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aa) Ermittlung von Amts wegen

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Im Verfahren vor den Zulassungsgremien gilt der Untersuchungsgrundsatz (§ 20 SGB X). § 39 Abs. 1 Ärzte-ZV greift einen Teilaspekt (die Beweiserhebung) heraus und schränkt die Geltung der §§ 20 bis 22 SGB X nicht ein.[75] Der Zulassungsausschuss hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln.[76] Er bestimmt – unter Beachtung der Vorgaben der Rechtsprechung[77] – Art und Umfang der Ermittlungen selbst und ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden (§ 20 Abs. 1 SGB X).[78] Er darf aber nicht einseitig ermitteln, sondern hat alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände zu berücksichtigten. Die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen darf der Zulassungsausschuss nicht deshalb verweigern, weil er die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält (§ 20 SGB X). Die möglichst vollständige und zutreffende Sachaufklärung ist unverzichtbare Voraussetzung korrekter Rechtsanwendung. Die Zulassungsgremien müssen von allen Ermittlungsmöglichkeiten Gebrauch machen, die ihnen vernünftigerweise zur Verfügung stehen.[79]

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Eine umfassende Sachverhaltsaufklärung wird bereits durch den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandelns vorgegeben. Das Gebot der vollständigen und zutreffenden Sachaufklärung steht aber oftmals im Widerspruch zu anderen Verfahrensprinzipien, etwa dem Beschleunigungs- und Vereinfachungsgebot, dem Transparenzgebot und dem Datenschutz. Die Zulassungsgremien müssen diese Belange im Rahmen des ihnen zustehenden Verfahrensermessens soweit wie möglich in Einklang bringen.[80] Ziel der Sachaufklärung ist die „vollständige“, d.h. bei den gegebenen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen mögliche und erreichbare Sachaufklärung. Zu ermitteln sind nur die unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Spruchkörpers entscheidungserheblichen Tatsachen.[81] Um herauszufinden, welche Tatsachen entscheidungserheblich sind, können bestimmte Angaben der Beteiligten als wahr unterstellt werden. Ändert sich die Entscheidung nicht, unabhängig davon, ob man die Tatsachen als wahr oder unwahr unterstellt, so muss diesbezüglich keine weitere Aufklärung erfolgen.[82] In Verfahren in denen die Zulassungsgremien auf Antrag tätig werden, dürfen sie die vom Antragsteller vorgetragenen Tatsachen zugrunde legen, soweit es sich dabei um typische Lebenssachverhalte handelt und keine konkreten Anhaltspunkte vorliegen, die eine besondere Einzelfallprüfung erfordern.[83]

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Der Untersuchungsgrundsatz findet seine Grenze dort, wo eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ohne eine Mitwirkung des Betroffenen unmöglich ist.[84] Eine Mitwirkungspflicht besteht von Gesetzes wegen nicht. § 21 Abs. 2 S. 1 SGB X statuiert lediglich eine Mitwirkungslast (Soll-Vorschrift), so dass die Mitwirkung nicht erzwungen werden kann. Dies gilt gemäß § 21 Abs. 2 S. 3 SGB X auch für das persönliche Erscheinen und die Aussagebereitschaft, weswegen aus dem Nichterscheinen und/oder der Weigerung, eine Äußerung abzugeben, keine negativen Schlussfolgerungen gezogen werden dürfen.[85] Allerdings kann eine durch die fehlende Mitwirkung verursachte fehlende oder mangelhafte Sachverhaltsaufklärung bei der Beweiswürdigung zu Lasten des Beteiligten berücksichtigt werden, soweit die materielle Beweislast beim Beteiligten liegt.[86] Im Verwaltungsrecht werden verschiedene denkbare Reaktionen diskutiert, etwa das Zurückstellen bzw. die weitere Bearbeitung eines Antrags,[87] die Fiktion einer Antragsrücknahme,[88] die nachteilige Beweiswürdigung,[89] die Annahme eines Mitverschuldens[90] und die Nichterhebung angebotener Beweise.[91]

Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, eBook

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