Читать книгу Dreizehn. Das Spiegelbild. Band 3: Roman (13. Dark Fantasy, Steampunk) - Carl Wilckens - Страница 21

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End

Alles verlief nach Plan. Ich rutschte an dem Seil herunter, an dem der Tote baumelte, und schritt über den Platz auf die Gardisten zu. Jasper stürmte vor, wie um mich erledigen zu wollen, und demonstrierte meine Überlegenheit, indem er mir einige Male vor die Brust schoss. Als ich anschließend meine Pistolen zog und das Feuer auf die Gardisten eröffnete, ergriffen sie panisch die Flucht. Nur einige wenige Kugeln aus ihren Mündungen pfiffen links und rechts an mir vorbei oder prallten an meinem Panzer ab. Hätte ich meinen Revolver gehabt, wären sie wohl allesamt an Ort und Stelle gestorben. So erwischte ich zwei von ihnen tödlich, einen dritten am Arm, ehe er und der Rest in die Gassen flüchteten. Ich ließ die leergeschossenen Revolver zurück in die Holster gleiten. Als ich Roberto erreichte, der sich geistesgegenwärtig zu Boden geworfen hatte, sah er mit angst­erfülltem Blick zu mir auf. Er ahnte wohl noch nicht, dass dies eine Rettungsaktion war. Ich nahm die Maske von meinem Gesicht und seine Augen weiteten sich. Ich zog ein Messer und schnitt zunächst seinen Knebel durch. Dann machte ich mich an die Handfesseln.

»Albert?«, flüsterte Roberto. In seiner Stimme lag nicht einmal die Spur jener Wut, die ihn bei unserer letzten Begegnung erfüllt hatte. Nur Dankbarkeit, während er mich musterte, als wäre ihm der Erlöser selbst erschienen.

In diesem Moment rief jemand: »Roberto!«, und schnelle Schritte hallten über den Platz.

Jasper, der immer noch mit gezogener Waffe die Gassen im Auge behielt, riss den Revolver herum. Er fluchte. »Ich hätte sie beinahe erschossen!« In dem Moment, da Roberto sich aufrichtete, erreichte uns Maria. Sie fiel ihm um den Hals, vergrub ihr Gesicht in seiner Halsbeuge und fing an, hemmungslos zu schluchzen. Roberto streichelte ihr beruhigend über das goldene Haar, doch sein Blick galt mir.

»Das werde ich dir nie vergessen, Albert«, sagte er. Ich nickte knapp.

»Behaltet die Gassen im Auge«, rief Jasper. »Gut möglich, dass einer von denen noch dort ist.«

Roberto löste sich mit sanfter Gewalt von Maria und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen. »Du musst gehen, Maria. Du bist nicht mehr sicher.« Sie nickte, während stumme Tränen der Erleichterung über ihre Wangen liefen. »Du kannst nicht zurück ins Fourier. Damons Gardisten werden dich benutzen wollen, um an mich heranzukommen. Kennst du Campbell Miller in der Baker Lane?« Maria nickte wieder. »Sag ihm, du brauchst ein Versteck. Sag ihm, Roberto schickt dich.«

»Was ist mit dir?«, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.

»Ich komme so bald wie möglich nach«, sagte Roberto. »Ich muss ein paar Dinge besorgen, die noch im Sturmveteran liegen.«

»In Ordnung«, flüsterte sie. »Pass auf dich auf!« Sie wandte sich mir zu und umarmte mich ebenfalls. Wegen des Plattenpanzers fühlte es sich an, als stünde ich in einem Fass, um das sie ihre Arme legte. »Danke, Albert! Erst rettest du mir das Leben und jetzt auch das von Roberto! Ich stehe auf ewig in deiner Schuld.«

»Schon gut«, sagte ich und tätschelte ihren Rücken. Maria ließ von mir ab und eilte auf einen Mann zu, der hinter ihr den Platz betreten hatte: Haakon. Wir nickten einander zu und die beiden verschwanden in einer Gasse.

Robertos und mein Blick trafen sich. Im nächsten Moment ließ Roberto sich auf ein Knie herab. »Albert Walker«, sagte er. »Es spielt für mich nicht länger eine Rolle, ob das dein richtiger Name ist. Ich schwöre dir hiermit die Treue, bis meine Schuld beglichen ist.«

Ich sah zu Jasper. »Ihr Izzianer verbringt das halbe Leben auf den Knien, oder täusche ich mich?« Jasper lachte nicht. Seine Aufmerksamkeit galt etwas hinter mir.

»Da kommt jemand!«, rief er und hob den Revolver. Ich wandte mich um und sah, wie einer der Gardisten den Platz betrat. Jener, dem ich die Suppe ins Gesicht geschüttet hatte.

»Das ist Carter«, sagte Jasper. Plötzlich klang er alarmiert. »Etwas stimmt nicht mit ihm!« Ich musterte den Gardisten genau. Er lief ein wenig tapsig, als wäre er soeben aus dem Bett gestiegen. Sein Gesicht war starr auf uns geheftet. Dann fing er an zu rennen, wobei er Haken schlug, und zog seine Pistole. Der Plattenpanzer machte es mir unmöglich, mich zu bewegen wie er. Der Gardist schoss seinen Revolver leer. Seine Projektile prallten an meinem Panzer ab, und ich stolperte rückwärts. Jasper erwiderte das Feuer, ohne zu treffen, bis auch sein Revolver leer war. Ich senkte den Blick. Durch mein zerfetztes Hemd sah ich eine Macke im Panzer, die tiefer war als alle anderen. Hatte der Gardist aus dem Lauf heraus wirklich jedes Mal genau auf Höhe meines Herzens getroffen? Schon hatte er die Trommel seines Revolvers herausgeschwenkt und lud nach. Ich knurrte wütend, zog meine Machete und lief ihm entgegen. Der Gardist hob den Blick, ohne in seinem Treiben innezuhalten, ohne langsamer zu werden oder auch nur eine Patrone fallenzulassen, als hätte er seinen Revolver schon tausend Mal während des Laufens und Hakenschlagens nachgeladen. Als ich nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, ließ er die Trommel wieder zurückschnappen, obwohl er noch nicht alle Patronenlager befüllt hatte. Er ließ die Trommel rotieren, richtete den Lauf auf mein Gesicht und zog den Abzug durch. Es klickte, ohne dass ein Schuss ertönte. Ich ließ die Machete durch die Luft sausen, ehe er ein zweites Mal abdrücken konnte. Die Pistole flog ihm aus der Hand. Schon hatte er seinen Säbel gezogen und parierte mit überraschendem Reaktionsvermögen meinen nächsten Streich, der auf seine Kehle zielte. War er derselbe Gardist, den ich bei meiner Ankunft in Treedsgow spielend leicht überwältigt hatte? Unsere Blicke trafen sich. Erst jetzt bemerkte ich, dass seine Augen eine ungewöhnlich blassgraue Farbe hatten.

»Mir hätte klar sein sollen, dass du einen Panzer trägst«, sagte der Gardist. In diesem Moment begriff ich: Er war ein Mondsüchtiger. Er hatte diesen Trank getrunken, von dem Rocío gesprochen hat. Das Denken des Gardisten war von seinen Bewegungen entkoppelt. Er agierte nun mit traumwandlerischer Sicherheit.

»Das Insomnium macht geschickter«, entgegnete ich, »aber offenbar nicht gerade heller im Kopf.« Der Gardist grinste breit. Offenbar hielt er sich für vollkommen überlegen. Vielleicht konnte ich das zu meinem Vorteil nutzen. Wenn ich eines aus meiner Erfahrung mit dem Perl gelernt hatte, dann, dass eine einzelne Perle noch lange nicht ausreichte, damit sich die Wirkung der Droge voll entfaltete. Um zu dem zu werden, was ich gewesen war, als ich den Pelz tötete, war ein regelmäßiger Konsum nötig gewesen, der in der Einnahme des schwarzen Perls gegipfelt hatte. Mein Gegner mochte das Insomnium zu sich genommen haben, doch bezweifelte ich, dass er an Damons Fähigkeiten heranreichte.

Der Gardist ließ den Säbel kreisen und ging zum Angriff über. Dabei beobachtete ich seine Bewegungen. Wich seinen Streichen aus und parierte sie, ohne selbst anzugreifen.

»Hast du schon aufgegeben?«, höhnte der Gardist. Ich erwiderte nichts und wich zurück. Er sollte ruhig glauben, dass ich ihm nichts zu bieten hatte. Schon nach kurzer Zeit geriet ich ins Schwitzen. Hatte der Plattenpanzer mich anfangs vor Projektilen beschützt, erschwerte er nun jede meiner Bewegungen. Ich durfte mir nicht zu viel Zeit damit lassen, in die Offensive zu gehen. In dem Moment, da Jasper und Roberto an meiner Seite erschienen, um den Gardisten einzukreisen, schlug ich zu. Mein Gegner riss die Augen auf und wich zurück. Ich setzte ihm nach. Ließ einen Streich nach dem anderen folgen. So geschickt, wie er auch sein mochte, vermochte er nicht auf etwas zu reagieren, das er nicht sah. Ich trat ihm gegen den Fuß, und er stolperte. Er vernachlässigte nur für einen kurzen Moment seine Deckung. Ich stieß zu.

In diesem Moment erwachte das Stechen in meiner Brust, stärker als je zuvor. Es war ein Schmerz, der mich blind machte. Er erstreckte sich über meine Wirbelsäule und zog in meinen Schädel ein. Die Machete entglitt meinem Griff, und ich stolperte rückwärts. Schwarze Sonnen explodierten in meinem Kopf. Die Beine gaben unter mir nach, und ich sank auf die Knie.

»Sieh nach, was mit ihm los ist«, hörte ich Jaspers Stimme. »Ich kümmere mich um Carter.« Das erste, was ich sah, als meine Augen wieder an Sehkraft gewannen, war Roberto, der sich über mich beugte. Ohne dass ich es bemerkt hatte, war ich zur Seite gekippt.

»Hörst du mich, Albert?«, fragte er. »Was ist mit dir?« Ich versuchte zu sprechen, doch kein Wort kam über meine Lippen. Ich sah an Robertos besorgtem Gesicht vorbei zu Jasper, der mit dem Gardisten kämpfte. Ihrer beider Mienen waren wutverzerrt. Mehr als das: Ich hatte noch nie einen solchen Ausdruck in Jaspers Gesicht gesehen. Es war blanker Hass. Er fletschte die Zähne wie ein Hund. Seine Augen sprühten Funken. Er und der Gardist kreuzten die Klingen so schnell, dass ich ihren Bewegungen kaum folgen konnte. Ohne dass ich sah, wie es dazu kam, flog die Waffe des Gardisten aus dessen Hand und schlitterte über den Platz. Blut spritzte aus einem tiefen Schnitt an seinem Handgelenk. Im nächsten Augenblick packte Jasper seinen Gegner bei der Kehle und riss ihn in die Höhe – eine Demonstration seiner Kraft, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Der Gardist strampelte und zerrte an dem Griff, während Jasper den Säbel zurückriss. Ein dämonischer Ausdruck beherrschte sein Gesicht, die hasserfüllten Augen – ließ der Schmerz mich nun halluzinieren? – erglühten violett wie Amethyste im Sonnenlicht, und er stieß ihm die Klinge durchs Herz. Roberto sah zurück, als er den erstickten Schrei des Gardisten hörte. Jasper ließ den Toten fallen und eilte zu uns.

»Da kommen sicher bald mehr«, sagte er. »Wenn nicht sogar Damon selbst. Wir müssen von hier verschwinden.«

»Er rührt sich nicht«, entgegnete Roberto verzweifelt. »Ich bin mir nicht einmal sicher, ob er mich hören kann.«

Unter Aufbietung all meiner Kräfte sagte ich heiser: »Es geht schon.« Ich versuchte mich aufzurichten und bezahlte mit einer neuen Welle des Schmerzes.

»Hilf mir, ihm den Panzer auszuziehen!«, sagte Jasper gehetzt und zerriss das Hemd, das ich darüber trug. Er und Roberto hatten kaum begonnen, die Riemen zu lösen, mit denen Brust- und Rückenstück verbunden waren, als wieder jemand den Platz betrat. Ein Mann mit einem roten Halstuch. Genau wie Carter wankte er, als sei er soeben aus dem Bett gestiegen. Ein zweiter Gardist folgte ihm. Dann ein dritter. Ich gab ein Stöhnen von mir und riss die Augen auf. Roberto und Jasper folgten meinem Blick.

»Wir schaffen es nicht«, sagte Roberto. »Wir können es nicht mit ihnen allen aufnehmen und unmöglich fliehen, wenn wir Albert tragen müssen. Selbst wenn wir ihm den Panzer ausziehen.«

Jasper fluchte. »Wir können nur hoffen, dass Damons Männer ihn nicht an Ort und Stelle töten.«

»Ich kann ihn so nicht hierlassen«, sagte Roberto verzweifelt. »Er hat mir das Leben gerettet.«

»Ihm ist nicht geholfen, wenn du für ihn den Heldentod stirbst«, entgegnete Jasper. »Wie ich Damon kenne, wird er ihn nicht einfach umbringen. Er wird es öffentlich tun, um die Moral der Rabotniks zu schwächen. Vor seiner Hinrichtung können wir ihn vielleicht befreien. Komm jetzt!« Roberto warf mir einen letzten verzweifelten Blick zu und verschwand aus meinem Blickfeld.

»Wir holen dich da raus, Godric«, knurrte Jasper so leise, dass nur ich ihn hörte. »Das verspreche ich!« Und er verschwand ebenfalls. Wenig später tauchten die Gesichter der Gardisten vor mir auf. Mienen so leer wie die von Schlafenden. Sie musterten mich mit grauen Augen. Einer tastete meinen Puls ab. Mehrere Paar Hände begannen, die Riemen des Plattenpanzers zu lösen. Niemand sprach ein Wort. Sobald sie mir den Harnisch abgenommen hatten, packten mich zwei bei den Fußgelenken und schleiften mich über den Platz. Wut befiel mich und gab mir neue Kraft. Ich riss einen meiner Füße los und setzte mich auf. Dann traf mich ein Schlag an der Schläfe und Dunkelheit umfing mich.

Als ich erwachte, war ich im Rumpf der Swimming Island.

Dreizehn. Das Spiegelbild. Band 3: Roman (13. Dark Fantasy, Steampunk)

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