Читать книгу Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD) - Christian Warns - Страница 33
a. Entwicklung des Schrankenbegriffs: Von der Heckel‘schen Formel zur Abwägungslösung
ОглавлениеSo wurde zu Beginn der Weimarer Zeit überwiegend angenommen, dass die Schranke des für alle geltenden Gesetzes im Sinne eines allgemeinen Gesetzesvorbehaltes zu verstehen sei.118 Durch Johannes Heckel wurde schließlich erstmals die Diskussion darauf gelenkt, dass die bisherige Interpretation als allgemeiner Gesetzesvorbehalt überschießend sei. Heckel bezog sich auf die Erfahrungen des Kulturkampfes und verstand vor diesem Hintergrund das für alle geltende Gesetz als „ein Gesetz, daß trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als sachlich notwendige Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muss; m. a. W. jedes für die Gesamtnation als politische, Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches Gesetz.“119 Quintessenz dieser Beschränkung ist nach Heckel, dass nur zwingende Interessen des deutschen Gesamtvolkes zu einer Verengung der kirchlichen Autonomie führen dürfen.120 Wurde diese Heckel‘sche Formel in der Anfangszeit der Bundesrepublik noch teilweise von Literatur121 und Rechtsprechung122 rezipiert, setzte sich doch die Erkenntnis durch, dass sie mangels systematischer und teleologischer Verankerung eines handhabbaren Maßstabes entbehrt.123
Das Bundesverfassungsgericht124 sowie Teile der Literatur125 griffen stattdessen die Bereichsscheidungslehre auf. Nach dieser Lehre unterteilen sich die möglichen kirchlichen Wirkungsbereiche in die rein innerkirchlichen, die rein staatlichen und die gemeinsamen Angelegenheiten. Den innerkirchlichen Bereich soll der Staat nicht regeln können, während im Bereich der gemeinsamen Angelegenheiten das kirchliche Selbstbestimmungsrecht durch das staatliche Recht berücksichtigt werden müsse. Bei rein staatlichen Angelegenheiten sollen die Religionsgemeinschaften mangels einer Betroffenheit in den eigenen Angelegenheiten ausnahmslos dem staatlichen Recht unterfallen.126 Zwischen den einzelnen Bereichen sollte nach den Kriterien der „Natur der Sache“ oder der „Zweckbestimmung“ abgegrenzt werden,127 also eine objektiv-rechtliche Bestimmung der eigenen Angelegenheiten vorgenommen werden.
Die Bereichsscheidungslehre ist indessen nur schwerlich mit dem Wortlaut von Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV zu vereinbaren, der gerade anordnet, dass die Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes ordnet und verwaltet; dies bedeutet jedoch, dass bereits die verallgemeinernde Aussage, es gebe einen innerkirchlichen Bereich, der sich per se einer staatlichen Regelung verschließe, schwerlich zutreffen kann.128 Jedenfalls entzieht es sich aber einer objektiven und allgemeingültigen Feststellung, wo der innerkirchliche Bereich aufhören soll. Die zur Abgrenzung zwischen den einzelnen Bereichen verwendeten Begrifflichkeiten verschleiern zudem, dass die Definitionskompetenz für die Gewichtung der von der Kirche benannten eigenen Angelegenheiten auf den Staat, namentlich die Judikative übertragen wird. Schließlich bieten die genannten Abgrenzungskriterien keinen nachvollziehbaren Maßstab,129 sodass es zu einer willkürlich getroffenen Abgrenzungsentscheidung kommen muss. Folglich wird durch die Bereichsscheidungslehre nicht nur die Definitionskompetenz bezüglich der eigenen Angelegenheiten auf den Staat verlagert, sondern zusätzlich auch eine willkürliche Begrenzung130 des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ermöglicht. Dadurch wird im Ergebnis aber die Grundidee des Art. 137 Abs. 3 WRV – die Selbstbestimmung der Kirche in den eigenen Angelegenheiten – negiert.
Diese Bedenken führten dazu, dass das Bundesverfassungsgericht seinen Standpunkt um die Jedermann-Formel ergänzte. Danach sollte kein für alle geltendes Gesetz vorliegen, wenn die Kirche in ihrer Besonderheit durch staatliche Gesetze härter betroffen sei als ein Jedermann.131 Die Jedermann-Formel kann die genannten Bedenken jedoch nicht ausräumen und ist selbst dem Vorwurf ausgesetzt, dass es sich bei ihr inhaltlich nur um ein Wiederaufleben des allgemeinen Gesetzesvorbehalts der Weimarer Zeit handelt.132
Im Verlauf weiterer Entscheidungen ging das Bundesverfassungsgericht deshalb zu einer Abwägung zwischen den kollidierenden Rechtsgütern – dem Selbstbestimmungsrecht einerseits und den staatlich zu schützenden Interessen andererseits – über, ohne sich jedoch ausdrücklich von den früheren Begründungsansätzen zu lösen.133 Die Abwägungslehre, die insbesondere von Hesse134 im Anschluss an Martin Heckel135 vertreten und ausgestaltet wurde, geht davon aus, dass aufgrund des Charakters des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts als Freiheitsrecht eine der allgemeinen Freiheitsgrundrechtsdogmatik entsprechende Abwägung durchzuführen sei, durch die im Wege praktischer Konkordanz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und den entgegenstehenden Rechtspositionen ein Ausgleich herbeigeführt werden soll, der beiden Positionen zu bestmöglicher Entfaltung verhilft.136 Dieser Ansatz bestimmt bis heute die Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts.137