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4. Fallbeispiele 4.1. Oedipus

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TragödienOedipusSenecas OedipusTragödienOedipus unterscheidet sich signifikant von der sophokleischenSophoklesOid. T. VorlageSophokles.1 Bei SophoklesSophokles wiegt sich OidipusSophoklesOid. T. zu Beginn in Sicherheit, erst im Laufe des Stückes beginnt seine Welt mit dem schrittweisen Erfassen der Wahrheit zu wanken. Der senecanische OedipusTragödienOedipus ist von Beginn des Stückes an zutiefst verunsichert und von dunklen Ahnungen wegen Apolls Schicksalsspruch geplagt. Das Stück konzentriert sich weniger auf die Wahrheitsfindung als solche als auf die Abbildung des Erkenntnisprozesses der eigenen ausweglosen Situation. Dieser ist gekennzeichnet durch das stetige Scheitern des Protagonisten, der die eigene Hilflosigkeit immer mehr begreifen muss. Die übergeordnete Macht, der Oedipus ausgeliefert ist, ist das fatum, das ihn ins Verderben treibt. Oedipus versucht zu verstehen, wehrt sich und verliert dennoch am Ende. In diesem Stück geht es Seneca weniger darum, eine Lösung oder einen Ausweg aufzuzeigen, sondern darzulegen, wie der Mensch die Welt begreifen kann und wie diese seiner Meinung nach konzipiert ist.

Dabei steht zentral im Stück die Frage der Schuld und Verantwortung in einem determinierten System. In der stoischen Philosophie ist im Grunde für die Schuldhaftigkeit einer Person nur die eigene Gesinnung wichtig. Besonders Seneca hebt die Rolle des animus, also des Vorsatzes bei einer Handlung, hervor. Ist eine gute Handlung nicht intendiert, ist es auch keine gute Handlung, und umgekehrt: Liegt keine Absicht bei einer schlechten Tat vor, ist eine Person auch nicht De beneficiisschuldig.Epistulae morales2 Dann ist die Handlung vom Schicksal bestimmt TragödienOedipusund TragödienOedipusgewollt.Aristoteles3 Diese Dominanz der Intention bei der Bewertung einer Handlung geht so weit, dass jemand als schuldig angesehen wird, der eine schlechte Handlung nur geplant, aber letztlich wegen äußerer Umstände nicht habe ausführen können.De constantia sapientis4

Eine Fallprüfung nach der stoischen Ethik konzentriert sich also auf die Frage nach dem Vorsatz. Es ist somit möglich, dass zwar der Tatbestand objektiv erfüllt ist, da eine Tat tatsächlich begangen wurde. Dennoch ist dies nach stoischer Auffassung nicht zwangsläufig verurteilbar, wenn kein Vorsatz vorliegt, die Erfüllung des Tatbestandes auf subjektiver Ebene also entfällt. Es wurde kein Unrecht begangen, da sich Unrecht durch den bewussten Verstoß gegen eine Regel oder einen Wert charakterisiert. Spielt man dieses Schema an der Figur des OedipusTragödienOedipus durch, müssen zunächst zwei Fälle unterschieden werden. Die Hauptanklage besteht im parricidium und im Inzest mit Iocaste. In diesem Fall ist der objektive Tatbestand erfüllt (OedipusTragödienOedipus hat seinen Vater getötet und seine Mutter geheiratet). Der subjektive Tatbestand ist hingegen nicht erfüllt, denn OedipusTragödienOedipus weiß nicht um seine wahre Identität und kann somit weder in Laius noch in Iocaste seine Eltern erkennen. Nach stoischer Lehre wäre OedipusTragödienOedipus aufgrund seines Nichtwissens nicht schuldig zu sprechen. Scharf davon zu scheiden ist der Nebenanklagepunkt. Interpreten haben der Figur des OedipusTragödienOedipus vorgeworfen, er habe, auch wenn er für den Vatermord nicht zur Rechenschaft zu ziehen sei, nichtsdestotrotz einen Mann getötet und damit Unrecht begangen.5 Zwar ist diesmal der Tatbestand auf objektiver und auf subjektiver Ebene erfüllt (Laius ist tot und OedipusTragödienOedipus wollte ihn töten), allerdings lässt sich für das Verhalten von OedipusTragödienOedipus hier ein Rechtfertigungsgrund anführen: OedipusTragödienOedipus betont, es habe sich um Notwehr gehandelt, da sein Gegner ihn zuerst angegriffen habe (cum prior iuvenem senex / curru superbus pelleret, 770–771). OedipusTragödienOedipus verteidigt in diesem Sinne nur sein Recht der eigenen körperlichen Unversehrtheit und ist von der Schuld freizusprechen.

Das Problem, das Seneca in seiner Tragödie aufwirft, ist jedoch nicht das der feststellbaren Schuld, denn hier ist OedipusTragödienOedipus nach stoischer Auffassung nicht zu belangen. Die Schwierigkeit besteht auf Gewissensebene: Unabhängig davon, dass OedipusTragödienOedipus von außen nicht verurteilt werden kann, hat er gleichwohl Ungeheuerliches begangen. Im Lateinischen lässt sich diese Spannung mit den Begriffen nefas und scelus beschreiben. Zwar kann OedipusTragödienOedipus vom menschlichen scelus freigesprochen werden, doch der Tatbestand des nefas übersteigt das irdische Rechtssystem, da es einen Verstoß gegen die Weltordnung darstellt. Dieser spiegelt sich zum einen sichtbar in der Pestgeißel, die Theben heimsucht. Um diese abzuwenden, wäre es ausreichend, den frevelhaften König OedipusTragödienOedipus seines Amtes zu entheben und Buße tun zu lassen. Doch das Problem liegt in OedipusTragödienOedipus selbst. Für ihn ist es nicht möglich, seine Schuldlosigkeit anzunehmen, da er dann auch seine Taten anerkennen müsste. Dies steht für ihn aufgrund der Schwere der Vergehen jedoch außer Frage. Töchterle fasst zusammen: „Vor der Ungeheuerlichkeit großer, wenn auch subjektiv unschuldig (im error) begangener Verbrechen (scelera) versagt also das moralische Modell der Stoa für den Täter und dessen Tragik vertieft sich zu fast völliger Ausweglosigkeit. Wen das Schicksal für solche Taten vorsieht, der ist durch diese scelera befleckt, auch wenn er sie im error begeht.“6 Die Determination durch das fatum treibt OedipusTragödienOedipus in das Verbrechen TragödienOedipushinein.TragödienOedipus7 Die Entschuldigungsmethode, die die Stoa hierfür anbietet, ist für ihn nicht gültig, da auf emotional-psychologischer Ebene ein Akzeptieren seiner Verbrechen unmöglich ist. Senecas OedipusTragödienOedipus exemplifiziert das Hadern des Menschen mit der Welt, der am Schluss zu der resignierenden Erkenntnis kommen muss, dass er dem Schicksal hilflos ausgeliefert ist. Das Glaubens- und Rechtssystem, das die Stoa für eine ethische Bewertung anbietet, stößt an seine Grenzen. Gleichwohl ist das Stück keine Abkehr vom stoischen Weltbild, sondern zeigt auf, dass Extremsituationen existieren, in denen das fatum weder Sinn noch Trost spenden kann und deshalb nicht positiv zu bewerten ist. Diesen Verstehensprozess hat Seneca in den Chorliedern des Stückes abgebildet.

Der Schlüssel zur Tragödie

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