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GIFTIGE SCHÖNHEITEN

Ella hatte viele schlechte Tage. Ihre vergeblichen Versuche, durch Shopping, Gartenarbeit, Besuch bei den Eltern oder Freundinnen sich zu zerstreuen, ließen sie depressiv und apathisch nachmittags auf der Couch liegen. Ihre Unfähigkeit, ihre partnerschaftliche Situation zu ändern, ihre unerfüllten Wünsche nach sexuellen Streicheleinheiten, die emotionale und finanzielle Abhängigkeit ließen sie bei den geringsten Anlässen in Tränen ausbrechen.

Neben der Psychologin ging sie zur Heilpraktikerin. Bei einem Besuch in der Praxis von Frau Gräfe ließ sie sich Atropa Belladonna, „die schöne Frau“, für viele als Tollkirsche bekannt, verschreiben. Diesen Tipp bekam sie von einer ihrer Freundinnen. Den griechischen Namen „Schicksalsgöttin“, ein Nachtschattengewächs, fand sie positiv inspirierend.

Sie hatte gelesen, dass schon im Altertum Frauen es benutzten, um ihre Pupillen zu erweitern, um so den Männern zu gefallen.

„Vielleicht hilft`s ja“, meinte Ella, während sie Schweißausbrüche, ein hochrotes Gesicht und trockenen Mund beklagte. Ella wusste, dass die Tollkirsche aufgrund ihrer in allen Pflanzenteilen vorkommenden Alkaloide sehr giftig war. Schon geringe Mengen konnten tödlich sein. Ella kamen die Worte der Therapeutin über Frauen in den Sinn. Manche sind wie ihre Pflanzen im Garten: viele hochgiftig, aber traumschön. Wie bei der wunderschönen Engelstrompete oder der attraktiven Hortensie. Sie dienten manch einem als Ersatz für halluzinogene Drogen. Im Samen vom engelsgleichen Goldregen ist das hochgradig wirksame Gift Cytisin besonders ausgeprägt. Sollte das heißen, dass sich hinter traumschöner Fassade ein unerkanntes, sprühendes Gift verbergen konnte? Links neben den Rosen hatte sie die Tollkirsche gepflanzt. Sehr giftig. Sie war sich der halluzinogenen Wirkung bewusst. Hinter die Eibe hatte sie den Blauen Eisenhut gesetzt. Dieser zählt zu Europas giftigsten Pflanzen. Das Rizin im interessanten Wunderbaum, gleich neben der Garage, kann Blut verklumpen.

O ja, sie hatte sich schlaugemacht. Die Stadtgärtnerei war äußerst informativ und hilfreich bei den Erklärungen und der Selektion der Pflanzen. Ja, es war ein schönes, leichtes Gefühl, manchmal auch etwas schaurig, den Rauch vom Bilsenkraut aus der Feuerschale einzuatmen. So in Trance konnte man herrlich den heimlichen Gedanken nachschweben. Martin, dieser Windhund, sollte sich ja vorsehen! Ihr waren weitere Gerüchte zu Ohren gekommen. Noch war sie verunsichert, denn Gerüchte waren wie Treibgut im Hafenbecken! Auf dem Heimweg führte sie Selbstgespräche: „Tja, das ist ja mal wieder interessant! Eines Tages, wenn es nicht mehr auszuhalten ist – ich oder er! Hm, eine echte Option, diese Pflanzen.“ Die neue Perspektive gab ihrer äußeren Maske den so sehr benötigten Halt. Gelassen, freundlich und beschwingt grüßte sie ihre Nachbarn, hielt einen Höflichkeitsplausch und machte sich singend auf den weiteren Heimweg. Bewundernd sahen ihr die Nachbarn hinterher, tuschelten hinter vorgehaltener Hand am nachbarschaftlichen Zaun. „Was hat die nur für ein Glück: schönes Haus, eigenen Wagen, netten, gutaussehenden Mann, höfliche, freundliche Kinder. Wirklich, manche Menschen haben ein unverschämtes Glück!“

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