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Tand und Tinnef
ОглавлениеGeschenke sind toll. Wer bekommt nicht gern etwas ganz Besonderes, das jemand extra für einen ausgesucht hat? Viele Menschen übertreiben es mit dem Schenken, meist um die menschliche Selbstsucht und Besessenheit von materiellen Gütern zu befriedigen. Im Tierreich nimmt das Schenken nicht ganz so extreme Formen an, aber das Konzept als solches ist auch dort nichts Außergewöhnliches. Die Unterschiede beim Fortpflanzungswert von Spermien und Eizellen und die daraus entstehenden Interessenkonflikte, die zwischen „Ich will mehr!“-Männchen und „Danke, mir reicht’s!“-Weibchen ausbrechen können, haben dazu geführt, dass Männchen eine Reihe von Strategien entwickelt haben, um ein Weibchen entweder umzustimmen oder zu sexuellen Handlungen zu zwingen. In der ersten Kategorie ist es für das Männchen nur von Vorteil, wenn es ein Weibchen überzeugen kann, sich mit ihm zu paaren, ohne auf Gewalt zurückzugreifen. Selbst wenn ein Weibchen seine Spermienquote noch nicht erfüllt hat, ist es bei den vielen potenziellen Verehrern, die auf ihre Chance warten, für ein Männchen durchaus sinnvoll, ihm die Sache etwas schmackhafter zu machen. Gute Gene reichen eben nicht immer aus. In vielen Fällen müssen die Männchen ihre genetische Überlegenheit beweisen, indem sie ein Geschenk von ähnlicher Qualität anreichen. Dann, und nur dann, hat ihr Sperma eine Chance auf den Hauptgewinn.
Wenn wir uns auf dieses Verhalten bei Wirbellosen beziehen, benutzen wir oft den Begriff „Brautgeschenk“ (als würde unser glückliches Insektenpaar danach ein liebliches Hochzeitsnest beziehen, wo er sie natürlich über die Schwelle trägt). Tatsächlich können Brautgeschenke viele unterschiedliche Formen annehmen, von Beutestücken über Drüsenabsonderungen, Wasser und speziellen Mahlzeiten bis hin zu Körperteilen des Männchens! Das allgemeine Konzept hinter diesen Geschenken besteht darin, dass die Männchen den Weibchen etwas zu tun (d.h. zu fressen) geben, während sie sich um Kopulation und Spermienübertragung kümmern. Je länger sie mit Fressen beschäftigt ist, desto länger hat sein Sperma Zeit, ihren Fortpflanzungstrakt zu erreichen, und desto größer sind seine Chancen, die nächste Generation zu zeugen. Viele Jahrzehnte lang standen Biologen unter dem Eindruck, dass das Überreichen von Brautgeschenken eine gegenseitig nutzbringende Strategie in der Fortpflanzung sei. Die Männchen gewinnen, weil sie einen höheren Befruchtungserfolg erringen, die Weibchen gewinnen, weil sie nahr- und schmackhafte Verpflegung bekommen, die zu ihrer Gesundheit und Fruchtbarkeit beitragen. Tatsächlich gibt es viele Beispiele, wo diese Art von Win-Win-Strategie vorzuliegen scheint. Wenn das Geschenk für ein Weibchen ein Beutestück ist, zieht es daraus sowohl direkten (Nahrung) als auch indirekten Nutzen (keine Kosten der Nahrungssuche).
Die Weibchen mehrerer Insektenarten wie Schmetterlinge, Käfer, Grillen und bestimmte Großflügler zeigen eine höhere Überlebensrate, wenn sie solche Geschenke erhalten. Bei einigen Mückenhaften und Buckeltanzfliegen gehen die Damen selten auf Insektenjagd; in Form eines Geschenks von einem Männchen ist ein Beutetier daher ein seltener und willkommener nahrhafter Leckerbissen. Männliche Raubspinnen (Familie Pisauridae) wurden dabei beobachtet, wie sie Weibchen große Beutegeschenke brachten, die eine positive Korrelation zwischen dem maximalen Durchmesser und dem Gewicht zeigten – mit anderen Worten, die Männchen bauschten kein billiges Geschenk künstlich auf, sondern sie boten den Weibchen tatsächlich ein teures Geschenk dar. Der zentrale Punkt bei all diesen Geschenken ist die Aufrichtigkeit – sie stehen authentisch für einen größeren Paarungsaufwand seitens des Männchens und sind ein Ergebnis des Evolutionsdrucks auf den Konkurrenzkampf der Spermien.
Wie bei vielen noch folgenden Themen in diesem Buch und in der Biologie allgemein ist an dieser Stelle aber leider Schluss mit den Nettigkeiten. Angesichts der Tatsache, dass es im Tierreich von sexuellen Konflikten nur so wimmelt, wäre es naiv von den Biologen anzunehmen, dass alle Brautgeschenke gleich seien. Tatsächlich könnten manche Geschenke eher vom Grinch stammen als vom Weihnachtsmann. Männliche und weibliche Skorpionsfliegen (Familie Panorpidae) nutzen eine seltene Nahrungsquelle: Insektenaas. Die Männchen sind den Weibchen im Wettbewerb um das begehrte Gut überlegen und sie nutzen das aus, um von hungrigen Weibchen Sex zu „erkaufen“. Um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, versuchen die Fliegenmännchen vieler Arten häufig, sich die Geschenke vom Weibchen zurückzuholen, nachdem der Spermientransfer stattgefunden hat.
Männliche Listspinnen (Pisaura mirabilis) scheinen ein paar andere Strategien für die erfolgreiche Fortpflanzung zu haben. Statt ein Beutestück einfach nur zu überreichen, umwickeln die Männchen es eng mit Seide. Man glaubt, dass die Extraverpackung den Zeitraum verlängert, in dem das Weibchen sich mit dem Brautgeschenk befasst, und damit auch die Zeit, die dem Männchen zum Absetzen seines Spermas zur Verfügung steht. Man könnte das für eine legitime Strategie eines jeden Männchens halten, das ein so hochwertiges Geschenk bietet, und das ist es auch. Experimente haben gezeigt, dass das Herumtragen solcher Geschenke auf der Suche nach einer potenziellen Partnerin sich direkt (negativ) auf die Geschwindigkeit auswirkt, mit der ein Männchen rennen kann. Was für ein Held, ein wahrer Ritter in schimmernder Rüstung für die Listspinnen-Damenwelt! Aber nicht alle Männchen sind so ritterlich – in etwa 30 Prozent der Fälle übergeben die Männchen den Weibchen Geschenkattrappen: wertlose Gliederfüßer-Exoskelette oder Pflanzenstücke, sorgfältig in Seide gewickelt, damit sie aussehen wie die teuren Geschenke ihrer Rivalen. Da diese Geschenke authentisch erscheinen und in mehrere Lagen verpackt sind, müssen die Weibchen erst einmal die Zeit zum Auswickeln aufwenden, bevor sie ihren wahren Wert erkennen. Zwar kann ein Weibchen dem Spermientransfer ein abruptes Ende setzen, sobald es das falsche Geschenk erkannt hat, dennoch bleibt dem Männchen auf diese Weise eine Chance (wenn auch eine kleinere) auf einen Fortpflanzungserfolg. Da die Männchen, die wertlose Geschenke machen, deutlich weniger Zeit und Energie dafür aufwenden, echte Beutegeschenke zu finden und zu töten, können sie mehr Kopulationen angehen. Selbst die hart arbeitenden Männchen, die gute Ware liefern, verhalten sich nicht immer heldenhaft: Listspinnenmännchen wurden ebenfalls schon dabei beobachtet, wie sie dem Weibchen ihr Geschenk wieder entrissen, nachdem dieses den Spermientransfer beendet hatte.
Die fehlende Ritterlichkeit beschränkt sich keineswegs auf Spinnenmännchen. Die Männchen der Grillenart Gryllodes sigillatus und männliche Laubheuschrecken der Familie Tettigoniidae überreichen den Weibchen als Brautgeschenk eine sogenannte Spermatophylax. Wie viele andere Brautgeschenke handelt es sich um etwas Fressbares, das die Weibchen während der Spermienübertragung beschäftigt; sobald das Weibchen die Spermatophylax gefressen hat, löst sie das Spermien übertragende Organ und frisst auch dies – was dem Spermientransfer ein abruptes Ende bereitet. Anders als die oben angeführten Beutegeschenke stellt das Männchen dieses Geschenk durch Absonderungen seines eigenen Körpers her und es scheint den Weibchen keinerlei Nutzen zu bringen.
Die Existenz der Spermatophylax ist für die Biologen ein Rätsel. Sie besteht überwiegend aus Wasser und freien Aminosäuren, aber Studien haben gezeigt, dass die Weibchen eher keinen Nutzen in Form von Nährstoffen oder physiologischen Vorteilen daraus ziehen. Nur die Männchen profitieren davon, weil das Geschenk ihre Chancen auf eine erfolgreiche Befruchtung des Weibchens deutlich erhöht. Was ist da los? Die Zusammensetzung der Aminosäuren der Spermatophylax ist ein entscheidender Faktor dafür, wie viel davon das Weibchen frisst. Bei Gryllodes sigillatus legen die Weibchen in etwa 25 Prozent der Fälle die Spermatophylax beiseite und unterbrechen die Spermienübertragung vorzeitig. Als Forscher die Bestandteile von begehrenswerten und nicht begehrenswerten Geschenken untersuchten, fanden sie heraus, dass Bestandteile bevorzugt wurden, die zu einer positiven „Geschmacksreaktion“ bei den Weibchen führte. Mit anderen Worten, wenn die Männchen richtig leckere Spermatophylaxen herstellten, verbrachten die Weibchen mehr Zeit damit, sie zu fressen – unabhängig von der Tatsache, dass sie keinerlei Nährstoffe enthielten. Dieses Verhalten ist bei allen Grillen- und Laubheuschreckenarten verbreitet, die Spermatophylaxen herstellen. Nach der sogenannten „Candy-maker“-(Bonbonkocher-)Hypothese ist die Spermatophylax offenbar weniger ein Geschenk als vielmehr eine sensorische Falle zur Maximierung der Spermienübertragung.
Bei manchen Arten ist auch das Ejakulat selbst eine Form von Geschenk. Für Fortpflanzungszwecke ist der einzige Bestandteil des Ejakulats, den ein Weibchen braucht, das Sperma. Ejakulate setzen sich jedoch aus einer großen Vielzahl an Proteinen, Zuckern, Wasser und anderen Substanzen zusammen, die die Weibchen zu ihrem Vorteil nutzen können. Bei vielen Arten (auch bei den Menschen) stößt das Weibchen das Ejakulat wieder aus und die Gründe dafür sind zahlreich: Vielleicht befreit es sich dadurch von unerwünschtem Sperma, vielleicht wurde es zur Paarung genötigt, vielleicht hat es ganz einfach keine Speicherkapazität mehr oder vielleicht will es auch seinen Nährstoffgehalt nutzen. Bei mehreren Tierarten von der Taufliege bis zum Kalmar stoßen Weibchen Beobachtungen zufolge Ejakulate aus ihrem Fortpflanzungstrakt wieder aus, um es zu fressen. Experimente mit Käfern haben gezeigt, dass die Weibchen dieses Verhalten mit größerer Wahrscheinlichkeit zeigen, wenn ihnen Nahrung oder Wasser fehlt. Die Strategie erscheint vom biologischen Standpunkt aus ganz logisch; das Weibchen nutzt Sex, um einen materiellen Vorteil zu erlangen (in der Menschenwelt nennt man das Prostitution). Das zeigt, dass sowohl Männchen als auch Weibchen die Macht haben, Brautgeschenke zu ihrem eigenen Vorteil zu manipulieren.