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Plastische Partner
ОглавлениеTiere (einschließlich Menschen) müssen Sexualpartner nicht nur nach ihren körperlichen und Verhaltensmerkmalen zuverlässig beurteilen, sondern diese Beurteilungen auch auf der Grundlage einer beliebigen Anzahl von umweltbasierten Störfaktoren korrigieren können. Der Begriff „Plastizität“ bezieht sich sowohl auf die Veränderlichkeit von ökologischen oder biologischen Faktoren als auch auf die Veränderlichkeit von Reaktionen in Verhalten oder Physiologie, die Tiere zeigen. Wenn mich beispielsweise jemand nach dem bequemsten Bett fragt, in dem ich je geschlafen habe, fällt mir die Antwort nicht schwer. Nach einem langen (langen) Wandertag auf einer kleinen griechischen Insel landete ich um ein Uhr morgens auf Korfu – erschöpft, verdreckt und ohne Unterkunft. Die Jugendherbergen hatten bereits ihre Türen geschlossen und mein Budget war wie das wohl aller zwanzigjährigen Rucksacktouristen sehr beschränkt. Glücklicherweise hatten meine Eltern mir eine Kreditkarte mitgegeben, die ich im „Notfall“ benutzen sollte, und als ich meine Möglichkeiten abwägte, entweder auf einer Wiese im Park zu dösen oder mir ein Hotel zu suchen, schlug das Pendel deutlich zugunsten der zweiten Lösung aus. Ich kann ohne den Hauch eines Zweifels bestätigen, dass das Bett in diesem Hotelzimmer das bequemste war, in dem ich je geschlafen habe. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, wenn ich durch Zauberei heute in dieses Bett zurücktransportiert würde, käme ich zu dem Schluss, dass es sich um eine Matratze mittlerer bis geringer Qualität in einem Zwei-Sterne-Hotel handelte. Dieses Beispiel illustriert wunderbar das äußerst wichtige Konzept der Kontextabhängigkeit und dieselben Prinzipien gelten für die Plastizität bei der Partnerwahl.
Als wäre es für viele Männchen im Tierreich nicht schon anstrengend genug, die Lautäußerungen, Tänze, körperlichen Strukturen oder andere Paarungssignale hervorzubringen, damit die Weibchen sie beurteilen können, beeinflussen auch noch Umweltbedingungen ihre Erfolgschancen. An einem warmen Sommerabend am Strand nach einem Picknick und einem Glas Chardonnay fühlen wir uns dem anderen Geschlecht gegenüber vielleicht unbekümmert und nachgiebig. Wenn es dagegen regnet, unsere Frisur nicht sitzt und wir schon spät dran sind, um die Kinder vom Fußballplatz abzuholen, können genau dieselben Avancen unwillkommen und ärgerlich sein. Aktuelle Umweltsignale können genauso wichtig sein wie direkte sexuelle Signale, wenn es darum geht, einen potenziellen Partner zu treffen. Manchmal grenzt es fast an ein Wunder, dass Tiere es überhaupt hinbekommen.
Männliche Winkerkrabben (Gattung Uca) haben eine vergrößerte Schere, mit der sie im Rahmen ihres Balzverhaltens winken. Die Weibchen bevorzugen Männchen mit großen Scheren und schnellen Winkbewegungen – das zumindest dachte man, da die meisten Studien zu diesem Thema unter kontrollierten Bedingungen durchgeführt wurden, in denen diese Merkmale isoliert wurden. Was aber passiert, wenn geschlechtsselektive Merkmale nicht isoliert werden und umweltbedingte Variationen ins Spiel kommen? Das Sehvermögen der Winkerkrabbe ist auf ihre Schlickumgebung spezialisiert, die flach und übersichtlich ist und keine komplexen topografischen Merkmale aufweist. Manche Männchen bauen jedoch kleine Schlickhaufen, auf die sie sich winkend stellen und auf diese Weise Weibchen auf den Eingang zu ihrer Behausung aufmerksam machen. Diese kleine Veränderung in der Höhe (weniger als 2 Zentimeter) wirkt sich in drastischer Weise negativ auf den Paarungserfolg eines solchen Männchens aus. Die Weibchen zeigen eine deutliche Abneigung gegen Männchen, die von ihren winzigen Burgen herunterwinken, auch wenn sie große Scheren haben und schnell winken. Man kann annehmen, dass das Sehvermögen eines Weibchens es wählerisch macht und dafür sorgt, dass es Männchen bevorzugt, die „auf Augenhöhe“ winken. Diese Variation der weiblichen Vorlieben hilft dabei, die genetische Vielfalt unter den sexuellen Signalen der Männchen zu erhalten, weil sie dafür sorgt, dass nicht unbedingt die körperlich am besten ausgestatteten Männchen bei allen Damen landen. Wenn allerdings das Winken von einem Schlickhügel für Weibchen so unattraktiv ist, stellt sich natürlich die logische Frage: Warum tun manche Männchen es überhaupt? Es könnte sein, dass höhere Bauten tiefer und von besserer Qualität sind, sodass ein Weibchen, das von einem Männchen in solch einen Bau gelockt wird, mit höherer Wahrscheinlichkeit bleibt. Höher stehende Männchen könnten auch größer und weniger angreifbar für Räuber erscheinen und damit vielleicht Sex gegen Überleben eintauschen.
Was geschieht, wenn die Umgebung so verändert wird, dass sexuelle Signale eine ganz neue Bedeutung annehmen? Verunreinigungen durch Phosphate in küstennahen Bereichen der Ostsee haben zu Eutrophierung – massiv übermäßigem Wachstum von Fadenalgen – in Gebieten geführt, in denen das Wasser früher klar war und wo eine gute Sicht herrschte. Diese Gewässer sind wichtige Laichgebiete für den Dreistachligen Stichling (Gasterosteus aculeatus); in einem normalen Lebensraum baut das Männchen Nester – wobei die gesündesten Männchen die begehrtesten Bereiche bekommen – und wartet auf die Weibchen, die die Nester inspizieren und dann entscheiden, in welches sie ihren Laich ablegen. In einer verschmutzten Umgebung jedoch ist alles möglich. Die Eutrophierung macht es für die Weibchen schwierig, überhaupt ein Nest zu finden, ganz unabhängig von Revier oder sozialem Status des Männchens. In diesem Algendickicht können schwache, parasitenverseuchte Männchen ihre Nester direkt neben denen starker Männchen bauen, ohne entdeckt oder verscheucht zu werden. Darüber hinaus paaren sich die Weibchen häufig mit dem ersten Männchen, auf das sie treffen. Dies ist ein weiteres (unglückliches) Beispiel, in dem die stärksten, fittesten Männchen nicht unbedingt den größten Fortpflanzungserfolg haben. Während im Fall der Winkerkrabbe solche Interferenzen die genetische Vielfalt erhalten, könnte die Eutrophierung bei den Stichlingen die „natürliche“ Auslese in eine vollkommen falsche Richtung lenken.
Variationen der Umwelt können sich auch verheerend auf Tiere auswirken, die für die Partnersuche auf auditive Signale angewiesen sind. Haben Sie schon mal versucht, in einem lauten Nachtclub eine Unterhaltung mit einem potenziellen Partner zu führen? Hat es gut geklappt mit der Kommunikation vor dem Hintergrund ohrenbetäubender Musik und den lauten Gesprächen der anderen? Dachte ich mir. So kann man sich die Schwierigkeiten der Tiere vorstellen, die auf die Kommunikation über Paarungsrufe in einer lärmbelasteten Umwelt angewiesen sind. Schon die einfachsten Störungen in der Umgebung können tiefgreifende Auswirkungen auf die Fähigkeit der Jungs haben, ihre Botschaft an die Mädchen weiterzugeben. Tatsächlich nennt man dieses Phänomen passenderweise auch das „Cocktailparty-Problem“; in der menschlichen Soziologie forscht man bereits seit vielen Jahrzehnten in diesem Bereich.
Mehrere Tierarten haben zuverlässige Mechanismen entwickelt, um das sexuelle Signal über den Umweltlärm hinaus hörbar zu machen. Nicht alle Arten von Lärmverschmutzung sind jedoch gleich. Natürliche Landschaften können eine wahre Sinfonie erklingen lassen, wobei allerdings die Tiere sich im Kontext der natürlichen Geräusche in den umgebenden Ökosystemen entwickelt haben. Anthropogener (menschengemachter) Lärm in urbanen Landschaften ist ein wesentlich neueres Phänomen und stellt eine große Hürde für die effektive Kommunikation dar. Mehrere Arten von Stadtvögeln verändern Liedfrequenz, Lautstärke, Zeitpunkt oder Dauer ihres Paarungsgesangs so, dass sie die Weibchen über den Geräuschteppich von Verkehr, Industrie und anderem Stadtlärm hinweg erreichen können. Leider sind solche Anpassungen nicht immer von Erfolg gekrönt. In lauten urbanen Lebensräumen bleiben nicht selten mehr Männchen in der Brutsaison ohne Partnerin – aus dem einfachen Grund, dass sie im Tumult ihres Stadtlebensraums keine passende Partnerin finden. Es gibt nur wenige Arten, denen insgesamt eine Steigerung des Fortpflanzungserfolgs in Stadtgebieten gelungen ist. Die Erfolgreichen sind dabei vollkommen anderen Arten von Selektionsdruck ausgesetzt als die in natürlichen Lebensräumen, was letztendlich zur Entwicklung neuer Arten führen kann.
So singen beispielsweise Kohlmeisenmännchen in der Stadt höhere, schnellere Lieder als in ländlichen Gebieten, sodass die Populationen ihre Lieder gegenseitig nicht mehr erkennen. Ebenso bringen männliche Grashüpfer in (lauten) Lebensräumen an Straßenrändern andere Balzgesänge hervor als ihre Gegenstücke auf dem Land. Sie tun das, um sich über den konstanten Verkehrslärm hinweg Gehör zu verschaffen, und ihre Laute weisen in der Stadt ein deutlich höheres Frequenzmaximum auf als in ruhigeren Gegenden. Interessanterweise deuten die physiologischen Mechanismen, mit deren Hilfe die Grashüpfer ihre Lieder abgeändert haben, darauf hin, dass diese neuen Lieder über eine reine Verhaltensplastizität hinausgehen. Wir reden hier nicht nur über Veränderungen der Melodien, sondern eher über Veränderungen der biologischen Mechanismen, durch die Laute erzeugt werden. Grashüpfer aus Umgebungen mit unterschiedlichen Lärmpegeln sind auf dem besten Wege, sich zu unterschiedlichen Arten zu entwickeln.
Es ist alles andere als einfach, in einem lauten Nachtclub die Aufmerksamkeit einer potenziellen Partnerin zu erringen, aber es könnte noch schlimmer sein. Stellen Sie sich vor, Sie müssten sich im besten Partnersuche-Licht präsentieren, während Sie Achterbahn fahren. Störfaktoren in der Umgebung können nämlich noch in vielen anderen Formen als Lärm auftreten. Eidechsen, die Felder mit hohen Gräsern bewohnen (und von den Halmen aus Weibchen verführen), können sich starken Winden ausgesetzt sehen, die die Vegetation unvorhersehbar bewegen. Plötzlich geht es vor allem darum, unter Bedingungen sexy zu wirken, die gefährlich und im wahrsten Sinne des Wortes Übelkeit erregend sind. Wie soll ein Eidechsenjunggeselle vor einem Hintergrund aus dramatisch schwankendem Gras einem Weibchen mit Kopfnicken und Kehlsackaufblasen noch den Kopf verdrehen? Die Australische Felsenechse (Amphibolurus muricatus) reagiert direkt auf veränderte Windmuster, indem sie die Zeiträume verlängert, in denen sie die Signale gibt. Saumfingerechsen (Gattung Anolis) nicken schneller mit dem Kopf, um die Signalübertragung vor windgepeitschter Vegetation zu verbessern.
Wenn wir eines aus den bisher angeführten Beispielen gelernt haben, dann dies: Die Umgebung kann auf viele Arten dafür sorgen, dass die Chancen auf den Fortpflanzungserfolg sinken. Selbst für einen biologisch starken Wettbewerbsteilnehmer mit einem ordentlichen Paarungssignal kann die Umwelt die Achillesferse bei der Partnersuche darstellen. Die Umwelt kann jedoch auch genau das Gegenteil bewirken, wenn sie richtig eingesetzt wird. In manchen Fällen lässt sich die Wirkung der Paarungssignale mit etwas Hilfe von Mutter Natur noch verstärken.
Vielen Vogelarten reicht die eigene genetisch programmierte Pracht nicht aus; die Männchen nutzen die Umgebung, um sich ins beste Licht zu rücken. Männliche Großtrappen (Otis tarda) erhöhen die Leuchtkraft ihrer weißen Federn, indem sie sie auf die Sonne ausrichten und damit den Kontrast ihres achromatischen (weißen) Gefieders zum dunklen Hintergrund ihres Lebensraums maximieren. Irisierende Federn gehören bei vielen Vogelarten zum Repertoire der sexuellen Signale und diese Art von Färbung hängt stark vom Umgebungslicht ab. Im Prinzip verändern sich irisierende Farben je nachdem, ob sie von der Sonne angestrahlt werden und in welchem Winkel. Ein Männchen kann sich also ein deutlich attraktiveres Aussehen geben, indem es im direkten Sonnenlicht posiert. So optimieren brasilianische Jacariniammern (Volatinia jacarina) nachweislich im Handumdrehen ihre sexuellen Signale, indem sie Balzverhalten und Lautäußerungen verstärken, sobald sie im direkten Sonnenlicht stehen. Eine ähnliche Nutzbarmachung der Sonnenstrahlen wurde bei männlichen Pfauen nachgewiesen, die in präkopulatorischen Balzritualen ihr Gefieder in einem 45-Grad-Winkel zur Sonne präsentieren. Die irisierenden Augenflecken auf den Pfauenfedern wirken in diesem Winkel zur Sonne ganz besonders prächtig, vor allem auf Weibchen direkt vor ihnen.
Die Ausrichtung auf das Sonnenlicht ist nicht allein dem Vogelreich vorbehalten. Männliche Springspinnen (Familie Salticidae) stellen in Abhängigkeit von ihrem Gesamtzustand ein rotes Gesicht und grüne Beine zur Schau, um die Aufmerksamkeit der wählerischen Weibchen zu erregen (die leuchtende Farben bevorzugen). Wird die Rotfärbung des Männchens im Experiment verhindert, verringert sich ihr Fortpflanzungserfolg beträchtlich. Zusätzlich nutzen sie das Sonnenlicht, um das Erscheinungsbild ihrer Färbung zu verbessern und ihren Fortpflanzungserfolg noch weiter zu steigern. Ohne diese „Geheimwaffe“ besteht für die Männchen ein deutlicher Fortpflanzungsnachteil. Männliche Guppys (Gattung Poecilia) verstärken ihre Balzaktivitäten sowohl am frühen Morgen als auch am späten Nachmittag, was mit den Lichtverhältnissen zusammenfällt, die sie für die Weibchen am attraktivsten erscheinen lassen, während sie gleichzeitig ihre Erkennbarkeit für Räuber minimieren.
Wärme ist ein weiterer wichtiger Aspekt der Kraft der Sonne, die ein Männchen zu seinem Vorteil einsetzen kann. Bei einigen Eidechsenarten entscheiden die Weibchen auf der Grundlage von Informationen in den Duftmarken passender Junggesellen, wo sie leben und sich fortpflanzen wollen. Der Zugang zu thermalen Ressourcen (also einem warmen Plätzchen) ist bei diesen und anderen ektothermen Lebewesen (die ihre Körpertemperatur nicht selbst regulieren können) ein wesentlicher Faktor für den Fortpflanzungserfolg, daher muss ein Weibchen ein Männchen mit einem Revier wählen, in dem die Möglichkeit von Sonnenbädern besteht. Die Weibchen können temperaturbedingte Variationen in der chemischen Zusammensetzung von männlichen Duftmarken erkennen und haben daher die Möglichkeit, durch ihre Auswahl ihren Fortpflanzungserfolg zu maximieren. Auf diese Weise geben die Männchen den Weibchen indirekt Informationen über die Qualität ihres Reviers.
Prädation ist ein weiterer häufiger Aspekt für die meisten Mitglieder des Tierreichs. Sicher sind wir uns alle darüber einig, dass es schwierig ist, sich auf das Umwerben einer Partnerin zu konzentrieren, wenn das eigene Leben in Gefahr ist; leider haben die prächtigen sexuellen Signale vieler Männchen den Nebeneffekt, sie noch auffälliger und attraktiver für Beutejäger zu machen. Hier wird eine klassische evolutionäre Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen den Anforderungen der natürlichen Selektion und denen der sexuellen Selektion aufgestellt. Betrachten wir nur einmal das Dilemma des männlichen wie des weiblichen Schwertträgers (verschiedene Arten der Gattung Xiphophorus). Die Schwanzflosse (Schwert) des Männchens unterliegt als Merkmal der sexuellen Selektion. Weibchen bevorzugen Männchen mit langen Schwanzflossen; in Gegenwart eines Räubers jedoch wählen die Weibchen stattdessen Männchen mit kurzen Schwanzflossen. Diese räuberbedingte Plastizität im weiblichen Wahlverhalten lässt sich auf die Tatsache zurückführen, dass Männchen mit langen Schwanzflossen auffälliger sind und damit anfälliger für Prädation. Es überrascht nicht, dass sich auch Weibchen, die mit den besagten Männchen anbandeln, ebenfalls in die Gefahr begeben, gefressen zu werden; sind in der Umgebung also Räuber vorhanden, ist es für sie sinnvoller, einen Partner zu wählen, der ein weniger eindeutiges Ziel darstellt. Interessanterweise ist diese veränderte Präferenz der Damen nicht von langer Dauer. In der Regel widmen sie ihre Aufmerksamkeit schon wenige Stunden, nachdem die Bedrohung durch einen Räuber nachgelassen hat, wieder den langschwänzigen Männchen.
Die Reaktion üppig ausgestatteter Männchen auf die Gefahr durch Prädation kann plastischer sein als die Reaktionen ihrer weniger prächtigen Artgenossen. Männliche Wolfsspinnen (Familie Lycosidae) können entweder große schwarze Bürsten an ihren Vorderbeinen tragen, die sie durch Vibrieren noch attraktiver machen, oder gar keine Ornamente besitzen. Im Angesicht einer Bedrohung durch Räuber verharren sowohl die prächtigen als auch die weniger prächtigen Männchen bewegungslos und unterbrechen ihre Balzaktivitäten; die Männchen mit den Beinbürsten (Ornamenten) brauchen jedoch im Vergleich mit ihren schlichteren Artgenossen wesentlich länger, um nach einer Prädationsgefahr die Balz wiederaufzunehmen. Es überrascht nicht sonderlich, dass die üppig ausgestatteten Männchen stärker auf eine Prädationsgefahr reagieren, weil sie mehr zu verlieren haben. Wenn man teure Vermögenswerte zu schützen hat, ist ein größeres Repertoire an Schutzreaktionen sinnvoll. Nur scheint manchmal das Gegenteil zu gelten, wie zum Beispiel bei der Kleinen Wachsmotte.
Wie alle Männchen im Tierreich sind auch männliche Wachsmotten in unterschiedlichem Maße begehrenswert für die Weibchen. Die attraktivsten Tiere sind in besserer körperlicher Verfassung und singen verlockender, beides echte Indikatoren für ihre biologische Fitness. Zum großen Pech für alle Mottenmännchen (begehrenswert oder nicht) können räuberische Fledermäuse ihre Balzgesänge hören. Das bedeutet, dass jeder Balzversuch mit einem erhöhten Prädationsrisiko einhergeht. Nach einer Hypothese namens „Asset Protection Principle“ („Prinzip des Schutzes von Vermögenswerten“) sollten wertvolle Männchen unter riskanten Bedingungen weniger häufig Signale geben, weil sie im Hinblick auf zukünftige Paarungsgelegenheiten mehr zu verlieren haben, und genau so verhalten sich die Wolfsspinnen mit den Beinbürsten. Für Motten gilt diese Hypothese jedoch nicht: Wertvolle Männchen geben ihre Signale nach einer Prädationsgefahr schneller wieder als ihre weniger begehrenswerten Artgenossen. Warum? Möglicherweise verfallen die attraktiven Männchen hier in eine „Nach mir die Sintflut“-Strategie, wodurch sie ihre Ressourcen und/oder ihr Fortpflanzungspotenzial weitaus schneller erschöpfen als weniger attraktive Männchen. Das Schöne an der Biologie ist ja, dass es zu jeder Regel Ausnahmen gibt.
Die Männchen mehrerer Fischarten werden in ihrem Balzverhalten sogar noch mehr eingeschränkt, wenn Prädationsgefahren lauern. Adulte männliche Guppys aus Trinidad (Poecilia reticulata) tragen leuchtende Farben und ihre Pigmentierungsmuster sind ein weiteres klassisches Beispiel für ein Merkmal, das aus sexueller Selektion entstanden ist. Wie wir gesehen haben, stellen solche auffälligen Phänotypen einen Ausgleich zwischen den Kräften der natürlichen und der sexuellen Selektion dar – leuchtend bunte und auffällige Männchen sind eindeutig anfälliger für Prädation. Wenn die Männchen in der frühen Entwicklung einer Prädationsgefahr ausgesetzt sind, entwickeln sich ihre Farbmuster sowohl später als auch in abgeschwächter Form. Die Bedrohung durch einen Räuber in der frühen Entwicklung beschneidet also die späteren Paarungsgelegenheiten eines Männchens empfindlich und verbirgt ein potenziell extravagantes Balzkleid. Männliche Stichlinge zeigen eine ähnliche Abschwächung sexueller Signale in Gegenwart eines Räubers. Ihr leuchtend rotes Laichkleid ist unter großer Gefahr deutlich blasser. Was nützt es schließlich, umwerfend auszusehen, wenn man nicht lange genug lebt, um sich fortpflanzen zu können?