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(3)Freizügigkeitsabkommen

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Wie alle bilateralen Abkommen basiert das FZA im Wesentlichen auf dem EU-acquis. Gemäss Artikel 18 FZA ist der Gemischte Ausschuss befugt, die Anhänge über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und über die gegenseitige Anerkennung von Berufsqualifikationen zu ändern. Das Bundesgericht ist an solche Entscheidungen gebunden. Weigert sich die Schweiz jedoch, neue Vorschriften in die Anhänge des FZA aufzunehmen, so gibt es keine einschneidenden Konsequenzen. Das FZA fusst also nicht auf dem Prinzip der dynamischen Rechtsübernahme.6

Artikel 16 Absatz 2 Satz 3 FZA besagt, dass der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen der neuen Rechtsprechung des EuGH bestimmt, um das ordnungsgemässe Funktionieren des Abkommens zu gewährleisten. Eine solche Entscheidung macht die betreffende EuGH Rechtsprechung für das Bundesgericht verbindlich (BGE 132 V 423 Erw. 9.2.). Es liegt eine vereinfachte Form eines internationalen Abkommens zwischen der EU und der Schweiz vor. Insoweit besteht eine Parallele zur Rechtslage im EWR. Der EFTA-Gerichtshof hat in der Rechtssache CIBA festgestellt, dass eine Entscheidung des Gemeinsamen EWR-Ausschusses, der wie der Gemischte Ausschuss nach dem FZA ein diplomatisches Organ darstellt, eine solche Vereinbarung zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der EWR/EFTA andererseits darstellt (E-6/01, CIBA / Norwegen).

Wie das EWRA enthält das FZA besondere Homogenitätsregeln, die auf eine einheitliche Auslegung abzielen. Artikel 16 FZA bestimmt unter der Überschrift «Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht»:

«(1) Zur Erreichung der Ziele dieses Abkommens treffen die Vertragsparteien alle erforderlichen Massnahmen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden.

(2)Soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird hierfür die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet. Um das ordnungsgemässe Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, stellt der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung fest.»

Auf dem Papier gehen diese Homogenitätsbestimmungen weniger weit als die des EWR-Rechts. Artikel 6 EWRA und Artikel 3 Absatz 2 des Abkommens der EFTA-Staaten über die Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs verpflichtet den EFTA-Gerichtshof, die einschlägige Rechtsprechung des EuGH vor der Unterzeichnung der Abkommen (2. Mai 1992) zu befolgen und die nach diesem Zeitpunkt ergangene Rechtsprechung gebührend zu berücksichtigen. Die Unterscheidung zwischen alter und neuer Rechtsprechung ist politisch wichtig. Aber der EFTA-Gerichtshof hat sich nie darauf berufen, um sich neuer Rechtsprechung des EuGH zu widersetzen. Allerdings ist der EFTA-Gerichtshof dem EuGH in einer ganzen Anzahl von Fällen nicht gefolgt. Das wurde aber auf inhaltliche Überlegungen gestützt und erfolgte unabhängig davon, ob ein Urteil des EuGH vor oder nach dem 2. Mai 1992 ergangen ist.7 Daher gibt es in dieser Hinsicht gewisse Unterschiede zwischen der Situation im Rahmen des FZA und des EWRA. Das Bundesgericht interpretiert die Pflicht, die alte Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen, dahin, dass diese massgebend sind. Das Eidgenössische Versicherungsgericht, das 2007 in das Bundesgericht integriert wurde, hat in einem wegweisenden Urteil in italienischer Sprache vom 24. Juni 2006 sogar den Begriff «vincolante» (verbindlich) verwendet (BGE 132 V 423, Erw. 9.2.).

Hingegen fühlt sich das Bundesgericht nicht an die neue Rechtsprechung des EuGH gebunden. Es ist jedoch bereit, neuer Rechtsprechung auch ohne Entscheidung des Gemischten Ausschusses fallweise zu folgen, um eine parallele Rechtslage und einen einheitlichen Raum der Freizügigkeit zu schaffen. Dass die Bestimmungen des FZA direkte Wirkung entfalten können, wurde nie bezweifelt. Private können sich grundsätzlich auf sie berufen.

In einem wichtigen Urteil vom 29. September 2009 änderte die Zweite öffentlichrechtliche Abteilung des Bundesgerichts seine bisherige Rechtsprechung zum Aufenthaltsrecht eines Nicht-EU-Bürgers im Lichte des EuGH-Urteils vom 11. Mai 2009 in der Rechtssache Metock (BGE 136 II 5; C-127/08 Metock). Ein Palästinenser, dessen Asylantrag abgelehnt und der zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt worden war, heiratete eine spanische Staatsbürgerin mit einer Schweizer Niederlassungsbewilligung. Insgesamt hatte der Mann fast 13 Jahre in der Schweiz verbracht. In Metock hatte der EuGH die damals neue Unionsbürgerschaftsrichtlinie (RL 2004/38/EG) auf alle Familienangehörigen angewandt, die ihren Ehegatten mit Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen. Es wurde festgestellt, dass das Recht auf Familiennachzug nicht mehr von einem vorherigen rechtmässigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat abhängt. Eine solche Voraussetzung wurde als Verletzung der EU-rechtlichen Regelung der Familienvereinigung gewertet. Die Praxisänderung des Bundesgerichts ist besonders pikant, weil die Zweite öffentlichrechtliche Abteilung auch ihren bisherigen Ansatz auf die Rechtsprechung des EuGH gestützt hatte, nämlich auf dessen Urteil in der Rechtssache Akrich vom 23. September 2003 (BGE 130 II 1 und BGE 134 II 10, mit Verweis auf Rs. C-109/01, Akrich). Dort hatte der EuGH festgestellt, dass das Recht auf Nachzug nur für Drittstaatsangehörige gilt, die sich bereits rechtmässig in einem EU-Staat aufgehalten haben. Zu beachten ist, dass auch das Akrich-Urteil eine neue Rechtsprechung darstellte.

In einem weiteren Grundsatzurteil vom 5. Januar 2010 entschied die Zweite öffentlichrechtliche Abteilung, dass die ausländischen Kinder des Drittstaatsangehörigen eines französischen Staatsbürgers ein Recht auf Familiennachzug nach Artikel 3 Absatz 2 litera a FZA haben. Die Abteilung betonte, dass sie nicht verpflichtet sei, die neue Rechtsprechung des EuGH zu übernehmen. Aber um eine parallele Rechtslage zwischen den EU-Mitgliedstaaten und der Schweiz herzustellen, folgte sie dem Ansatz des EuGH in seinem Urteil vom 17. September 2002 in der Rechtssache Baumbast (C-413/99 Baumbast). Die Abteilung vertrat die Auffassung, dass das Urteil Baumbast, das nach dem Datum der Unterzeichnung des FZA erlassen wurde, auf der alten Rechtsprechung des EuGH beruhte, nämlich auf dem Urteil Echternach und Moritz vom 15. März 1989 (Rs. 389/87, Echternach und Moritz). Sie fügte hinzu, der gewählte Ansatz entspreche auch dem Zweck der Familienzusammenführung und der vorherrschenden Auffassung in der Schweizer Literatur (Urteil 2C_269/2009 vom 5. Januar 2010, Erw. 4.3 ff.). Insgesamt wird die Bestimmung, wonach die nach dem Datum der Unterzeichnung ergangene Rechtsprechung des EuGH gebührend zu berücksichtigen ist, in diesen Fällen faktische als Pflicht verstanden, dieser Rechtsprechung Rechnung zu tragen, also sie zu befolgen. Die Literatur spricht denn auch von der Relativität der Frist für die Übernahme der Rechtsprechung des EuGH.

Es ist offensichtlich, dass das Bundesgericht grosse Anstrengungen unternimmt, um im Bereich der Personenfreizügigkeit einen einheitlichen Rechtsraum zwischen der Schweiz und der EU zu gewährleisten. Trotzdem gibt es keine Rechtssicherheit. Insbesondere in politisch sensiblen Fällen ist es denkbar, dass sich das Bundesgericht weigert, der neuen Rechtsprechung des EuGH zu folgen. Ein wichtiges Beispiel ist die Frage der Exportierbarkeit von Hilflosenentschädigung. In dem bereits genannten Urteil vom 24. Juli 2006 vertrat das Eidgenössische Versicherungsgericht die Auffassung, dass die Rechtsprechung des EuGH zum EU-Recht, die in diesem Bereich eine Pflicht zur Ausfuhr statuiert hat, aus der Zeit nach der Unterzeichnung des FZA stammt. Eine Übernahme dieser Rechtsprechung wurde daher als nicht gerechtfertigt angesehen (BGE 132 V 423). Dabei sind zwei Dinge zu beachten: Erstens gab es in diesem konkreten Fall gute Argumente dafür, dass die neue Rechtsprechung des EuGH auf der alten (verbindlichen) Rechtsprechung des EuGH beruht. Zweitens entschied der EFTA-Gerichtshof kurz darauf in einem Fall betreffend Liechtenstein, dass nach dem im Wesentlichen identischen EWR-Recht die Hilflosenentschädigung in andere EFTA- und EU-Staaten des EWR exportiert werden musste (E-5/06, ESA / Liechtenstein).

Angesichts der grundsätzlich integrationsfreundlichen Praxis des Bundesgerichts mögen einige in der Schweiz gehofft haben, dass der EuGH von der Anwendung seiner Polydor-Rechtsprechung auf das FZA absehen würde. Wie ausgeführt, ist die Ähnlichkeit des Wortlauts laut Polydor kein ausreichender Grund, die Auslegung der Regeln des EU-Rechts auf die parallelen Bestimmungen der Freihandelsabkommen mit den EFTA-Staaten von 1972 zu übertragen. Entsprechend kann es im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz zu Diskriminierungen kommen, die im Unionsrecht ausgeschlossen wären.8 In den Rechtssachen C-351/08 Grimme, C-541/08 Focus Invest AG und Hengartner und C-70/09 Gasser enttäuschte die Vierte Kammer des EuGH die genannten Erwartungen. Sie verwies auf das Schweizer Nein zum EWR und wandte Polydor auf das FZA an. Bestimmte Diskriminierungen sind daher im Rahmen dieses Abkommens möglich, die nach dem Unionsrecht und dem EWRA rechtswidrig wären. Die ausdrückliche Feststellung, wonach die Schweiz das EWRA abgelehnt hat, welches den Weg für die gleiche Auslegung wie im EU-Recht geebnet hätte, zeigt, dass der EuGH daran Anstoss nimmt, dass es im Rahmen des FZA keinen Überwachungs- und Gerichtsmechanismus gibt. Und wie oben erwähnt, hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung Stanley Adams und Omo nie revidiert.9 Hier wird ein Mangel an Präjudizienbewusstsein offenbar.

Aus der Sicht der Mehrheit des Bundesrates und der Bundesverwaltung lag eine politische Funktion des FZA darin, dass ein weiterer PNR auf dem Weg zu einem EU-Beitritt geschaffen wurde. Überdies wurde betont, dass die Personenfreizügigkeit bei einer künftigen EU-Beitrittsabstimmung keine Probleme mehr bereiten würde. Dasselbe gilt natürlich für das Landverkehrsabkommen.

1Unten, Kapitel 4, III.

2Vgl. unten, Kapitel 9, VI. 2.

3Oben, Kapitel 1, I. 3.

4Vgl. z.B. GATT Panel Report, United States Section 337 of the Tariff Act of 1930, L/6439, BISD 36S/345 (7. November 1989).

5Oben, Kapitel 1, I. 3.

6Unten, Kapitel 7, III.

7Unten, Kapitel 7, V. 7.

8Oben, Kapitel 1, III. 5.

9Oben, Kapitel 1, III. 5.

Das Schweizer EU-Komplott

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