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III I due Foscari – Francesco Maria Piave – Emanuele Muzio – Marianna Barbieri Nini – Achille De Bassini – Giacomo Roppa – Mario – Giovanna d’Arco – Antonio Poggi – Filippo Colini – Alzira – Salvadore Cammarano – Eugenia Tadolini – Gaetano Fraschini – Filippo Coletti I due Foscari

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ach der erfolgreichen Ernani-Produktion kehrt Verdi nach Mailand zurück. Wie zur Bestätigung seiner Position als Komponist der Zukunft, als Nachfolger des noch aktiven Donizetti, beginnt die Crème de la crème der Mailänder High-Society ihn zu hofieren. Doch Verdi ist nicht zum Salonlöwen geschaffen. Ihn interessieren in diesem Stadium seiner Karriere nur die Arbeit und der Erfolg. Er setzt sich mit den zahlreich einlangenden Angeboten auseinander, sucht und prüft in Betracht kommende Stoffe, und beginnt eine ausführliche Korrespondenz mit Opernhäusern, Impresari und Librettisten. Dabei erkennt er, daß die sich vor ihm auftürmende Menge von Geschäftskontakten organisiert werden muß, und legt im März 1844 die sogenannten Copialettere an, jene Sammlung von Briefentwürfen und Aufzeichnungen verschiedenster Art, die 1913 in einer kommentierten Ausgabe veröffentlicht werden wird und für die Verdi-Forschung unendlich wertvoll ist. Im Anhang der Copialettere findet sich eine Aufstellung von Argomenti d’opera[195], von Opernstoffen, die Verdi für die Komposition geeignet scheinen. Unter ihnen finden sich neben anderen Werken Shakespeares King Lear, Hamlet und The Tempest, Byrons Cain. A Mystery, Hugos Le Roi s’amuse, Marion Delorme und Ruy Blas, Grillparzers Die Ahnfrau, Dumas’ Kean, Racines Phèdre sowie Attala[196]. Einige davon werden verwirklicht, einige bleiben im Planungsstadium stecken, einige werden nie in Angriff genommen.

Zuerst tritt Verdi mit dem Teatro San Carlo in Neapel in Verhandlungen über zwei neue Opern ein, die im Juni 1845 und im Juni 1847 gegeben werden sollen. Die erste wird Alzira sein. Zur selben Zeit nimmt er das Attila-Sujet auf, verfaßt einen Libretto-Entwurf des Stoffes und schickt diesen an Piave zur Ausarbeitung der Versfassung. Auch Alessandro Lanari[197], der Impresario des Teatro Argentina in Rom, will den aufsteigenden Erfolgskomponisten für eine neue Oper für die kommende Winter-Stagione gewinnen.Verdi nimmt die Einladung an, doch die zur Verfügung stehende Zeit ist äußerst knapp – nur vier Monate für Auswahl des Stoffes, Verfassen des Librettos, Komponieren und Orchestrieren der Musik, Zusammenstellen einer geeigneten Besetzung und Abhaltung der Proben. Er läßt deshalb alle anderen Projekte, auch den Attila, liegen und widmet sich dem neuen Auftrag. Piave wird mit der Zusammenfassung eines Lorenzino de’ Medici-Stoffes[198] beauftragt, der, wie Verdi richtig voraussieht, von der päpstlichen Zensur abgelehnt werden wird. Als Alternative schlägt er Piave im selben Atemzug Byrons The Two Foscari vor, ein Stück, das er schon in Venedig in die engere Wahl gezogen hat und von dem er glaubt, es rascher als den Attila fertigstellen zu können. Am 14. Mai hält er das von Piave ausgearbeitete Szenario in Händen und setzt dem Librettisten noch am selben Tag in einem Brief[199] seine Wünsche auseinander, ein Dokument, das zeigt, wie präzise die Vorstellungen des Komponisten sind, ein Muster an Wissen um die Dramaturgie der Oper und um Bühnenwirksamkeit. Die Foscari finden die Zustimmung der römischen Behörden, Verdi und Piave können mit der Arbeit beginnen. Unter dem Zeitdruck und dem Wissen um das in nächster Zukunft zu bewältigende Arbeitspensum treten bei Verdi erstmals jene psychosomatischen Beschwerden auf, die ihn fast sein ganzes Leben lang bei der Arbeit begleiten werden: Kopf-, Magen- und Halsschmerzen.

Verdis Galeerenjahre haben begonnen, Piave wird ihm als Leidensgenosse zur Seite stehen.

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rancesco Maria Piave (Murano 1810 – Mailand 1876) wird als Sohn eines Glasherstellers geboren. Er wird in einem Priesterseminar erzogen und studiert zunächst Theologie. 1827 zieht er mit seiner Familie zuerst nach Pesaro, dann nach Rom, wo er der Theologie den Rücken kehrt und sich den Studien der Philosophie und Rhetorik zuwendet. In Rom beginnt er, Artikel und Novellen (sein Vorbild ist Walter Scott) zu verfassen, was zu einer Mitarbeit bei der Revue des Deux Mondes führt. Nach dem Tod des Vaters (1838) kehrt Piave nach Venedig zurück und findet dort bei der Druckerei Antonelli eine Beschäftigung als Korrektor. Gleichzeitig setzt er seine literarische Tätigkeit fort (unter anderem verfaßt er Gedichte in venezianischem Dialekt), die bald die Aufmerksamkeit der intellektuellen Kreise Venedigs auf sich zieht.

Graf Mocenigo, der Präsident des Direktoriums des Teatro La Fenice, bietet ihm 1842 die Mitarbeit als Hauslibrettist an diesem Opernhaus an. Vor seiner Arbeit an Ernani hat Piave nur ein einziges Mal mit einem Opernlibretto zu tun gehabt: bei der Mitautorschaft (zusammen mit Peruzzini) am Textbuch zu Pacinis Il duca d’Alba. Im Laufe seiner Karriere wird Piave rund siebzig Libretti verfassen (elf davon bleiben unvollendet), darunter Texte für Komponisten wie die Brüder Luigi und Federico Ricci, Balfe, Mercadante, Ponchielli und heute weniger bekannte Komponisten.

Piave kann seine Stärken am besten bei großen dramatischen Stoffen ausspielen, bei denen er tiefes psychologisches Einfühlungs- und Gestaltungsvermögen sowie großes Geschick beim operngerechten Vereinfachen und Raffen der umfangreichen Vorlagen Shakespeares, Byrons, Hugos usw. unter Beweis stellt. Über ihn wurde deswegen einmal geschrieben: „Piave ist ein Meister im Verkürzen und Verkleinern. Er versteht es, das Meer in einem Löffel einzufangen.“ Das leichte, heitere Genre ist ihm weniger kongenial. Er kennt die Erfordernisse der Opernbühne genau und ist sich bewußt, daß die romantische Oper nach großem rhetorischem Gestus verlangt. Dennoch versucht er immer wieder, seinen Libretti einen sprachlich „normalen“ Tonfall zu geben. Wenn ihm von manchen italienischen Kritikern bisweilen ausgefallene Wortwahl und gespreizte Formulierungen vorgeworfen wurden, so steckt oft nur sein geschicktes Bestreben dahinter, die Zensur hinters Licht zu führen.

Mit seiner pragmatischen Arbeitsweise, dem Handlungsverlauf der Vorlagen zu folgen, manche Passage sogar im Originalwortlaut zu übernehmen, jedoch auch die Charaktere und ihr Verhältnis zueinander so weit zu verändern, wie es die Anforderungen der Opernbühne verlangen, entspricht Piave den Wünschen Verdis. Er weiß, daß ein Opernlibretto anderen Gesetzen unterliegt als ein Stück für das Sprechtheater. Für einen Operntext muß – besonders bei personenreichen, handlungsmäßig komplexen und rhetorisch ausgefeilten Dramen wie jenen Shakespeares oder Hugos – zwangsläufig nicht nur eine Vereinfachung der Charaktere, sondern auch eine Reduzierung der Anzahl der Szenen und der Figuren vorgenommen werden. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, was ein Opernlibretto zu leisten hat: Erstens, dem Zuhörer verbal jene Informationen zu vermitteln, die er zum Verständnis des Handlungsablaufs benötigt, und zweitens, der Musik die Vorbedingungen in Form eines Gerüsts zu liefern, anhand dessen sie sich mit all ihren Möglichkeiten entfalten kann.

Vereinfachend kann man sagen: Was das Libretto nicht sagt oder nur andeutet, wird von der Musik gesagt. Oder, überspitzt formuliert: Ein gutes Libretto soll gar keine großen literarischen Qualitäten haben, denn sonst bedürfte es der Musik nicht. Sowie: Ein schlechtes Libretto kann eine gute Oper niemals verhindern. Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki geht sogar so weit zu behaupten, er „glaube nicht, dass das Opernlibretto eine literarische Form ist und in der Literatur eine Rolle gespielt hat.“[200]

Verdi ahnt wohl schon bei der ersten Zusammenarbeit mit Piave, daß dieser in seinen Händen ein williges Instrument sein würde, ein „literarischer Sekretär“, dessen Libretti er selbst als Co-Autor firmieren können würde. Während er einen Romani, Cammarano oder Maffei zuvorkommend und respektvoll behandelte, entstand zwischen ihm und Piave eine Freundschaft, aber auch ein Verhältnis, das, wie es einmal formuliert wurde, jenem zwischen Herrn und Hund geähnelt haben soll. Wie essentiell für Verdi die Begegnung mit Piave allerdings wirklich ist, wird anhand einer Theorie deutlich, die der Herr-Hund-Formulierung diametral entgegengesetzt ist: Der Universitätsprofessor für englische Literatur, Shakespeare-Herausgeber, Literaturkritiker und Übersetzer Gabriele Baldini (Rom 1919-1969) vertritt die Meinung, daß die Zusammenarbeit mit Piave Verdis erste Begegnung mit sich selbst bedeutete. [201] Die Librettisten vor 1843 hatte Verdi höflich erduldet, nun ging es ihm darum, initiativ zu werden, Kreativität auch im Bereich des Librettos zu entwickeln. Baldini meint sogar, daß Verdis Zusammenarbeit mit Piave bedeutender sei als die mit Boito. Im ersten Fall handelt es sich um zwei junge, beinahe gleichaltrige Künstler am Anfang ihrer Karriere, im zweiten um die Arbeit mit einem Librettisten, der auch als Schriftsteller und Komponist arbeitet, um fast dreißig Jahre jünger ist als Verdi und ihn aufgrund des Altersunterschiedes und einer respektbedingten Distanz nie so gut wie Piave versteht.

Piaves Libretti sind die schönsten für die Musik Verdis – auch vom literarischen Standpunkt aus zweifellos viel schöner, da sie besser gemacht sind als die Boitos – und zwar einfach deshalb, weil es Verdi selbst war, der die Substanz und sogar Details geschaffen hat: Sie sind auch deshalb die schönsten, weil Piave von Kunst mehr versteht als Boito. Boito ist ein Künstler und ein Literat; er hat aber Verdi nie bis ins Letzte verstanden, er hat darüber hinaus immer versucht, ihn ein wenig nach seinem Ebenbild zurechtzubiegen. Piave hat mit tiefer kritischer Intuition auf den ersten Blick erfaßt, worum es ging und hat einfach zugelassen, daß ihm die Libretti in den Schoß fielen.[202]

Dies mag für manchen eine höchst überraschende Analyse sein. Sie ist unter anderem darauf zurückzuführen, daß Verdi ab dem Macbeth (1847) die Gewohnheit entwickelt, selbst ein Prosalibretto des jeweiligen Stücks zu verfassen, das er dann seinem Librettisten zur Versifikation übergibt.

Baldini untermauert seine Erkenntnis durch die Feststellung, daß Boitos Prosa im Vergleich zu anderen zeitgenössischen Autoren heute kaum mehr lesbar ist. Dem ist hinzuzufügen, daß die Libretti des souveränen Sprachvirtuosen Boito sich einer originellen, überaus interessanten, geistreichen, aber, wie manche Kritiker anmerken, auch hochgestochenen, gestelzten Kunstsprache bedienen, die stellenweise nur höhergebildeten Muttersprachlern unmittelbar zugänglich ist. Dieses bewußt gewählte preziöse Vokabular setzt Boito, besonders im Falstaff, gekonnt als Stilmittel ein. Die Piave gegenüber manchmal herablassende Kritik im deutschen Sprachraum vergißt nur allzu gerne, daß Boitos Libretto zu La Gioconda Piaves Texte in keinem Moment übertrifft. Zudem stehen viele Kommentatoren vor einem sprachlichen Problem: profunde Kenntnisse der italienischen Sprache und Literatur sind zur Beurteilung italienischer Libretti (nicht nur derer von Piave) vonnöten, die Heranziehung der (oft grauenhaften) deutschen Übersetzungen seiner Texte sind hierfür nicht zweckdienlich.

Piave legt seinem genialen Freund Verdi gegenüber eine gewisse unterwürfige Nachgiebigkeit an den Tag, eine Haltung, die er auch im Umgang mit anderen einnimmt. Und weil er sein Licht unter den Scheffel stellt, kann er sich beruflich nur schwer durchsetzen. Mit neun Libretti ist er der meistbeschäftigte Librettist Verdis. Aus seiner Feder stammen neben Ernani die Texte zu I due Foscari, Macbeth, Il corsaro, Stiffelio / Aroldo, Rigoletto, La traviata, Simon Boccanegra und La forza del destino. Obwohl unter diesen Titeln ausgesprochene Kassenschlager sind, bleibt Piave zeitlebens arm: Es gibt noch keine Urheberrechte und somit keine Tantiemenzahlungen, denn der poeta (das Wort allein suggeriert schon klischeehaft triste Mittellosigkeit), der Librettist also, verkauft seine Arbeit an den Komponisten oder die Impresa, und damit ist das Geschäft beendet.


Abb. 13 – Francesco Maria Piave, Verdis meistbeschäftigter Librettist und Freund. Photographie, ca. 1860.

Von 1848 bis 1859 ist Piave direttore degli spettacoli, eine Mischung aus Spielleiter und Dramaturg, am Teatro La Fenice in Venedig. 1859 wird er, auch dank Verdis Einfluß, in derselben Funktion an die Mailänder Scala berufen. Diese Tätigkeit übt er bis 1867 aus. Als er im Dezember dieses Jahres auf dem Weg zu einer Probe einen Schlaganfall erleidet, gelähmt bleibt und acht Jahre lang bettlägerig dahinvegetiert, unterstützt Verdi die Familie großzügig. Piave erkennt zwar seine Umgebung, kann aber weder sprechen noch schreiben oder lesen. Verdi organisiert 1869 zugunsten des Kranken die Herausgabe eines Albums mit Liedern von Auber, Thomas, Cagnoni, Mercadante, Federico Ricci und einer eigenen Komposition (Stornello). In etwas naiver Weise glaubt er anfänglich, man könne auch Richard Wagner für eine Mitarbeit an dem Projekt gewinnen, was selbstverständlich nicht der Fall ist. Piaves Tod im Jahre 1876 trifft ihn zutiefst, er richtet einen Fonds zur Unterstützung der Tochter Piaves ein und übernimmt die Begräbniskosten.

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m April 1844 kommt Emanuele Muzio nach Mailand, um bei Verdi Unterricht zu nehmen. Verdi hilft ihm, in seiner Nähe eine Wohnung zu finden, damit Muzio rasch zu ihm kommen kann, nicht nur in seiner Eigenschaft als Schüler, sondern auch als hilfreiches Faktotum. Muzio (Zibello, Parma, 1825 – Paris 1890) stammt aus derselben Gegend und aus ähnlichen Verhältnissen wie Verdi und hat auch ein ähnliches musikalisches Curriculum. Er wurde als Sohn eines Schuhmachers, der sich 1826 in Busseto ansiedelte, geboren, und erhielt wie Verdi Musikunterricht bei Ferdinando Provesi. In dieser Zeit tritt er als Gesangssolist in den Kirchen von Busseto und Umgebung auf. Von 1840 bis 1843 ist er organista provvisorio in der Kirche in Busseto. Am 28. Oktober 1843 bewilligt ihm die Gemeinde Busseto ein Stipendium für ein Musikstudium in Mailand. Als das dortige Konservatorium ihn wie Verdi abweist, wird er auf Empfehlung Antonio Barezzis von Verdi unentgeltlich in Harmonie, Kontrapunkt und Komposition unterrichtet.

Er ist und bleibt sein einziger Schüler. Verdi freundet sich mit Muzio an, nicht nur wegen der gemeinsamen Wurzeln, sondern wohl auch wegen einer gewissen Charakteraffinität. Muzio lebt bis 1847 sogar teilweise in Verdis Haushalt. Dieser setzt ihn in diesem Jahr in Florenz und London bei den Uraufführungen von Macbeth und I masnadieri als Assistenten ein. Auch in Zukunft wird Muzio in geschäftlichen Angelegenheiten oft als Verdis Vertrauter auftreten. Verdi kann Muzio, der in ihm zeitlebens den signor Maestro sieht, in jeder Hinsicht blind vertrauen. Das Verlagshaus Ricordi wird auf Muzio aufmerksam und beauftragt ihn mit der Herstellung von Klavierauszügen (für Klavier zu zwei oder vier Händen, oder auch für Gesang und Klavier) von Opern Verdis, Rossinis, Mercadantes und Donizettis. 1848 nimmt Muzio in Mailand aktiv an den „Cinque giornate“, dem fünf Tage dauernden Aufstand der Mailänder gegen die Österreicher, teil. Bei der Rückkehr der Österreicher muß er in die Schweiz fliehen, wo ihn Barezzi und Verdi unterstützen.

1849 kehrt er nach Mailand zurück und widmet sich dem Musikunterricht und dem Komponieren. Er schreibt die Opern Giovanna la pazza (1852), Le due regine (1856) und La Sorrentina (1857). Danach gibt er das Komponieren auf. 1850 debutiert er als Dirigent anläßlich der Eröffnung der italienischen Oper in Brüssel, danach tritt er in London auf und unternimmt eine lange Tournée durch Nordamerika (es ist die Zeit des Sezessionskrieges). In dieser Zeit vertieft er seine musikalischen Kenntnisse und entwickelt eine eigenständige künstlerische Persönlichkeit.


Abb. 14 – Emanuele Muzio (1821-1890), Verdis Schüler, Freund und Vertrauter. Photographie von José Mora, ca. 1870.

1867 kehrt er nach Italien zurück und erzielt dort solche Erfolge, daß ihm von 1870 bis 1876 die künstlerische Leitung des Théâtre Italien in Paris anvertraut wird. Dort betreut er die französische Erstaufführung von Verdis La forza del destino (1876). Aufgrund der in Paris eingegangenen Verpflichtungen ist es ihm zu seinem eigenen und Verdis größtem Bedauern unmöglich, 1871 die Leitung der Uraufführung der Aida in Kairo zu übernehmen. Zwei Jahre zuvor, 1869, hat er in Kairo Rigoletto zur Eröffnung des neuen Opernhauses und in Ismailia ein Konzert zur Eröffnung des Suez-Kanals dirigiert. Zwischen 1875 und 1877 bereist er zahlreiche europäische Länder mit Aufführungen von Verdis Messa da requiem. Er verlebt seine letzten Jahre als höchst erfolgreicher Gesangslehrer in Paris. Dort stirbt er an einer chronischen Vergiftung, die er sich durch jahrelanges regelmäßiges Färben seines Schnauzbartes zugezogen hat. Er hat Verdi als seinen Testamentsvollstrecker eingesetzt. Muzios Witwe vernichtet seinem letzten Willen entsprechend große Teile des Briefwechsels mit Verdi.

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m 22. April 1844 schreibt Emanuele Muzio den ersten aus einer langen Serie von Briefen an seinen Förderer Antonio Barezzi[203], dem er sich zu Dank verpflichtet fühlt. Aus diesen Briefen[204] entnehmen wir zahlreiche, zum Teil recht kuriose Details, die von musikhistorisch erhellenden Informationen über die Entstehung von Opern (I due Foscari, Giovanna d’Arco, Alzira, Attila, Macbeth und I masnadieri) bis hin zu banalem Theatertratsch reichen. Am 24. Juni[205] berichtet Muzio beispielsweise, daß eine nicht näher bezeichnete Altistin bei Verdi erschien, ihn insistent um eine Rolle mit einer Soloszene, Arie oder Cabaletta in der neuen Oper bat und nur mühsam hinauskomplimentiert werden konnte, und daß ein Komponist – „ich kann mich an seinen Familiennamen nicht erinnern“ – dem signor Maestro geschrieben habe, er möge doch I due Foscari nicht komponieren, denn auch er habe sie vertont und befürchte, sich gegen Verdi nicht durchsetzen zu können.

Die Arbeit an I due Foscari geht im Sommer 1844 zügig voran. Verdi nimmt starken Einfluß auf die Gestaltung des Librettos, Piave ist ein willfähriges Werkzeug in seiner Hand. Die Komposition kann termingerecht fertiggestellt werden. Ihr herausragendes Novum ist die Verwendung von Erinnerungsmotiven für bestimmte Charaktere.

Ende September reist Verdi nach Rom, um den Oktober für die Orchestration und die Probenarbeit zu nutzen. Er dirigiert die Premiere am 3. November 1844 und die ersten beiden Folgevorstellungen selbst. Der Erfolg ist gut, wenn auch nicht triumphal, obwohl Verdi am Ende des Premierenabends sieben Mal hervorgerufen wird. Der Grund für die ungewohnte Zurückhaltung des Publikums ist nicht die Musik, sondern die Irritation über die von der neuen Direktion stark erhöhten Kartenpreise. Bei den Folgevorstellungen werden die Preise auf das ursprüngliche Niveau gesenkt, umgekehrt proportional dazu steigt die Begeisterung des Publikums für die neue Oper. Bei der zweiten Vorstellung wird Verdi dreißig Mal hervorgerufen. Die Sänger sind Marianna Barbieri Nini (Lucrezia Contarini), Giacomo Roppa (Jacopo Foscari) und Achille De Bassini (Francesco Foscari). Zwei dieser Sänger nehmen einen bedeutenden Platz in der italienischen Musikgeschichte ein:

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ie Sopranistin Marianna Barbieri Nini (Florenz 1818-1887) war ein dramatischer Sopran mit Koloraturfähigkeit. Sie hatte bei Pietro Romani (dem Maestro concertatore[206] bei der Uraufführung des Macbeth), bei dem Komponisten Nicola Vaccaj und schließlich bei der berühmten Sopranistin Giuditta Pasta (der ersten Norma) studiert. Bei Carlotta Marchionni erhielt sie Schauspielunterricht. Sie debutierte 1840 an der Mailänder Scala in Donizettis Belisario, wurde aber wegen ihres unvorteilhaften Äußeren (es wurde als „bedauernswerte Häßlichkeit“ immer wieder erwähnt) vom Publikum abgelehnt. „Sie war klein und dick, verbaut, mit einem riesigen Kopf, der zweimal so groß wie normal war, und hatte ein Gesicht, das alles anders als geeignet war, beim ersten Betrachten Sympathie zu erwecken.“ So geschmacklos beschrieb G. Gabardi die Sängerin in einem Nachruf 1887 in der Gazzetta Musicale. Erst bei ihrem Auftreten in Florenz in Donizettis Lucrezia Borgia, wo sie im ersten Akt eine Maske trug, wurde sie vom Publikum begeistert aufgenommen. Verdi schätzte sowohl ihre stimmliche und szenische Gestaltung, als auch die Durchschlagskraft und den Umfang ihres dramatischen Soprans.


Abb. 15 – Die Sopranistin Marianna Barbieri Nini (1818-1887)

An Verdi-Uraufführungen sang sie außer der Lucrezia in I due Foscari, die Lady Macbeth[207] (1847) und die Gulnara in Il corsaro (1848). Aus diesen Rollen und ihrem sonstigen Verdi-Repertoire (die Sopranhauptrollen in Nabucco, Ernani, I masnadieri, Luisa Miller und Il trovatore) sind die Charakteristika ihrer Stimme abzulesen. Sie trat bei mehreren Uraufführungen auf: so in Pacinis Lorenzino de’ Medici (Venedig 1845) und Merope (Neapel 1847), in Campanas Mazeppa (Bologna 1850) und in Apollonis L’ebrea (Venedig 1855). Weitere wichtige Partien ihres Repertoires waren die Titelrollen in Donizettis Anna Bolena und Rossinis Semiramide.

Außerhalb Italiens gastierte sie mit großem Erfolg in Wien, Barcelona und Madrid. Der Großherzog von Toskana verlieh ihr den Titel virtuosa onoraria di camera e cappella, sie wurde auch Mitglied der Accademia Filarmonica in Florenz und der Accademia di Santa Cecilia in Rom. 1856 trat sie von der Bühne ab und war dann als gesuchte Gesangspädagogin tätig. 1887 trat sie noch einmal öffentlich auf: in Rossinis Stabat mater, das anläßlich der Überführung und Beisetzung des Komponisten in Santa Croce in Florenz[208] aufgeführt wurde.

Nach dem Tod ihres ersten Mannes, des Komponisten Alessandro Nini, heiratete sie den Wiener Pianisten und Komponisten Leopold Hackensöllner. Er verfaßte eine Biographie[209] seiner Gattin, hatte im übrigen aber keine guten Absichten: Er machte nicht nur Schulden, sondern verschwand eines Tages mit den Ersparnissen der Sängerin, sodaß diese gezwungen war, ihren Palazzo in Florenz zu verkaufen, ab sofort in einer möblierten Mietwohnung zu leben und ihren ärmlichen Lebensunterhalt durch Privatstunden zu verdienen.

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er Bariton Achille De Bassini (Mailand 1819 – Cava dei Tirreni 1881) ist in jenen Jahren, was Feuer und Energie des Vortrags anlangt, der wohl bedeutendste Vertreter des im Entstehen begriffenen Faches des Verdi-Baritons. Er hieß in Wirklichkeit Achille Bassi. Ein Tenor dieses Namens sang 1837 in Voghera in Bellinis Norma und in Donizettis Belisario, es ist aber nicht sicher, ob es sich dabei um De Bassini handelte. Sicher hingegen ist, daß der Sänger 1838 in Padua unter seinem Künstlernamen De Bassini die Baßrollen in Donizettis La favorita, Lucia di Lammermoor und Roberto Devereux sowie in Nicolais Il templario sang.


Abb. 16 – Der Bariton Achille de Bassini (1819-1881), ein von Verdi besonders geschätzter Sänger. Lithographie von Josef Kriehuber.

Nach einigen Karrierejahren in der italienischen Provinz debutierte er, jetzt als Bariton, Ende 1842 in der Uraufführung von Vallombra von Federico Ricci an der Mailänder Scala. Er war so erfolgreich, daß er für das ganze Jahr 1843 an der Scala engagiert wurde und dort in Opern von Donizetti und etlichen Neuheiten anderer Komponisten auftrat.

Verdi schätzte den mit einer durchschlagskräftigen, tenoralen Höhe ausgestatteten Sänger sehr und setzte ihn nach der Uraufführung von I due Foscari auch bei der Erstaufführung dieser Oper an der Scala (1845) sowie bei den Uraufführungen von Il corsaro (Triest 1848) und Luisa Miller (Neapel 1849) ein. Ein Blick auf die Partie des Miller, besonders auf die hohe Tessitura von dessen Auftrittsarie Sacra la scelta, gibt einen Eindruck von De Bassinis vokalen Stärken.

Bereits 1846 übernahm er die Baritonpartie in Attila, 1847 jene in Alzira. 1851 wollte ihn Verdi für die Uraufführung des Rigoletto, doch kam das Engagement nicht zustande. 1862 war er in St. Petersburg der erste Fra’ Melitone in La forza del destino. Neben dem üblichen Repertoire wie z.B. Guglielmo Tell oder Figaro in Il barbiere di Siviglia sang De Bassini die Baritonpartien in Ernani, La traviata und Il trovatore. Seine Karriere führte ihn auch ins Ausland (Wien, Madrid). 1865 zog er sich von der Bühne zurück, trat aber ab 1869 wieder auf, um seinem Sohn Alberto bei seinem Debut zur Seite zu stehen (dieser begann 1869 seine Karriere als Tenor und wechselte 1890 ins Baritonfach). Familiäre Probleme und Fehlinvestitionen brachten De Bassini in finanzielle Schwierigkeiten: er war gezwungen, die Sängerkarriere bis zu seinem Tod fortzusetzen.

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on dem Tenor Giacomo Roppa sind keine Lebensdaten überliefert, nur einige Karrieredaten: Er sang die Tenorpartien in Verdis Lombardi (Lugo 1845, Barcelona 1849-50), Ernani (Genua und Lucca 1844, Rom und Venedig 1846), I due Foscari (Reggio Emilia, Lugo 1845, Rom, Ferrara 1847, Barcelona 1848 und 1849, Madrid 1852, Bologna 1856), Alzira (Parma, Lugo 1846, Ferrara 1847, Barcelona 1849), Macbeth (Genua 1848), I masnadieri (Parma 1848) und Luisa Miller (Madrid 1852, Bologna 1856). Er trat erstmals an prominenter Stelle in Erscheinung, als er 1834 am Teatro La Fenice in Venedig für Domenico Donzelli in Donizettis Fausta einsprang. Zwischen 1834 und 1852 übernahm er die Tenorhauptrollen in insgesamt zehn Uraufführungen von Opern von Mercadante (Emma d’Antiochia), Torrigiani, Nini, Poniatowski, Taddei, Verdi (I due Foscari), Buzzi, Moscuzza und Battista.

In der Zeit seines dreijährigen Engagements am Gran Teatre del Liceu in Barcelona, an dem er 1848 in I due Foscari debutiert hatte, trat er in rund dreißig Opern auf, darunter drei Donizetti-Opern: Lucrezia Borgia (Gennaro), Gemma di Vergy (Tamas) und Don Sebastiano (Titelrolle). Im Jänner 1839 war er an der Mailänder Scala für die Uraufführung von Hillers Romilda und für Ferrettis Monsieur de Chalumeaux engagiert. Aus seinem Repertoire und der Tessitura und musikalischen Anlage der Rolle des Jacopo ist zu schließen, daß es sich um einen tenore di forza, eine robuste Tenorstimme mit heldischem Einschlag gehandelt hat, wenn man davon ausgeht, daß Verdi auf die stimmlichen Gegebenheiten des Sängers Rücksicht nahm.

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m Dezember 1846 werden die Foscari in Paris am Théâtre des Italiens aufgeführt. Der Jacopo wird von dem berühmten Tenor Mario gesungen. Er heißt mit bürgerlichem Namen Giovanni Matteo de Candia (Cagliari 1810 – Rom 1883). Der Sohn einer Adelsfamilie begann 1822 eine vorbereitende Ausbildung für die Militärlaufbahn. Nachdem seine Stimme in Paris von Meyerbeer entdeckt und von Ponchard und Bordogni ausgebildet worden war, debutierte er 1838 unter dem Künstlernamen Mario in Meyerbeers Robert le diable. Seiner Karriere kam nicht nur seine allgemein als schön timbriert und technisch wie stilistisch gut geführt geschilderte Stimme, sondern auch sein für das romantische Repertoire hervorragend geeignetes äußerst gefälliges Äußeres (als „Rudolph Valentino der Tenöre“ wurde er zu Beginn des 20. Jahrhunderts bezeichnet) sowie die Gewandtheit seines Auftretens zustatten. 1839 lernte er bei seinem London-Debut am Her Majesty’s Theatre (als Gennaro in Donizettis Lucrezia Borgia) die berühmte Sopranistin Giulia Grisi (Mailand 1811 – Berlin 1869) kennen, mit der er ab 1844 zusammenlebte. Die beiden sangen 1843 in Paris in der Uraufführung von Donizettis Don Pasquale und traten gemeinsam in zahlreichen Opern auf. Mario konzentrierte seine Auftritte auf Paris und London, wo er der Liebling des viktorianischen Opernpublikums wurde, trat aber auch in St. Petersburg, Madrid und New York auf.


Abb. 17 – Der Tenor Giovanni Matteo de Candia, genannt Mario (1810-1883). Photographie von André-Adolphe-Eugène Disdéri aus den 1860er Jahren.

Sein Repertoire umfaßte Rossinis Il barbiere di Siviglia und La donna del lago, Donizettis Linda di Chamounix, Anna Bolena, La favorita, Meyerbeers Les Huguenots und Le Prophète, Bellinis I puritani, La sonnambula und Norma, Halévys La Juive, Gounods Roméo et Juliette, Flotows Martha, Mozarts Don Giovanni (er sang nicht den Don Ottavio, sondern die Titelpartie, eine von einigen Tenören der Zeit geübte Praxis, die Manuel García sen. begründet hatte). Von Verdi sang er die Tenorhauptrollen in I due Foscari, La traviata, Rigoletto, Il trovatore. 1873 beendete er seine Karriere nach einer Tournée mit Adelina Patti.

Die Cabaletta des Jacopo im 1. Akt „Odio solo ed odio atroce“ ist nicht nach seinem Geschmack. Verdi schlägt Mario in einem Anfall von Unwillen vor, doch einfach die Cabaletta des Oronte aus den Lombardi zu singen, ein für ihn völlig atypischer Vorschlag[210]. Er wird aber mit der Komposition einer neuen Cabaletta, „Sento Iddio che mi chiama“, beauftragt, die Mario dann auch 1847 in London singen wird, zu Verdis Verärgerung, da die Eigentumsrechte an diesem Stück noch ungeklärt sind. Aus dem überlieferten Briefwechsel ist nicht zu entnehmen, wie die Affäre aus der Welt geschafft wurde. Das Autograph der Cabaletta ist verlorengegangen. Aus nicht von Verdis Hand stammendem Notenmaterial in der Pariser Bibliothèque Nationale ist zu entnehmen, daß der Charakter der Musik dem lyrisch-elegischen Tenor Marios angepaßt ist[211]. Am auffallendsten ist die Kadenz mit einem vorgeschriebenen hohen Es (es2), ein Hinweis auf Marios Gesangsstil[212]. Die Notwendigkeit der Anpassung der im Original energischeren Cabaletta an Marios stimmliche Stärken scheint auf den robusten Stimmtypus des Tenors der Uraufführung hinzudeuten.

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rst seit wenigen Jahrzehnten ist die Verdi-Kritik davon abgegangen, I due Foscari als schwaches Werk einzustufen. Das Werk ist mit Verdis späteren Meisterwerken nicht zu vergleichen, es ist aber erkennbar ein Fortschritt in der Entwicklung des Komponisten: In keiner anderen seiner Opern hat er sich bis dahin so bemüht, die einzelnen Nummern miteinander zu verbinden, keine hat er so überlegt orchestriert, in keiner macht er vergleichbare Anstalten, von den bis dahin üblichen Kompositionsschablonen abzurücken.

Innerhalb weniger Jahre werden die Foscari in Wien, Barcelona, Konstantinopel, London, Kopenhagen und St. Petersburg aufgeführt. Es folgen New York, Boston, Santiago, Rio de Janeiro, Buenos Aires und Sydney. Dann gerät das Werk allmählich in Vergessenheit. Erst Mitte der 1950er Jahre kehrt es wieder auf die Bühnen der Opernhäuser zurück.

Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten

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