Читать книгу Abgebrühte Mörderkunst: 6 Strand Krimis - Cedric Balmore - Страница 16
9
ОглавлениеWir hatten sämtliche Computer in der Sicherheitszentrale beschlagnahmt. Darüber hinaus aber auch die aus Labor 5c, auch wenn sowohl Professor Davis als auch der Justiziar heftig protestierten. Aber Mister McKee hatte dies in Zusammenarbeit dem zuständigen District Attorney James E. Longoria III. durchgesetzt.
Am nächsten Tag fand eine Besprechung im Büro unseres Chefs statt, an dem außer Milo und Mister McKee auch unsere Kollegen Orry Medina, Clive Caravaggio und Jay Kronburg teilnahmen. Dazu kamen noch Greg Naismith und Tom Dalban, die beiden Biowaffenexperten aus Washington sowie der SRD-Computerexperte Dave Ontario.
„Für mich steht außer Frage, dass General Biotech mit veränderten Pocken-Erregern experimentiert hat“, erklärte Greg Naismith.
„Und worin bestehen diese Veränderungen?“, fragte Mister McKee stirnrunzelnd.
„Üblich ist beispielsweise eine längere oder kürzere Inkubationszeit. Je nachdem, ob man sehr schnell viele Menschen außer Gefecht setzen möchte oder eine schleichende, dafür umso verheerendere Epidemie im Sinn hat“, lautete Naismith’ Antwort.
„Das klingt für mich sehr beunruhigend“, bekannte Mister McKee.
„Es gibt immerhin eine gute Nachricht“, mischte sich nun Tom Dalban ein. „Die Erreger befanden sich in einem so genannten CX-Behälter und sind darin unschädlich, solange dieser nicht geöffnet wird.“
„Ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass sich dieses Teufelszeug jetzt wahrscheinlich in den Händen eines irren Kriminellen befindet“, warf Milo Tucker ein.
„Sagen Sie das nicht“, wandte Dalban ein. „Es ist erst ein paar Jahre her, da transportierten Mitarbeiter eines Labors in Washington den Kadaver eines an Ebola verendeten Versuchsaffen in einer Plastiktüte. Sie legten ihn einfach in den Kofferraum ihres Dienstwagens und fuhren damit in den Straßen Washingtons herum. Es wäre nur ein ganz gewöhnlicher Verkehrsunfall nötig gewesen, um eine Katastrophe auszulösen!“
„Was glauben Sie, was die Ziele des Täters sind?“, fragte Mister McKee.
Dalban zuckte die Achseln. „Das war ein Profi, der will wahrscheinlich nur Geld verdienen und handelt im Auftrag.“
„Und wer steckt dahinter?“
„Eine gute Frage. Abwandlungen des Pocken-Virus sind beliebte Kampfstoffe, die sich wahrscheinlich hervorragend an zahlreiche Regierungen verkaufen lassen, wenn man es darauf anlegt.“
„Wir haben allerdings keine Hinweise darauf gefunden, dass auch ein Impfstoff entwendet wurde“, stellte ich nun fest. „Eigentlich ist der zwingend notwendig!“
„Schließlich sollen ja nicht die eigenen Leute an einem resistenten Pocken-Erreger sterben“, ergänzte Jay Kronburg.
„In diesem Zusammenhang wäre es natürlich vorteilhaft, wenn wir Einzelheiten über die Forschungen von General Biotech wüssten“, meinte Clive Caravaggio. „Leider sagte mir Mister Ontario, dass bislang auf den beschlagnahmten Rechnern nicht allzu viele Hinweise gefunden worden seien.“
„Ich möchte, dass die Kollegen Naismith und Dalban sich den Inhalt der Festplatten der Laborrechner noch einmal in aller Ruhe ansehen“, erklärte Mister McKee.
Die beiden Angesprochenen nickten zur Bestätigung.
In diesem Augenblick wurde die Tür mit unverhältnismäßiger Wucht zur Seite geschleudert. Gemessenen Schrittes trat Scott Graham ein.
Alle Augen waren jetzt auf den NSA-Mann gerichtet, der die Krawatte gelockert und jetzt seine Hände in die Hosentaschen steckte.
Er schien gerade etwas sagen zu wollen, als unser Chef ihm zuvor kam.
„Mein Name ist Assistant Director in Charge Jonathan D. McKee und ich möchte, dass Sie sich jetzt setzen und unsere Sitzung nicht weiter durch Ihre Selbstinszenierung stören, Mister!“
Scott Grahams Gesicht wurde ernst.
Er nahm einen der noch freien Stühle und setzte sich.
„Sie haben Glück“, fand Mister McKee. „Die Untersuchungsergebnisse vom Tatort haben wir ebenso wenig besprochen wie die weitere Vorgehensweise bei den Ermittlungen und die Abgrenzung der Kompetenzen. Sie haben also nichts verpasst.“
„Tut mir leid, dass ich so spät dran bin. Aber auf dem Elevated Highway ist der Teufel los und…“
„Schon gut, Mister Graham“, schnitt ihm Mister McKee das Wort ab. „Ich denke, es gibt gravierendere Probleme in unserer Zusammenarbeit als Unpünktlichkeit.“
Alle Augen waren jetzt auf Graham gerichtet. Die Arroganz, die ihn gestern noch ausgezeichnet hatte, war einer vorsichtigeren, abwartenden Haltung gewichen. Ich vermutete, dass ein Gespräch auf Vorgesetztenebene dahinter steckte.
Mister McKee erhob sich von seinem Platz.
Die Hände steckten in den Hosentaschen, das Gesicht war ernst. „Ich hatte mit dem stellvertretenden NSA-Director ein langes Gespräch, Agent Graham. Es mag Ihnen oder mir nun persönlich passen oder nicht – wir werden bei diesem Fall kooperieren müssen. Und Kooperation setzt einen Austausch an Informationen voraus.“
„Meiner Ansicht nach reicht es, wenn der Kerl mit dem CX-Behälter wieder eingefangen wird“, erwiderte Graham.
„Ich kenne Ihre Ansicht“, schnitt ihm Mister McKee das Wort ab. „Aber wie mir Assistant Director Cunningham versicherte, kennen Sie inzwischen auch die Ansicht Ihres Vorgesetzten. Also richten Sie sich danach!“
„Ja, Sir“, gab Graham klein bei.
„Inzwischen weiß ich auch, weshalb Sie in diesem Fall auf Geheimhaltung so großen Wert legen“, erklärte Mister McKee. „Ein mutierter Pocken-Erreger, produziert im Auftrag der US-Regierung – das würde unsere Regierung außenpolitisch in Erklärungsnotstand bringen.“
„Vielleicht kann uns Agent Graham darüber aufklären, was das besondere an dieser speziellen Form des Pockenerregers ist“, schlug ich vor.
„Sie ist unter anderem besonders ansteckend und führt sehr viel schneller zum Tod als das bei gewöhnlichen Pocken der Fall ist. Außerdem besteht eine Resistenz gegen sämtliche bekannten Behandlungsmethoden“, berichtete Graham. „Im Übrigen möchte ich betonen, dass unsere Regierung die Entwicklung derartiger Stoffe nicht in Auftrag gegeben hat, um sie gegen außenpolitische Feinde einzusetzen. Der einzige Zweck von Projekten wie den bei General Biotech durchgeführten Forschungen ist es, Impfstoffe und Gegenmittel zu entwickeln. Wir wissen, dass es mindestens ein Dutzend Staaten auf der Welt gibt, in denen an mutierten Krankheitserregern gearbeitet wird und befürchten schon lange, dass derartige Biowaffen auch in die Hände von Terroristen gelangen könnten.“ Graham beugte sich vor. „Der bei General Biotech entwendete Bio-Kampfstoff ist einem Präparat im chemischen Aufbau nachempfunden worden von dem wir wissen, dass es in einem uns nicht gerade freundlich gesonnenen Staat bereits produziert wurde. Leider ist der erste Schritt zur Entwicklung eines Impfstoffs immer die Isolierung des Krankheitserregers. Da werden Ihre Biowaffen-Experten mir sicher zustimmen.“
Naismith und Dalban nickten kurz.
„Unglücklicherweise sind auf den beschlagnahmten Laborrechnern weite Bereiche der Festplatte gelöscht worden und es ist sehr schwer, sie zu rekonstruieren“, meldete sich nun Dave Ontario zu Wort. „Andere Bereiche sind mit Verschlüsselungscodes so gesichert, dass ich noch Zeit brauchen werde, um sie zu knacken. Es wäre nett, wenn unser Kollege von der NSA die Wissenschaftler von General Biotech die Angst vor rechtlichen Konsequenzen nehmen und sie zur Kooperation überreden könnte. Dann würde wir sicherlich schneller vorankommen.“
„Ich glaube, das überlassen wir besser der Vorgesetzten-Ebene“, meinte Mister McKee.
Offenbar traute er Graham nicht zu, dass dieser tatsächlich über seinen Schatten zu springen vermochte.
Graham sagte: „Ich denke, Sie wissen jetzt alles, was für die Verfolgung des Täters notwendig ist. Wir verhindern, dass die falschen Leute das Präparat im CX-Behälter in die Finger bekommen.“
„Ganz meiner Ansicht“, nickte Mister McKee. „Haben Sie dazu irgendwelche Vorschläge zu machen?“
„Das Zeug wird früher oder später auf dem Markt angeboten“, meinte Graham. „Ich bin überzeugt davon, dass der Einbrecher ein Profi war, der selbst damit gar nichts anzufangen wüsste, sondern es so schnell wie möglich loswerden will. Für noch wahrscheinlicher halte ich die Annahme, dass der Täter in direktem Auftrag gehandelt hat. Da als Auftraggeber von irgendwelchen Terroristen über todessehnsüchtige Verrückte bis hin zu Agenten ausländischer Geheimdienste nun wirklich jeder in Betracht kommt, müssen wir bei den Helfen ansetzen, die der Täter zweifellos hatte.“
„Ja, zum Beispiel muss ihm jemand Zugang zum Gelände verschafft haben“, meine Milo.
„Ich denke, die Frage ist schnell geklärt“, sagte Graham, woraufhin ihn alle Anwesenden erstaunt ansahen.
„Dann lassen Sie uns an Ihren Erkenntnissen teilhaben“, verlangte Mister McKee.
„Ich habe mit einigen der Wachleute gesprochen. Durch den Austausch der Videodaten auf den Computern der Überwachungszentrale wissen wir ziemlich genau von wann bis wann der Einbruch stattgefunden hat.“
„Die Frage ist, woher Sie das wissen, Agent Graham! Sie waren doch gar nicht dabei, als wir…“
„Ich habe meine Quellen, Agent Trevellian.“
Das bedeutete, jemand von General Biotech oder SAFETY FIRST hatte den NSA-Agenten angerufen und sofort über alles informiert, was sich in der Überwachungszentrale getan hatte. Mir gefiel der Gedanke nicht, dass dieser Kerl uns offenbar ein paar Schritte voraus war – und ich fragte mich, in wie weit er jetzt tatsächlich mit offenen Karten spielte.
Graham fuhr fort: „Genau zu der Zeit, als der Täter das Gelände verlassen haben muss, schlug einer der Hunde an. Das Tier führte die Wachmänner zu einem der Spezialfahrzeuge und kroch darunter. Es war auf einem Gullydeckel geparkt worden.“
„Sie glauben, dass der Täter über das Abwassersystem entkommen ist?“, glaubte Mister McKee.
Graham nickte.
„Ganz recht.“
„Das hätten Sie uns mitteilen müssen“, erklärte Mister McKee. „Dann hätten die Kollegen der SRD die Möglichkeit gehabt, Spuren zu sichern.“
„Sie werden keine Spuren dort finden. Der Täter war ein Profi, dem passiert so etwas nicht.“
„Das kann nicht Ihr Ernst sein, Graham!“
„Im Übrigen habe ich alle Informationen sofort weitergegeben – allerdings an meine Vorgesetzten. Aber die wirklich interessante Frage war doch, wer den Wagen genau auf den Gullydeckel gefahren hat, um dem Einbrecher eine Tarnung zu geben.“
„Und?“, fragte Mister McKee ungeduldig.
„Sein Name ist Larry Primrose. Einer der Security Guards hat mitbekommen, wie er den Wagen extra noch einmal umgefahren hat, damit sich der Gully unter dem Fahrzeug befindet. Natürlich wurde dem Wachmann erst im Nachhinein klar, was das zu bedeuten hatte.“
„Erzählen Sie mehr über diesen Primrose!“, verlangte Mister McKee.
„Er ist bei General Biotech als Fahrer angestellt und hat passenderweise ab heute für ein paar Tage Urlaub eingereicht. Primrose wohnt am Lennox Hill in der 90. Straße West, Hausnummer 332. Ich habe ihm gestern Abend einen Besuch abgestattet. Er war nicht da. Ich habe die halbe Nacht vor seiner Adresse im Wagen gewartet. Gegen fünf kam er nach Hause. Ich passte ihn ab und habe ihn verloren. Der Kerl hat mir eins übergebraten und ich war eine Zeitlang ausgeknockt.“
„Daher Ihre Verspätung“, sagte Clive schneidend. „Und jetzt brauchen Sie die Hilfe des FBI, um ihn ins Netz gehen zu lassen!“
„So ein Unsinn!“
„Ich darf annehmen, dass Sie auch in diesem Fall sofort Ihre Vorgesetzten informiert haben, als Sie in Primroses Wohnung aufwachten.“
Graham nickte.
„Das ist richtig. Offenbar hat es hier ein gewisses Kommunikationsdefizit auf höherer Ebene gegeben“, erwiderte er.
Mister McKee nahm nun das Gespräch wieder auf. „War jemand von der NSA bereits in Primroses Apartment, um Spuren zu sichern?“
„Das weiß ich nicht. Aber wenn meine Vorgesetzten Ihnen darüber nichts mitgeteilt haben, dann wird das seine wohl abgewogenen Gründe haben.“
„Ich denke, dass ich da noch ein paar Dinge mit Ihrer Behörde zu klären habe, Agent Graham.“
Graham antwortete nicht darauf.
Er hob nur das Kinn um ein paar Grad.
Mister McKee verzichtete auf die Gelegenheit, darauf herumzureiten, dass Agent Graham durch seinen Alleingang für das Verschwinden eines wichtigen Zeugen die Verantwortung trug. Polizeiarbeit war nun einmal Teamarbeit. Gleichgültig ob beim FBI, dem New York Police Department, der DEA oder sonst wo.
Mister McKee wandte sich an Milo und mich. „Fahren Sie mit Agent Graham noch einmal zu Primroses Wohnung und versuchen Sie im Umfeld zu ermitteln. Ich gebe diesen Kerl in die Großfahndung.“
„In Ordnung, Mister McKee.“
„Die Kollegen der Fahndungsabteilung haben die Nacht über alle nur erdenklichen Informationen über sämtliche Mitarbeiter von General Biotech und SAFETY FIRST gesammelt und die gestern durchgeführten Befragungen ausgewertet. Jeder hier im Raum bekommt die Liste, die nach Prioritäten geordnet ist. Eine richterliche Genehmigung zur Einholung von Bankauskünften ist zwar bereits heute Nacht erteilt worden, aber diese Überprüfung kann jetzt erst beginnen. Ich nehme an, dass wir gegen Mittag wissen, ob jemand verschuldet war und plötzlich reich geworden ist oder dergleichen.“