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Vorwort

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Was ist Sex? Nach seiner biologischen Definition das Zusammentreffen von männlichen und weiblichen Geschlechtszellen zur Erzeugung von Nachwuchs. Dabei geht es beim Sex doch um so viel mehr als nur um das Zusammenkommen von Spermium und Eizelle. Kaum ein Aspekt des Lebens ist nicht in irgendeiner Weise vom Sex betroffen – sogar beim Menschen. Alltägliche Funktionen wie Essen, Schlafen und die Vermeidung des eigenen Todes sind nur deswegen relevant, weil sie sexuelle Begegnungen ermöglichen. In der Welt der Biologie hat es keinen Wert zu überleben, wenn man sich nicht fortgepflanzt hat. Aber Sex geschieht nicht einfach. Man muss lange und sorgfältig suchen, um den perfekten Partner zu finden. Man muss dafür sorgen, dass man für ihn ebenso attraktiv ist wie er für einen selbst. Der richtige Zeitpunkt ist von entscheidender Bedeutung, da der bevorzugte Partner gerade im gewünschten Augenblick entweder für die eigenen sexuellen Annäherungsversuche zur Verfügung steht oder eben nicht. Was ist, wenn der oder die Geliebte zufällig eine Art von Sex möchte, die einen selbst nicht interessiert? Soll man zustimmen oder wendet man seine Aufmerksamkeit lieber anderen potenziellen Gefährten zu? Und wenn er oder sie einen nicht gehen lässt? Sex und Tod sind eng miteinander verknüpft und die Wünsche von Sexualpartnern liegen selten auf einer Linie.

Geht es beim Sex um Gesellschaft? Liebe? Leidenschaft? Fortpflanzung? Die Antwort lautet: alles und nichts davon, abhängig von unzähligen biologischen und ökologischen Faktoren. Eins ist auf jeden Fall klar: Sex ist ein zentraler Teil der Existenz jedes einzelnen Lebewesens auf der Erde. Für Menschen bedeutet Sex Trost, Spaß, Nahrung, Leben. Er kann sowohl unendlichen Genuss bereiten als auch unendliche Schmerzen. Wir haben Glück, weil er für uns überwiegend genussvoll ist. Für die meisten anderen Lebewesen gilt eher die zweite Option. Wenn wir uns in diesem Buch mit den Kernpunkten des unterschiedlich gearteten Sexlebens der Tiere beschäftigen, denken Sie immer an den großen Zusammenhang von Biologie und Evolution. Der Gedanke wird Sie auf dieser häufig recht düsteren Reise vielleicht trösten.

Ich werde oft gefragt: „Wie sind Sie eigentlich Expertin für die Fortpflanzung von Tieren geworden?“ Schließlich träumen nicht gerade viele kleine Kinder davon, einmal Spezialistin dafür zu werden, wie Tiere zur Sache kommen. Für mich hat sich das ganz natürlich ergeben; wenn ich heute zurückblicke, scheint es mir, als hätte alles schon genau gepasst, bevor ich mir dessen bewusst war. Ich verteidigte meine Doktorarbeit, als ich mit meinem zweiten Kind im neunten Monat schwanger war, und kurz darauf kam meine Tochter zur Welt. Als ich mit zwei kleinen Kindern zu Hause saß (aus denen schließlich drei wurden und dann vier), wandte ich mich dem Schreiben und Bloggen zu, um nicht verrückt zu werden. Ich vermisste die Biologie, ich vermisste das akademische Arbeiten, und ich fühlte mich unendlich isoliert in unserer kanadischen Kleinstadt. Ich bin nicht sicher, was ich ohne die immense Macht von Internet und Social Media getan hätte, da sich meine Karriere nur aufgrund der Tatsache entwickeln konnte, dass meine Arbeiten so problemlos aufzufinden und zugänglich waren. Zunächst schrieb ich über ganz verschiedene Themen und zog dabei immer Parallelen zwischen der einen oder anderen Form menschlichen Verhaltens und den Beispielen aus dem Tierreich, die ich beschrieb. Eins wurde jedoch bald sehr deutlich: Wenn es um Sex ging, interessierten sich die Leute immer etwas mehr für meine Geschichte (in einigen Fällen auch sehr viel mehr). Ich bekam zahlreichere Kommentare, Fragen und Rückmeldungen, wenn das Thema etwas mit Sex, Genitalien oder Partnerwahl zu tun hatte. Je schauriger die Geschichten, desto stärker die Reaktionen meiner Leserschaft.

Offenbar hören die Menschen einfach gern Geschichten über Sex. Schon die Vorstellung von Sex erregt uns alle auf einer gewissen Ebene und aller Wahrscheinlichkeit nach verbringen die meisten von uns einen großen Teil ihrer Freizeit entweder mit Sex oder mit dem Gedanken daran. Es ist nur natürlich, dass wir neugierig sind, wie das Ganze bei anderen Lebewesen abläuft. Im Großen und Ganzen ist menschlicher Sex unkompliziert und ziemlich ereignislos, wenn man uns mit vielen anderen Säugetieren vergleicht, und auf jeden Fall im Vergleich mit den Wirbellosen. Für uns ist das Konzept „Führen Sie Teil A in Öffnung B ein“ schon eine ziemlich genaue Beschreibung dessen, was für einen erfolgreichen (also Leben zeugenden) Sexualakt vor sich gehen muss. Das könnte auch bei vielen anderen Tieren so sein, wenn es nicht das Konzept der biologischen Fitness gäbe. Wissenschaftler gehen allgemein davon aus, dass alle Tiere sich so verhalten, dass sie die Repräsentation ihrer Gene in zukünftigen Generationen (also ihre biologische Fitness) maximieren. Von der Fruchtfliege bis zum Blauwal suchen alle Lebewesen erfolgreich einen Weg zwischen Kosten und Nutzen von Überleben und Fortpflanzung, um dafür zu sorgen, dass ihre eigenen genetischen Baupläne in der Population erhalten bleiben. Das bedeutet nicht unbedingt, so viele Nachkommen zu zeugen, wie ihr Körper es zulässt, weil viele Aspekte der Ökologie (also Prädationsdruck, Umweltbedingungen, Verfügbarkeit von Ressourcen) je nach Zeit und Ort variieren. Zu den wichtigsten Aspekten der biologischen Fitness im Hinblick auf Sex gehört eine große Diskrepanz zwischen den Investitionen der Weibchen und denen der Männchen.

Beginnen wir ganz von vorn. Weibchen haben teure Geschlechtszellen (Gameten), die Eier oder Eizellen. Denken wir nur einmal an uns Menschen. Wir haben einmal im Monat einen Eisprung (mit einigen wenigen Ausnahmen) und wenn die Eizelle, die wir dabei freisetzen, zufällig befruchtet wird, hat sich unser Fortpflanzungsauftrag für mindestens die nächsten neun Monate erst einmal erledigt. Unsere männlichen Gegenstücke jedoch produzieren im Durchschnitt 180 Millionen Spermien pro Ejakulat (was man als kolossale Verschwendung betrachten könnte, da nur eins von ihnen der erfolgreiche Befruchter sein wird). Neben der Möglichkeit, mit dem Inhalt eines einzigen Ejakulats einen Nachkommen zu zeugen, können die meisten Männer innerhalb von 24 Stunden mehr als einmal ejakulieren und stehen am nächsten Tag trotzdem wieder parat. Das Fazit lautet: Spermien sind reichlich vorhanden und billig, Eizellen sind selten und teuer. Diese entgegengesetzten Standpunkte von Männchen und Weibchen spiegeln sich häufig auch im Sexualverhalten wider, weil die natürliche Folge darin besteht, dass Weibchen wählerischer sind, wenn es um die Partnerwahl geht. Wenn ein Weibchen die Möglichkeit hat, Spermien zu speichern, und bereits genug davon empfangen hat, hat es wesentlich mehr davon, seine Zeit mit anderen biologisch relevanten Aktivitäten wie der Sorge für den Nachwuchs, der Nahrungssuche oder dem Meiden von Raubtieren zu verbringen. Das sind natürlich schlechte Nachrichten für alle Männchen, die noch in die Samenbank des Weibchens einzahlen wollen. Dem einzelnen Männchen wäre es lieber, wenn Weibchen ihre Samenspenden jederzeit annehmen würden, auch wenn sie später kommen als andere (Achtung, Wortspiel!); genau das aber ist der Grund für einige recht drastische Strategien zur erfolgreichen Fortpflanzung.

Auch wenn bei den meisten Organismen auf der Welt eher das Motto „Love is a Battlefield“ gilt, finden wir auch Beispiele, in denen sexuelle Aktivitäten und Partnerwahl auf beidseitigen Entscheidungen beruhen. Wird von beiden Geschlechtern ein hoher Grad an elterlichem Engagement verlangt, müssen die Männchen etwas mehr Energie auf die Entscheidung verwenden, wo sie ihren genetischen Bauplan hinterlegen (also mehr auf die Qualität des Weibchens achten). Neben den eher konjunktiven Entscheidungen, die einige Tiere im Hinblick auf ihre Sexualpartner treffen (zum Beispiel einige sozial monogame Vögel/Säugetiere/Primaten), gibt es auch Fälle, in denen der Paarungsakt tatsächlich Freude bereitet! Man stelle sich das vor: Freizeitsex zum alleinigen Zweck des Vergnügens und/oder der Entspannung. Zwar kommt es relativ selten vor, aber möglich ist es auch für andere Organismen als den Menschen, sich nur aus Genuss- und Befriedigungsgründen auf Sex einzulassen.

Der Paarungsvorgang im Tierreich lässt sich in drei getrennte Kategorien einordnen. Bevor ein Lebewesen die Chance bekommt, seine Gameten mit anderen zusammenzubringen, muss es erst einmal einen Partner finden. Wir Menschen halten es vielleicht für selbstverständlich, dass wir durch unsere komplexen Sozialpraktiken relativ leicht mit potenziellen Partnern zusammentreffen. Die meisten von uns sind sich der Tatsache nicht bewusst, dass es für viele Lebewesen bereits eine Herausforderung darstellt, mit einem Vertreter des anderen Geschlechts überhaupt in Kontakt zu treten. Im ersten Teil dieses Buches soll daher eine kleine Auswahl der zahllosen Arten umrissen werden, auf die schon das Finden eines Partners entmutigend und kompliziert sein kann.

War die Partnersuche von Erfolg gekrönt, besteht der nächste Schritt in der Kopulation selbst. Es scheint endlose Möglichkeiten zu geben, Eizellen erfolgreich zu befruchten. Wie oben schon erwähnt, arbeiten die Beteiligten dabei manchmal zusammen, allzu oft jedoch nicht. Wie befruchtet man erfolgreich eine Partnerin, die gar kein Interesse daran hat, befruchtet zu werden? Der zweite Teil des Buches gibt einen kleinen Überblick über die unzähligen Möglichkeiten, die sich dabei auftun, und wir werden auch Beispiele betrachten, in denen dieser Konflikt vielleicht in seiner intensivsten Form auftritt: bei Lebewesen nämlich, die sowohl männlich als auch weiblich sind (Hermaphroditen).

Der dritte und letzte Teil des Buches beschäftigt sich mit dem, was nach dem Akt im zweiten Teil kommt. Schließlich könnten alle Anstrengungen, die biologische Fitness zu maximieren, umsonst gewesen sein, wenn der Nachwuchs nicht heranwächst. Das Gedeihen der Jungen lässt sich entweder durch einen hohen Elternaufwand bei einer geringen Anzahl von Nachkommen sicherstellen oder im Gegenteil durch das Hervorbringen einer großen Anzahl von Nachkommen in der Erwartung, dass nur wenige von ihnen überleben werden. Zwar verfolgen bestimmte Tiere im Allgemeinen bestimmte Strategien, jedoch kommt es häufig auch zu individuellen Entscheidungen, die den Elternaufwand in seinem Ablauf verändern. Was tut man zum Beispiel, wenn plötzlich ein besserer Partner zu Verfügung steht? Was wird aus dem Nachwuchs, der von weniger hochwertigen Eltern gezeugt wurde?

Durch die Zusammenstellung der drei Teile dieses Buches (Treffen, Sex und Nachspiel) habe ich ein ganz neues Bewusstsein für die gewaltige Komplexität entwickelt, mit der jeder dieser Schritte behaftet ist. Was im Zusammenhang mit Sex normal ist, lässt sich unmöglich definieren – ein sehr wichtiger Umstand, den wir unbedingt im Hinterkopf behalten sollten. Es gibt wirklich keine regelkonforme Weise, wie die Paarung vor sich gehen kann oder sollte. Das menschengemachte Konzept dessen, was „natürlicherweise“ geschieht, fällt dabei sehr schnell in sich zusammen, denn wenn wir alles, was in der Natur geschieht, als „natürlich“ bezeichnen, müssen wir begreifen, dass dazu auch gehören kann, die Partnerin mit einem rasiermesserscharfen Penis in die Stirn zu stechen oder heranwachsende Weibchen zu befruchten, noch bevor ihre Eizellen überhaupt gereift sind. Entsetzlich? Ja. Natürlich? Ja. Obwohl es zeitweilig nahezu unmöglich erscheint, sollte die Artenvielfalt auf unserem Planeten uns daran erinnern, dass alle Tiere fähig sind, sich erfolgreich fortzupflanzen. Es mag nicht immer einfach sein, aber ganz allgemein gesprochen, wird die Tat auf jeden Fall vollbracht. Die Art, wie sie vollbracht wird, findet auf allen Organisationsebenen ihren Widerhall, ob es um Individuum, Partner, Familie oder Population geht.

Sex hat die Macht, jeden Aspekt der tierischen Gesellschaft zu beeinflussen, weil sich Männchen und Weibchen dafür dem jeweils anderen gegenüber auf spezifische, typische Art und Weise verhalten müssen. Gemeinschaften, in denen die Männchen die Weibchen überwiegend zur Paarung nötigen (vergewaltigen), haben eine vollkommen andere soziale Schichtung als Gesellschaften, in denen die Männchen die Weibchen nicht zwingen können oder es nicht tun; hier kann es vorkommen, dass wir eine umfassende Dominanz des weiblichen Geschlechts in der sozialen Hierarchie beobachten. Neben dem Akt selbst spielt Sex eine große indirekte Rolle in den Verhaltensweisen sowohl zwischen den Geschlechtern als auch in der eigenen Geschlechtergruppe. Sowohl durch die Art der Paarung als auch durch die jeweiligen beteiligten Individuen werden strategische Partnerschaften eingegangen und verstärkt. Einen bestimmten Sexualpartner zu haben, kann sich im sozialen Gefüge nach oben (oder unten) auswirken. Dasselbe gilt für unsere eigene Art: Auch Menschen bringen Sexualpartner in Stämme oder soziale Klassen, die einen direkten Einfluss auf alle Aspekte des zukünftigen Lebens ausüben – vom verfügbaren Geld bis hin zum Kontext indirekter sozialer Interaktionen mit Nicht-Sexualpartnern oder dem Potenzial für Ressourcenbeschaffung und Arbeitsstelle (oder deren Fehlen). Sex existiert ganz sicher nicht isoliert von der Sozialität, bei Menschen genauso wenig wie bei jeder anderen Tierart. Wir Menschen nehmen dabei allerdings eine Sonderstellung ein, weil für uns der Begriff der biologischen Fitness nicht im Mittelpunkt steht.

Unsere kognitiven Fähigkeiten außerhalb der Fortpflanzung haben dazu geführt, dass das Konzept der Weitergabe unserer genetischen Baupläne nahezu universell als unerheblich betrachtet wird. Homo sapiens hat eine Reihe von Möglichkeiten entwickelt, keine Nachkommen zu produzieren, damit wir unser Leben frei gestalten und mit Aufgaben füllen können, die nicht direkt mit der Fortpflanzung in Verbindung stehen, während wir uns dabei jedoch die Fähigkeit erhalten, uns weiterhin sexuell zu betätigen. Wir suchen aktiv Partner, die willens sind, eine Art der Empfängnisverhütung zu praktizieren, um genau das zu verhindern, was für jedes andere Tier auf der Welt der Sinn des Ganzen ist. Dies ist ein faszinierendes Beispiel dafür, wo unsere Art sich von allen anderen abspaltet, auch wenn das Maß, in dem wir unsere grundlegende Biologie ignorieren, je nach Kultur und Ort variiert. Trotz der Tatsache, dass wir die Fortpflanzung ausgeklammert haben, findet Sex allerdings immer noch statt! Und zwar leider ziemlich schnell und ziemlich fade im Vergleich zum restlichen Tierreich. Um es mal ganz deutlich zu sagen: Menschlicher Sex ist ausgesprochen langweilig. Die männlichen und weiblichen Genitalien passen sauber ineinander (jedenfalls überwiegend) und die durchschnittliche Zeit, die ein Mann vom Einführen bis zur Ejakulation braucht, liegt in der Regel bei unter zehn Minuten. Der menschliche Paarungsakt findet meistens in der Waagerechten statt, auf einem Bett oder einer anderen relativ bequemen Unterlage, und erfolgt relativ kooperativ zwischen den Partnern. Man vergleiche das nur einmal mit einem Männchen, das seine Genitalien für mehrere Tage an denen des Weibchens befestigt, sodass es ihn wie ein übergroßes Sexspielzeug mit sich herumschleppen muss. Oder mit einem Weibchen, das gezwungen ist, Balz und Paarungsakt unter unwirtlichen Umweltbedingungen zu ertragen oder während es sich vom Angriff eines Raubtiers erholt. Und was ist mit dem Männchen, das sich den Penis abreißen und ihn in die Genitalöffnung des Weibchens schleudern muss, bevor es ihm den Kopf abreißt? Die Welt da draußen ist hart, liebe Leser. Lehnen Sie sich zurück und machen Sie sich bereit für eine aufregende, berauschende, entsetzliche, widerliche, verlockende und wunderbare (S)Expedition ins Tierreich.

Wilder Sex

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