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Blackworth

Schreie. End verstummte, und sein Blick wanderte zum Fenster. Betretenes Schweigen breitete sich unter den Insassen aus, nur unterbrochen von Ronalds Husten. Die Minuten zogen sich in die Länge, während die Schreie aus dem Exclamatio allmählich zu einem Wimmern abklangen. Als sie schließlich verstummten, war vorerst nichts bis auf das Surren der Förderbänder und das Rattern der Loren zu hören.

»Rocío wusste nicht, dass dunkles Mana viel mehr als nur eine alchemistische Zutat ist«, sagte End schließlich gedankenverloren. »Wir sollten es bald herausfinden.« Er lächelte versonnen. »Ihr Kuss … ich maß ihm eine zu große Bedeutung bei. Und doch hatte sie mehr an mir, als sie später zuzugeben bereit war. Ich mochte sie. Es gefiel mir, dass sie von einer Aura sprach. Hätte sie aber versucht, mir aufzuschwatzen, dass das Töten meiner unsterblichen Seele schadet, ich hätte sie ausgelacht.«

Der Sänger betrachtete Ends Profil mit gerunzelter Stirn. »Warum? Was ist der Unterschied?«

»Eine Aura ist nichts weiter als Information«, erklärte End, »wohingegen angenommen wird, dass die Seele eines Menschen der nicht materielle, unsterbliche Teil unserer selbst sei.« End wandte ihm das Gesicht zu. »Ich weigere mich zu glauben, dass wir mehr als Materie sind.« Wieder einmal gelang es ihm, die Insassen von Zellenblock 13 zu erschüttern. Sie waren aufständische Arbeiter. Sie hatten den Baronen den Rücken gekehrt, nicht ihrer Religion. Sie glaubten an Zuris, an eine Seele und ein Leben nach dem Tod.

»Du glaubst also, du bist nur dein Körper?«, brummte der Sänger.

»Nur?«, wiederholte End. »Mein Körper ist Materie. Das so ziemlich das Faszinierendste, das unsere Welt zu bieten hat. Sie kann jegliche Form und Farbe annehmen. Sie kann fließen und schweben, Energie speichern und freisetzen, elektrische und entrische Energie leiten. Die Sonne besteht aus Materie. Der Wind. Das Meer. Jede Pflanze. Jedes Tier. Materie ist magische Energie, bloß ist sie so alltäglich, dass wir sie nicht so wahrnehmen. Was du als Seele bezeichnest, ist dein Verstand. Ein so komplexes Konstrukt aus Nervenzellen und Synapsen hinter deiner Stirn, dass nicht einmal dein Hirn selbst es begreifen kann. Weißt du, was in deinem Körper vorgeht, wenn du deinen kleinen Finger krümmst? Welche chemischen und elektrischen Prozesse ablaufen? Die Wissenschaftler in Treedsgow füllen unzählige Bücher mit diesem Wissen. Bislang haben sie nur einen Bruchteil dessen entdeckt, was es zu entdecken gibt. Ganz zu schweigen von dem, was wir nie entdecken werden.«

»Was passiert, wenn du stirbst?«, fragte der Sänger herausfordernd. »Vielleicht hast du Recht, Godric End. Aber ich glaube lieber an ein Leben nach dem Tod als an das Nichts.«

»Wieso nichts?«, entgegnete End. »Dein Herz wird eines Tages aufhören zu schlagen, aber du wirst nicht aufhören zu existieren. Dein Körper fängt an, zu verfallen. Würmer und Pflanzen und andere Lebewesen ernähren sich von dir. Nehmen dich in sich auf, und du wirst Teil von ihnen. Wirst wieder eins mit allem.« End seufzte schwer. »Eigentlich ist es besser als ein Leben nach dem Tod. Es ist das Paradies.«

Die Tür des Zellenblocks wurde geöffnet, und ein Mann betrat den Gang. Sein kurzes Haar war zerzaust, sein rechtes Auge blind. Er schob einen Kessel auf Rädern vor sich her und begann, die Schüsseln der Gefangenen mit Brei zu füllen. Dass Godric End, der wohl wichtigste politische Gefangene des ganzen Landes, in einer der Zellen saß, schien ihn nicht zu beeindrucken. Ohne auch nur einen Blick in seine Zelle zu werfen, füllte er dessen Schale. Der Sänger begegnete Ends Blick mit überraschter Miene. Raysome, der Leiter von Blackworth, hatte tags zuvor verkündet, dass er End aushungern lassen würde. Entweder ignorierte der Essensausgeber die Anweisung von Raysome, oder der Gefängnisleiter wollte schlicht sicherstellen, dass End bei der Ankunft des Schwarzen Barons noch nicht verhungert war.

Der Essensausgeber verließ den Zellenblock, kehrte wenig später mit dem Behälter für die Notdurft zurück und leerte die Eimer der Insassen. Erst als er sah, dass Adams Schale noch immer im Gang stand, zeigte sich eine Regung in seinem Gesicht. Kurz betrachtete er Adam, der mit dem Gesicht voran auf dem steinernen Boden lag. Dann trat er vor die Gittertür und schlug mit dem Behälter gegen die Eisenstäbe.

»Er ist tot«, sagte George in der Zelle gegenüber. »Schafft ihn hier raus, bevor er anfängt zu stinken.« Der Essensausgeber warf George einen kurzen Blick zu und verließ ohne ein Wort den Zellenblock. Als der letzte Insasse seine Schüssel geleert hatte, war er noch nicht wieder zurückgekehrt. So bald schien sich keiner um den Toten zu kümmern.

»Wenn du keine Seele hast«, nahm der Sänger die Diskussion wieder auf, »wie kann das Töten dann Narben auf deiner Aura hinterlassen?«

»Du wirst verstehen, sobald ich dazu komme, wie Rocío mich zu einem Trank einlud«, antwortete End.

Dreizehn. Das Spiegelbild. Band 3: Roman (13. Dark Fantasy, Steampunk)

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