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Sex oder krank?

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Wenn sie einen Partner oder eine Partnerin finden wollen, konzentrieren sich Menschen auf das Positive und versuchen, sich im besten Licht zu präsentieren. Wir hübschen unser Onlinedating-Profil mit schmeichelhaften Selfies auf, wir putzen uns für Verabredungen heraus und versuchen, angenehme und geistreiche Konversation zu treiben. Es gibt immer Zeiten, wenn die Umstände gegen uns sind – wenn wir zum Beispiel unter Grippe leiden oder uns etwas gebrochen haben –, aber da wir in unserer Fortpflanzung nicht saisonal gebunden sind, müssen wir uns keine Sorgen darüber machen, wegen einer Krankheit zu einem ungünstigen Zeitpunkt die Fortpflanzungsgelegenheiten eines ganzen Jahres zu verlieren, und die meisten von uns haben Zugang zu medizinischer Versorgung und einem Bett, in das sie sich zurückziehen können. Das gilt jedoch nicht für Arten, die zeitkritische Entscheidungen zur Partnerwahl und darüber treffen müssen, ob sie in die Fortpflanzung mit ihnen investieren. Im Tierreich hängt die Partnerwahl vom körperlichen Zustand ab, daher sehen sich verwundete oder nicht ganz gesunde Individuen auf dem Paarungsmarkt empfindlich benachteiligt, und zwar nicht nur deswegen, weil sie auf das andere Geschlecht weniger attraktiv wirken (obwohl das sicherlich auch eine Rolle spielt). Wenn sie krank sind, bringen sie die Ausdauer für eine längere Partnersuche nicht auf, im Wettbewerb um Sexualpartner haben sie schlechte Karten gegen gleichgeschlechtliche Konkurrenten, und selbst wenn es ihnen gelingt, die Zuneigung eines nichts ahnenden Mitglieds des anderen Geschlechts zu erringen, wird der Partner oder die Partnerin aller Wahrscheinlichkeit nach nicht bei ihnen bleiben, sobald ihr schlechter Zustand offensichtlich wird.

Klare „Zustandskategorien“ verschiedener Individuen sind nicht immer auf Krankheit oder Verletzung zurückzuführen. Der Unterschied in der Qualität kann eine einfache Funktion der Gene sein: Eltern von geringer biologischer Qualität bringen Nachkommen von geringer biologischer Qualität hervor, die mit anderen Partnern von geringer Qualität weiteren Nachwuchs von geringer Qualität zeugen. Aber es ist möglich, die biologische Qualität eines Individuums zu verändern, indem man die Bedingungen manipuliert, in denen es aufwächst. Zebrafinkenküken (Taeniopygia guttata) in kleineren Gelegen bekommen mehr elterliche Fürsorge, Nahrung und Pflege und können zuverlässig als hochwertig betrachtet werden. Biologen fanden jedoch heraus, dass sie durch Vergrößern eines Geleges nur Nachkommen von geringer biologischer Qualität hervorbringen konnten.

Interessanterweise zeigen Zebrafinkenweibchen sowohl hoher als auch geringer biologischer Qualität „zustandsabhängige“ Partnerentscheidungen, sie wählen also Partner aus ihrer eigenen Qualitätskategorie. Warum aber sollte ein Weibchen bei der Partnerwahl nicht „nach den Sternen greifen“? Wenn es schließlich etwas gibt, worauf die Biologen immer wieder herumreiten, dann darauf, dass Eizellen teuer sind – ein Weibchen sollte daher wählerisch sein, mit welchen Männchen es sie teilt. Die Antwort ergibt sich aus der Tatsache, dass Zebrafinken (wie viele Vögel) Elternfamilien gründen, dass also der männliche Einsatz beträchtlich ist und sich die Partner daher gegenseitig aussuchen. In diesem Fall geht es also nicht einfach um das wählerische Weibchen und das verzweifelte, spermaschleudernde Männchen. Dank der männlichen Anspruchshaltung und der Konkurrenz höherwertiger Weibchen hätte ein Zebrafinkenweibchen von geringer biologischer Qualität wahrscheinlich keine Chance, sich mit einem höherwertigen Männchen zu paaren. Ein ähnlicher Grad an weiblicher Anspruchshaltung (oder ihr Fehlen) ist zu beobachten, wenn die weibliche Qualität mit steigendem Alter abnimmt. Als Forscher die Handschwingen weiblicher Kanarienvögel beschnitten (und damit ihre Flugfähigkeit und Attraktivität verringerten), schwächte dies ihr wählerisches Verhalten bei der Auswahl eines Partners ab.

Aber was ist, wenn ein vollkommen gesundes (hochwertiges) Individuum verletzt wird? Schließlich verhalten sich viele Tierarten aggressiv untereinander oder benachbarten anderen Arten gegenüber oder sie leben in Gegenden mit gefährlichem Gelände, das schnell zu Verletzungen oder Wunden führen kann. In Abhängigkeit von mehreren Aspekten der Ökologie der jeweiligen Art scheint es, als könnten sich Verletzungen dramatisch auf die Chancen eines Individuums auswirken, sich erfolgreich fortzupflanzen. Kleine Baumleguane (Urosaurus ornatus) sind eine aggressive Art und häufig in Raufereien miteinander verwickelt. In freier Wildbahn findet man an den Tieren häufig äußerliche Wunden. Setzt man sie experimentellen Wunden aus (subkutane Biopsien), investieren die Baumleguanweibchen mehr in die Immunantwort als in die Fortpflanzung. Dies wurde durch Zählen der Eifollikel in ihrem Körper und Bestimmung ihrer Größe sowie des Gehalts an Fortpflanzungshormonen in ihrem Blut gemessen. Stand den Weibchen unbegrenzt Nahrung zur Verfügung, konnten sie ihre Energie auf Heilung und Fortpflanzung aufteilen; ohne Nahrung jedoch verwendeten die Weibchen keine Energie auf die Fortpflanzung. Das ist kaum überraschend: Wenn man eine Wunde hat, die heilen muss, oder einen gebrochenen Knochen, der repariert werden muss, sollte die Energie lieber auf die Genesung verwendet werden, als darauf, beim anderen Geschlecht zu landen. Aber was passiert, wenn die Verletzungen schwerer sind oder ein Individuum von einem Parasiten oder Virus infiziert ist, der bzw. das seinen Zustand nur noch verschlechtern wird?

Wenn ein Individuum jung und ansonsten gesund ist, ist es wissenschaftlichen Studien zufolge wahrscheinlicher, dass eine Verlangsamung des Fortpflanzungsaufwands erfolgt. Da sie jeden Grund zu der Annahme haben, dass sich in Zukunft weitere Fortpflanzungsgelegenheiten ergeben werden, ist es für junge (und ansonsten gesunde) Individuen sinnvoll, erst wieder gesund zu werden, bevor sie sich ins Vergnügen stürzen. Ist eine Krankheit jedoch lebensbedrohend oder sind die infizierten Individuen älter, ist es sinnvoller, den Fortpflanzungsaufwand zu verstärken – manchmal bis hin zur Zerstörung der Gesundheit oder sogar bis zum Tod – und einen letzten Versuch zu unternehmen, genetische Baupläne an zukünftige Generationen weiterzugeben. Dieses Phänomen wird als terminal investment bezeichnet und ist ein gutes Beispiel für das Konzept der biologischen Fitness im Angesicht von Krankheit. Veränderungen in der reproduktiven Ökologie aufgrund pathogener Infektionen wurden schon bei vielen Lebewesen nachgewiesen, wobei es zu Variationen der Eiablageraten, früherer Reifung (bei geringerer Größe), Veränderungen in Größe oder Anzahl der erzeugten Eizellen, Rate der Pheromonproduktion, Qualität sekundärer Geschlechtsmerkmale und Qualität des Ejakulats kommt. Das terminal investment ist eine faszinierende Fallstudie in der Entwicklung pathogener Infektionen, da Individuen, die mit letzter Kraft einen allerletzten Reproduktionsaufwand betreiben, unaufrichtige Fortpflanzungssignale aussenden können.

Männchen der Grillenart Allonemobius socius, die an einer bakteriellen Infektion leiden, verdoppeln ihre Fortpflanzungsanstrengungen, indem sie mit mehr Energie (und damit für die Weibchen attraktiver) zirpen. Nachdem sie ihre Energiereserven für den Gesang verbraucht haben, können solche Männchen allerdings kein hochwertiges Brautgeschenk mehr anbieten. Ihr energiereiches Zirpen ist daher ein unaufrichtiges Fortpflanzungssignal, das für hingerissene Weibchen ein Risiko darstellt, da sie durch das minderwertige Geschenk des Männchens um wertvolle Elternressourcen gebracht werden und zudem noch Gefahr laufen, sich mit der Infektion anzustecken. Weibchen, die sich mit solchen infizierten Männchen paaren, erleben häufig einen Rückgang ihrer Fitness; das bedeutet, diese Art unaufrichtiger Signalgebung wird wahrscheinlich nicht in einer Population vorherrschend werden (kann sich allerdings so entwickeln, dass sie in geringem Umfang bestehen bleibt).

Die Spermienqualität ist ein weiteres aufrichtiges Signal, das durch Immunschwierigkeiten betroffen ist. Der Körper erkennt Spermatozoen häufig als „körperfremde“ Objekte, jedoch sind sie durch Immunsuppression vor Angriffen des Immunsystems geschützt. Befindet sich der Körper jedoch im Belagerungszustand durch eine bakterielle Infektion, werden zusätzliche Immunantworten mobilisiert, die in einem Angriff auf das eigene Sperma des Männchens gipfeln und damit die Qualität des Ejakulats mindern könnten. Genau das passiert männlichen Grillen und anderen Gliederfüßern, wenn sie experimentell mit Bakterien infiziert werden.

Infizieren sich männliche Leopardfrösche (mehrere Arten der Gattung Rana) mit dem Chytridpilz (Batrachochytrium dendrobatidis), der mit Populationsrückgang und Aussterben von Amphibien auf der ganzen Welt in Verbindung gebracht wurde, kommt es zu einer Zunahme von Durchmesser und Volumen der Hoden bei erhöhter Spermienproduktion. Dies könnte als aufrichtiges Signal des letzten Sexualaufwands interpretiert werden, jedoch haben die Biologen die Qualität des Spermas noch nicht untersucht. Es ließe sich nicht als aufrichtiges terminal investment einordnen, wenn die Infektion zu einer Minderung der Spermienqualität führt.

Wenn ich mir diese Beispiele ansehe, bin ich wirklich dankbar, dass ich ein Mensch bin, denn wir können den Großteil unserer Erkrankungen auskurieren, bevor es im Schlafzimmer zur Sache geht. Auch wenn es bei uns durchaus arteigene Versionen des terminal investment gibt (etwa die Entnahme von Ei- oder Samenzellen, bevor eine Patientin bzw. ein Patient sich einer Chemo- oder Strahlentherapie unterzieht), herrschen sie doch nicht annähernd so stark vor wie in der Natur.

Wenn wir aus den Kapiteln im vorangegangenen Abschnitt etwas gelernt haben, dann das: Sex als Vorgang beginnt lange, bevor Gameten ausgetauscht werden. Die Fähigkeit, einen passenden Partner zu erkennen und erfolgreich zu umwerben, ist von entscheidender Bedeutung für das ultimative Ziel der Kopulation und selten ein problemloses Unterfangen. Soziale, biologische und Umweltfaktoren können das Ergebnis der Partnersuche und Balz beeinflussen und manchmal scheint es nahezu unmöglich, dass es irgendeinem Tier überhaupt gelingt, einen geeigneten Partner zum passenden Zeitpunkt zu finden. Trotz der Risiken von Krankheit, Täuschung und ausgesprochen schmutzigen Tricks lautet das Fazit, dass die Hindernisse für die meisten Mitglieder einer beliebigen Art in der Regel für die Dauer wenigstens einer Runde der Partnerfindung überwunden werden können. Wenn es dann so weit ist und die Partner bereitstehen, kommt die nächste kritische Phase: der eigentliche Sex.

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