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MARTINS SEITE

Martins Geschwister Irena und Otto kamen zu Besuch nach Deutschland. Sie hatten beide Anfang der Fünfzigerjahre Deutschland verlassen und waren per Schiff in die USA ausgewandert. Damals sahen sie für sich und Deutschland keine Chance. Sie lebten Haus an Haus in San Diego. Bruder Otto hatte auf dem Schiff seine langjährige Freundin Barbara geheiratet. Früh machte er sich als Schreiner selbstständig. Leider blieb die Ehe kinderlos. Schwester Irena war in einem Hotel als Empfangsdame tätig und heiratete ihren Kollegen, Fernando Garcia Diaz, einen Mexikaner. Sie bekamen vier Kinder.

Sie berichteten in Briefen über das interessante Land der unbegrenzten Möglichkeiten, die ungewöhnliche, abwechslungsreiche Landschaft, die wirtschaftlichen Aussichten und Chancen. Martin und Ella sollten ihrer Meinung nach auch auswandern. Beide würden sie unterstützen, mit Rat und Tat zur Seite stehen. Martin könnte dort schneller Geld verdienen und die Lebensbedingungen wären erfreulicher als in Deutschland.

Abends im Bett flüsterte Martin Ella in Ohr: „Wusste gar nicht, dass Otto so ein Angeber ist!“

„Wie meinst du das?“, entgegnete Ella.

Martin schnaubte. „Diese amerikanischen plattfüßigen Hühnerwürger, was können die schon auf die Beine stellen! Wer ist denn damals ausgewandert? Alle, die hier nichts werden konnten. Gesindel, Gesocks. Viele, die Dreck am Stecken und keinen Pioniergeist hatten, aber gehen mussten. Lächerlich, wer will sich denn mit solchen Schwachköpfen umgeben?“

Ella: „Wieso, hört sich doch alles gut an, du hast doch nur Flugangst und bist eifersüchtig auf ihre Erfolge. Außerdem müsstest du dich auf neue Situationen und die Sprache einstellen, dafür bist du viel zu unflexibel.“

Martin verzog sein Gesicht zu einer Grimasse: „Da kann ich doch nur lachen, das wirst du noch sehen, wie flexibel ich bin.“ Damit war das Gespräch für ihn beendet. Beleidigt drehte er ihr den Rücken zu und tat so, als ob er schlief. Ihre Vorhaltungen waren ein zusätzlicher Anreiz für Martin. Er wollte es sich und ihr beweisen. Seine Zukunft wollte er noch erfolgreicher gestalten als bisher.

Nüchtern und mit größtmöglicher Distanz betrachtet, war Martin ein Freidenker. Religion war Opium fürs Volk. Nichts für ihn. Er sah sich als überzeugter Atheist, hatte so seine spekulativen Thesen zum Leben, zur Politik und zum Sport. Oft versuchte er mit seiner Einstellung, die Unterhaltungen zu würzen oder gegensätzliche Meinungen zu provozieren. Nein, an Gott glaubte er wirklich nicht, noch akzeptierte er jedwede Form religiös geprägten Verhaltens. Schon Nietzsche hatte die Religion an der Garderobe abgegeben und der musste es ja wohl wissen. Esoteriker und Zeugen Jehovas waren für ihn die kompletten Spinner. Die mussten auf Drogen sein, lebensfremd und verhaltensgestört. Seine Mutter Frieda, selbst eine starke, geistig unabhängige, aber verbitterte Frau, verehrte Rosa Luxemburg. Martin, politisch eher rechts, war wie die Fahne im Wind. Er wählte die Partei, die ihm die meisten Vorteile und größtmöglichen steuerlichen Freiraum verschaffte. Was Frauen betraf, war er nicht sonderlich wählerisch. Sie sollten gut aussehen. Sein Motto: „Das Auge isst immer mit!“

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