Читать книгу Dreizehn. Das Spiegelbild. Band 3: Roman (13. Dark Fantasy, Steampunk) - Carl Wilckens - Страница 6
ОглавлениеAsche und Rauch
Der Geruch nach Feuer hing in der Luft. Er kam vom Ruß der Kohlehütten, deren Schornsteine schwarze Wolken gen Himmel spien, während sie Erz zu Stahl verarbeiteten, um daraus Waffen für den Krieg zu schmieden. Vom beißenden Schwefelgeruch aus dem Vulkan Mount Geth, der jüngst zum ersten Mal seit Jahrtausenden wieder angefangen hatte, Feuer zu speien. Und von der Asche der Toten, die der Wind über das Land wehte.
Die Insassen von Zellenblock 13 schliefen schlecht in dieser Nacht. Nicht bloß deshalb, weil sie die zweite Nacht in Folge in der Gesellschaft eines Toten verbrachten. Dreierlei Sorten von Albträumen quälten sie. Da waren jene unter ihnen, die ihren Glauben an Godric End und den Mythos der Unbezwingbarkeit, der ihn umgab, noch nicht verloren hatten. Die nach wie vor hofften, dass er sie befreien und zum Sieg über den Schwarzen Baron führen würde. Godric End hatte geradeheraus gesagt, dass er den Krieg gewollt hatte, nicht um Gerechtigkeit herbeizuführen, sondern Zerstörung. Aber war es nicht ihnen allen so ergangen? Hatten die Barone nicht eine Welt erschaffen, in der für Gerechtigkeit kein Platz war? Was sonst könnte man wollen, als diese Welt zu zerstören, damit sich aus ihrer Asche eine neue, bessere erheben konnte?
Jene Männer durchlebten in ihren Träumen, was am vergangenen Tag geschehen war. Sie fühlten die Hoffnung, die die beiden Ender ihnen gegeben hatten. Doch über ihnen lag der Schatten einer bösen Vorahnung. Das Wissen, dass Raysome ihnen ein Schritt voraus war. In ihren Träumen begegnete er ihnen in der Gestalt seines wahren Wesens. Mit Augen, die vor Raffgier leuchteten, und einem dämonischen Grinsen.
Dann waren da solche unter den Insassen, die sich vor End fürchteten. Nicht bloß deshalb, weil er tötete, ohne Reue zu fühlen. Fast jeder Ender oder Rabotnik, oder wie auch immer sie sich nannten, hatte schon im Kampf gegen die Barone getötet. Der Hass, der sie antrieb, ließ keinen Platz für Reue. Nein, was sie an End fürchteten, war die Aura des Übernatürlichen. Er erzählte Dinge, die sie – hätten sie nicht mit eigenen Augen jenen Schmetterling aus dunklem Mana gesehen – nicht geglaubt hätten. Von Zauberern, die sich Hibridia nannten, von magischen Spiegeln und Alchemie. Die Krähen schienen ihm zu dienen, und er kannte Wege zu töten, ohne die Zelle zu verlassen.
Solche Männer erlebten in ihren Albträumen, wie es den Endern gelang, ihren ehemaligen Helden zu befreien. Dass End seine Zelle verließ, sie mit Augen musterte, die violett glühten, und allen den Tod brachte.
Jene Männer, die von der letzten Sorte von Albträumen geplagt wurden, dachten nicht länger an den Aufstand. Dachten nicht an den Krieg oder an Godric End. Seit sie den Schmetterling aus schwarzem Mana gesehen hatten, kam ihnen zum ersten Mal der Gedanke, dass End die Wahrheit sagen mochte. War das das Ende der Welt? Würde bald der Himmel aufbrechen? Würden die Sterne auf die Erde stürzen, und das Meer über die Ufer treten und sie alle verschlingen? Gab es die dreizehn Zeichen? End hatte behauptet, dass die Spiegelbilder, die verschwanden, eines von ihnen waren. Und der Riss im Himmel? Die Vögel, die starben? Was, wenn sie hier ihre Schlachten führten, blind vor Hass – der Aufstand in Dustrien, der Krieg in den Landen – und nicht bemerkten, dass sie auf ein anderes, viel größeres Übel zusteuerten? Ein Übel, vor dem man nicht fliehen konnte!
Diese Männer sahen in ihren Träumen einen schwarzen Mahlstrom. Er verschlang alles, Menschen, Städte und Berge. Sie sahen, wie der Riss sich über ihnen ausbreitete, bis ein Netz feiner Äderchen den Himmel durchzog. Bei jedem Donnergrollen, das ihr Verstand in den unruhigen Traum wob, löste sich ein Splitter aus dem Himmel und begrub ganze Landstriche unter sich. Der Staub, den sie dabei aufwirbelten, verdunkelte den Horizont. Sie stürzten ins Meer, und turmhohe Wellen fegten über das Land hinweg und hinterließen nichts als Tod und Zerstörung.
Ronald war der Einzige, der jeden dieser Träume durchlitt. Das Fieber schüttelte ihn. Immer wieder erwachte er keuchend, drehte sich auf die andere Seite und glitt in den nächsten unruhigen Schlaf.
Erst am Morgen, noch bevor der Tag begann, bereitete das Surren der Förderbrücken ihren Qualen ein Ende.