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(1) Staatliche Schutzverpflichtung und Mitarbeitervertretungsrecht

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Wenn die Kirche für die Organisation ihres Dienstes eine privatrechtliche Ausgestaltung durch den Abschluss von Arbeitsverträgen wählt, so löst dies zugleich auf Seiten des Staates die skizzierten verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtungen im Verhältnis zu den jeweiligen Arbeitnehmern aus. Insoweit die Kirche den Arbeitsvertrag als Gestaltungsmittel wählt, wird sie jedoch regelmäßig die bestehenden staatlichen Schutzverpflichtungen antizipieren. Zudem akzeptiert sie grundsätzlich die vom Staat in Wahrnehmung seiner Schutzverpflichtung erlassene Privatrechtsordnung als notwendige Funktionsbedingung für eine Gestaltung der Rechtsbeziehungen nach dem Prinzip der Privatautonomie.194

Obliegt es nun der Kirche aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Selbstbestimmungsrechts, die Organisation des kirchlichen Dienstes nach ihren Vorstellungen auszugestalten, und begrenzt der Staat deshalb die Geltung solcher Gesetze, die er in Wahrnehmung seiner Schutzverpflichtung erlassen hat, so ist der vollständige Rückzug des Staates vor dem Hintergrund seiner Schutzverpflichtung nur insoweit gerechtfertigt, als die Kirche im Rahmen ihrer Rechtsetzung den zunächst an den Staat gerichteten Schutzpflichtauftrag realisiert und ihm auch innerhalb ihrer Gesetzgebung Rechnung trägt.195 Die Kirche ist danach zwar nicht unmittelbarer Adressat der verfassungsrechtlich begründeten Schutzverpflichtungen, sie ist jedoch durch die Schrankenbestimmung des Selbstbestimmungsrechts mittelbar dazu angehalten, die staatlicherseits bestehende Verpflichtung zur Wahrnehmung des Schutzauftrags – beispielsweise durch die Schaffung einer Betriebsverfassung – zu berücksichtigen;196 täte sie dies nicht, müsste subsidiär wiederum der Staat selbst zur Erfüllung seines Schutzauftrages tätig werden.197 Will die Kirche jedoch eine derartige staatliche Einmischung in die Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten von vorneherein vermeiden, so hat sie durch eine entsprechende kirchengesetzliche Regelung den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers auch im kirchlichen Arbeitsverhältnis bereits selbsttätig zu gewährleisten.198

Insoweit der verfassungsrechtliche Schutzauftrag weitgehend umsetzungsoffen ist und keine besonderen Vorgaben macht, steht es der Kirche nunmehr allerdings ebenfalls frei, nach eigenem Ermessen eine Ausgestaltung vorzunehmen.199 Mit dem Verweis auf die verfassungsrechtlich begründete staatliche Schutzverpflichtung geht es insbesondere nicht einher, dass die in Wahrnehmung des Schutzauftrags vom staatlichen Gesetzgeber geschaffene Betriebsverfassung in ihrer konkreten Ausgestaltung verfassungsrechtlich verbürgt und dem kirchlichen Gesetzgeber daher als Regelungsmodell vorgegeben wäre. Im Gegenteil ist der einfachgesetzlichen Umsetzung des Schutzpflichtauftrages durch den Staat keinerlei bindende Vorgabe zu entnehmen.200

Für das kirchenrechtlich geschaffene Rechtsinstitut der Dienstvereinbarung ist demnach festzuhalten, dass es nicht ausschließlich vor dem Hintergrund eines bestimmten Selbstverständnisses der Kirche zu beurteilen ist, sondern auch die verfassungsrechtliche Schutzverpflichtung Berücksichtigung finden kann. Diese aus der Schrankenbestimmung des Selbstbestimmungsrechts folgende Konsequenz ist deshalb besonders bedeutsam, weil die Fokussierung des kirchlichen Arbeitsrechts auf das kirchliche Selbstverständnis es häufig verdecken mag, dass die kirchliche Gesetzgebung nicht nur der Verwirklichung eines bestimmten kirchlichen Selbstverständnisses verpflichtet ist.

Dienstvereinbarungen nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz der Evangelischen Kirche in Deutschland (MVG-EKD)

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