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EISSCHOLLEN-TAGE

Seit Wochen hatte ich über Babys gesprochen. Ich wünschte mir noch ein Geschwisterchen. Ella konnte das gut verstehen und gab mir einen Rat. Abends streute ich dann Zucker für den Storch auf die Fensterbank und sang dabei: „Storch, Storch, Bester, bring mir eine Schwester. Storch, Storch, Guter, bring mir einen Bruder.“ Nachts hörte ich aus dem nahegelegenen Park die Eule. Oder war’s der Kuckuck? Der Ruf war mir unheimlich. Frühmorgens, lang, bevor ich wach war, leckte Alex den Zucker von der Fensterbank. Ich war wütend auf den Storch, anscheinend fand er das Haus nicht. Oder hatte ich zu wenig Zucker gestreut?

Einen Monat später hörten wir Kinder ein Telefonat mit an. Ella sprach aufgebracht über ihre Abtreibung mit ihrer Schwester Hella. Obwohl es schon Jahre her war, hatte sie immer noch körperliche und seelische Nachwehen. Sie wäre fast verblutet. Unter keinen Umständen wollte Martin ein weiteres Kind. Die zwei reichten ihm. Beide waren schwierig und kostspielig. In seinen Augen waren es nur die Asozialen, die einen Stall voller Kinder hatten und dem Staat und damit auch ihm auf der Tasche lagen. Es gab Wichtigeres für ihn. Seine Argumente reichten von: Sparen für ein größeres Haus, größeres Auto, schönere Möbel, weitere Reisen. Ella war enttäuscht von seiner Haltung, materielle Dinge, so angenehm sie auch waren, gegen ein Kind aufzuwiegen. Sie kannte Einige, die sich sehnlichst ein Kind wünschten und keines bekamen.

Wieder einmal hatte Martin sie verbal manipuliert und sie hatte es zugelassen. Hilflos in ihrer Argumentation hatte sie nichts dagegenzusetzen. Sie konnte sich gegen ihn einfach nicht behaupten.

Ihre anschließenden kleinen Spielchen mit entsprechenden Bestrafungsmaßnahmen wie Sexentzug, grußlosen Schweigetagen mit leidender stiller Miene brachten auch keinen Erfolg. Wie immer, wenn sie verschiedener Meinung waren. Diese Tage nannte sie dann Eisschollen-Tage. Jeder saß auf seiner Eisscholle und fror vor sich hin.

Abends im Bett vor dem Einschlafen dachte Ella darüber nach, dass Frauen die Macht hatten, über Leben und Tod zu entscheiden. Sie bestimmten, welches Kind leben und welches sterben sollte. Wahrlich eine sehr mächtige Position. Frauen brachten Leben auf die Welt. Frauen wussten den Wert des Lebens viel mehr zu schätzen als Männer. Wissen das eigentlich alle Frauen?, fragte sie sich.

Auf jeden Fall spürte sie ihre Gewissensbisse, die bis zum heutigen Tag reichten. Selbstbezogen und verunsichert in ihrer Entscheidungsgewalt hatte sie sich für den Tod ihres Fötus entschieden. Nein, er war noch kein fertiger Mensch im herkömmlichen Sinne gewesen, aber in der Entstehung begriffen, einer zu werden, und sie hatte sich als Richterin über das Leben aufgespielt. Bei diesem Gedanken musste sie weinen. Zweifel stiegen in ihr auf. War das die richtige Entscheidung gewesen? War sie eine Mörderin? Hatte sie es aus egoistischen, situationsbedingten Gründen getan? Eindeutig ja! Ihr wurde schlecht. Nachts lief ihr dieser Gedanke immer wieder über die Bettdecke. Nicht nur in Zeitungen las sie über das Thema. Auch sie kannte einige Frauen, die aus den unterschiedlichsten Gründen abgetrieben hatten. Entweder war es der falsche Partner, ein fremder Partner, die Ausbildung, das Studium, die Eltern, Geldmangel oder die Religion, die die Abtreibung legitimierten. Langfristig hatten es sehr viele bereut. Sie auch.

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