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5.Rechtsprechung des Bundesgerichts und des EuGH (1)Freihandelsabkommen

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Das FHA sieht, wie gesagt, kein übergeordnetes Gericht vor. Private können aber an die Gerichte der Vertragsparteien, das Bundesgericht einerseits und den EuGH andererseits, gelangen. Aufgrund der engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EWG war es vielleicht kein Zufall, dass das Bundesgericht das erste Höchstgericht in der gesamten zwischen der EWG und den EFTA-Ländern geschaffenen Freihandelszone war, das sich mit der Frage des Status dieser Zone im innerstaatlichen Recht der Vertragsparteien zu befassen hatte. Die Präambel des FHA verweist auf den Wunsch der Vertragsparteien, «unter Wahrung gerechter Wettbewerbsbedingungen eine harmonische Entwicklung ihres Handels zu gewährleisten, um zum Aufbau Europas beizutragen».

Das Bundesgericht ist, was das Verhältnis des internationalen Recht zum nationalen anlangt, seit 1882 dem Monismus verpflichtet, der von der Einheit von nationalem und internationalem Recht ausgeht (BGE 8 436, 443). Der Monismus steht dem internationalen Recht also positiv gegenüber. Das Bundesgericht hatte 1972 die EFTA-Konvention im Fall des Briten, der für eine Genfer Bank arbeiten wollte, liberal ausgelegt und, wie ausgeführt, das Prinzip der Nichtdiskriminierung für unmittelbar andwendbar erklärt.3 Angesichts der Reputation des Bundesgerichts hatte man erwartet, dass es bei der Anwendung des FHA zu Konflikten zwischen der offenen Schweizer Haltung und dem vermutlich restriktiveren Vorgehen des EuGH kommen könnte. Das Gegenteil trat ein.

Zwei Grundsatzurteile von 1978 und 1979 verneinten jede unmittelbare Wirkung der Vorschriften zum Wettbewerbsrecht und zum freien Warenverkehr. Die Präambel wurde nicht einmal erwähnt.

Der erste Fall, Stanley Adams, betraf Artikel 23 (1) (ii) FHA, welcher

«die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem gesamten Gebiet der Vertragsparteien oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen»

für mit dem guten Funktionieren des Abkommens unvereinbar erklärt, soweit sie geeignet ist, den Warenverkehr zwischen der Gemeinschaft und der Schweiz zu beeinträchtigen. 1973 sandte Stanley Adams, ein britischer Manager bei Hoffmann-La Roche in Basel, ein Schreiben an die EG-Kommission mit Informationen, die es der Kommission ermöglichten, das Unternehmen wegen Verstosses gegen das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung zu sanktionieren. Das Verbot war in Artikel 82 EWGV niedergelegt (jetzt Artikel 102 AEUV). Die Kommission schützte ihren Whistleblower freilich nicht; sein Name wurde dem Unternehmen bekanntgegeben. 1974 wurde Adams an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien von den Schweizer Behörden verhaftet und 1975 von den Basler Gerichten wegen Wirtschaftsspionage zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung und fünf Jahren Landesverweisung verurteilt. Seine Ehefrau, die man ebenfalls in Haft genommen und offenbar streng verhört hatte, beging in ihrer Zelle Suizid.

Die strafrechtliche Abteilung des Bundesgerichts, der sog. Kassationshof, wies mit Urteil vom 3. Mai 1978 Adams‘ Argument zurück, dass die Wettbewerbsbestimmungen des FHA EWG-Schweiz die Anwendung des schweizerischen Strafrechts hinderten und stellte fest, diese Vorschriften könnten von einem Einzelnen nicht angerufen werden. Das Bundesgericht führte aus:

«Das Freihandelsabkommen ist ein reines Handelsabkommen, das sich im wesentlichen auf die Regelung des industriellen Freihandels beschränkt […. Bei seiner Aushandlung wurde nicht nur eine Pflicht zur gegenseitigen Angleichung der gemeinschaftlichen und der schweizerischen Rechtsnormen bewusst ausgeschlossen […, sondern es wurden vielmehr die bestehenden Rechtsordnungen gegenseitig anerkannt und deren uneingeschränkte autonome Durchsetzung gutgeheissen […. Art. 23 FHA schafft sodann kein Verhaltensrecht für Private […; er stellt lediglich fest, welche Praktiken mit dem guten Funktionieren des Freihandelsabkommens unvereinbar seien, verbietet diese aber nicht, bezeichnet sie auch nicht als rechtswidrig und erklärt sie im Gegensatz zu [… [den Wettbewerbsvorschriften] des EG-Vertrages weder als nichtig noch sieht er Sanktionen vor; er ermächtigt die Vertragsparteien lediglich, gemäss den in Art. 27 FHA festgelegten Voraussetzungen und Verfahren geeignete Massnahmen zu treffen. Die Anwendung innerstaatlicher Rechtsnormen hat demnach nicht zurückzustehen, wenn die Wettbewerbsgrundsätze des Freihandelsabkommens beeinträchtigt werden. Ist Art. 23 FHA keine Verbotsnorm, so kann er auch nicht verletzt werden [….» (BGE 104 IV 175, Erw. 2. c.)

Adams war damit der Zugang zur Justiz verwehrt. Mit diesem illiberalen Ansatz folgte das Bundesgericht der Meinung des Bundesrates, der kurz zuvor die unmittelbare Anwendbarkeit von Artikel 23 FHA abgelehnt hatte. Die Auffassung der EWG wurden nicht berücksichtigt. Stanley Adams ist einer der Fälle, in denen sich die Nähe des Bundesgerichts zur Politik fatal ausgewirkt hat.

Im zweiten Fall, Omo, ging es um die Anwendung der Bestimmungen des FHA über den freien Warenverkehr (Artikel 13 und 20) im Zusammenhang mit Parallelimporten. Diesmal war die Erste Zivilabteilung des Bundesgerichts am Zug. Sunlight, eine Tochtergesellschaft der niederländischen Unilever-Gruppe, produzierte ein Waschmittel, das sie in der Schweiz unter der im Schweizer Markenregister eingetragen Marke «Omo» verkaufte. Im Juli 1976 stellte Sunlight fest, dass die Firma Bosshard Waschmittel mit der Marke «Omo» anbot, die sie von der deutschen Tochtergesellschaft von Unilever zu einem sehr niedrigen Preis erworben hatte. Sunlight klagte gegen Bosshard vor dem Handelsgericht Zürich mit dem Begehren, den Verkauf von Waschmittel aus Deutschland unter der Marke «Omo» zu verbieten. Das Handelsgericht entschied zugunsten der Klägerin. Bosshard rief das Bundesgericht an.

Nach Artikel 24 litera c des (alten) Markenschutzgesetzes konnte zivilrechtlich belangt werden, wer Erzeugnisse oder Waren, von denen er wusste, dass sie mit einer nachgemachten, nachgeahmten oder rechtswidrig angebrachten Marke versehen waren, verkaufte, feilhielt oder in Verkehr brachte. Gemäss der geltenden Rechtsprechung konnte ein Schweizer Markeninhaber die Einfuhr von Waren, die in ein und demselben Unternehmen hergestellt wurden, allerdings nicht verbieten. Unter diesen Umständen konnte es keine Verwechslung geben, wenn Schweizer Konsumenten die Marke nicht nur mit der Schweizer Tochtergesellschaft, sondern auch mit einem Unternehmen desselben Konzerns identifizierten. Wenn wesentliche Unterschiede zu einer Verwechslungsgefahr hinsichtlich der Herkunft der Waren führten, war der Markeninhaber jedoch berechtigt, die Einfuhr zu untersagen. Im vorliegenden Fall stellte das Bundesgericht in seinem Urteil vom 25. Januar 1979 solche Unterschiede fest. Die entsprechende Passage verdient es, wörtlich wiedergegeben zu werden.

«Das OMO-Waschmittel der Klägerin unterscheidet sich zudem durch die beigemischten blauen Nadeln, das Parfum und seine textilschonende Wirkung namentlich von demjenigen der deutschen Firma. Bei solchen Unterschieden ist es den schweizerischen Abnehmern, wie die Vorinstanz insbesondere gestützt auf ein EMPA-Gutachten feststellt, nicht gleichgültig, ob sie OMO-Ware irgendeines Betriebes kaufen. Hausfrauen laufen beim Kauf von OMO-Packungen deutscher Herkunft vielmehr Gefahr, über die schonende Behandlung der Wäsche oder andere Eigenschaften des schweizerischen Erzeugnisses getäuscht zu werden.» (Erw. 2.b.)

Woher das ausschliesslich mit Männern besetzte Gericht wusste, dass sich Schweizer Hausfrauen tatsächlich um solche Unterschiede kümmerten, blieb offen.

Nach Artikel 13 FHA waren mengenmässige Einfuhrbeschränkungen bis zum 1. Januar 1973 und alle Massnahmen gleicher Wirkung bis zum 1. Januar 1975 aufzuheben. Nach Artikel 20 FHA sind Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverbote oder -beschränkungen aber nicht ausgeschlossen, die unter anderem aus Gründen des Schutzes des «gewerblichen und kommerziellen Eigentums» gerechtfertigt sind. Der Ausdruck «gewerbliches und kommerzielles Eigentum» meint das geistige Eigentum, d. h. auch das Markenrecht. Solche Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Vertragsparteien darstellen.

Bosshard beantragte aufgrund dieser Bestimmungen Klageabweisung. Die Erste Zivilabteilung verwies jedoch auf den Präzedenzfall des Kassationshofs Stanley Adams und entschied am 25. Januar 1979:

«Aus der Entstehungsgeschichte des FHA ist festzuhalten, dass dieses ein reines Handelsabkommen ist, das nicht wie der EWG-Vertrag einen einheitlichen Binnenmarkt mit überstaatlicher Wettbewerbsordnung, sondern bloss eine Freihandelszone schaffen will. Es beschränkt sich zudem im wesentlichen auf den industriellen Freihandel. Bei seiner Aushandlung wurde nicht nur eine Pflicht zur gegenseitigen Angleichung der gemeinschaftlichen und schweizerischen Rechtsnormen bewusst ausgeschlossen; die bestehenden Rechtsordnungen und deren uneingeschränkte autonome Durchsetzung wurden vielmehr gegenseitig vorbehalten […. Das Abkommen sieht auch kein Organ vor, das wie der Europäische Gerichtshof als Institution der EWG die unmittelbare Anwendbarkeit einzelner Normen für die Vertragsparteien verbindlich festlegen könnte. Es begnügt sich mit einem Gemischten Ausschuss, der für die ordnungsgemässe Erfüllung des Abkommens zu sorgen hat, aber nur Empfehlungen aussprechen kann (Art. 29 FHA).

Diese Unterschiede sind auch bei der Auslegung einzelner Bestimmungen zu beachten, weshalb es entgegen den Einwänden der Beklagten nicht angeht, die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu analogen Bestimmungen des EWGV unbesehen zu übernehmen. Die Schweiz wird durch das Abkommen nicht gezwungen, ihre Wirtschaftspolitik und innere Gesetzgebung mit derjenigen der EWG zu harmonisieren, mag es auch nahe liegen, in konkreten Fällen für gleichartige Probleme ähnliche Lösungen wie die Nachbarstaaten anzustreben […; dies ändert jedoch nichts daran, dass der schweizerische Richter das Abkommen seinem handelspolitischen Charakter und Zweck entsprechend autonom auszulegen und anzuwenden hat. Staatsverträge sind zudem in erster Linie nach ihrem Text auszulegen. Ist dieser klar und seine Bedeutung, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus dem Gegenstand und Zweck des Vertrages ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine andere Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder aus der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist […].

Art. 13 FHA ist nach seinem Wortlaut klar, und für eine davon abweichende Auslegung liegen keine Anhalte vor. Mit ‹Massnahmen gleicher Wirkung› können nur solche gemeint sein, welche die Wareneinfuhr unmittelbar betreffen. Einfuhrverbote oder -beschränkungen, die zum Schutze des gewerblichen Eigentums gerechtfertigt sind, werden in Art. 20 FHA ausdrücklich vorbehalten. Solche Vorbehalte können sich aber auch aus dem schweizerischen Markenrecht ergeben, die Anwendung des Art. 13 FHA folglich ausschliessen.

Die Vorschriften des Art. 13 richten sich zudem an den schweizerischen Gesetzgeber und an die Verwaltung. Dass sie Rechte und Pflichten begründen würden, welche der schweizerische Richter in einem Entscheid über eine zivilrechtliche Streitigkeit zu beachten hätte, ist ihnen nicht zu entnehmen.» (BGE 105 II 49, Erw. 3. a. und b.)»

Kurze Zeit danach schlug der österreichische Oberste Gerichtshof im Fall Austro-Mechana eine ähnliche Linie ein. Die Sprache war allerdings deutlich zurückhaltender (ÖBl 1980, 25).

Richter des EuGH hatten dem Bundesgericht kurz vor der Verkündung des Omo-Urteils einen Besuch abgestattet, offensichtlich in der Hoffnung auf eine Aufweichung der harten Stanley Adams-Rechtsprechung. Die Erwartung war vergeblich. Der EuGH blieb freilich nicht tatenlos. Gelegenheit zur Antwort auf den engstirnigen Ansatz des Bundesgerichts bot sich kurze Zeit später in den Rechtssachen Polydor (Rs. 270/80) und Kupferberg (Rs. 104/91). Beide Urteile wurden in der Literatur ausführlich diskutiert. Weniger bekannt ist, dass Kommentare in der Neuen Zürcher Zeitung («NZZ»), die unter dem Kürzel «ee.» erschienen sind, von Professor Pierre Pescatore, dem damaligen Luxemburger Richter am EuGH, verfasst wurden. Das hat mir nicht nur der damalige NZZ-Wirtschaftsredaktor Reinhold Gemperle, sondern auch Pescatore selbst bestätigt. Natürlich hat Pescatore damit seinen Eid gebrochen, das Beratungsgeheimnis zu wahren, aber das ist vorliegend nebensächlich. Die Bemerkungen enthüllen, was einer der einflussreichsten Richter des EuGH im Sinn hatte und sie beleuchten die handelspolitischen Implikationen der unterschiedlichen Ansätze des Bundesgerichts und des EuGH.

Die Rechtssache Polydor ging am 8. Dezember 1980, knapp zwei Jahre nach dem Omo-Urteil des Bundesgerichts, beim EuGH ein. Auch hier waren Parallelimporte das Thema. Polydor stellte als Lizenznehmer der englischen Gesellschaft RSO Records nach britischem Urheberrecht Schallplatten und Kassetten von urheberrechtlich geschützten Aufnahmen her, die im Vereinigten Königreich verkauft wurden. In Portugal wurden Schallplatten und Kassetten mit denselben Aufnahmen von zwei portugiesischen Firmen, Phonogram und Polygram Discos, die Lizenznehmer von RSO für Portugal waren, hergestellt und vertrieben. Simon Records importierte solche Schallplatten aus Portugal in das Vereinigte Königreich. RSO und Polydor erhoben gegen Simon Records und dessen Kunden Harlequin Klage, um zu verhindern, dass sie die Platten in Grossbritannien importierten und vertrieben. Es war ein klassischer Fall des Parallelimports. Der englische Court of Appeal legte dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor. RSO und Polydor argumentierten, eine Auslegung des FHA EWG-Portugal im Lichte der Auslegung der parallelen Bestimmunen des Gemeinschaftsrechts würde den Erzeugern in Drittländern einen einseitigen Vorteil zum Nachteil der Produzenten in der Gemeinschaft verschaffen. Den Inhabern von Patenten, Urheberrechten und anderen geistigen Eigentumsrechten in der Gemeinschaft würde die Möglichkeit genommen, ihre Rechte gegenüber Einfuhren aus EFTA-Ländern (in casu Portugal) geltend zu machen, ohne dass sie in diesen Ländern die gleiche Behandlung in Anspruch nehmen könnten. Die Regierungen Dänemarks, Deutschlands, Frankreichs, der Niederlande und des Vereinigten Königreichs verwiesen auf die vom EWG-Vertrag verschiedene Struktur des Freihandelsabkommens und auf die Tatsache, dass Streitigkeiten durch Konsultationen zwischen den Vertragsparteien oder gegebenenfalls durch den Erlass von Schutzmassnahmen beizulegen sind. Harlequin argumentierte, dass die Auslegung der fraglichen Bestimmungen des EWG-Vertrags durch den EuGH die Auslegung der Bestimmungen des Freihandelsabkommens leiten sollte.

Der EuGH entschied am 9. Februar 1982, dass die Durchsetzung der nach dem Recht eines Mitgliedstaates geschützten Urheberrechte (in casu Grossbritannien) durch den Inhaber gegen die Einfuhr und den Vertrieb von Aufzeichnungen, die von Lizenznehmern des Inhabers rechtmässig hergestellt und in Portugal in Verkehr gebracht wurden, aus Gründen des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt war. Es handle sich also nicht um eine nach dem FHA EWG-Portugal verbotene Handelsbeschränkung. Es liege auch kein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung oder eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen der Gemeinschaft und Portugal vor. Der EuGH verwies auf die Präambel des Freihandelsabkommens, die (sc. wie im FHA Schweiz-EWG) besage, dass das Freihandelsabkommen «zum Aufbau Europas beitragen soll.» Die Ähnlichkeit der Bestimmungen betreffend den freien Warenverkehr des FHA und des EWGV sei jedoch kein ausreichender Grund, um das Verhältnis zwischen dem Schutz der Rechte des geistigen Eigentums und den Vorschriften über den freien Warenverkehr aus dem Gemeinschaftsrecht auf das FHA zu übertragen. Der EuGH kam zu diesem Ergebnis, indem er die bescheideneren Ziele und die bescheidenere institutionelle Struktur des Freihandelsabkommens mit denen des EWGV verglich.

Der EuGH äusserte sich nicht zum Problem, ob sich Harlequin direkt auf Vorschriften der fraglichen Freihandelsabkommen hätte berufen können. Das fällt deswegen auf, weil der Court of Appeal zwei diesbezügliche Fragen gestellt hatte und alle fünf beteiligten Regierungen der Mitgliedstaaten entsprechende Anträge gestellt hatten. In diesem Zusammenhang ist jedoch darauf hinzuweisen, dass dem EuGH am 29. April 1981 die Rechtssache Kupferberg (Rs. 104/81) vorgelegt worden war. In diesem Fall, in dem es um das Verbot von steuerlichen Massnahmen und Praktiken diskriminierender Art ging, fragte der deutsche Bundesfinanzhof den EuGH ebenfalls nach der unmittelbaren Anwendbarkeit bzw. Direktwirkung der entsprechenden Bestimmungen des Freihandelsabkommens EWG-Portugal. Fünf EWG-Mitgliedstaaten verneinten die Frage. Offensichtlich wollte der EuGH die beiden Hauptthemen getrennt behandeln: In Polydor die Frage, ob die Bestimmungen der Freihandelsabkommen mit den EFTA-Staaten gleich auszulegen sind wie die parallelen Artikel des EWGV und in Kupferberg die Frage, die Bestimmungen direkte Wirkung haben.

Das Polydor-Urteil stammt, wie gesagt, vom 9. Februar 1982. Zwei Tage später, am 11. Februar 1982 erwähnte Pescatore in der NZZ, die Klägerin Polydor habe argumentiert, dass die Ziele des EWGV einerseits und des Freihandelsabkommens andererseits unterschiedlich seien und auf das Omo-Urteil des Bundesgerichts vom Januar 1979 und das Urteil des österreichischen Obersten Gerichtshofs vom Juli 1979 in Austro-Mechana verwiesen. Der EuGH habe sich aber nicht mit der Frage der unmittelbaren Wirkung befasst, sondern seine Analyse auf den Vergleich der Ziele des EWGV und des FHA konzentriert und sei zu dem Schluss gekommen, dass diese Ziele nicht identisch seien. Der EuGH habe das Omo-Urteil des Bundesgerichts bestätigt (sic!), aber nur in Bezug auf das Ergebnis. Die Argumentation, schrieb Pescatore, sei eine ganz andere. Das Bundesgericht habe sich auf drei Argumente gestützt:

–Erstens sei das Freihandelsabkommen ein reines Handelsabkommen, das im Gegensatz zum EWGV nicht darauf abzielte, einen einheitlichen Binnenmarkt mit einer supranationalen Wettbewerbsordnung zu schaffen.

–Zweitens habe der Begriff der Abschaffung von «Massnahmen gleicher Wirkung» nichts mit den geistigen Eigentumsrechten zu tun, da diese ausdrücklich vom Anwendungsbereich des Freihandelsabkommens ausgenommen seien.

–Drittens richteten sich die Bestimmungen des FHA Schweiz-EWG an den Gesetzgeber und die öffentliche Verwaltung; sie hätten keine Rechte und Pflichten geschaffen, die der Schweizer Richter berücksichtigen müsse.

Pescatore zufolge hatte sich der EuGH in seiner Begründung deutlich von diesen Überlegungen distanziert. Der EuGH nahm die Definition einer Freihandelszone im GATT zum Ausgangspunkt, weil in der Präambel des FHA ausdrücklich darauf Bezug genommen wird. Ich merke dazu an, dass Pescatore ein Spezialist des GATT-Rechts war, der nach seinem Rücktritt vom EuGH in grossen GATT-Verfahren als Panelist amtete.4 Der EuGH, so Pescatore weiter, habe daraufhin festgestellt, dass das FHA zu einer weitreichenden Liberalisierung des Handels zwischen den Vertragsparteien geführt habe und dass ein rudimentäres Wettbewerbssystem Teil des Abkommens sei. Geistige Eigentumsrechte seien in keiner Weise aus dem Geltungsbereich der Vereinbarung ausgeschlossen worden. Das bedingungslose Verbot von mengenmässigen Beschränkungen und Massnahmen gleicher Wirkung bleibe unberührt. Pescatore hob hervor, diese Überlegungen seien Ausdruck der Sorge des EuGH, dass die Wirksamkeit und das gute Funktionieren des Freihandelsabkommens gefährdet sein könnten. Der EuGH habe sich durch seinen freihandelsfreundlichen Ansatz von der defensiven Haltung des Bundesgerichts distanziert. Der Kommentator verwies abschliessend darauf, dass innerhalb der EWG Parallelimporte ohne Einschränkungen möglich seien, so dass die nationalen Märkte von den Inhabern geistiger Eigentumsrechte nicht mehr separat genutzt werden könnten. Aus dem Polydor-Urteil folge, dass diese Vorteile nicht auf die Konsumenten in den EFTA-Ländern ausgedehnt werden konnten. Die vom Bundesgericht initiierte Rechtsprechung habe die Situation in der Gemeinschaft nicht wesentlich verändert. Sie habe lediglich die einzelnen Märkte der Freihandelspartnerländer als Reservate für eine optimale Verwertung gegenüber den Inhabern geistiger Eigentumsrechte (sc. mit den entsprechenden negativen Folgen für die Konsumenten) gesichert.

Im zweiten Fall, Kupferberg, in dem das Urteil 8 ½ Monate nach Polydor, am 26. Oktober 1982, erging, zeigte sich der EuGH in der Frage der direkten Wirkung grosszügig und liess das Bundesgericht dadurch schlecht aussehen. Die Begründung bezog sich im Wesentlichen auf das Vorgehen des Bundesgerichts, auch diesmal ohne dass die Urteile Stanley Adams oder Omo erwähnt wurden. Höchstgerichte fahren einander nicht offen an den Karren. Kupferberg hatte Portwein aus Portugal in die Bundesrepublik Deutschland importiert. Nach deutschem Recht war ein sog. Monopolausgleich geschuldet. Bei der Berechnung stufte das zuständige Finanzgericht die eingeführten Portweine in dieselbe Kategorie ein wie lokale Likörweine. Der Bundesfinanzhof legte dem EuGH, wie gesagt, Fragen zur Vorabentscheidung vor. Die Regierungen Dänemarks, Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigte Königreichs wandten sich gegen die Anerkennung der Direktwirkung des Artikels 21 Absatz 1, der einschägigen Vorschrift des FHA EWG-Portugal. Sie führten drei Argumente an: die fehlende Gegenseitigkeit, die Tatsache, dass die Freihandelsabkommen von Gemischten Ausschüssen verwaltet werden und das Vorhandensein von Schutzklauseln, was bedeute, dass die Verpflichtungen der Abkommensparteien nicht bedingungslos sind.

Der EuGH stellte fest, dass das in Artikel 21 Absatz 1 FHA EWG-Portugal niedergelegte Verbot von steuerlichen Massnahmen und Praktiken diskriminierender Art unmittelbar anwendbar und geeignet sei, einzelnen Wirtschaftsbeteiligten Rechte zu verleihen, die von den Gerichten geschützt werden müssen. Dass mit dem Gemischten Ausschuss ein besonderer institutionellen Rahmen für die Umsetzung des Abkommens bestehe, wie die Regierungen Dänemarks, Deutschlands, Frankreichs und des Vereinigten Königreichs betonten, reiche nicht aus, um eine Anwendung des Abkommens durch die Gerichte auszuschliessen. Das stand in klarem Gegesatz zu dem, was das Bundesgericht in Omo entschieden hatte. Ob die fragliche Bestimmung bedingungslos und hinreichend klar war, um eine unmittelbare Wirkung zu erzielen, war anhand des Vertrages zu beurteilen, zu dem sie gehörte. Der EuGH entschied daher, dass Artikel 21 sowohl im Hinblick auf Sinn und Zweck des Freihandelsabkommens als auch im Hinblick auf seinen Zusammenhang geprüft werden muss. Er stellte fest, dass Artikel 21 FHA und die Parallelvorschrift des EWGV zwar dasselbe Ziel verfolgen, da sie darauf abzielen, steuerliche Diskriminierungen zu beseitigen, dass aber jede dieser beiden Bestimmungen in ihrem eigenen Zusammenhang zu betrachten und auszulegen ist. Angesichts der unterschiedlichen Ziele des FHA EWG-Portugal und des EWGV konnte die Auslegung von Artikel 95 EWGV (jetzt Artikel 110 AEUV) nicht einfach analog zur entsprechenden Bestimmung des Freihandelsabkommens angewandt werden. Das bedeutet, dass die Polydor-Formel nicht über Bord geworfen wurde. Der EuGH kam zum Schluss, dass Produkte, die sich sowohl hinsichtlich des Herstellungsverfahrens als auch hinsichtlich ihrer Eigenschaften unterscheiden, nicht als «gleichartige Produkte» angesehen werden dürfen. Likörweine, denen Alkohol zugesetzt wurde, und Weine, die durch natürliche Gärung entstanden sind, gelten daher nicht als gleichartige Erzeugnisse im Sinne der betreffenden Bestimmungen. Die Tatsache, dass die Gerichte der einen Partei bestimmte Bestimmungen des Abkommens für unmittelbar anwendbar halten, während die Gerichte der anderen Partei eine solche unmittelbare Anwendung nicht anerkennen, stellt an sich keinen Mangel an Gegenseitigkeit bei der Umsetzung des Abkommens dar.

Das Urteil Kupferberg erging, wie gesagt, am 26. Oktober 1982. Diesmal liess sich Pescatore mehr Zeit. Am 11. November 1982 stellte er in der NZZ fest, der EuGH habe erstmals über die umstrittene Frage der direkten Wirkung der Bestimmungen der Freihandelsabkommen EWG-EFTA-Staaten entschieden. Obwohl das Urteil zum FHA mit Portugal erging, gelte es für alle Freihandelsabkommen. Der Kommentator betonte, dass es bei Polydor um inhaltliche Fragen ging, nämlich um die Frage der Auswirkungen des Freihandels auf die Ausübung der Rechte des geistigen Eigentums. Kupferberg hingegen beschäftigte sich mit der direkten Wirkung. Im Hinblick auf die Stellungnahme der Regierungen der vier beteiligten Mitgliedstaaten schloss er mit der Feststellung, dass das Kupferberg-Urteil einerseits zeigt, dass der EuGH von den Mitgliedstaaten unabhängig ist. Andererseits sei klar, dass der EuGH sehr wohl zwischen dem internen Recht der Gemeinschaft und den Beziehungen zu Drittländern zu unterscheiden wisse. Es bestehe keine Gefahr, dass die EFTA-Staaten in die Integrationsdynamik des Gemeinsamen Marktes hineingezogen würden. Vielleicht könnte dies die Gerichte dieser Länder, die – möglicherweise voreilig – Stellung bezogen hätten, veranlassen, ihre Position in Bezug auf die Direktwirkung der Freihandelsabkommen zu ändern. Letzteres war ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Adresse von Lausanne.

Die in Rede stehende Rechtsprechung ist mit der liberalen Tradition des Bundesgerichts nicht vereinbar. Sie hat den Umgang mit dem EuGH unnötig erschwert. Leider besteht bis heute keine Klarheit darüber, ob Stanley Adams und Omo noch gelten. Das Bundesgericht hat sich zwar in späteren Fällen wiederholt mit der Frage der direkten Wirkung von Bestimmungen des FHA Schweiz-EWG befasst. Es gibt jedoch keine klare Linie und Stanley Adams und Omo wurden nie offen geändert «overruled». Dass das potentielle Kläger abschreckt, die damit als mögliche Promotoren des Freihandels ausfallen, bedarf keiner Erläuterung. Mit dieser Rechtsprechung wurde die faktische Herrschaft der Bundesverwaltung zementiert. Es fehlt nicht nur ein übergeordnetes Gericht. Es ist auch fraglich, ob Private in der Schweiz sich auf das Abkommen berufen können.

Absurderweise hat die Zweite öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts im Jahre 1990 seine Banque de Crédit international-Rechtsprechung zum Niederlassungsrecht nach der EFTA-Konvention5 bestätigt, ohne sich mit den beiden Sündenfällen zum FHA auseinanderzusetzen. In guter liberaler Tradition stellte das Bundesgericht fest, entgegen der Auffassung des Bundesamtes für Industrie, Handel und Arbeit und des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements hätten die Bestimmung der EFTA-Konvention Vorrang vor der Politik des Bundesrates, die Zahl der ausländischen Arbeitskräfte zu stabilisieren (BGE 116 Ib 299, Erw. 2. b.).

Auch in den dualistischen nordischen EFTA-Ländern hatten Private nach den jeweiligen (mit dem Abkommen der Schweiz i.W inhaltsgleichen Freihandelsverträgen) keinen Zugang zu den Gerichten. Die direkte Wirkung wurde dadurch ausgeschlossen, dass die Freihandelsabkommen nicht in nationales Recht umgesetzt worden waren. Der Stockholmer Professor Ulf Bernitz bezeichnete die schwedische Haltung (die sich per Saldo nicht von der Haltung aller anderen EFTA-Länder und ihrer Gerichte unterschied) als «eine Art Rechtsprotektionismus» («kind of legal protectionism»). Die Asymmetrie in der EWG einerseits und der EFTA andererseits hinsichtlich des Zugangs zur Justiz war Gegenstand heftiger Kritik. Der verstorbene Professor der Universität Neuenburg und spätere Bundesrichter Olivier Jacot-Guillarmod nannte den Umstand, dass Bestimmungen der zwischen der EWG und den einzelnen EFTA-Staaten geschlossenen Freihandelsabkommen direkte Wirkung im Gemeinschaftsrecht, nicht aber in den Rechtsordnungen der EFTA-Staaten entfalten können, ein judizielles Handelshemmnis.

Das Schweizer EU-Komplott

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