Читать книгу Madonna-Mörder: Super Krimi Sammelband 3 Romane - Cedric Balmore - Страница 16
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Luigi Sciavo ging unbefangen an die Tür, als es klingelte. Er hatte gute Beziehungen zu allen Nachbarn und keine Feinde, soviel er wusste. Jedenfalls nicht in diesem Land. Was sein Heimatdorf in der Nähe von Neapel betraf, war er nicht so sicher, aber von dort hatte er nie ein Lebenszeichen erhalten. Niemand hatte ihm oder seinem Sohn Drohbriefe geschrieben.
Hier in New York aber schützte den alten Herrn - so leid es ihm tat - der wüste Ruf, den sein Sohn in Brooklyn genoss. Kein Straßenräuber und kein Killer wären so wahnsinnig gewesen, dem Vater des Don Tonio zu nahe zu treten. Umso erstaunter war der alte Herr, als er ein unbekanntes Gesicht vor sich sah.
„Ich komme aus Terezzo“, sagte der Besucher unfreundlich und holte die Lupara unter dem Mantel hervor. „Mein Name ist Guido Monari. Du wirst dich nicht mehr erinnern ...“
Der alte Sciavo erschrak.
Obwohl er sich andere Sachen leisten konnte, rannte er stets in einer verschossenen ungebügelten Hose herum, wie sie die Kaufhäuser im Ausverkauf verschleuderten. Da er leicht fror, steckte er zu jeder Jahreszeit in einer billigen Strickjacke. Er rasierte sich miserabel und unregelmäßig. Daher bedeckte ein mehr oder weniger ansehnlicher Stoppelbart sein Kinn wie Grauschimmel. Denn auch das Haupthaar wies nicht jenen Schimmer von Silber auf, den manche alten Leute der Natur, die meisten aber der Kunst ihres Frisörs verdanken.
Morani drängte in den Raum, nicht ohne seine Komplizen heranzuwinken, die ihm auf dem Fuße folgten.
„Stell dir vor, Mama“, rief der alte Sciavo, „wir haben Besuch aus der alten Heimat.“
„Jesus Maria“, kreischte die alte Dame, die sehr wohl wusste, dass ihr Mann sie warnen wollte. Aber es war zu spät, um noch zu fliehen. Sie war nur froh, dass ihre Enkelkinder nicht im Haus waren. Sowohl Mario, wie auch Celestina kamen gerne vorbei.
„Setze sich da in den Sessel und halte den Schnabel!“, befahl Morani, der die alte Dame aus der Küche holte.
„Was wollt ihr von uns?“, fragte die Matrone, die sehr füllig geworden war. Man musste sehr genau hinsehen, um Ähnlichkeit mit dem feurigen jungen Mädchen festzustellen, das auf einem Hochzeitsbild über dem durchgesessenen Sofa glücklich lächelnd neben einem Mann mit ansehnlichem Schnurrbart stand. „Wir haben die Juwelen nicht. Tonio hat sie der Kirche zurückgegeben. Sie schmücken die Madonna“, sagte die Frau, weil sie dachte, es ginge um den Kirchenschatz von Terezzo. Das Verbrechen von damals lastete schwer auf ihr, die nie in ihrem Leben gestohlen hatte und erst durch die Kriegswirren in Versuchung geraten war, der eigenen Armut mit einem Schlag ein Ende zu setzen.
„Ich will deinen Sohn Tonio“, erwiderte Monari. „Nur deshalb sind wir gekommen.“
„Er hat nichts mit der Sache zu tun“, schrie der alte Sciavo. „Was werft ihr ihm denn vor? Er war doch damals noch ein Kind.“
„Ein Satansbraten von fünfzehn Jahren“, schränkte der Ex-Partisan ein. „Und während wir in den Bergen kämpften, hat er uns verraten und unsere Familien in den sicheren Tod getrieben.“
„Da lügst du“, verteidigte Celerosa Sciavo ihren einzigen Sprössling. „Da lügst du.“
„Wir haben Beweise. Ein paar der Männer, die damals zu dem Erschießungskommando gehört haben, wurden weiter im Norden auf dem Rückzug gefangengenommen. Sie haben Aussagen gemacht und beschworen. Ich habe die Papiere gesehen.“
„Diese Menschen sagen doch alles aus, wenn sie unter Druck gesetzt werden, um sich die Gunst der neuen Herren zu erwerben. So musst du das beurteilen“, verteidigte sich Sciavo.
„Ich weiß, was ich sage“, parierte Morani finster. „Ich dachte mir schon, dass du uns nicht glaubst. Deshalb habe ich dir etwas mitgebracht.“
Er zog einen Packen Ablichtungen aus der Tasche und warf den Stapel auf den Tisch.
Luigi rührte sich nicht. Erst nach einer weiteren Aufforderung kramte er umständlich seine Brille heraus und setzte sie auf. Dabei murmelte er lautlos vor sich hin. Er war nie besonders glücklich gewesen über das, was sein Sohn in New York trieb. Aber er hatte gehofft, dass Tonio wenigstens in Italien eine reine Weste gehabt hatte und erst in der Neuen Welt verdorben worden sei. Das hatte er jedenfalls immer zur Entschuldigung vorgebracht. Er fürchtete sich davor, dass auch diese letzte Illusion zerstört werden könnte, und blickte hilflos auf seine Frau.
„Lies vor!“, sagte Celerosa hart und faltete die Hände. Sie war auf alles gefasst. Und tatsächlich blieb am Ende nicht die Spur einer Hoffnung, alles könne sich in Nichts auflösen und ihr Sohn sauber und rein aus dieser Affäre hervorgehen. Die Unterlagen bewiesen das klipp und klar.
Es folgte eine lange Liste von Leuten, die Tonio Sciavo verraten hatte, eine Aufstellung von Abrechnungen für die einzelnen Tipps des jungen Sciavo, der auch zwei Waffenlager der Partisanen den Deutschen angezeigt hatte.
Die größte Belohnung aber, die sich Tonio Sciavo selbst an Land gezogen hatte, war nicht erwähnt: Der Kirchenschatz des völlig zerstörten Terezzo, den der Junge unter Mithilfe seiner Eltern rechtzeitig geborgen hatte, angeblich, damit er nicht den fremden Besatzungstruppen in die Hände fiel.
„Ich spucke vor ihm aus. Er ist nicht mehr mein Sohn!“, schrie Luigi Sciavo. „Ich habe sein Doppelspiel nie durchschaut. Er hat es mir nie verraten.“
„Euer Sohn war immer geschäftstüchtig und konnte sein Mäntelchen schnell nach dem Wind hängen“, meinte Monari.
„Er war immer schlauer als wir“, nickte Celerosa Sciavo, die wie erstarrt auf ihrem Stuhl hockte. „Das ist die Strafe, dass wir uns am Eigentum der Kirche vergriffen haben. Wir haben die Juwelen behalten und uns Geld darauf geborgt.“
„Das hätte ich an eurer Stelle vielleicht auch getan. Aber darum geht es nicht, zumal ihr tatsächlich alles an die Kirche zurückgegeben habt“, stellte Morani fest.
„Und mehr als das. Jeden zweiten Dollar, den ich verdient habe, steckte ich in den Opferstock unserer Kirche“, beteuerte Luigi Sciavo, „um meine Schuld ein wenig abzutragen.“
„Du kannst mehr tun“, meinte Morani kalt. Die beiden Alten blickten ihn verwirrt an. „Hole deinen Sohn her!“, verlangte Morani. „Und beweise damit, dass du auf der richtigen Seite stehst.“
„Ihr wollt ihn töten?“
„Verdient er etwas anderes?“
„Bestimmt nicht“, sagte Luigi Sciavo im Brustton der Überzeugung. „Ich habe ihm das Leben gegeben, ich werde es ihm auch wieder nehmen. Ich habe selbst ein Gewehr im Schrank.“
„Das verlangt niemand. Wir machen das schon. Wir haben ein Recht darauf“, widersprachen die sechs Italiener. „Du bist von deinem Sohn nur enttäuscht worden, uns aber hat er die Familien dezimiert. Wir haben lange auf diesen Augenblick gewartet. Jeder der Überlebenden des damaligen Massakers hat sein Scherflein dazu beigetragen, damit sechs von uns nach Amerika fliegen konnten und Tonio Sciavo zur Rechenschaft ziehen.“
Stumm nickte der alte Mann. Er setzte sich zu seiner Frau. Er legte seinen Arm um sie. Mit Tränen in den Augen beobachteten die beiden, wie die sechs Italiener alle Vorbereitungen trafen.
„Wird er kommen, wenn du ihn anrufst?“, erkundigte sich Morani, der jedem seinen Platz zugewiesen hatte.
„Ich werde es sehr dringend machen“, nickte Luigi Sciavo. „Ich werde ihm sagen, dass seine Mutter einen Herzanfall gehabt hat. Je eher dieser Bastardo stirbt, desto besser.“
„Einverstanden“, meinte Morani.
Er blickte sich um. Alles war vorbereitet. Selbst wenn der Mafiaboss mit seiner gesamten Leibwache anrückte, musste er verlieren. Denn ehe er die Lage überschaute, würde ihn ein Geschosshagel erwischen.
Die Männer waren gut versteckt. Ihre Luparas schossen nie daneben. Sie waren mit besonders grobem Schrot geladen. Eine solche Salve hatte verheerende Wirkung.
Langsam ging der alte Mann zum Telefon. Er ließ die Schultern hängen und hielt den Kopf gesenkt. Er sah seine Frau an, während er den Hörer abnahm. Sie nickte stumm und kämpfte mit den Tränen.
Aber sie beide hatten gesehen, was die Soldaten in Terezzo angestellt hatten, überzeugt, dass die Überfälle der letzten Monate von dort ausgegangen waren, bis auf das Blut gereizt und durch die nächtlichen Anschläge der Partisanen und den Bombenterror. Für den Verrat ihres Sohnes gab es keine andere Sühne als den Tod. Sie konnten nur noch für ihn beten.
Langsam ließ Luigi Sciavo die Wählerscheibe kreisen und wartete auf die Verbindung. Sein Blick fiel auf den Haufen Beweise, die auf dem Tisch lagen, und sein Gesicht wurde hart.
Einer der Italiener, der der Sache nicht traute, wollte zu dem alten Mann treten, aber Morani hielt ihn zurück. Wenn Sciavo Senior sie verriet, konnten sie nichts machen und mussten sich etwas Neues ausdenken. Ihm aber deutlich zu zeigen, dass man ihm misstraute, hätte womöglich einen Sinneswechsel herbeigeführt. Es war ohnehin ein Wunder, dass sich Luigi Sciavo so rückhaltlos auf ihre Seite geschlagen hatte. Verrat hin, Verrat her - Tonio Sciavo war schließlich sein eigen Fleisch und Blut.
Luigi Sciavo erreichte schließlich, dass der Mafiaboss an den Apparat kam.
„Was gibt es, Vater?“, fragte er. Seine Stimme war laut und unbeherrscht, als könne er auf das Telefon verzichten und seine Worte quer durch die Stadt brüllen, über jede Entfernung.
„Mama geht es sehr schlecht. Sie hat einen Herzanfall gehabt“, behauptete der alte Mann.
„Schicke nach dem Doktor, Papa!“
„Er war schon hier. Sie möchte dich noch einmal sehen.“
„Hör’ zu, Papa! Ich habe im Augenblick den Kopf voll ...“
„Soll das heißen, dass du deine arme Mutter sterben lässt, ohne ...“
„Natürlich nicht. Ich komme. Bleibe ganz ruhig! Ich bin gleich bei dir“, brüllte der Don.
Langsam legte Luigi auf.
„Ihr geht besser hier weg“, meinte Morani. „Es wird nicht ohne Krach abgehen, und wie leicht könnte eine verirrte Kugel euch erwischen. Wir machen das schon.“
Die alte Frau erhob sich. Es wäre über ihre Kräfte gegangen, die Ermordung ihres eigenen Sohnes anzusehen. Aber der alte Sciavo erhob Einspruch.
„Ich will ihm noch sagen, was ich von ihm halte. Ich werde ihn verstoßen und verfluchen“, schäumte er. „Ich hasse ihn. Ich habe ihm nie getraut, weil er plötzlich mit schlechten Menschen Umgang hatte, hier in Amerika. Ich habe ihn tausendmal entschuldigt und mir immer wieder gesagt, dass es die große Stadt ist, die ihn verdorben hat. Ich wollte zurück nach Italien. Aber jetzt begreife ich, dass er von Grund auf schlecht ist. Ich werde ...“
„Wir haben keine Zeit mehr“, sagte Morani entschlossen und packte den alten Mann am Arm. „Geh’ zu deiner Frau und bleib dort, bis alles vorüber ist!“
Er geleitete das Ehepaar hinaus. Sie taten ihm beide leid. Sie hatten das Herz auf dem rechten Fleck. Er verzieh ihnen den Diebstahl, der ihnen aus dem Elend geholfen hatte. Er musste ihren Sohn töten. Das war schlimm genug.
Morani überprüfte noch einmal seine Lupara, denn er hörte bereits die Wagen vorfahren.