Читать книгу Dreizehn. Das Spiegelbild. Band 3: Roman (13. Dark Fantasy, Steampunk) - Carl Wilckens - Страница 18
ОглавлениеRoberto
Roberto war übel. Der Knebel in seinem Mund schmeckte nach ranziger Butter. Jedes Mal, wenn seine Zunge ihn berührte, schien sie sich zusammenzukrümmen, und sein Magen rebellierte. Seine Mundhöhle war ausgetrocknet. Seine Handflächen und Füße schwitzten. Die zitternden Beine vermochten ihn kaum zu tragen. Das Tuch, mit dem die Gardisten seine Augen verbunden hatten, behinderte ihn dabei, irgendwas zu sehen. Sein Herz hämmerte, während man ihn durch den Hafen führte, als versuchte es trotzig, das Blut der nächsten fünfzig Jahre in der letzten Stunde seines Lebens durch seinen Körper zu pumpen.
Roberto dachte an Maria. Wie so oft, seitdem die Gardisten ihn eingesperrt und verkündet hatten, dass sie ihn öffentlich hinrichten würden. Er hoffte, dass sie ihm im Moment seines Todes beistehen würde, und zugleich auch nicht. Sie sollte diesen Anblick nicht ertragen müssen.
War es das wirklich wert gewesen? Nachdem Roberto mit seiner Familie abgeschlossen hatte, war der versteinerte Seeigel seiner Mutter das Einzige gewesen, was ihm von seiner Heimat geblieben war. Natürlich wäre es klüger gewesen, ihn einfach herzugeben. Aber Robertos Trauer war in Wut umgeschlagen, als er das verhasste Gesicht jenes Gardisten wiedererkannt hatte, der ihm schon einmal aus reiner Böswilligkeit das Erinnerungsstück abgenommen hatte. Er war so dumm gewesen. Der Gardist war mit zwei seiner Spießgesellen unterwegs gewesen. Nicht einmal Roberto konnte es mit drei Gegnern auf einmal aufnehmen; geschweige denn unbewaffnet.
Roberto hatte nicht geglaubt, dass Damon es zulassen würde, dass man ihn wegen eines versteinerten Seeigels hinrichten würde. Unnötige Grausamkeit führte dazu, dass sich mehr Menschen den Rabotniks anschlossen, und Damon hatte ohne Zweifel genug Ärger mit Schwarzbergs Patienten. Aber der Banditenanführer zeigte nicht das geringste Interesse an dem Fall. Während Carter, der Gardist, der Roberto damals den Seeigel weggenommen hatte, schilderte, was geschehen war, saß er bloß da auf seinem Thron und massierte sich die Schläfen. Ob Damon die ganze Nacht gezecht hatte? Wie war so jemand zum Anführer geworden?
»Was interessiert mich dieser Idiot und sein bescheuerter Seeigel?«, hatte Damon gefragt. »Macht mit ihm, was ihr wollt.«
Roberto lauschte dem Rauschen der Wellen und den Schritten der Gardisten. Er würde nicht auf dem Marktplatz sein Ende finden, sondern auf einem kleineren Platz nicht weit entfernt vom Whitehall Nord. Vor dem Massenausbruch aus Sankt Laplace hatten hier manchmal kleine öffentliche Festspiele stattgefunden. Nun stand er die meiste Zeit leer.
Schnelle Schritte näherten sich der Gruppe.
»Damon schickt mich«, sagte jemand. »Ich soll euch begleiten.« Die Stimme kam Roberto vertraut vor. Es überraschte ihn, wie gut er Stimmen wiedererkennen konnte. Gesichter vergaß er schnell; manchmal sogar im selben Moment, da er sie aus den Augen verlor. Die Stimmen der Menschen halfen ihm auf die Sprünge. Am Rande der Todesangst, die seinen Kopf füllte, begriff er, an wen der Gardist ihn erinnerte. Hätte er nicht mit eigenen Augen gesehen, dass Jasper gestorben war, er hätte schwören können, dass er nun hier war.
»Wer bist denn du?«, fragte einer der Gardisten.
»Alter, Carter, erkennst du mich nicht? Ich bin’s. Charles!«
»Ich kann mir doch nicht das Gesicht von jedem Deppen merken, den Damon inzwischen bei uns aufnimmt.« Zehn Minuten später, während derer Roberto glaubte, dass seine zitternden Knie unter ihm nachgeben würden, hatten sie ihr Ziel erreicht.
»Warum sind nur so wenige hier?«, knurrte einer der Gardisten. »Wir haben es in den letzten Tagen überall rumerzählt.«
»Der kleine Scheißer hat eben nicht viele Freunde«, sagte Carter. »So oder so ist es gleich mit ihm vorbei.« Mit erhobener Stimme fuhr er fort: »Ihr fragt euch sicher, warum unser Freund Roberto heute sterben muss. Nun, er hat die Frechheit besessen, sich uns zu widersetzen.« Roberto kam nicht umhin zu bemerken, dass Carter nicht ansatzweise dieselbe Autorität wie Damon verströmte. Vielleicht lag es an seiner Stimme, die längst nicht so kräftig und voller Wut war wie die seines Anführers. Vielleicht auch an seiner mangelnden Eloquenz. »Wer sich uns widersetzt, wird bestraft. Ich kann nur hoffen, dass ihr aus dem Fehler lernt, den unser Freund begangen hat.« Während Carter sprach, löste einer der Gardisten das Tuch, das um Robertos Augen gebunden war. Der Izzianer blinzelte ins Sonnenlicht. Es war ein schöner Tag. Die Sonne schien warm herab und nur wenige Wolkenfetzen trieben wie wattige Eisschollen über den Himmel. Roberto richtete den Blick nach vorne. Etwa zehn Menschen würden seiner Hinrichtung beiwohnen. Seine Augen weiteten sich, als er Maria ausmachte. Sie war in Haakons Begleitung hier, wohl weil der Besitzer des Fourier seine wertvollste Entertainerin nicht allein durch den Hafen spazieren lassen wollte. Roberto stieß einen Schrei aus, der vom Knebel verschluckt wurde, und schüttelte den Kopf. Warum bist du gekommen, du dummes Mädchen? Tränen strömten über Marias Wangen. Sie war blass. Dunkle Ringe lagen unter ihren Augen. Sie sah aus, als hätte sie seit seiner Festnahme noch weniger geschlafen als er, und trotzdem war sie noch so schön wie der Sonnenaufgang. Oh, Maria, warum nur bist du gekommen? Seine Augen brannten.
Carter bemerkte es. Er sah zu ihm, dann zum Publikum. »Wenn das nicht die Perle des Fourier ist«, sagte er so leise, dass nur Roberto und die Gardisten ihn hören konnten. »Ist sie etwa deine Liebste?« Roberto hörte ihn nicht. Seine weit aufgerissenen Augen flehten Maria an zu gehen. »Vielleicht werde ich ihr einen Besuch abstatten, sobald das hier vorbei ist.« Carter zog seine Pistole und trat hinter Roberto. Der Izzianer sah unverwandt zu Maria. Er zwang sich zu stoischer Ruhe und legte so viel Dankbarkeit in seinen Blick wie nur möglich. Versuchte sogar, mit dem Knebel in seinem Mund zu lächeln. Danke, Maria, für die vielen schönen Stunden, die du mir bereitet hast. Es war ihr gegenüber nicht fair. Roberto wäre gleich tot, und das alles würde ihn nicht mehr interessieren. Maria war die, die wirklich bestraft wurde.
»Was ist das?«, fragte der Gardist, der wie Jasper klang. Roberto folgte seinem Fingerzeig mit dem Blick und bemerkte eine Gestalt, die auf dem Dachfirst eines Gebäudes am Rande des Platzes stand. Dem roten Halstuch nach zu urteilen, handelte es sich um einen Gardisten. Auch er war geknebelt. Seine Handgelenke waren mit einem dünnen Seil zusammengebunden.