Читать книгу Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas - C. M. Spoerri - Страница 19

Kapitel 10 - Damaris

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Scheiße!

Das ist alles, was mir durch den Kopf geht, während ich spüre, wie meine Kräfte einfach aus mir entweichen, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Es ist, als hätte jemand den Korken eines Waschzubers entfernt und das Wasser fließe nun ungehindert hinaus.

Als Cilian sagte, ich solle es regnen lassen, habe ich einen Moment lang überlegt, ihn danach zu fragen, wie ich das anstellen soll. Aber mein Stolz ließ es nicht zu, ihm dadurch zu zeigen, dass ich noch viel weniger Ahnung vom Magiewirken habe, als er womöglich annimmt.

In den Talmeren war es nur wichtig, dass ich meine Schwester und mich verteidigen konnte. Daher habe ich vor allem geübt, Eispfeile zu schießen oder wahlweise auch Eiskugeln. Alles, womit man jemandem schnell und gezielt Schmerzen zufügen und ihn dadurch in die Flucht schlagen konnte.

Als ich nun auf Schneeflocke sitze und versuche, die Gewitterwolke unter Kontrolle zu bringen, merke ich, wie wenig ich eigentlich über Magie weiß. Eine Eiskugel lässt sich schnell bilden und wenn sie davongeschleudert ist, ist der Zauber damit auch beendet. Aber Regen …

Verflucht! Ich habe keine Ahnung, wie ich den Regen beende. Und warum er zu Hagel geworden ist! Habe ich etwa zu häufig Eiszauber gewirkt?!

Schneeflocke schickt mir panische Bilder von Mäusen – er hasst Mäuse – und ich kann nichts anderes tun, als lauthals zu fluchen, während meine Magie nur so aus mir herausschießt. Auch Schneeflockes Kräfte werden dadurch angezapft – der einzige Grund, wieso ich noch nicht erfroren und damit tot bin. Denn eine derart große Menge an Magie habe ich noch nie gewirkt.

Meine Hände, die sich in Schneeflockes Federn krallen, sind bereits steif gefroren und meine Lippen zittern ebenso wie der Rest meines Körpers unkontrolliert.

»Versuch … zu … landen!«, rufe ich dem Greif verzweifelt zu.

Aber er ist viel zu sehr in Panik, und die Gewitterwolke unter uns bringt ihn beinahe um den Verstand. Er hasst Gewitter – was mir die vielen Mäuse in meinem Geist deutlich zeigen.

Schon spüre ich, wie sich Dunkelheit um meinen Geist legt und damit die Mäuse aus meinem Kopf vertreibt. Aber ich kämpfe dagegen an, will mich nicht ergeben.

Doch es nützt nichts. Ein letztes Mal bäume ich mich auf, ehe ich auf Schneeflocke zusammensinke, der lauthals kreischt.

Dann wird es dunkel.

Die Finger, die mir über die Stirn streichen, sind sanft und warm. Fast schon zärtlich fahren sie über meine Haut und ich gebe mich für einen Moment der Fantasie hin, dass Cilian mich gerade streichelt.

»Sie kommt zu sich«, ertönt eine leider weibliche Stimme über mir und ich unterdrücke ein enttäuschtes Seufzen.

»Den Göttern sei Dank …«

Das! Das war Cilian! Er ist also hier …

Ich will all meine Kräfte aufbringen, die Augen zu öffnen, um ihn anzusehen, aber es gelingt mir nicht. Ich bringe nur ein entkräftetes »Uff« zustande.

Sehr zauberhaft …

Während ich gegen die Dunkelheit ankämpfe, die mich umgibt, kommt auch die Scham zurück.

Ich bin seit einem Tag in diesem Zirkel und schon zwei Mal ohnmächtig geworden … Was muss Cilian nur von mir denken?

Eventuell ist es doch besser, wenn ich noch etwas in der Finsternis verweile – ein paar Wochen oder Monate vielleicht? Oder ein paar Jahre. Dann sollte Gras über die Sache gewachsen sein …

»Damaris, hörst du mich?«

Dass Cilian mich direkt anspricht, lässt mich meine Augen zusammenpressen.

Nein, ich will lieber nicht aufwachen …

»Sie braucht noch etwas Zeit, Cilian«, sagt die weibliche Stimme. Und sie klingt irgendwie … zärtlich?

Wieso spricht die weibliche Stimme zärtlich mit dem Ordensleiter?!

»Wahrscheinlich hast du recht«, murmelt Cilian. »Rufst du mich, wenn es ihr besser geht?«

Ich höre keine Antwort – wahrscheinlich nickt die Frau.

»Danke, Catina. Bis später.«

War. Das. Ein. Kuss???

Ja, das hat sich nach einem Kuss angehört!

Gut, es ist beschlossen: Ich werde noch eine ganze Weile in meiner Dunkelheit bleiben – so lange, bis Cilians Stimme nicht mehr dafür sorgt, dass mein Herz flattert. Also für immer …

Ich muss tatsächlich wieder eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal erwache, bin ich alleine. Das merke ich, weil ich nun doch meine Augen öffne und niemanden sehe.

Ich befinde mich auf meinem Bett, in meinem Zimmer. Und Schneeflocke döst zusammengerollt neben mir auf der Matratze. Er blinzelt schläfrig, als er bemerkt, dass ich wieder wach bin. Dies ist aber auch das einzige Zeichen dafür, dass er froh ist, mich zu sehen. Das, und das Bild einer Ente, das er in meinem Geist entstehen lässt.

»Blödmann«, murmle ich und schicke ihm eine Maus zurück, was ihm ein heiseres Krächzen entlockt. »Selbst schuld.«

Ich strample die Decke von mir und horche in mich hinein. Es geht mir gut. Erstaunlich gut, wenn man bedenkt, dass ich in dieser vermaledeiten Arena fast gestorben wäre.

Nie wieder Regen zaubern …

Als ich aufstehe, bemerke ich, dass ich andere Kleidung trage. Sie besteht aus viel leichterem Stoff und fühlt sich richtig angenehm auf meiner Haut an. Fast schon kühl, was bei den Temperaturen, die draußen herrschen, eine Wohltat darstellt. Sorgfältig fahre ich über das helle Leinen, das wie eine Art Kleid um meinen Körper gewickelt ist.

»Na, wie geht es dir?«

Die Stimme, die erklingt, lässt mich zusammenfahren, da ich niemanden habe eintreten hören. Ich hebe ruckartig den Kopf und erblicke eine dunkelhaarige, schlanke Frau, die mich freundlich anlächelt. Sie hält eine Schale in den Händen und kommt auf mich zu.

Sie ist schön. Wunderschön. Und ich weiß, dass ich ihre Stimme gehört habe, als sie vorhin mit Cilian gesprochen hat. Kein Wunder, dass er sie geküsst hat – hätte ich an seiner Stelle wohl auch getan. Ob es sich um seine Lebensgefährtin handelt? Oder gar Gemahlin?

»Ich bin Catina«, stellt sich die Frau vor – etwas, das ich mir bereits selbst zusammengereimt habe. »Und Heilerin hier im Zirkel«, fügt sie hinzu, als ich nicht antworte. »Du hast dich da ganz schön in Gefahr gebracht, Liebes.«

Ich verenge die Augen und versuche sie nicht allzu wütend anzufunkeln. Sie kann nichts dafür, dass ich so dämlich war, einen Zauber zu wirken, den ich nicht kannte und dessen Ausmaße ich vollkommen unterschätzt habe. Trotzdem fühle ich mich von ihr durch die Art, wie sie mit mir spricht, wie ein kleines Mädchen behandelt, und das mag ich nicht.

Sie scheint zu merken, dass ich keine Lust habe, mich mit ihr zu unterhalten, denn sie reicht mir die Schüssel. »Hier, trink das. Das wird dir guttun.«

»Was ist das?«, frage ich argwöhnisch, während ich in das Gefäß äuge, das eine bläuliche Flüssigkeit enthält.

»Ein Heiltrank, der deinen Körper stärkt«, antwortet sie und das Lächeln kehrt auf ihre Lippen zurück. »Du hast dir viel zugemutet mit dem Zauber, wie Cilian mir erzählt hat. Daher ist es wichtig, dass du dich nun ausruhst.«

»Ich fühle mich ausgeruht«, erwidere ich bockig und trete absichtlich einen Schritt vom Bett weg.

»Sicher. Aber mit Unterkühlung ist nicht zu spaßen.« Sie sieht mich ernst an. »Du hattest Glück, dass Cilian dich so rasch zu mir gebracht hat.«

Ich senke nun doch den Blick und nippe an der Schüssel. Die Flüssigkeit schmeckt unerwartet gut und ich nehme einen großen Schluck.

»Gut so«, kommentiert Catina mit sanfter Stimme und ich komme mir vor wie ein Welpe, der zum ersten Mal Männchen macht und dafür gelobt wird.

Trotzdem trinke ich den Inhalt in einem Zug leer und reiche ihr die Schüssel mit einem »Danke« zurück.

»Nun ruh dich aus«, wiederholt die dunkelhaarige Heilerin. »Ich werde Cilian Bescheid geben, er wird wahrscheinlich noch kurz bei dir vorbeischauen wollen.«

Oh nein …

Aber mir fällt kein Grund ein, wieso ich ihr verbieten könnte, mit Cilian zu sprechen und ihm zu sagen, dass ich wieder unter den Lebenden weile. Er ist schließlich der Ordensleiter und ich will mir keine Blöße geben, indem ich ihr gestehe, dass es mir ziemlich peinlich ist, Cilian überhaupt jemals wieder in die Augen zu blicken.

Schon hat sie sich umgedreht und verlässt mein Zimmer. Nachdem die Tür hinter ihr zugegangen ist, lasse ich mich seufzend auf mein Bett fallen, wo ich erst mal eine ganze Weile liegen bleibe und an die Decke starre. Die Flüssigkeit sorgt dafür, dass sich eine angenehme Wärme in mir breitmacht und ich immer schläfriger werde. Aber ich kann nicht schlafen. Meine Gedanken wirbeln herum, versuchen das Erlebte irgendwie zu verarbeiten. Schon lange habe ich mich nicht mehr so klein, hilflos und vor allem fehl am Platz gefühlt.

Ich hebe meine Hand und betrachte den schwarzen Magierring. Als ich versuche, ihn abzulegen, scheitere ich. Er sitzt so fest, dass ich keine Chance habe, ihn jemals wieder loszuwerden. Die Wasserrune leuchtet geheimnisvoll und erinnert mich daran, dass ich nun offiziell zur Magiergilde von Chakas gehöre.

Aber … dieser Ort ist nichts für mich. Alles ist zu prunkvoll, das Wetter zu heiß und ich kann die ganzen Erwartungen, die an mich gestellt werden, definitiv nicht erfüllen, das weiß ich schon jetzt. Cilian hat seinen Vorschlag, es regnen zu lassen, mit einer solchen Selbstverständlichkeit ausgesprochen, dass ich davon ausgehen muss, dass jedes Kind das können sollte. Ich bin kein Kind mehr … und ich fühle mich einfach nur schlecht.

»Was meinst du, Schneeflocke? Sollen wir abhauen?«, frage ich, die Augen immer noch zur Decke gerichtet.

Mein Greif antwortet mir nur mit einem leisen Grunzen, das sowohl »Ja« als auch »Nein« bedeuten könnte.

»Wir sind erst einen Tag in diesem Zirkel und ich … schaffe das einfach nicht.« Ich seufze und spüre, wie mir Tränen in die Augen steigen. Ob aus Hoffnungslosigkeit, Wut oder Selbstmitleid, kann ich gar nicht richtig ausmachen. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus allem.

Wenn meine Schwester jetzt hier wäre, würde sie mir sagen, dass alles gut wird. Dass ich einfach kämpfen müsste, so wie ich es immer getan habe.

Aber sie ist nicht hier, verdammt …

Ich vermisse sie so sehr …

Mit einem Mal ist mir klar, was das für ein Gefühl ist, das mir einen Kloß im Hals beschert: Heimweh. Ich vermisse meine Heimat, meine Schwester … vermisse es, bei ihr zu sein, und mit einem Mal fasse ich einen Entschluss.

Ich springe so rasch vom Bett, dass Schneeflocke entrüstet fiept und den Kopf hebt.

»Los, wir verschwinden!«, rufe ich ihm zu und beginne, meine wenigen Habseligkeiten in ein Bündel zu packen. »Ich habe genug von diesem Chakas!«

In Windeseile habe ich meine Siebensachen zusammengesucht – so viel ist es nicht – und renne zur Tür.

»Wir treffen uns unten!«, rufe ich Schneeflocke zu, der sich vom Bett erhoben hat.

Mit einem Bild präzisiere ich, dass ich vor den Zirkelmauern auf ihn warten werde.

Er wird vom Balkon aus nach unten fliegen, während ich die Treppe nehme. Es ist zu gewagt, von meinem Zimmer aus wegzufliegen, da uns jemand beobachten könnte. Ich möchte erst das Gelände verlassen, ehe ich aufsteige und Chakas auf Nimmerwiedersehen sage.

Ich reiße die Tür auf und schaue mich im Gang um.

Niemand zu sehen, perfekt!

So schnell ich kann, renne ich den Flur entlang in Richtung der Treppe, die nach unten führt. Die Gänge sind verwinkelt, aber den Weg habe ich mir gemerkt.

Als ich um die letzte Ecke biege, hinter der die Treppe beginnt, pralle ich allerdings gegen etwas Hartes und spüre im selben Moment, wie ich an der Schulter festgehalten und davor bewahrt werde, den Boden zu küssen. Stattdessen knallt meine Nase gegen eine muskelbepackte männliche Brust und mir entfährt ein herzhafter Fluch.

»Pass auf!«, knurrt eine tiefe Stimme über mir verärgert.

Meine Hand fährt unwillkürlich an meine Nase, die glücklicherweise den Zusammenstoß schadlos überstanden hat. Nachdem ich den Blick gehoben habe, begegne ich grauen Augen, die mich verstimmt mustern.

»Adrién«, keuche ich, als ich erfasse, mit wem ich da zusammengeprallt bin.

Treibt der Kerl sich etwa immer auf den Gängen rum?!

Der Magier trägt nun sein langes schwarzes Haar offen und es fällt ihm in dichten Strähnen bis über die Schultern. Abrupt lässt er mich los, aber ich spüre die Berührung seiner Hände noch, da er ziemlich fest zugepackt hat. Sein Blick fällt auf das Bündel, welches ich beim Zusammenprall habe fallen lassen.

Rasch bücke ich mich danach und hebe es auf, aber er hat die richtigen Schlüsse bereits gezogen, wie ich seinem Gesichtsausdruck entnehmen kann.

Für ein paar Sekunden sehen wir uns stumm an, dann wird seine Miene etwas weicher und er verschränkt die Arme vor der Brust. »Du weißt, dass Cilian dich überall finden und zurück in den Zirkel bringen wird?«, fragt er in einem fast schon beiläufigen Tonfall. »Du bist eine Greifenreiterin und damit stehst du unter seiner Obhut – und er nimmt seine Pflichten sehr ernst.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen und funkle ihn verärgert an. »Willst du mich etwa verpetzen?!«

Er legt den Kopf schief und tritt demonstrativ zur Seite, ehe er mit einer ausladenden Handbewegung den Weg zur Treppe freigibt. »Bitte, viel Erfolg.«

Etwas in seiner Stimme lässt mich zögern, meinen Weg fortzusetzen. Ich sehe ihn abwägend an. »Wieso verpetzt du mich nicht?«

»Wäre dir das lieber?« Seine grauen Augen beginnen gefährlich zu glitzern.

»Nein, aber …«

»Glaub mir einfach, dass es nichts bringt«, meint er schulterzuckend. »Und gib mir das Bündel.«

Ich presse die Habseligkeiten fest an meine Brust. »Sicher nicht!«

»Gib her«, wiederholt er, dieses Mal leiser, und streckt die Hand aus.

»Wieso?« Ich starre ihn misstrauisch an.

»Weil Cilian wahrscheinlich nicht merken soll, dass du abhauen wolltest«, zischt Adrién. »Und er wird in wenigen Sekunden hier sein, ich habe ihn vorher aus dem Fenster aufs Gebäude zukommen sehen.«

»Ich …«

Gerade noch rechtzeitig nimmt mir Adrién das Bündel ab und lässt es hinter seinem Rücken verschwinden, da taucht tatsächlich Cilian auf der Treppe auf. Erstaunt bleibt er stehen und seine Augen gleiten von mir zum hochgewachsenen Magier und wieder zurück zu mir. Er sieht makellos wie immer aus – wenn ihn mein Hagelzauber verletzt hat, so haben sich wohl Heiler um ihn gekümmert.

»Wie mir scheint, geht es dir sogar besser, als Catina erzählt hat«, bemerkt er, als er die letzten Stufen erklommen hat und auf uns zukommt. Sein Blick ist auf mich gerichtet. »Wie fühlst du dich?«

»Ganz … gut«, antworte ich und meine Augen huschen zu Adrién, der mit ausdrucksloser Miene neben mir steht.

Auch Cilian mustert den schwarzhaarigen Magier, und eine Falte erscheint zwischen seinen Augenbrauen. »Du treibst dich heute auffallend häufig in diesem Stock herum«, bemerkt er in kühlem Tonfall.

»Ihr ebenfalls«, antwortet Adrién trocken.

Cilian verengt kurz die Augen, das ist die einzige Regung, die darauf schließen lässt, dass er über die Antwort des Greifenreiters verärgert ist. »Damaris, wir sollten miteinander reden«, wendet er sich dann an mich. »Unter vier Augen.«

Ich nicke hastig und wende mich von Adrién ab – ich hoffe, dass er mir das Bündel, das er immer noch hinter seinem Rücken verbirgt, nachher vor die Tür legt. Darin ist alles, was ich besitze …

»Und du solltest zurück in dein Zimmer«, höre ich Cilian hinter mir noch an den Greifenreiter gewandt sagen, ehe er mir folgt.

Unterwegs schicke ich Schneeflocke ein Bild von Cilian und hoffe, er versteht, dass unser Fluchtplan gescheitert ist. Allerdings ist der Greif nicht mehr in meinem Zimmer, als wir zurückkehren. Wenn es Cilian auffällt, so sagt er nichts dazu.

Wie ein geschlagener Hund begebe ich mich zum Sessel und lasse mich darauf nieder.

Der Ordensleiter schließt die Tür, ehe er sich mir zuwendet und mich nachdenklich ansieht.

»Es tut mir leid«, hauche ich, ohne ihm in die Augen schauen zu können.

»Entschuldige dich bitte nicht – schon gar nicht bei mir.« Dass Cilians Stimme so matt klingt, lässt mich nun doch den Blick heben. Er wirkt müde und irgendwie … betreten. Mit beiden Händen fährt er sich durch die braunblonden Locken und streicht sie erfolglos nach hinten. »Mir tut es leid«, murmelt er, ehe er auf mich zukommt und vor mir stehen bleibt.

»Es muss Euch doch nicht …«

»Doch«, unterbricht er mich und in seinen Augen steht eine Qual, die ich nicht ganz nachvollziehen kann. »Doch, das muss es. Ich habe nicht nachgedacht. Ich hätte dich vorher fragen sollen, welche Zauber du beherrschst … bei den Göttern … ich habe vollkommen leichtfertig mit deinem Leben gespielt …«

Seine Stimme ist immer leiser geworden. Er schließt die Augen und atmet tief durch, während ich ihn verdattert anstarre.

Was passiert hier gerade? Wieso nimmt er eine Schuld auf sich, die ich eindeutig selbst zu verantworten habe? Ich hätte ihm nur sagen müssen, dass ich den Zauber nicht kenne, dann hätte er etwas anderes von mir verlangt. Niemals hätte er mich zu etwas gezwungen oder gedrängt, das mir schaden könnte. Das weiß ich. Ich weiß es einfach …

Bevor ich widersprechen kann, tut Cilian etwas, das mich aus allen Wolken fallen lässt. Er bückt sich, nimmt meine Hände in die seinen und … geht vor mir auf die Knie. Es ist eine derart unterwürfige Geste, dass ich scharf die Luft einziehe. Diesen mächtigen Magier und einflussreichen Mann vor mir knien zu sehen, lässt mein Herz stillstehen.

»Bitte verzeih«, sagt er, während sein ernster Blick auf mir ruht.

Ich starre ihn immer noch sprachlos an, spüre seine warmen Hände, welche die meinen nun fest umschließen, sehe in seine unergründlichen Augen, die mich flehend mustern.

Was muss diesem Mann widerfahren sein, dass er eine solche Angst davor hat, schuld am Unglück anderer zu sein?

Ehe ich michs versehe, entziehe ich ihm eine Hand und hebe sie langsam an. Cilians Blick ist unentwegt auf mich gerichtet, auch wenn ich in seinen Augen erkenne, dass er sich über meine Geste wundert.

Federleicht fahre ich ihm mit den Fingern über die Wange, spüre das feine Kratzen des Dreitagebartes an meiner Haut. Er lässt es zu. Lässt zu, dass ich ihn berühre. Ich versinke im Blau seiner Augen, während ich mich seinem Blick nicht entziehen kann. Es ist ein Moment, so viel intimer als jeder andere, den ich bisher erlebt habe, und ich habe Angst, dass irgendjemand ihn zerstören könnte.

Aber das geschieht nicht. Stattdessen schauen wir uns ein paar Herzschläge lang unverwandt an. Dann blinzelt Cilian, als bemerkte er erst jetzt, dass er vor mir kniet.

Er ist so wunderschön … und er hat mir gerade einen tiefen Blick in seine Seele gewährt. Ebenso wie ich ihm gestattet habe, einen Teil von mir zu sehen, den ich ansonsten kaum jemandem zeige: meine Zuneigung. Denn ich habe Angst davor, dass es mich verletzbar macht, wenn ich einer Person gestehe, dass ich sie mag. Aber bei Cilian … irgendwie hat es sich gerade verdammt richtig angefühlt.

Er ergreift meine Hand, die immer noch an seiner Wange liegt, und nimmt sie sanft von dort weg, ehe er sich aufrichtet. »Es tut mir leid«, murmelt er.

Ich bin mir nicht sicher, ob er sich immer noch für das entschuldigt, was er in seinen Augen in der Arena falsch gemacht hat, oder für diesen Moment zwischen uns, der über das hinausging, wie sich ein Ordensleiter und eine Schülerin zu verhalten haben.

Damaris (Band 1): Der Greifenorden von Chakas

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