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Nabucco
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u abgenützt ist die von Verdi 1879 Ricordi erzählte Anekdote, wie der Impresario Merelli dem nach dem Verlust seiner Familie und nach dem Desaster von Un giorno di regno schwer depressiven, kompositionsunwilligen Komponisten im Winter 1840-41 in Mailand den Nabucco-Text aufnötigt und wie dieser zu Hause mürrisch das Libretto hinwirft, das sich wie durch eine Schicksalsfügung auf dem Gefangenenchor („Va, pensiero, sull’ali dorate“) öffnet, er nach einem Blick auf diesen Chor in einer einzigen Nacht das ganze Libretto auswendig lernt und sich sofort in die Komposition stürzt, als daß sie hier ausführlich wiedergegeben werden müßte.
Ganz anders und wesentlich realitätsnäher klingt die Version, die Verdi 1869 – also zehn Jahre vor dem Autobiographischen Bericht – Michele Lessona erzählt, der sie in seinem Buch Volere è potere (Wo ein Wille ist, dort ist auch ein Weg) veröffentlicht:
Der junge Maestro ging mit seinem Drama [das ihm Merelli aufgedrängt hatte] nach Hause, warf das Libretto in eine Ecke, ohne es eines Blickes zu würdigen und fuhr die nächsten fünf Monate fort, Groschenromane[118] zu lesen.
Eines schönen Tages, gegen Ende Mai [1841], kam ihm das vermaledeite Drama wieder in die Hände: Er überflog die letzte Szene, die Todesszene der Abigaille (die später gestrichen wurde), setzte sich fast mechanisch ans Klavier, das so lange stumm geblieben war, und komponierte die Szene.
Das Eis war gebrochen.
Wie jemand, der aus einem schwülen, dunklen Gefängnis kommt und wieder die reine Luft der Felder atmet, befand sich Verdi plötzlich wieder in seinem Element. Innerhalb von drei Monaten war Nabucco fertig komponiert und in jeder Hinsicht so, wie wir ihn heute kennen.[119]
Verdi selbst bestätigt diese Version seinem Freund Arrivabene gegenüber, als Lessonas Buch erscheint: „Eccoti la storia mia vera vera vera“ [„Hier hast Du die hundertprozentig wahre Geschichte meines Lebens“][120], auch wenn das Klavier nicht „so lange stumm geblieben“ sein kann, wie Verdi erzählt, hatte er doch in der Zwischenzeit für Oberto etliche Nummern nachkomponiert und die Hauptrolle für einen Bariton adaptiert.
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as Nabucco-Libretto von Temistocle Solera ist kein für Verdi oder in dessen Auftrag geschriebener Operntext. Merelli hat es zuerst dem Preußen Otto Nicolai (Königsberg 1810 – Berlin 1849) angeboten, der sich mit seiner italienischen Erfolgsoper Il templario[121] (nach Walter Scotts Roman Ivanhoe; Turin 1840) neben den Erfolgskomponisten des Tages behaupten konnte. Nicolai lehnt es ab, den Nabucco zu vertonen und entscheidet sich für Il proscritto, der ursprünglich Verdi angeboten worden war und den dieser nicht komponierte. Diese Oper fällt im März 1841 genauso durch wie Verdis Melodramma giocoso, allerdings mit gravierenderen Konsequenzen: Nicolais Karriere in Italien erfährt durch den Mißerfolg ein abruptes Ende (die Oper wird in Wien 1844 unter dem Titel Die Heimkehr des Verbannten aufgeführt). Wie Verdi verlangt er von Merelli die Auflösung seines Vertrages. Seinem Wunsch wird entsprochen und er geht nach Wien. Dort hört er zähneknirschend vom Erfolg des Nabucco. Zu seinen italienischen Kollegen und zu Verdi fällt ihm nichts besseres ein als:
Wie sehr ist aber auch Italien in den letzten fünf Jahren gesunken?! Donizetti lebt fast immer in Paris oder Wien, in welch letzterer Stadt er jetzt als k.k. Kammerkapellmeister und Hofkompositeur mit 4000 fl. Gehalt auf Lebenszeit engagiert ist – und thut nichts mehr für Italien. Rossini ist ganz verstummt. Wer jetzt in Italien Opern schreibt ist Verdi. Er hat auch den von mir verworfenen Operntext Nabucodonosor komponiert und damit großes Glück gemacht. Seine Opern sind aber wahrhaft scheußlich und bringen Italien völlig ganz herunter. – Ich denke unter diese Leistungen kann Italien nicht mehr sinken – und jetzt möchte ich dort keine Opern schreiben.[122]
Über Verdi soll Otto Nicolai auch geäußert haben: „Seine Instrumentation ist die eines Wahnsinnigen – seine Technik ist nicht einmal professionell – und er muß das Feingefühl eines Esels haben. In meinen Augen ist er ein miserabler, verabscheuenswürdiger Musiker.“[123] Diese immer wieder durch die Literatur geisternde Äußerung, die, liest man Nicolais Tagebücher und Briefe, durchaus glaubhaft ist, hat nur einen Fehler: Sie ist nicht belegbar. Was sich jedenfalls wie bösartige Kritikerinkompetenz liest, ist der Ärger über den Erfolg der Oper des fast gleichaltrigen Kollegen. Es scheint aber weniger Erfolgsneid zu sein als vielmehr die Einsicht über die Beschränktheit der eigenen musikdramatischen Mittel:
Das für Mailand bestimmte neue Buch von Temistocle Solera „Nabuco“ war durchaus unmöglich in Musik zu setzen – ich mußte es refüsieren, überzeugt, daß ein einziges Wüten, Blutvergießen, Schimpfen, Schlagen und Morden kein Sujet für mich sei. – Der Nabuco taugte nicht. Der Proscritto taugte nicht.[124]
Seinen einzigen bleibenden Erfolg kann Nicolai erst wenige Monate vor seinem frühen Tod mit Die lustigen Weiber von Windsor (Berlin 1849) erzielen. Diese nette, musikalisch biedere Vertonung des Shakespeare-Stoffes ist – Ironie des Schicksals – nach demselben Stoff komponiert, aus dem Verdi, jener „miserable und verabscheuenswürdige Musiker“, zum Abschluß seiner unvergleichlichen Karriere 1893 den Falstaff formen wird.
Über die Aufführungspraxis an italienischen Opernhäusern weiß Nicolai im März 1834 Interessantes zu berichten:
Empörend, niederträchtig finde ich die Art, wie das italienische Publikum seine Opern anhört! Sie unterhalten sich dabei; die Logen werden immer von einer Gesellschaft zusammen genommen, so daß man nie einzelne Billetts zu Logen bekommt, und die Familie, die nun eine Loge für den Abend genommen hat, betrachtet diese wie ein Zimmer, nimmt Visiten darin an usw. und hört nur dann und wann en passant ein bischen Musik an. Nun kann ich begreifen, warum der Rossini es über sich gewinnen kann, diesen Säuen etwas anders als nur Perlen vorzuwerfen! Es ist ein Spektakel in der Oper, daß man nur mit Mühe die Musik hören kann. Das ist Stil in ganz Italien! – Hier in Rom aber etwas weniger! – An diesem Abend nun also hörte ich eine Signora Manzocchi als Anna Bolena, welche ganz vortrefflich sang! überhaupt italienische Gesangschule! ist etwas Göttliches! und dies der einzige Zweig in der Musik, worin dies faule Volk etwas leistet! [...]
Das Orchester spielt ohne Direktor, nur der Vorgeiger gibt zuweilen den Takt an; das geschieht aber in den meisten Theatern auf eine wahrhaft empörende Weise; denn so ein Tölpel von Vorgeiger stampft alsdann mit den Füßen aufs lauteste den Boden, sodaß man den Taktschlag desselben wie bei uns die große Pauke vernimmt! Er ist gewöhnlich lauter als die ganze übrige Musik. [...] Der Souffleur sitzt in der Regel ohne Kasten mit der Mütze auf dem Kopfe in seinem Loche und schreit lauter als die Sänger, wobei auch er den Takt schlägt, sich aus seinem Loche so weit als möglich heraushebt und den Sängern auf so auffallende Weise als möglich die Worte zuruft. – Am liebsten würde er gleich aus seinem Loche herausspringen und die Hauptrolle selbst agieren. [...] Kurz alles ist empörend! was äußere Einrichtung anbetrifft. – Die Sänger aber singen herrlich! Welche Stimmen! welche Fertigkeit! welche Schule! Die Italiener werden schon als Sänger geboren! In den Kaffeehäusen hört man von herumvagabondierenden mauvais sujets Rossinische Arien viel geläufiger singen, als unsere Sänger es möglich machen können. [...]
Das Theater dauert daher 4 bis 5 Stunden, fängt um 8 an und schließt nach Mitternacht. Oft führt man einen Akt aus der Oper auf und einen aus einer anderen und macht so ein Mischmasch aus allem zusammen: denn dem Italiener liegt ja nicht daran, einen Eindruck mit nach Hause zu nehmen; er will nur Töne hören, Menschen sich bewegen und Kulisen sehen, die Zeit totschlagen und sich unterhalten. Das ist der Zustand des Theaters.[125]
Bevor der im Frühherbst 1841 fertiggestellte Nabucodonosor, wie die Oper damals noch heißt (die Abkürzung zu Nabucco kommt erst 1844 anläßlich einer Aufführung in Korfù zustande), uraufgeführt werden kann, gilt es noch einige Schwierigkeiten zu überwinden, denn Merelli will die Oper vorderhand zurückstellen. Er kann sich nicht zu einer Uraufführung in der Karnevals-Stagione 1842 entschließen. Von seinem Standpunkt aus ist dies verständlich, weil er bereits drei andere neue Opern von erfolgreichen Komponisten im Programm hat. Eine weitere Neuheit eines bereits einmal durchgefallenen Komponisten scheint ihm ein unnötiges Risiko zu sein. Als Verdis neue Oper im Dezember nicht auf dem Spielplan der Scala aufscheint, stellt der jugendlich-hitzköpfige Verdi Merelli ein Ultimatum: Nabucco entweder in der Karnevals-Stagione oder gar nicht.
Und dann beschloß er [Verdi], Merelli einen etwas scharfen Brief zu schreiben. Merellis ist darob erbost und zeigt den Brief Pasetti[126] mit den Worten: „Schau Dir nur an, wie Verdi das mißverstanden hat, aber das ist gar nicht meine Absicht[127]: Ich habe es nur getan, weil ich am Ende des Karnevals einen anderen Spielplan aushängen wollte, auf dem ich seine Oper angekündigt und so den Abonnenten einen Gefallen getan hätte; sag jedoch Verdi, er solle der Strepponi ihre Rolle zeigen, und wenn sie sie singen will, dann werde ich sie ihr gern geben.“
Pasetti läßt Verdi rufen, und beide gehen zur Strepponi. Sie berichten über das Vorgefallene; sie ist gern bereit, die Oper zu singen und fügt hinzu: „Kommt morgen um halb zwei, damit ich mir die Rolle durchsehen kann.“ Tags darauf, am 23. Oktober 1841, gehen Verdi und Pasetti zur vereinbarten Zeit zur Strepponi; sie geht die Partie mit Verdi am Klavier durch und sagt dann zu ihm: „Diese Musik gefällt mir sehr, ich will sie als mein Debut[128] singen“ und fügt ohne zu zögern hinzu: „Gehen wir zu Ronconi.“ Sie steigen in Pasettis Wagen, der vor der Tür wartet, und fahren zu Ronconi. Die Strepponi weist ihn auf die Schönheiten der Oper hin, und Verdi erzählt ihm die Handlung. Nachdem sich Ronconi alles angehört hat, antwortet er: „Gut, heute abend werde ich mit dem Impresario reden und ihm sagen, daß ich nicht in Ninis[129] Oper auftreten will, sondern daß ich die Eure singen will.“[130]
Gemeinsam überreden die Strepponi und Ronconi, der der glänzende Interpret der Titelrolle sein wird, Merelli dazu, sich zur Uraufführung des Nabucco unter Einschränkungen durchzuringen. Es soll keine neue Inszenierung geschaffen werden, man greift vielmehr auf Bühnenbilder und Kostüme eines Nabucodonosor-Balletts von Antonio Cortesi aus dem Jahre 1838 zurück. Diese Notlösung erweist sich aber nach Verdis eigenen Worten als mehr als zufriedenstellend. Ohne Merellis Verdienste schmälern zu wollen: Die Überzeugungskraft der Strepponi kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Verdi scheint es ihr vorerst nicht zu danken. Aus einem Brief Donizettis an seinen Schwager erfahren wir, daß er die Strepponi nach einigen Proben – wohl wegen ihrer überforderungsbedingten Stimmprobleme – nicht mehr in der Besetzung des Nabucco haben will:
Nun zur Strepponi. Sag ihm, daß diese Sängerin hier im Belisario derart Furore gemacht hat, daß sie die einzige ist, die nie Applaus bekommen hat, daß ihr Verdi[131] sie nicht in seiner Oper haben wollte, daß die Impresa ihn jedoch dazu gezwungen hat.[132]
Am 9. März 1842 findet die Premiere von Nabucco in der Mailänder Scala statt. Die Oper ist ein solch beispielloser Erfolg, daß sie nach der ersten acht Vorstellungen umfassenden Serie ab 13. August siebenundfünfzig Mal wiederholt werden muß, ein absoluter Aufführungsrekord. Giorgio Ronconi (Nabucco) und Prosper Dérivis (Zaccaria) sind an dem Erfolg maßgeblich beteiligt.
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er Bariton Giorgio Ronconi (Mailand 1810 – Madrid 1890) wurde von seinem Vater, dem Tenor und Gesangslehrer Domenico Ronconi (1772-1839) ausgebildet. Er debutierte 1831 in Pavia in Bellinis La straniera. Donizetti erfuhr von der außergewöhnlichen stimmlichen Begabung des jungen Sängers: Ronconi wurde zwar dem Fach des basso cantante zugeordnet, doch verfügte er über eine ausgezeichnete, fast tenorale Höhe und fühlte sich auch in einer hohen Tessitura wohl. Diese Qualitäten kamen Donizettis Vorstellungen entgegen und er komponierte für Ronconi den Cardenio, die Titelrolle in Il furioso all’isola di San Domingo (Rom 1833), eine Rolle, die hinsichtlich der Tessitura dem Rigoletto vergleichbar und eineinhalb Mal so lang wie diese Partie, wenn auch weniger dramatisch ist.[133]
Abb. 4 – Giorgio Ronconi (1810-1890), der erste echte Bariton in der italienischen Oper. Unbezeichnete Photographie, 1866.
Ab 1839 singt Ronconi an der Mailänder Scala[134], wo Giuseppe Verdi seine Stimme schätzen lernt und für ihn den Nabucco schreibt (nach den ersten acht Nabucco-Vorstellungen wird Ronconi übrigens nicht mehr an die Scala zurückkkehren). Im Jahr des Nabucco (1842) debutiert Ronconi in London: Er singt zuerst am Her Majesty’s Theatre (Lucia di Lammermoor und Belcore in L’elisir d’amore), von 1847 bis 1866 ist er ein gern gesehener Gast an Covent Garden, wo er in den englischen Erstaufführungen von Donizettis Maria di Rohan (1847) und Poliuto (1852) sowie von Rigoletto (1853) auftritt.
Verdi, von dessen Baritonpartien Ronconi auch die Hauptrollen in Ernani und I due Foscari singt, beschreibt den Sänger nicht nur als ausdrucksstark[135], sondern auch als „Baritono artista“[136], als Bariton und Künstler.
In einem Brief aus dem Jahr 1843 sprach Verdi, als es um die Wahl eines Stoffes für Venedig ging, von einem „Künstler mit der Kraft eines Ronconi“[137]. Das wurde von Gesangshistorikern bislang vorwiegend mit der „Ausdruckskraft“ des Baritons interpretiert, da die Stimme von eher kleinem Volumen gewesen sein soll, wie man aus zeitgenössischen Berichten zu entnehmen glaubte. Ein Beitrag in The Musical World berichtet aber vom Debut des Sängers am Royal Italian Opera House, Covent Garden, in London etwas ganz anderes:
His voice is not particularly melodious, nor is the intonation strictly true [...] nevertheless [...] its power is immense, and its extent extraordinary for a baritone. In forte passages its volume fills the house like a thunder-peal; and in passionate phrases, when the artist comes out with an upper G, or sometimes an A, with all his power, the effect is quite electrical.[138]
Aufgrund dieses Stimmumfanges kann man ihn als den ersten echten Bariton der Geschichte der italienischen Oper bezeichnen. Ronconi, der auch in Opern von Rossini auftrat (La gazza ladra, Il barbiere di Siviglia), gastierte in Wien und Budapest, Barcelona und Paris, St. Petersburg und New York. Nach dem Ende seiner Karriere war er ab 1874 als Gesangspädagoge in Madrid tätig.
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er Bassist Prosper Dérivis (Paris 1808-1880) debutierte 1831 als Titelheld in Rossinis Moïse an der Pariser Opéra, an der er in den ersten zehn Jahren seiner Karriere in zahlreichen Uraufführungen[139] mitwirkte. Ab 1842 ist er im Ausland tätig, u.a. an der Mailänder Scala in den Uraufführungen von Nabucco (er ist der einzige Premierensänger, der auch in der zweiten Aufführungsserie des Nabucco auftritt) und I lombardi sowie am Wiener Kärntnertortheater in der Uraufführung von Donizettis Linda di Chamounix (1842). Er gastiert in Genua, Triest, Turin, Parma und Rom und ist auf Spaniens Bühnen sehr präsent. 1854 kehrt er an die Pariser Opéra zurück, 1857 beendet er seine Karriere und ist danach am Pariser Conservatoire als Gesangslehrer tätig. Er wird von zeitgenössischen Kritikern als der bedeutendste Bassist seiner Zeit neben Nicolas Levasseur eingestuft.
Abb. 5 – Prosper Dérivis (1808-1880), einer der bedeutendsten Bassisten seiner Zeit.
Man hat sich Dérivis als hohen Baß mit guter Tiefe, Koloraturfähigkeit, Legato- und Pianokultur vorzustellen: In der Vorschau[140] der an den Impresario Alessandro Lanari[141] in Pacht vergebenen Aufführungen des Teatro La Fenice in der Stagione 1845-46 wird Dérivis für das Fach des Primo Basso Baritono neben Sängern wie Colini, De Bassini[142] und Varesi[143] namhaft gemacht. Dies erklärt auch einen Ausflug Dérivis’ ins reine Baritonfach (in Mercadantes Il reggente).
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iuseppina Strepponi[144], von der noch ausführlich die Rede sein wird, hat mit der schwierigen Rolle der Abigaille redliche Mühe und erzielt nur einen Achtungserfolg. In einigen Zeitungen erntet sie deutliche Verrisse. Es wurde vielfach die Frage erhoben, wieso diese lyrische Sängerin in der hochdramatischen Partie der Abigaille besetzt werden konnte. Eine der denkbaren Antworten ist, daß Verdi ursprünglich die in dieser Saison an der Scala engagierte Sofia Loewe für die Partie im Sinne hatte und die Strepponi aus unbekannten Gründen im letzten Moment eine Notlösung für die Rolle ist. Allerdings scheint sie im Macht- und Intrigengefüge der Scala ein Wörtchen mitzureden zu haben, nicht nur aufgrund ihrer sängerischen Erfolge in ihrem angestammten Repertoire, sondern auch wegen ihrer ausgewogenen Urteilsfähigkeit und Intelligenz. Nabucco mit oder trotz der für ihre Stimme ungeeigneten Rolle der Abigaille ist für die Strepponi und ihre private Zukunft jedenfalls so etwas wie eine Schicksalsoper. Sie singt die Abigaille an der Scala in nur acht Vorstellungen.
Abb. 6 – Giuseppina Strepponi (1815-1897). Dieses Gemälde eines unbekannten Malers hängt wie zu Verdis Lebzeiten in seinem Schlafzimmer in Sant’Agata.
Bei der Wiederaufnahme der Oper im August wird sie von Teresa De Giuli ersetzt. Sie singt die Rolle allerdings später noch in Bologna, Verona, Alessandria und Modena. 1843 wird der Nabucco in Parma aufgeführt, wieder mit der Strepponi als Abigaille, diesmal mit Verdi als Dirigent.
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er aus Palermo stammende Tenor Corrado Miraglia, (ca. 1817-1882) der die Rolle des Ismaele singt, dürfte 1841 in Mantua als Ivanhoe in Nicolais Il templario debutiert haben. Nach seiner Teilnahme an der Nabucco-Uraufführung trat er an diesem Haus noch als Emanuele in La testa di bronzo von Mercadante auf, und kehrte 1848 als Nemorino und 1857 als Ernani und Idreno in Rossinis Semiramide an dieses Haus zurück. Danach kam es zu Engagements an den Opernhäusern von Fiume, Vicenza und Genua, wo er ein breites Repertoire an Rollen des lyrischen Fachs und des Zwischenfachs sang. Ab den 1850er Jahren folgte eine Karriere an größeren Bühnen in Genua, Neapel, Venedig, Palermo und Turin sowie im Ausland.
So sang er 1850 am Real Teatro San Carlo di Napoli in Stradella il trovatore, einer Opera seria von Vincenzo Moscuzza, die Titelpartie, ebenfalls an diesem Haus in Rossinis L’italiana in Algeri den Lindoro, weiters die Tenorhauptrolle in Caterina Howard, einer Opera seria von Giuseppe Lillo, und den Ernesto in Don Pasquale.
1853 trat er am Teatro Regio in Turin als Titelheld in Pacinis Buondelmonte auf und sang dort auch in Rossinis Mosè e Faraone o Il passaggio del mar rosso den Amenofi.
In Lissabon trat er in mehreren Spielzeiten am Real Theatro de São Carlos auf, so 1853 als Rodolfo in Luisa Miller, in Giovanni Pacinis Maria Tudor, regina d’Inghilterra als Riccardo Fenimoore, als Ernani, Pollione in Bellinis Norma, im Jahr darauf als Duca di Mantova in Rigoletto, Edgardo in Lucia di Lammermoor, Otello in Rossinis gleichnamiger Oper, Almaviva in Il barbiere di Siviglia, Gualtiero in Bellinis Il pirata, Manrico in Il trovatore, Azim-Bethim in Mocana von Francisco Xavier Migone, Fernando in Donizettis La favorita, 1855 Stefano in Stefano, duca di Bari von Domenico Thorner, als Faone in Pacinis Saffo, Gennaro in Donizettis Lucrezia Borgia und als Tamas in Donizettis Gemma di Vergy.
Letzte Auftritte sind im Jahr 1857 belegt. Ob er seine Karriere tatsächlich als 40jähriger beendet hat, muß offen bleiben. Er war verheiratet mit der Altistin Giuseppina Brambilla (1819-1903) und war der Onkel der Sopranistin Teresina Brambilla (1845-1921), der Gattin des Komponisten Amilcare Ponchielli. Aus seiner Todesanzeige vom 2. Jänner 1882 geht hervor, daß er nach seiner Bühnenkarriere in der Cappella des Mailänder Doms tätig war.
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ie in unmittelbarer zeitlicher Nachbarschaft zu Nabucco entstandenen Opern anderer italienischer Komponisten sind Donizettis La fille du régiment (Uraufführung 1840), La Favorite (1840), Linda di Chamounix (1842) und Don Pasquale (1843), Pacinis Saffo (1840) und Medea (1843), Mercadantes Il proscritto (1841) und Il reggente (1843), Luigi Riccis Le nozze di Figaro (1838) und Federico Riccis Luigi Rolla e Michelangelo (1841), Corrado da Altamura (1841) und Vallombra (1842).
Außerhalb Italiens entstehen Werke, die das italienische Publikum, wenn überhaupt, erst Jahrzehnte später kennenlernen wird: Auber triumphiert mit Les Diamants de la Couronne (1841), Thomas bleibt mit seiner Oper Le comte de Carmagnola (1841) vorläufig unbeachtet, Wagner bringt seine geschwätzige Grand-Opéra Rienzi auf die Bühne (1842) und bekommt sein Talent erst mit Der fliegende Holländer (1843) in den Griff, Glinka setzt sich mit Ruslan und Ludmilla (1842) endgültig durch, Flotow behauptet sich mit Alessandro Stradella (1844), Lortzing komponiert nach Zar und Zimmermann (1837) und Hans Sachs (1840) seine Undine (1845).
Stellt man den Nabucco neben die in diesem Zeitraum entstandenen Opern der italienischen Komponistenkollegen Verdis, so ist leicht zu erkennen, weshalb dieses Werk – das nicht Verdis erste Oper, aber die erste Verdi-Oper ist – so eingeschlagen hat. Der Erfolg liegt nicht so sehr im Interesse der katholischen Italiener an einem alttestamentarischen Stoff begründet[145], als vielmehr in der Neuartigkeit der kompositorischen Konzeption und der Gestaltung der Vokalpartien.