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Das Tagebuch

3. Blätterfall 1713, Viertmorgen

Erst heute, über zwei Viertel nach meiner letzten Begegnung mit Emily, genehmigte man mir einen zweiten Besuch in der Nervenheilanstalt. Zwei Viertel, in denen die Tränen, die ich in Emilys Wohnung gefunden hatte, unablässig meine Gedanken beherrschten. Inzwischen habe ich gelernt, die Blicke der Spiegelbilder zu ignorieren.

Nachdem ich beim Empfang Emilys Namen genannt hatte, wies man mich an, im Wartezimmer Platz zu nehmen. Obwohl ich der einzige Besucher war, musste ich mich eine geschlagene halbe Stunde gedulden. Anders als beim letzten Mal führte man mich nicht in die Kantine, sondern in ein Büro. Ein kleiner Mann mit einer Melone auf dem Kopf begrüßte mich. Er forderte mich freundlich auf, ihm gegenüber Platz zu nehmen, und ließ sich seinerseits hinter seinem Schreibtisch nieder. Mein Blick fiel auf ein Messingschild auf dem Schreibtisch: Professor P. Rankine, M.D., Ph.D. – Anstaltsleiter. Ich schluckte.

»Bin ich richtig darüber informiert worden, dass Sie Miss Emily End besuchen wollen?«, fragte Rankine.

»Ja, Sir.« Ich verspürte einen Kloß im Hals. Wenn man mich ins Büro des Anstaltsleiters brachte, konnte das nichts Gutes bedeuten.

Rankine räusperte sich. »Sind Sie mit ihr verwandt?«

»Nein, Sir. Sie ist eine Freundin.«

Rankine nahm seinen Hut ab und brachte eine auf Hochglanz polierte Halbglatze zum Vorschein. »Ich bedauere Ihnen mitteilen zu müssen, dass Emily gestern Nacht aus der Anstalt geflohen ist.«

»Was?!«, fragte ich heiser. Oh, Emily, warum?

»Wir suchen sie mit allen verfügbaren Mitteln. Sogar mit Hunden. Aber ihre Spur verliert sich am Rande der Stadt.« Rankine schüttelte mit bedauernder Miene den Kopf. »Dabei war sie auf dem Weg der Besserung. Es tut mir leid.« Er räusperte sich wieder. »Mister Walker, ich werde den Konstabler darüber informieren müssen, dass Sie hier waren. Er hat sicherlich einige Fragen.«

»Schon gut«, sagte ich mit belegter Stimme. »Wir kennen uns schon.« Ich erhob mich. »Einen schönen Tag noch, Doktor.«

»Ich rufe einen Wachmann, damit er Sie hinausbegleitet«, sagte Rankine, während wir uns die Hand schüttelten.

»Das ist nicht nötig. Es ist doch nur den Flur runter.« In Gedanken versunken verließ ich das Büro. Wohin konnte Emily gegangen sein? Versteckte sie sich irgendwo? In der Universität vielleicht? Oder hatte sie Treedsgow noch in derselben Nacht auf einem Schiff verlassen? Ein Flüstern schreckte mich aus meinen Gedanken.

»William.« Einer der Patienten trat aus seinem Zimmer.

»Glenn?«

(Ich kramte in meinem Gedächtnis nach dem Namen. Glenn … aber ja! Jener zwielichtige Freund von Emily. William war damals auf dem Weg zum Fourier gewesen, um sich mit Diane zu treffen – dem Mädchen, dass er im Vollrausch im Hafen kennengelernt hatte. Glenn hatte William davon überzeugt, sich um Emily zu kümmern.)

Es war noch immer unangenehm, ihm in die Augen zu sehen. Dann bemerkte ich, dass sein Blick sich verändert hatte. Nur das linke Auge war von einem so durchdringenden Blau, dass es schmerzte. Das andere schimmerte rötlich.

»Geh heute zu Raum 21 im Keller der Universität«, sagte Glenn.

»Wie bitte?«

Wieder machte der Mann eine jener Gesten, die mich an eine Marionette erinnerten. »Komm allein und sag zu niemandem ein Wort.«

In diesem Moment brach Glenn zusammen, als hätte jemand seine Fäden gekappt, und fing an, unkontrolliert zu zucken. Ich rannte los und gab dem ersten Pfleger, der mir über den Weg lief, Bescheid.

Am Abend betrat ich besagten Raum 21. Den ganzen Tag hatte ich mit mir gerungen. Vielleicht war es die falsche Entscheidung gewesen, nicht sofort zum Konstabler zu gehen.

Der Raum war mit einem Schrank, der bis unter die Decke reichte, einem Tisch, einer großen Truhe und einem Objekt, das ich erst beim zweiten Hinsehen erkannte, ausgestattet: einer länglichen Gefrierkammer. Wieso nur erinnerte sie mich an einen Sarg? Ich trat vor sie und öffnete den Deckel.

Darin lag Emily. Eiskristalle wucherten auf ihrer blauen Haut. Ihre Augen wirkten wie aus Glas. Ich stolperte rückwärts. Wandte mich um und stürzte aus dem Raum. Ich ahnte nicht, dass ich draußen schon erwartet wurde.

Meine Hand zittert. Ich kann nicht mehr schreiben. Ich fürchte, ich verliere den Verstand.

W. D. Walker

Dreizehn. Das Spiegelbild. Band 3: Roman (13. Dark Fantasy, Steampunk)

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