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Jugend und Studienzeit

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ier die gesicherten Fakten der Biographie Verdis bis zum Entstehen seiner ersten Oper: Giuseppe Fortunino Francesco Verdi, im Geburtenregister als Joseph Fortunin François und im Taufregister als Joseph Fortuninus Franciscus eingetragen, wird am 9. oder 10.[79] Oktober 1813 nahe Busseto in dem Flecken Le Roncole im damals unter der Herrschaft Napoleons I. stehenden Herzogtum Parma geboren. Er ist das erste Kind des Schankwirtes und Kleinkrämers Carlo Verdi (1785-1867) und dessen Frau Luigia Uttini (1787-1851). Die Vorfahren beider Elternteile waren Landbesitzer und Handelstreibende, jedenfalls nicht die analphabetischen Bauern, als die Verdi sie gerne darstellt. Seine 1816 geborene Schwester Giuseppa Francesca[80] soll geistig behindert gewesen sein und stirbt 1833. 1815 soll Verdi erstes Interesse für musikalische Eindrücke gezeigt haben, und zwar für die Glocken der Kirche seines Geburtsortes und das Geigenspiel eines wandernden Spielmanns namens Bagassèt. Ab 1818 erhält er von Don Pietro Baistrocchi ersten Unterricht in Orgelspiel und Gesang, Don Carlo Arcari, der Pfarrer von Le Roncole, unterweist ihn im Lesen und Schreiben. 1820 vertritt er, als Siebenjähriger, Baistrocchi als Organist in der heimatlichen Dorfkirche und wird nach dessen Tod 1822 dessen Nachfolger in dieser Funktion, was aber weniger etwas über etwaige Wunderkindqualitäten Verdis als über den musikalischen Standard der Kirche aussagt. In diese Zeit fällt die Episode, als Verdi beim Ministrieren in der Kirche von Le Roncole, abgelenkt vom Orgelspiel, dem er fasziniert lauscht, seiner Pflicht des Meßwein-Einschenkens nicht rechtzeitig nachkommt und von dem Priester Don Giacomo Masini daraufhin einen solchen Tritt bekommt, daß er die Altarstufen hinunterstürzt. Der junge Verdi soll dem Priester im Zorn den Tod durch Blitzschlag gewünscht haben. Am 14. September 1828 schlägt während einer religiösen Zeremonie, bei der Verdi singt, ein Blitz in die Kirche der Madonna Prati ein und tötet vier Priester und zwei Laien. Einer der Priester ist Don Giacomo Masini. Verdi ist von dem Erlebnis so geschockt, daß er vier Wochen lang das Bett hüten muß.

Zur Befriedigung seines früh erwachten Interesses für Musik schenkt ihm sein Vater ein (von Verdi bis zu seinem Tode sorgfältig gehütetes, erhalten gebliebenes) gebrauchtes Spinett, das von Stefano Cavaletti unentgeltlich repariert wird, da er das musikalische Talent des kleinen Peppino erkennt. Giovanni Fulcini, ein Priester aus Roncole, erinnert sich an Verdis frühe Musikbegeisterung:

Der kleine Giuseppe wuchs als ein stilles, ganz in sich gekehrtes, in Worten und Taten zurückhaltendes Kind heran. Er ging ungebärdigen Gesellen und lärmenden Kumpanen aus dem Weg. Lieber blieb er bei seiner Mutter oder allein zu Hause. An Spielen beteiligte er sich nie, sondern sah ihnen bloß zu, als wären sie nichts für ihn. [...] Zudem war er brav, gehorsam, hilfsbereit und wurde nie gescholten oder bestraft. Er half seinen Eltern im Laden. Nur eins übte eine seltsame Macht auf ihn aus: die Musik. Wenn irgendwelche Drehorgelspieler oder Fiedler vorbeikamen, dann trat Giuseppe sogleich vor die Ladentür und genoß, ganz Ohr, die Melodien. Seine Aufmerksamkeit war derart, daß sie auf etwas Besonderes schließen ließ. Und als ein fahrender Fiedler das merkte, riet er den Eltern, den Knaben Musik studieren zu lassen.[81]

Ab 1823 wohnt Verdi in Busseto bei dem Schuster Pietro Michiara, genannt Pugnatta, zur Untermiete, im Herbst dieses Jahres tritt er in das von dem Geistlichen Don Pietro Seletti geleitete Gymnasium ein. Die Organistenstelle in Le Roncole behält er. Ab 1824 dürfte Verdi Musikunterricht von dem Organisten Don Pietro Arquati erhalten haben. Im Herbst 1825 beginnt er, Unterricht in Komposition und Kontrapunkt bei dem Musikdirektor von Busseto, Ferdinando Provesi, zu nehmen. Es kommt zu ersten Kompositionsversuchen: 1825 komponiert er eine Symphonie mit dem Titel La Capricciosa, die am 15. August 1868 zur Einweihung des Theaters in Busseto zur Aufführung gelangen wird. 1828 schreibt er eine Ouverture zu Rossinis Il barbiere di Siviglia sowie eine Kantate für Bariton und Orchester, I deliri di Saul, nach einer Dichtung von Vittorio Alfieri. Im Herbst 1829 avanciert er zum Assistenten Provesis und versucht sich an der Komposition von Sakralwerken, Märschen, Ouverturen, Serenaden, Konzerten und verschiedener Vokalmusik.

1830 schließt Verdi seine Schulausbildung ab. In diesem Jahr kommt es zur öffentlichen Aufführung einiger Erstlingswerke, anläßlich derer ihm Provesi eine große Zukunft prophezeit. 1831 zieht Verdi in das Haus von Antonio Barezzi ein. Dieser ist nicht nur ein angesehener, wohlhabender Kolonialwarengroßhändler, der das Geschäft der Eltern Verdis beliefert, sondern auch ein dilettierender Musikenthusiast in Busseto (als solcher ist er Präsident und Mäzen der örtlichen Società filarmonica, der Philharmonischen Gesellschaft, in der er auch als Instrumentalist tätig ist). Dessen ältester Tochter Margherita gibt Verdi seit dem Vorjahr Klavier- und Gesangsunterricht. Barezzi wird rasch zum väterlichen Freund und tatkräftigen Förderer Verdis, der ihm ein Leben lang in Dankbarkeit verbunden bleibt. Da sich Verdis Vater außerstande erklärt, ihm ein Studium an der Universität Parma zu ermöglichen, erhält Verdi 1832 auf Betreiben Barezzis und seines Vaters, der sich zur Erreichung dieses Zieles an die Herzogin Marie Louise wendet, vom Monte di Pietà e d’Abbondanza di Busseto (Leihhaus und Bankinstitut) ein Vierjahresstipendium von monatlich 25 Francs und bewirbt sich um Aufnahme am Mailänder Konservatorium. Die kommissionelle Prüfung aus Komposition besteht Verdi, er wird aber als Ausländer, aus Altersgründen (er hatte das Höchstalter von vierzehn Jahren längst überschritten) und wegen schlechter Handhaltung beim Klavierspiel abgewiesen. (Dasselbe Konservatorium besaß später genug schlechten Geschmack, sich trotz Verdis Weigerung: „Jung wollten Sie mich nicht haben, alt können Sie mich nicht haben“, nach dem berühmten Komponisten zu benennen.) Da die erstmalige Auszahlung des Stipendiums ein Jahr auf sich warten läßt, wird Verdi der Betrag von Barezzi vorgestreckt.


Abb. 1 – Antonio Barezzi (1787-1867), Verdis Förderer und Schwiegervater

Er verläßt Busseto und nimmt, von Barezzi, dem er freilich alles wieder zurückzahlen wird, finanziell unterstützt, in Mailand privat Kompositionsunterricht bei Vincenzo Lavigna, einem ausgezeichneten Kontrapunktisten und Dirigenten am Teatro alla Scala. Neben den Kontrapunktstudien läßt Lavigna seinen Schüler alte und moderne Partituren (darunter Werke von Corelli, Haydn, Mozart usw.) studieren und analysieren und empfiehlt ihm den Besuch von Opernvorstellungen: Im Mai 1833 hört Verdi an der Scala Maria Malibran als Norma und als Desdemona in Rossinis Otello. (1871 wird sich Verdi, nicht ganz gerecht, darüber beklagen, er habe bei Lavigna drei Jahre lang nur Kanons und Fugen zu schreiben gelernt, nicht aber Orchestration oder operndramatische Technik – dies ist einer von Verdis Versuchen, sich den Nimbus eines Autodidakten zu geben.) Während seiner Studienzeit in Mailand lernt Verdi W.A. Mozarts Sohn Karl Thomas kennen, der als Beamter der lombardischen Regierung arbeitet. Er spielt ihm mehrmals auf dem Klavier den Don Giovanni vor.

Im Dezember 1833 bewirbt Verdi sich erfolglos um die Nachfolge des am 26. Juli 1833 verstorbenen Provesi in Busseto. Wegen der Vergabe des Postens kommt es in Busseto zu einem Streit zwischen der Geistlichkeit und dem örtlichen Philharmonischen Orchester. 1834 springt Verdi auf Empfehlung seines Lehrers in Mailand bei zwei Aufführungen von Haydns Schöpfung erfolgreich als Dirigent ein, was ihm einen – allerdings nicht honorierten – Kompositionsauftrag für eine Kantate durch den Grafen Borromeo einträgt. Während eines kurzen Urlaubs in Busseto erhält Verdi die Gelegenheit, mehrmals das Orchester der Società Filarmonica zu dirigieren. Am 12. Oktober findet in Busseto eine Akademie statt, bei der mehrere Kompositionen Verdis zur Aufführung gelangen. Am 14. November 1834 hört er in Parma Niccolò Paganini spielen. Er wird sich noch Jahre später daran erinnern, wie der große Ton von Paganinis Instrument das Orchester übertönte.

Im April 1835 dirigiert Verdi im Mailänder Teatro Filodrammatico Rossinis La cenerentola. Im Juli beendet er seine Kompositionsstudien in Mailand und kehrt nach Busseto zurück. In Erwartung der Entscheidung in Busseto bewirbt er sich vergeblich um den Posten eines Maestro di cappella in Monza. Am 6. Jänner 1836 spielt er unter großem Publikumszulauf zum ersten Mal die Orgel in der Franziskaner-Kirche in Busseto. Am 5. März wird er als Nachfolger Provesis zum Städtischen Musikdirektor ernannt, was auch die Tätigkeit als Organist und Dirigent des Philharmonischen Orchester umfaßt. Seit Jänner des Jahres arbeitet er an seiner ersten Oper, von der später abwechselnd als Lord Hamilton oder Rocester (nach einem Libretto von Antonio Piazza) die Rede sein wird, und von der bis heute nicht restlos geklärt ist, ob es sich dabei um ein und dasselbe Werk handelt und ob oder wie weit es in Oberto verwendet wurde.

Am 4. Mai 1836 heiratet der Dreiundzwanzigjährige seine Schülerin Margherita Barezzi. In diesem Jahr komponiert Verdi eine Ode, Il cinque maggio, auf einen Text von Alessandro Manzoni, sowie ein Tantum ergo für Singstimme und Orchester. Am 26. Mai 1837 wird die Tochter Virginia geboren. In diesem Jahr bietet Verdi seinen Opernerstling erfolglos der Oper in Parma und der Mailänder Scala an. Im Februar 1838 dirigiert Verdi drei Akademien in Busseto, jedes Mal bringt er eigene Kompositionen zur Aufführung. Am 11. Juli 1838 kommt der Sohn Icilio Romano zur Welt, einen Monat später stirbt die Tochter Virginia. Nochmals versucht Verdi ergebnislos, den Rocester an der Scala aufführen zu lassen. Es kommt zur Veröffentlichung seiner ersten überlieferten Komposition. Es ist dies ein Liederzyklus, Sei romanze, für Singstimme und Klavier, der heute zusammen mit weiteren, später entstandenen Romanzen gedruckt und in verschiedenen Einspielungen vorliegt. Die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Werke sind verschollen. Er beendet im Oktober seine Tätigkeit als Musikdirektor in Busseto und übersiedelt im Februar 1839 mit Margherita und dem kleinen Icilio in die Musikmetropole Mailand, wo dieser im Oktober stirbt. In dieser psychisch belasteten Zeit arbeitet Verdi an Oberto conte di San Bonifacio.

Giuseppe Verdi. Leben, Werke, Interpreten

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