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I lombardi alla prima crociata

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ach dem in diesem Ausmaß unerwarteten Uraufführungserfolg des Nabucco läßt sich Merelli unverzüglich zu einer Geste hinreißen, die man bei einem als hartgesotten und skrupellos beschriebenen Geschäftsmann nicht erwarten würde:

Nach dem Nabucco habe ich stets so viele Anfragen bekommen, wie ich nur wollte; bei seiner zweiten Aufführung kam Merelli während des Balletts in die Garderobe der Peppina [Strepponi] mit einem von ihm bereits unterschriebenen Vertrag, in welchem nur noch die Höhe der Gage fehlte, die ich selbst einsetzte. Die Oper war I lombardi.[154]

Zum ersten Mal nimmt Verdi Zuflucht zu Giuseppina Strepponis diplomatischem Geschick: Der in Honorarfragen bislang wenig erfahrene Maestro bittet sie um ihr Urteil, welches Honorar ihr auf dem Blankovertrag passend erscheine. Giuseppina berät ihn gut, indem sie ihm empfiehlt, nicht mehr als den (beträchtlichen) Betrag zu fordern, den Bellini elf Jahre zuvor für seine Norma verlangt und erhalten hat: achttausend österreichische Lire.

Wieder wird Solera als Librettist verpflichtet. Die Stoffwahl fällt auf I lombardi alla prima crociata von Tommaso Grossi (1790-1853), ein Versepos, das 1826 in Mailand veröffentlicht wurde. Grossi hatte als Vorlage Gerusalemme Liberata des Torquato Tasso herangezogen, wobei er sich an dem Text nicht nur inspirierte, sondern ihn passagenweise sogar übernahm. Die Handlung spielt zur Zeit der Eroberung (= Befreiung) Jerusalems, also 1099, und schildert die Abenteuer und Wirrnisse einer lombardischen Familie auf dem ersten Kreuzzug. Nach langwierigem Tauziehen zwischen dem Mailänder Erzbischof Gaisruck, der die Aufführung verbieten lassen will, weil es ihm als Sakrileg erscheint, das Sakrament der Taufe auf der Bühne darzustellen, dem Polizeichef Torresani und dem unnachgiebigen Komponisten wird ein Kompromiß gefunden, der allen Beteiligten einen Gesichtsverlust erspart („Ave Maria“ wird auf „Salve Maria“ abgeändert), und die Premiere kann am 11. Februar 1843 in der Mailänder Scala stattfinden.

Für die Uraufführung der Lombardi verfügt Verdi über hervorragende Künstler: die Sopranistin Erminia Frezzolini-Poggi (Giselda), den Tenor Carlo Guasco (Oronte) und den Bassisten Prosper Dérivis (Pagano).

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er Tenor Carlo Guasco (Solero 1813-1876) wurde aufgrund seines Talents für Mathematik ursprünglich zum Ingenieur ausgebildet. Obwohl er schon als Kind große musikalische Begabung gezeigt hatte und verschiedene Instrumente spielte, wurde seine Stimme erst relativ spät entdeckt und bei dem Komponisten, Dirigenten und Gesangslehrer Giacomo Panizza ausgebildet. Er debutierte 1836 an der Mailänder Scala als Ruodi in Guglielmo Tell, und machte in der Folge eine große Karriere an den wichtigen italienischen Opernhäusern sowie in London (1842), Wien (1843), St. Petersburg (1846-48) und Paris (Ernani 1852). Er sang in zahlreichen Uraufführungen, u.a. in Corrado d’Altamura von Federico Ricci (Mailand 1841), in Donizettis Maria di Rohan (Wien 1843) oder in Poniatowskis La sposa d’Abido (Venedig 1846). Er wirkte bei den Uraufführungen von Verdis Lombardi, Ernani (1844) und Attila (1846) mit. Zwischen 1848 und 1850 unterbrach der Tenor seine Karriere, offenbar wegen stimmlicher Probleme, und beendete sie 1853 endgültig. Sein großes Vermögen hinterließ er sozialen und universitären Einrichtungen.

Guascos Stimme ist nicht genau einzuschätzen. Es dürfte sich um einen Zwischenfachtenor mit anfänglich guter Höhe gehandelt haben (seine kurze, jedoch mit etlichen hohen Cs durchsetzte Debutrolle weist darauf hin), der durch quantitative Überforderung (s. Premiere des Ernani) Schaden genommen haben dürfte.


Abb. 9 – Der Tenor Carlo Guasco (1813-1876)

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ie Sopranistin Erminia Frezzolini (Orvieto 1818 – Paris 1884) wurde von ihrem Vater, dem Bassisten Giuseppe Frezzolini (dem Dulcamara der Uraufführung von L’elisir d’amore), von Domenico Ronconi, dem Vater des Baritons Giorgio Ronconi, und von Manuel García jr. ausgebildet. Sie debutierte 1837 als Bellinis Beatrice di Tenda in Florenz und wurde in kurzer Zeit zum führenden Bellini- und Donizetti-Sopran ihrer Zeit. Bald sang sie an den mittleren italienischen Bühnen, ab 1840 auch an der Mailänder Scala, wo sie in Mercadantes Le due illustri rivali debutierte und ihren Ruf in Donizettis Lucrezia Borgia und Belisario konsolidierte. Ab 1840 war sie bei europaweiten Gastspielen, darunter am Wiener Kärntnertortheater, in London, Madrid, Paris (1853-57), St. Petersburg (1847-1850), ab 1858 auch in Nordamerika zu hören.


Abb. 10 – Die Sopranistin Erminia Frezzolini (1818-1884). Lithographie von Josef Kriehuber (1840).

Sie sang in zwei Verdi-Uraufführungen: außer in den Lombardi noch in der Giovanna d’Arco (1845). In Paris kreierte sie in den französischen Erstaufführungen 1857 die Gilda in Rigoletto und die Léonore in Le trouvère. Sie trat 1863 von der Bühne ab, setzte aber ihre Konzertkarriere bis 1871 fort. 1840 war sie kurz mit Otto Nicolai verlobt und von 1841 bis 1845 mit dem Tenor Antonio Poggi (1806-1875) verheiratet, der in der Giovanna d’Arco auch ihr Bühnenpartner war.

Sie war eine temperamentvolle, koloraturgewandte, äußerst ausdrucksstarke Sängerin, die in ihrer Glanzzeit nur die Konkurrenz der berühmten Henriette Sontag zu fürchten hatte. Ihre Stimmkategorie – wie die von Sängerinnen wie Giuseppina Strepponi oder Sofia Loewe – wurde als „soprano sfogato“ (kraftvoller, klangvoller Sopran) bezeichnet. Nach Ende ihrer Karriere 1868 ließ sie sich in Paris nieder, ehelichte einen Dr. Vigoureux und eröffnete eine Gesangsschule. Sie hatte im Laufe ihrer Karriere ein enormes Vermögen verdient, das sie aber mit gedankenloser Leichtigkeit ausgab. Ihr Leben endete in trister Armut.

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ie Frezzolini ist von dem Ehrgeiz durchdrungen, alle an der Scala engagierten Kolleginnen zu übertreffen. In jugendlichem Überschwang verkündet sie Verdi gegenüber: „Die Oper muß den Sieg davontragen, und wenn ich auf der Bühne dafür sterben müßte.“ Sie wird recht behalten: Die Begeisterung des Publikums ist am Abend der Uraufführung mit dem Erfolg des Nabucco durchaus vergleichbar. Das polizeiliche Verbot von encores wird mehrfach übertreten, und das Publikum frönt patriotischen Gefühlen: Es identifiziert nicht nur sich selbst mit den Lombarden (in Mailand, der Hauptstadt der Lombardei, eine Selbstverständlichkeit), sondern das Heilige Land, das es zu verteidigen gilt, mit Italien, und die feindlichen Sarazenen mit den verhaßten österreichischen Besetzern. An der Stelle im vierten Akt, an der der Schlachtruf „La Santa Terra oggi nostra sarà“ („Das Heilige Land wird heute uns gehören“) erschallt, springen zahlreiche Zuschauer begeistert von ihren Sitzen auf und brechen in begeisterte Zustimmung aus, was zu tumultartigen Szenen führt. Ungewollt haben Verdi und Solera den Finger auf eine politische Wunde gelegt. In dieser Oper werden die Hauptelemente der künstlerisch-moralischen Grundhaltung Verdis evident: Gott, Vaterland, Volk, Gerechtigkeit, Freiheit.

Die Kritiken sind für Verdi günstig, wenngleich nicht ganz dem Publikumserfolg entsprechend. Die Gazzetta musicale di Milano veröffentlicht eine detaillierte Werkkritik, die in zwei Fortsetzungen am 19. und 26. Februar 1843 erscheint und Verdi als einen „der wenigen Ruhmesbringer der italienischen Musik“ bezeichnet. Die Interpreten werden nur kurz gestreift:

Hier [im 2. Akt] wird von Oronte (Guasco) eine Arie [La mia letizia infondere] gesungen, die voll von lieblichen Weisen ist und dem Sänger nicht weniger als dem Komponisten eine Fülle an Applaus beschert. [...] Diese ganze Szene [das Finale II] ist so feurig inspiriert, und wird von der Frezzolini so energisch und leidenschaftlich vorgetragen, daß sie eine wunderbare Wirkung erzielt und die gesamte Zuhörerschaft eines Sinnes ist, sich von der schönen Musik berauschen und hinreißen zu lassen und der phänomenalen Leistung der ausgezeichneten Schauspielerin zu applaudieren. [...] Und auch hier [im 4. Akt] zeigt die Frezzolini soviel Sicherheit und Beherrschung der Gesangskunst, daß man es wirklich als überraschend bezeichnen muß.[155]

Siebenundzwanzig Mal wird die Oper in dieser Saison an der Scala aufgeführt. Ricordi kauft die Partitur und druckt sie sofort, ein untrügliches Zeichen für den Erfolg. Anfänglich werden die Lombardi mit wechselndem Erfolg in Italien (Venedig, Florenz) nachgespielt, zwei Jahre später ist die Oper bis Odessa, Barcelona, Berlin, Bukarest, St. Petersburg vorgedrungen. 1846 hört man sie in in London und Wien, im Jahr darauf in New York, danach in Kuba, Südamerika usw. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nehmen ihre Aufführungen ab und bleiben vorwiegend auf Italien beschränkt, im 20. Jahrhundert erlebt das Werk eine weltweite Renaissance.

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