Читать книгу Dreizehn. Das Spiegelbild. Band 3: Roman (13. Dark Fantasy, Steampunk) - Carl Wilckens - Страница 7
ОглавлениеBlackworth
Schreie. Die Insassen von Zellenblock 13 hoben die Köpfe. Jene, die eine Zelle mit Fenster hatten – so auch End – standen auf und spähten durch die Gitterstäbe zu dem würfelförmigen Gebäude in der Nähe des Bahnhofs.
»Das Exclamatio«, sagte der Sänger und senkte den Blick. »Sie versuchen, Informationen aus den beiden Endern herauszuholen.«
»Nein«, sagte End heiser. »Nicht schon wieder.« Der Sänger sah zu ihm. Das Schicksal ihrer Genossen schien ihm nahezugehen. End fuhr sich mit beiden Händen über das kurzgeschorene Haar. Sein Blick war unruhig geworden, als hoffte er, in seiner Zelle eine Lösung zu finden. Schließlich ließ er sich mit dem Rücken gegen die Zellenwand fallen, rutschte daran hinab und lehnte die Stirn gegen seine Knie.
Eine Zeit lang war nichts zu hören bis auf das Surren der Förderbrücken und das Schreien der Ender. Dann machte sich ein drittes Geräusch bemerkbar: ein Brummen, dem Surren der Förderbänder nicht unähnlich. Es schien aus dem Himmel zu kommen und wurde mit jeder Minute lauter. Wieder blickten die Insassen aus den Fenstern ihrer Zellen. Am Himmel über den Saint Aaron Mountains waren mehrere schwarze Punkte unter der dunklen Wolkendecke erschienen. Sie flogen in V-Formation wie ein Schwarm Gänsevögel, der nach dem Winter aus dem Süden zurückkehrte; nur dass er gen Osten flog, zur Hauptstadt Dustriens. Bald waren sie so nahe, dass sich erkennen ließ, um was es sich wirklich handelte: fliegende Schiffe. Aus ihren Rümpfen ragten Flügel, unter denen je eine Turbine hing. Schwere Geschütze an Deck und unzählige Kanonenluken kündeten von der brachialen Zerstörungskraft der Himmelsgiganten. Schornsteine spien schwarzen Rauch in die Luft, der sich mit der dunklen Wolkendecke vereinte. Der Lärm ließ das Land erzittern. Waren die Luftschiffe erst genau über einem, übertrafen sie jedes andere Geräusch. Ihre Turbinen verschlangen tosend tausende Liter Luft pro Minute, während ihnen der Lärm wie ein Herold kilometerweit vorauseilte, Tiere in ihre Bauten flüchten ließ und Kinder auf die Straße lockte.
»Die Armee der Königin«, sagte Ronald mit schwacher Stimme, die das Brüllen der Turbinen kaum zu durchdringen vermochte.
»Was redest du, Genosse?«, rief Arwin in der Zelle gegenüber. »Das ist schon lange nicht mehr die Armee der Königin. Diese Männer folgen dem Schwarzen Baron.«
»Also haben die Landen gewonnen?«, fragte George in der vordersten Zelle gegenüber von Adam, der am Abend zuvor von dem schwarzen Schmetterling getötet worden war.
»Niemand hat gewonnen«, sagte End. »Die Landen brennen. Das tarmonische Reich ist zerschlagen. Gothin liegt in Schutt und Asche. Aber offiziell, ja, hat die dustrische Streitmacht den Krieg für die Landen entschieden. Nun kehrt sie hierher zurück, um eine letzte Schlacht im eigenen Land zu führen.«
»Wie groß, glaubt ihr, ist das Heer?«, fragte Arwin, der mit geballten Fäusten aus seiner Zelle gen Himmel blickte.
»Der Krieg in den Landen muss es dezimiert haben«, überlegte Baxter.
»Das Heer, das Dustrien zum Festland schickte, war hunderttausend Mann stark«, sagte End. »Selbst wenn etwa die Hälfte in den Landen gefallen ist, zählt es immer noch fünfzigtausend Soldaten.« Auf diese Auskunft hin herrschte betretenes Schweigen.
»Was ist mit den Golems?«, fragte Storm in die Stille hinein. Baine in der gegenüberliegenden Zelle lachte.
»Du klingst wie Ronald«, sagte er spöttisch. »Fängst du gleich damit an, dass End ein Herz aus Eisen hat?«
»Wieso nicht?«, brauste Storm auf. »Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was er erzählt, wäre ein Trupp mechanischer Soldaten noch das kleinste Wunder. Seht euch doch an, was Hazlewood Industries inzwischen alles auf den Markt gebracht hat. Hätte auch nur einer von euch geglaubt, dass Schiffe den Himmel befahren könnten, ehe ihr es zum ersten Mal gesehen habt?« Baine schüttelte lächelnd den Kopf, schien aber auch nicht zu wissen, was er antworten sollte.
»Es gibt die Golems«, sagte End nüchtern, woraufhin das Lächeln auf Baines Lippen gefror. »Aber sie kämpfen nicht, wenn ich nicht bei ihnen bin.« Wieder herrschte Stille, während das Surren der Flotte allmählich leiser wurde. Auch die Schreie aus dem Exclamatio waren verstummt.
»Wir müssen zusehen, dass wir dich hier rausbekommen«, knurrte Arwin schließlich.
»Du verstehst nicht, Arwin«, sagte End. »Am Ende des Krieges wird niemand gewinnen. Die Energie, mit der wir die Maschinerie antreiben, um uns gegenseitig zu töten, ist nicht endlos. Die Golems und Luftschiffe beziehen sie von einer magischen Barriere, die unsere Welt umgibt. Schon vor Jahren fing sie an, löchrig zu werden. Aber nun steht sie kurz vorm Zusammenbruch.«
»Eine magische Barriere?«, fragte Arwin ungläubig. »Ich dachte, sie werden mit Entrizität betrieben.«
»Ich vermute«, mischte sich der Sänger ein, »wir werden erst dann verstehen, wenn wir Ends Geschichte gehört haben.« Er wickelte etwas Tabak in einen schmutzigen Streifen Papier und warf die Zigarette in die gegenüberliegende Zelle. End hob sie auf und betrachtete sie einen Moment lang nachdenklich. Dann zündete er sie an und zog daran, behielt den Rauch einige Sekunden lang in der Lunge und stieß ihn schließlich langsam und genüsslich aus Mund und Nase aus.
»Wo war ich stehen geblieben? Ach ja. Ich war soeben aus Sankt Laplace zurückgekehrt. Der Einbruch in die Nervenheilanstalt war in einem Fiasko geendet. Emily war nicht dort. Sie war sogar noch vor der Zeit Schwarzbergs von dort geflohen. Dafür hatte Uther, der uns geholfen hatte, in die Anstalt zu gelangen, sämtliche Irren befreit. In Schwarzbergs Turmzimmer traf ich einen Mann namens Esper, einen Magier, der mein Herz vergiftete. Sein Fluch schien zunächst harmlos, doch sollte er mich in den nächsten Vierteln zunehmend peinigen. Im Keller der Anstalt sah ich dann die Hibridia: Esper und vier weitere Magier. Als ich schließlich aus der Anstalt entkam, war das Einzige, das mir der Ausflug gebracht hatte, die nächste Seite von Williams Tagebuch.« Die jüngsten Geschehnisse im Zellenblock hatten Ends Geschichte vorerst aus den Köpfen der Insassen vertrieben. Nun kehrten ihre Gedanken dorthin zurück. End nahm noch einen Zug und fuhr fort: »Ihr fragt euch sicher, was darin stand.« Er seufzte. Etwas Trauriges lag in seinem Blick. »Wie hätte ich ahnen können, dass schon damals der Schwarze Baron seine Finger im Spiel hatte …«