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1. Das barocke Jesuitentheater

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Der Kontext, in dem Jesuiten Theaterstücke verfassten, war vornehmlich ein schulischer. Dies manifestierte sich auch in der Tatsache, dass die Autoren oft Lehrer der Rhetorikklassen waren und jährlich ein Stück für die Schulaufführung vorlegen mussten.1 Gerade diese Einordnung in den Ordenskontext und in die Tradition des Jesuitentheaters ist für das Verständnis von Baldes Dramatik nicht zu vernachlässigen: Das Theater diente den Jesuiten als Mittel zum Spracherwerb des Lateinischen, das wiederum gezielt mit pädagogischer Wertevermittlung kombiniert werden konnte,2 und wurde zur Paradedisziplin. Der 1540 durch Ignatius von LoyolaLoyola, Ignatius von gegründete Orden3 sah sich mit der schwierigen Situation konfrontiert, dass die Reformation immer mehr Anhänger gewann, die sich von der katholischen Religion abwendeten. Damit einher ging ein gravierender Priestermangel, der den Einfluss der Katholiken auch quantitativ schwächte.4 Da der rege Zulauf zu den Protestanten unter anderem ihrem hervorragenden Ausbildungswesen geschuldet war,5 wurden als Gegengewicht hierzu in ganz Europa eigene katholische Ausbildungsstätten gegründet. Es waren vor allem die Jesuiten, die von den Landesherren mit dieser Aufgabe betraut wurden.6 Und tatsächlich stellten sich schon bald die erhofften Erfolge ein: Die durchdachte Organisation, die ab 1599 verbindlich geltende Ratio studiorum,7 die über nationale Grenzen hinweg ein gleiches und geordnetes Curriculum ermöglichte, der hohe Bildungsstandard der Lehrenden und nicht zuletzt der Zugriff auf weitreichende finanzielle Mittel aus kirchlichen Quellen sowie privater Gönner etablierte die Institutionen bald als Bildungsorte par excellence.8 Dabei war die Gewichtung der jesuitischen Ausbildung immer klar festgelegt: Alle Disziplinen waren der Ausbildung von (katholischen) Theologen untergeordnet und stellten mehr oder weniger ein Mittel zum Zweck dar. Auch wenn Bildung letztlich also als Weg zu Höherem im Sinne des Grundsatzes omnia ad maiorem Dei gloriam galt,9 war deren Standard so hoch, dass die Jesuitenkollegs neben ihren internen zunehmend auch externe Schüler aufnahmen, die vor allem an der Grundausbildung interessiert waren. Die Kollegs wurden oftmals so beliebt, dass den Jesuiten die Leitung alteingesessener Universitäten übertragen wurde oder sie gar Schüler aus protestantischen Haushalten für ihre Schulen abwerben konnten.10

Trotz des theologischen Utilitarismus nahm der lateinische Sprachunterricht im jesuitischen Lehrplan eine Zentralstellung ein, da er für alles Weitere die Basis bildete. Man bemühte sich jedoch, ihn schon früh in Beziehung zu seinem rhetorischen Nutzen zu setzen, um das Ziel einer sapiens et eloquens pietas nicht aus den Augen zu verlieren.11 Neben den Schuldeklamationen wurden auch Theaterstücke aufgeführt.12 Man erhoffte sich einen gleichsam synästhetischen Lernprozess, in dem sich literarische, politische, rhetorische und religiöse Bildung den noch jungen und beeinflussbaren Schülern vermitteln ließ.13 Diese Methode war zunächst kopiert von den Humanistendramen, die im Erziehungswesen der Protestanten einen festen Sitz hatten.14 Allerdings wurden diese oft in der Muttersprache verfasst, während die Jesuitenstücke „erbarmungslos lateinisch“ waren.15 Gleichwohl erfreuten sie sich großer Beliebtheit und zogen trotz ihrer ursprünglich für den schulischen Rahmen vorgesehenen Konzeption ein immer breiteres Publikum an. Neben Veranstaltungen für Angehörige der Schüler gab es öffentliche Darbietungen an Festtagen sowie Sondervorstellungen zu Ehren eines adeligen Gastes, wenn sich dieser in der Stadt befand.16 Die sprachliche Barriere vermochten die Jesuiten einerseits durch das Voranstellen von Periochen zu überwinden, die wichtige Informationen meist in zweisprachiger Form zusammenfassten.17 Andererseits verfügten die Aufführungen der Jesuiten oft über einen komplexen Bühnenaufbau, teure und aufwändige Ausstattung und Kostümierung und präsentierten Stücke von beträchtlichem Aufwand.18 So verschmolzen sie in vielen Teilen mit den Ansprüchen des Barocktheaters und wurden zu einer von der Gesellschaft akzeptierten Marke auf der kulturellen Landkarte. Als Themen waren besonders religiöse Motive beliebt, die sich gleichsam als parodia christiana, als antike Stoffe im neuen Gewand präsentierten.19 Rein humanistische Dramen blieben bei den Jesuiten, anders als bei ihren protestantischen Kollegen, eine Seltenheit.20 Diese Wahl war dem Ziel geschuldet, gleichzeitig missionarische Inhalte zu transportieren und die Bedeutung des Katholizismus zu untermauern. Während die frühen Stücke noch stark polemisch waren, wurde später die Methode vorgezogen, „nicht so sehr die Position des Gegners [zu] erschüttern, als vielmehr die eigene überzeugend oder gar überwältigend darstellen“21 zu wollen. Den größten Einfluss hatten die Jesuiten und ihr Theater deshalb im süddeutschen Raum und Österreich, wo sich die Gegenreformation besonders erfolgreich durchgesetzt hatte.22 Es hieße allerdings die Qualität der Stücke beträchtlich herabsetzen, wollte man sie allein auf ihre Funktion als Bollwerk gegen den Protestantismus beschränken: Dies mag zunächst zwar die Hauptintention gewesen sein, doch ist der dramaturgische und literarische Wert der Stücke in einigen Fällen so hoch, dass sie zu Recht auf sämtlichen Bühnen Europas gespielt wurden. Allerdings darf bei einem Jesuitendrama nie aus dem Blick geraten, dass Stücke dieses Genres im Sinne des bloßen ‚l’art pour l’art‘ nicht existierten. Ein gewisses didaktisches Ziel haftete ihnen stets an, es konnte sich hierbei auch um die Vermittlung von Bildungsinhalten oder ganz allgemeiner christlicher und charakterlicher Werte handeln.23 Eben diese Ausrichtung ist es, die das Jesuitentheater zu einer Einheit bringt: Mögen sich die Stücke aufgrund ihrer unterschiedlichen Entstehungskontexte und ihrer Vielfalt an Verfassern kaum zu einem homogenen Gattungsbegriff vereinen lassen, so bleiben sie doch stets einer übergeordneten Maxime treu: der Pädagogik.24

Wenngleich sich Baldes dramatische Werke aufgrund ihrer hohen sprachlichen Qualität deutlich vom Durchschnitt der barocken Jesuitendramen abheben, bleibt für seine Stücke der pädagogisch-vermittelnde Charakter des Jesuitentheaters konstitutiv. Besonders gilt dies für die JephtiasJephtias, in der Balde seine Deutung des biblischen Jephte-Stoffes für eine breite Öffentlichkeit aufbereitet. Ein essentielles Mittel, um dies zu erreichen, ist der tragische Chor, den er nutzt, um die Interpretation der Tragödie zu liefern und ihre Aussage zu entschlüsseln. Dass Balde seinem Chor eine so zentrale Funktion zukommen lässt, ist in der zeitgenössischen Dramatik keineswegs gängiger Usus.

Der Schlüssel zur Tragödie

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