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GEIZ

Kurz darauf hatte Alexander plötzlich eine Freundin. Er lernte sie in der Berufsschule kennen. Als ich sie später sah, dachte ich zuerst, es wäre Ella in brünett und schlank. Sie hatte eine sagenhafte Ähnlichkeit. Alexander war bis in die Haarwurzeln verliebt. Er arbeitete jetzt lange und gern, da er dadurch ebenfalls dem Irrenhaus entkam, wie er flüsternd betonte. Doch sonntags das gemeinsame Frühstück war laut Martin eine Pflichtübung, der wir Folge zu leisten hatten. Dieses Ritual endete regelmäßig in heftigen Streitgesprächen. An diesem besagten Sonntag beschimpften Alex und Ella Martin als Geizhals. Ich war Zuhörerin. Die Tonlage beider hob sich gefährlich, weil sie angestrengt mit vereinten Kräften ihre Aussage untermalen wollten.

„Du liebst das Geld. Es gibt dir wahrscheinlich eine Art Glückseligkeit, es zu horten oder zu besitzen“, warf Ella ihm vor. „Deine zwanghafte und übertriebene Sparsamkeit, oder sollte ich es lieber Geiz nennen, ist nicht zu ertragen. Nicht nur wegen dem blöden Hotel in Austria, auch uns und anderen gegenüber. Du kannst wirklich nicht das Leben genießen. Dazu bist du gar nicht fähig. Das zeigt deine Forderung nach Gütertrennung. Das Grundstück und Hotel willst du doch nur in deinem Namen kaufen. Alles einsacken, bloß nichts teilen. Im Falle einer Scheidung liegst du dann zufrieden auf dem nächsten Bergrücken und lachst dich tot. Nein, mein Lieber, den Gefallen tue ich dir nicht.“

Mit Schmackes köpfte sie das vor ihr stehende Ei, um ihrer Aussage Nachdruck zu verleihen.

Alex fing den Ball auf, den Ella ihm zuspielte. Während Ella sprach, hatte er sich seine Worte in Gedanken schon vorsortiert und zurechtgelegt, um Martins verbale Attacken zu parieren: „Schon in der Bibel steht, dass Geiz zu den sieben Hauptlastern eines Menschen gehört. Geiz, so steht es dort, ist an sich ja keine Todsünde, birgt aber in sich schon ein gewalttätiges Potenzial, weil manche aus Habgier töten.“

Martin fühlte sich jetzt persönlich angegriffen und konterte: „Also, bitteschön, heiliger Lazarus, was hat jetzt die Bibel damit zu tun? Baust du jetzt deine Einstellungen auf Bibelsprüchen auf? Es wird ja immer toller hier.“ Und er schlug dabei mit der Faust auf den Tisch. Zu Ella vorgebeugt setzte er eine furchteinflößende Maske auf, meinte dann lächelnd mit sarkastischem Unterton: „Deine Erziehung hat ja wohl gefruchtet, Schätzchen. Dein Sohn untermauert seine Meinung mit frommen Bibelsprüchen.“ Martins Ton kletterte die Tonleiter immer höher. „Wollt ihr damit sagen, ich, Martin Behrmann, sei geizig? Das ist ja eine bodenlose Unterstellung.“

Alex fiel ihm mutig ins Wort: „Es geht noch weiter. Im Alten Testament wird vor dieser Torheit gewarnt, aber im Neuen Testament verurteilt man den Geiz dann völlig. Da verbietet man sogar den Menschen den Umgang mit Geizigen. Für die Gemeinschaft seien sie schädigend und egoistisch!“

Ella fiel ihm ins Wort: „Jawohl, das kann ich nur unterstützen.“ Sie übernahm das Gespräch von Alex und verfeinerte seine Aussage. „Du in deinem egozentrischen Zentrum beziehst deine Sicherheit nicht durch Austausch. Dein Geiz basiert auf völligem Misstrauen, weil du dich nur auf dich selbst beziehst. Für dich gibt es keinen Austausch und auch keine Wechselbeziehung. Du grenzt dich überall von anderen ab. Du betreibst Geiz als eine Art Volkssport. Geben …ich meine großzügiges Geben, ist für dich ein Fremdwort. Übrigens, das beinhaltet natürlich auch Gefühle, da bist du ebenfalls zweiter Sieger! Das Bibelzitat heißt: Geben ist seliger denn nehmen! Das heißt, deine Geizstrategie kann dich eines lieben Tages in eine Einbahnstraße der Einsamkeit führen.“

Martin saugte mit geöffnetem Mund die Luft ein. Schnappatmung. Er stand ruckartig von seinem Platz auf, ging in Richtung Flur und setzte seinen Monolog fort: „Ick muss raus hier“, dabei wischte er sich theatralisch über den Mund. „Mit euren bibelfesten Sprüchen macht ihr jegliche gepflegte, sachlich orientierte Unterhaltung zunichte. So eine sprachlich unkultivierte Kommunikation, eine derartig unverschämte Unterstellung, brauche ich sonntags wirklich nicht!“

Martin hatte das Zimmer verlassen. Bei diesem Match oder besser dieser Scharade war ich interessierte Zuhörerin. Wie beim Tennismatch folgte ich akustisch dem Ball beim Aufschlag, zum Netz, ins Aus, saß zwar zwischen Ella und Martin, war aber am Gespräch nicht beteiligt. Dies demonstrierte ich durch meine Haltung. Mit Füßen und Oberkörper wippte ich auf den hinteren zwei Stuhlbeinen, lehnte mich beim Wippen nach hinten und war somit, zumindest körperlich, aus der Schusslinie. Eine Haltung, die ich später öfter einnahm, wenn sich vor mir zwei attackierten und ich nicht involviert sein wollte.

Frustbuch: Sonntag, 26. September. Hasse diese sonntäglichen Tischgespräche. Stimme Ella und Alex in ihren Aussagen zu. Nach diesen Gesprächen verspüre ich immer diesen Druck im Magen. Musste Pipi. Kann mich nachher beim Lesen nicht konzentrieren. Hasse diese Gespräche.

Fragebuch: Was will Martin eigentlich? Dass wir ihm nach dem Mund reden? Er kann ja gern Atheist bleiben, aber wo bleibt seine Toleranz uns gegenüber? Wieso erkennt er nicht, während er auf seinem Atheisten-Stern hockt, dass er wirklich geizig ist? Ist man sich selbst gegenüber blind?

Ist man bei Geiz verblendet? Trägt Geiz zu Arroganz bei? Was nutzt ihm sein Haus, sein Auto, sein Grundstück, sein Geld, der Erfolg? Macht es ihn glücklich? Werde Opa Eugen danach fragen. Der meinte neulich, habe leider den Urheber dieses Spruches vergessen: Wissen ist lächerlich, wenn man über Unwissende lacht! Genau und deswegen werde ich ihn fragen.

Könnte schreien

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