Читать книгу Wilder Sex - Carin Bondar - Страница 18
Geheimnisse und Lügen
ОглавлениеWie wir gesehen haben, bedeutet die Sexualtäuschung einen biologischen Reinfall, zumindest für den Getäuschten. Über einige der unverfrorensten Sexualtäuscher auf der Erde haben wir jedoch noch gar nicht gesprochen. Sie betreiben Ausbeutung im Extrem. Ich rede von pflanzlichen Sexualtäuschern und all den armen Gliederfüßermännchen, die ihre Fortpflanzungsbemühungen an Wesen verschwenden, die nicht einmal Tiere sind. Der überwiegende Teil der Beispiele für Sexualtäuschung stammt von Mitgliedern der Orchideenfamilie (Orchidaceae); kürzlich wurden jedoch auch Beispiele bei einer Schwertlilien- und einer Korbblütlerart entdeckt, was darauf hindeutet, dass die Sexualtäuschung vermutlich auf der ganzen Welt weit verbreitet ist. Sie hat sich unabhängig voneinander auf mindestens vier Kontinenten entwickelt und ihre Existenz verwirrt Evolutionsbiologen genauso wie Botaniker. Zunächst einmal stellt sich hier unwillkürlich die Frage: Warum sollte eine Pflanze wollen, dass ein Tier Sex mit ihr hat? Pflanzen brauchen Tiere (oder andere Mittler) für die Bestäubung und man geht davon aus, dass die Sexualtäuschung aus Pflanzen entstand, die den bestäubenden Insekten eine Belohnung in Form von Nahrung bieten. Nur dass in diesem Fall der gelackmeierte männliche Verehrer überhaupt nichts bekommt.
Die meisten Systeme der Sexualtäuschung sind artspezifisch, da zum Beispiel eine einzelne Insektenart eine einzelne Orchideenart bestäubt. Das steht im direkten Kontrast zu dem System, Bestäuber mit Nahrung zu belohnen, wodurch sich eine breite Palette an bestäubenden Insekten an der Verbreitung der Samen beteiligt. Es hat den Anschein, dass eine einzelne Bestäuberart effektiver ist, da weniger Pollen verloren geht oder auf der falschen Art landet.
Wie also gewinnen diese Pflanzen so wirkungsvoll die Aufmerksamkeit männlicher Möchtegernverehrer? Die eindeutigste Antwort liegt in der Chemie. Über Jahrmillionen haben Orchideen zahllose Chemikalien entwickelt, die exakte Kopien von fortpflanzungsaktiven weiblichen Gliederfüßern darstellen (überwiegend Mitglieder der Ordnung Hymenoptera [Hautflügler], einer der größten Insektenordnungen, zu denen auch Bienen und Wespen gehören). Die Genauigkeit dieser chemischen Mimikry ist erstaunlich und zweifellos das, was die Aufmerksamkeit des Männchens zunächst erregt, aber eine effektive Verkleidung als Weibchen muss die Täuschung auch dann aufrechterhalten können, wenn das Männchen nahe genug herangekommen ist, dass sein Sehvermögen ins Spiel kommt.
Wir sehen bei vielen Orchideenarten bemerkenswerte Strukturen und Farben, die das ganze Spektrum von einfacher gelber Pigmentierung des Pollens bis hin zu leuchtend gelben Kelch- und Blütenblättern abdeckt (Gelb hat eine Wellenlänge, die im Sehspektrum der Hautflügler am besten zu erkennen ist). Die Form der Blüte sowie ihr UV-Rückstrahlungsvermögen und ihre Größe sind wichtige Faktoren für die Männchen unterschiedlicher Hautflüglerarten. Bei einer Orchideenart stimmt das UV-Rückstrahlungsvermögen von Höckern auf ihrem Labellum (der inneren Struktur) perfekt mit dem UV-Rückstrahlungsvermögen der Flügel paarungsbereiter Weibchen überein. In extremen Fällen kann sich das Labellum zu einer exakten Kopie des betreffenden Weibchens entwickelt haben und bei manchen Arten zu einer etwas größeren Version eines paarungsbereiten Weibchens, um die natürliche Vorliebe des Männchens für größere Weibchen auszunutzen.
Als hätten die Hautflüglermännchen nicht ohnehin schon schlechte Karten, gibt es auch noch mehrere Faktoren, die bestimmte Hautflüglerarten besonders anfällig für Täuschungen machen. Solitäre Arten (im Gegensatz zu koloniebildenden Arten) fallen leicht auf Sexualtäuschungen herein, weil die Männchen Mechanismen entwickelt haben, durch die sie von Sexualchemikalien potenzieller Partnerinnen in der Luft angezogen werden. Sie betreiben eine intensive Brautschau und zeigen meist ein recht robustes Paarungsverhalten, sobald sie ein Weibchen gefunden haben. Während die Männchen polygyn sind (sich also mit vielen Weibchen paaren), sind die Weibchen obligat monandrisch; die ersten Spermien, die ein Weibchen erhält, zeugen also den Großteil seiner (oder alle) Nachkommen. Diese ökologischen Merkmale liefern trügerischen Orchideen ideale Rahmenbedingungen: Männchen, die sich leicht durch Chemikalien anziehen lassen und so versuchen, so viele unbegattete Weibchen zu befruchten, wie sie nur können. Zusätzlich sind die meisten Arten, die auf Sexualtäuschungen hereinfallen, haplodiploid; das bedeutet, dass befruchtete Eier weibliche Nachkommen hervorbringen und unbefruchtete männliche Nachkommen. Dank dieser Fortpflanzungsstrategie können Weibchen auch in Abwesenheit eines Samenspenders (männliche) Nachkommen hervorbringen, ein wichtiger Aspekt der einzelgängerischen Lebensweise dieser Arten
Sobald ein männlicher Bestäuber seine Orchideenliebste entdeckt hat, zeigt er verschiedene Verhaltensweisen, wieder in Abhängigkeit von der Art. Die Palette reicht vom kurzen Berühren bis zum vollen Programm der sexuellen Handlungen einschließlich Ejakulation. Der schöne Begriff „Pseudokopulation“ umfasst die Akte intensiven Sexualverhaltens, die viele Männchen an ihren „Weibchen“ vollziehen. Dabei stellen sie ihre Genitalkapseln auf und machen zuckende Bewegungen, wobei sie sie gegen verschiedene Teile der Blüte reiben. In manchen Fällen fungiert das Labellum (der innere Teil der Orchidee) als Tellereisen, das auf die Stimulation durch das Männchen reagiert, indem es zuschnappt und das Männchen vorübergehend im Inneren der Blüte gefangen hält. In einem extremen Fall, bei der Orchideengattung Pterostylis, schnappt die berührungsempfindliche Falle in Reaktion auf das sondierende Sexualverhalten eines Mückenmännchens zu. Die Orchidee öffnet sich nicht sofort wieder und zwingt das Männchen damit, durch einen kleinen Tunnel nach draußen zu kriechen, der es in direkten Kontakt mit den Fortpflanzungsstrukturen der Pflanze bringt. Das scheint für die Orchidee ein energieintensiver Vorgang zu sein (ganz zu schweigen von der Mücke, die sich durch ihre Genitalien manövrieren muss, um den Ausgang zu finden), aber die Pflanze erholt sich innerhalb von drei Stunden und kann in einem Fortpflanzungszyklus dreimal „ausgelöst“ werden.
Es scheint also, dass in diesem und in mehreren anderen Fällen deutliche Kosten für das Männchen entstehen können. Es gibt Beispiele, in denen die Täuschung durch die Orchidee so akkurat ist, dass die Männchen sich lieber mit einer Blüte als mit einem echten Weibchen paaren. In anderen Fällen beendet ein Männchen die Kopulation mit einem echten Weibchen, um eine Orchidee aufzusuchen. Solche „Fehlentscheidungen“ erweisen sich für ein Männchen als teuer im Hinblick auf die biologische Fitness, Gleiches gilt für die Verwechslung in Gebieten mit einer hohen Dichte an imitierenden Orchideen. Die Evolution begünstigt die Orchideen mit dem höchsten Grad an Sexualtäuschung und gleichzeitig die Hautflüglermännchen, die sie am besten von Weibchen unterscheiden können. Zwar haben Biologen lange angenommen, dass die Folgen der Sexualtäuschung auf die Fitness der männlichen Hautflügler aufgrund der geringen Spermienkosten zu vernachlässigen sind, doch in jüngerer Zeit argumentiert man, dass der Verlust an Zeit und Energie, der den genarrten Männchen entsteht, beträchtlich sein könnte. Männliche Bestäuberbienen, die das Kapkörbchen (Gattung Osteospermum) mit seinem Täuschungsmanöver anvisieren, zeigen kurzfristig ein deutliches Lernverhalten; nachdem sie ein Kapkörbchen besucht haben (im Gegensatz zu einem echten Weibchen), suchen sie mit geringerer Wahrscheinlichkeit direkt anschließend ein weiteres auf. Dieses Vermeidungsverhalten ist von entscheidender Bedeutung, da es widerspiegelt, dass es für das Männchen mit irgendeiner Art von Kosten verbunden sein muss, sich überhaupt mit dem Kapkörbchen einzulassen. Dies impliziert eine Form von antagonistischer Koevolution zwischen dem Sexualtäuscher und dem Getäuschten. Leider scheinen Hautflüglermännchen ein schlechtes Gedächtnis zu haben; nach 24 Stunden „erinnern“ sie sich nicht mehr daran, dass Orchideen keine Sexualpartner sind. Das kann wesentlich für die Aufrechterhaltung der Sexualtäuschung insgesamt sein.
Ein weiteres Beispiel, das einen beträchtlichen Kostenpunkt für die Männchen demonstriert, ist das der australischen Orchideengattung Cryptostylis und ihren hinters Licht geführten Bestäubern, den Schlupfwespen der Art Lissopimpla excelsa. Hier lassen sich die Wespenmännchen von den Orchideen so stark sexuell erregen, dass es zur Ejakulation kommt. Auf diese Weise wird reichlich Sperma verschwendet, was einen eindeutigen Kostenfaktor für die erschöpften Männchen darstellt, die erst nach einer bestimmten Erholungsphase (Refraktärphase) wieder ejakulieren können. Hier nimmt die Geschichte eine interessante Wendung: Auf der Grundlage der hohen Kosten für die Männchen, wenn sie in Pflanzen ejakulieren, würden wir erwarten, dass diese Strategie zu einem geringeren Bestäubungserfolg für die Orchidee führt. Mit anderen Worten, weil es für den männlichen Bestäuber negative Folgen hat, würden wir erwarten, dass er Mechanismen entwickelt, um den Sex mit den Orchideen zu umgehen, was insgesamt zu einer geringeren Bestäubungsrate führen würde. Tatsächlich aber ist das Gegenteil der Fall. Der Bestäubungserfolg der Orchidee gehört zu den höchsten unter den Sexualtäuschung betreibenden Arten. Was ist hier los? Es könnte eine Menge mit dem haplodiploiden Paarungssystem der Hautflügler zu tun haben. Selbst wenn die Männchen nach der Paarung mit den Orchideen „verbraucht“ sind, können unbefruchtete Weibchen immer noch weitere Männchen hervorbringen – die ebenfalls ganz unbedarft an diese Art von schmutzigem Sex herangehen. Zusätzlich ist die evolutionäre Selektion nach Männchen bei Haplodiploiden schwierig, weil sie nur indirekt durch die Töchter und dann durch ihre Söhne erfolgen kann. Es wäre möglich, dass die fehlende geschlechtliche Fortpflanzung bei den Schlupfwespen, die größere Mengen an unbedarften Männchen hervorbringt, die den Kreislauf fortsetzen, der Orchidee nützt. Solange es einigen Männchen gelingt, Weibchen zu befruchten, um die genetische Diversität (und die Weibchen) in der Population zu erhalten, steht der Entwicklung eines Systems nichts im Wege, in dem ein guter Teil der Fortpflanzungsbemühungen an Orchideen verschwendet wird.
Vielleicht fragen Sie sich, ob Sexualtäuschung durch Pflanzen immer die Männchen einer Art manipuliert. In der großen Mehrzahl der Fälle ist das so, aber es gibt eine Variante der Sexualtäuschung, die „Brutplatztäuschung“, die sich an die Weibchen richtet. Bei dieser Art der Täuschung geht es um den weiblichen Anteil am Geschlechtsakt: die Eiablage. Man könnte darüber streiten, ob sich das Phänomen wirklich als Sexualtäuschung einordnen lässt, da es erst auftritt, nachdem eine erfolgreiche Kopulation zwischen männlichen und weiblichen Hautflüglern stattgefunden hat, aber es stört trotzdem den Fortpflanzungsvorgang, daher zähle ich es dazu. Brutplatztäuscher (Orchideen, die im Allgemeinen durch Fliegen oder Käfer bestäubt werden) manipulieren ihre Chemie und Morphologie, um Stellen zu imitieren, an denen Weibchen normalerweise ihre Eier ablegen. Fliegen- und Käferweibchen sind nicht dafür bekannt, ihre Eier an den angenehmsten Orten abzulegen; häufig erfolgt die Eiablage auf Aas, Dung, fermentierenden Früchten, Hefen oder Pilzen. Mehrere Arten in zahlreichen Blütenpflanzenfamilien haben im Laufe der Evolution „gelernt“, schwefelbasierte Chemikalien abzugeben, die Dung- oder Aasgeruch imitieren. Die Orchidee Dracula chestertonii hat sich so entwickelt, dass sie wie der Hut eines Pilzes aussieht, und die Orchidee Paphiopedilum dianthum hat winzige kontrastfarbene Punkte, die den Blattläusen ähneln, die ihre Bestäuber jagen. Die Orchideengattung Pterostylis entspricht sowohl in der Farbe als auch im UV-Rückstrahlungsvermögen den Wildpilzen, auf die Pilzmücken (Mycetphilidae) ihre Eier ablegen. Andere Arten, die die stumpfe Farbe von Dung oder die leuchtend rote von Aas annehmen, zeigen, dass der Evolutionsprozess auch auf bemerkenswert ekelhafte Weise funktionieren kann.