Читать книгу Der Schlüssel zur Tragödie - Caroline Dänzer - Страница 21
4.1.5. Realität: Unausweichliche Determination durch das fatum
ОглавлениеAn das Chorlied schließt sich der Auftakt des letzten Aktes an. Ein Botenbericht schildert die Selbstjustiz des OedipusTragödienOedipus nach der Anagnorisis. Dort wird auch wiedergegeben, wie OedipusTragödienOedipus seine Bestrafung begründet. Der Tod sei nicht hart genug, da er ermögliche, dem Schicksal zu entrinnen. Dies sei eine Erlösung und keine Strafe. Der Selbstmord als Ausweg bleibe somit Menschen vorbehalten, die sich weniger vorzuwerfen hätten. Der Tod sei zwar angemessen für einen Vatermörder, nicht aber für einen, der ein inzestuöses Verhältnis mit seiner Mutter gepflegt habe, da dies eine Perversion der Naturgesetze sei (natura in uno vertit Oedipoda, 943). An der Formulierung des Verses zeigt sich die innere Spannung, die OedipusTragödienOedipus zerreißt: Die treibende Macht der Katastrophe ist als Subjekt des Satzes die Natur selbst. OedipusTragödienOedipus ist nur Spielball ihrer Machenschaften. Gleichwohl befindet er sich seiner Vergehen schuldig, da er sie ja begangen hat.TragödienOedipus1 Sein ganzes Streben, dem Schicksalsspruch zu entgehen, muss ihm völlig sinnlos erscheinen, denn er erkennt nun, dass er dem Schicksal in die Hände gespielt hat. Er muss einen Weg finden, um sich vor dem Sturz in die Absurdität zu schützen. Sein SophoklesSchicksal im Nachhinein anzunehmen, kann nicht ausreichen. Es gilt, eine geeignete Bestrafung zu finden, um die Verbrechen zu sühnen. Die Ablehnung des Selbstmordes ist auffällig, da die Stoa diesen gerade für solch ausweglose Situationen empfiehlt.TragödienPhoenissae2 Doch OedipusTragödienOedipus will nicht fliehen, sondern strafen. Passend erscheint ihm die Methode der Blendung. Dies sei weitaus schlimmer TragödienPhoenissaeals der Tod, würde so doch ein langsames, besonders qualvolles Dahinsiechen befördert, das jeglichen Lebensgenuss verhindere TragödienTroades(949–951).3 Es ist allerdings fraglich, ob Seneca die Entscheidung des OedipusTragödienOedipus positiv bewerten wollte. Die grausige, detailgetreue Beschreibung des Aktes der Blendung selbst (958–974)TragödienOedipusTragödienOedipus4 hebt vielmehr ihre Unverhältnismäßigkeit hervor.TragödienOedipus5 Die Bestrafung des OedipusTragödienOedipus resultiert nicht aus rationaler Überlegung und bewusster Entscheidung, sondern aus einem übersteigerten Affekt.TragödienOedipus6 In scharfem Kontrast zu diesem drastischen Bild hebt nun der Chor zu seinem letzten Lied (980–997) an und entspinnt eine abschließende philosophische Reflexion, die an das vierte Lied anknüpft.
Er singt von der Macht des Schicksals, der sich niemand widersetzen könne (fatis agimur: cedite fatis, 980). Die gleichmäßigen anapästischen Dimeter verleihen dem Lied eine bedrückende und resignierende Note. Die Parzen hielten die Lebensfäden stets fest in der Hand, eine Veränderung des Lebenslaufes sei nicht möglich (981–986). Der Mensch sei von der Wiege bis zur Bahre determiniert (primusque dies dedit extremum, 988). Kein Gott könne diese Tatsache verändern (non illa deo vertisse licet, 998), Beten sei zwecklos in Anbetracht dieser unumstößlichen Ordnung (it cuique ratus prece non ulla / mobilis ordo, 991–992). Sein Schicksal zu fürchten und vor ihm davonlaufen zu wollen, mache alles nur noch schlimmer (multis ipsum metuisse nocet / multi ad fatum venere suum / dum fata timent, 993–995).7 Anders als im vorhergehenden Lied verzichtet der Chor hier auf ein Exempel. Zuvor hatte das Icarus-Motiv dazu gedient, erneut Assoziationen mit OedipusTragödienOedipus zu wecken. Am Ende des letzten Liedes folgt stattdessen eine Überleitung (995–997), die den nach seiner Blendung auftretenden Oedipus TragödienOedipusankündigt. Der Zuschauer muss an dieser Stelle die Bezüge nicht mehr selbst herstellen: OedipusTragödienOedipus fungiert hier als lebendes Beispiel.
Iocaste eilt hinzu und wird mit der rasenden Agaue verglichen (1004–1006). Der Vergleich mit der Mutter des Pentheus ist an dieser Stelle das erste Mal explizit aufgeführt und rundet so die Reihe der Anspielungen auf die Episode ab. Auch Iocaste hat von dem Inzest mit ihrem Sohn erfahren. Sie versucht, die Schuld dem Schicksal allein zuzuschreiben, denn niemand könne schuldig werden, wenn das Schicksal es von vorneherein bestimmt habe (fati ista culpa est: nemo fit fato nocens, 1019).8 Iocaste wählt hier die stoische Argumentationsweise der Schuldlosigkeit bei fehlendem Vorsatz. OedipusTragödienOedipus lässt sich jedoch auf diese Erklärungsstrategie nicht ein. Es stellt sich für ihn nicht die Frage nach der objektiv feststellbaren Schuld, für ihn ist klar, dass er im Bewusstsein seiner Taten nur über die Selbstbestrafung bis zu einem gewissen Grade seinen inneren Frieden wiedererlangen kann. Iocaste wählt daraufhin den Selbstmord und ersticht sich mit dem Schwert, bezeichnenderweise in den Unterleib.Tragödien[Octavia]Nero9 OedipusTragödienOedipus klagt, nun auch noch indirekt zum Mörder seiner Mutter geworden zu sein (bis parricida, 1044),Nero10 das Schicksal sei also noch härter zu ihm gewesen als ursprünglich prophezeit. Er beschließt daraufhin, ins Exil zu gehen, und fordert sein grausames Schicksal und sämtliche damit verbundene Übel auf, die Stadt mit ihm zu verlassen. Der Kreis schließt sich am Schluss des OedipusTragödienOedipus. Mit der Verheerung der Pest hatte das Stück begonnen, mit ihrem Auszug endet es.