verbracht habe.

»Was ist mit meinem Greif?«, frage ich den Ordensleiter, der sich schon fast zum Gehen gewandt hat.

Er sieht mich nochmals an und das Lächeln, das er mir schenkt, lässt mein Herz erneut flattern. »Du darfst ihn vorerst in deinen Gemächern haben. Später wird er wie alle anderen Greife in den Stallungen untergebracht, aber bis du dich eingelebt hast, könnt ihr zusammen in einem Zimmer sein.«

Gut, jetzt ist es beschlossen: Ich verehre ihn.

Mit einem sicher ziemlich bescheuerten Grinsen sehe ich Cilian an, der mir erneut die Hand entgegenstreckt. Dieses Mal ergreife ich sie fast schon zu rasch und zucke zusammen, da sein Händedruck erstaunlich fest ist.

»Gute Nacht, Damaris. Und willkommen im Greifenorden von Chakas.«

Seine Worte hallen in meinen Ohren nach, als ich bereits in meinen neuen Gemächern auf dem Bett liege und an die Decke über mir starre.

Verdammt noch mal, ich hätte nicht gedacht, dass ich mich so sehr auf die Zeit hier freuen würde – und das alles wegen des Mannes mit den Meeraugen, der sich mit Sicherheit in dieser Nacht in meine Träume schleichen wird …

Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas

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