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bb) Aktenführung und Akteneinsicht (§ 25 SGB X)

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§ 25 SGB X regelt ein Recht auf Akteneinsicht und setzt damit die Existenz von Akten voraus.[126] Das Recht und die Pflicht der Zulassungsgremien zur schriftlichen und vollständigen Aktenführung ergibt sich bereits aus dem Rechtsstaatsprinzip.[127] Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet es, die Verfahrensbeteiligten (§ 37 Abs. 2 Ärzte-ZV) über schriftliche Äußerungen von Zeugen und von Sachverständigen eingeholte Auskünfte sowie beigezogene Akten und Urkunden zu unterrichten.[128] Wer nicht Beteiligter des Verfahrens sein kann, kann auch keine Akteneinsicht beanspruchen (Grundsatz der beschränkten Aktenöffentlichkeit).[129]

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Das Einsichtsrecht steht in enger Verbindung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs und ist Bestandteil des rechtsstaatlichen Verfahrens. Die Norm bezweckt eine möglichst umfassende Information der Beteiligten über den Verfahrensgegenstand und damit die Herstellung der Waffengleichheit und Transparenz im Verfahren.[130] Das Recht auf Akteneinsicht ergänzt nicht nur den Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 24 SGB X), sondern ist grundlegende Voraussetzung dafür, den Beteiligten das rechtliche Gehör überhaupt erst zu ermöglichen.[131] Damit diese Ziele erreicht werden können, bedarf es einer vollständigen und wahrheitsgetreuen Aktenführung durch die Zulassungsgremien.[132] Die Einsicht ist in alle schriftlichen Vorgänge, einschließlich Zeichnungen, Skizzen und Pläne, die im konkreten Verfahren eine Rolle gespielt haben und aus denen sich der wesentliche Inhalt und Ablauf des Verfahrens ergibt, zu gewähren.[133] Selbstverständlich erstreckt sich der Einsichtsanspruch auch auf EDV-technisch festgehaltene Vorgänge.[134]

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Das Akteneinsichtsrecht beschränkt sich auf Aktenbestandteile, deren Kenntnis zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen des Einsichtsberechtigten erforderlich ist.[135] Aus dem Begriff „soweit“ in § 25 Abs. 1 S. 1 SGB X ergibt sich aber keine Berechtigung der Zulassungsgremien, nur eine Teilakteneinsicht zu gewähren,[136] er verweist vielmehr auf das für den Einsichtsanspruch notwendige rechtliche Interesse.[137] Das rechtliche Interesse ist nur gegeben, wenn die Einsichtnahme bezweckt, eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu richten oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung des Anspruchs zu erhalten.[138] In offensiven Konkurrentenstreitverfahren ist das rechtliche Interesse der nach § 12 SGB X beteiligten, aber übergangenen Konkurrenten regelmäßig zu bejahen.[139]

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Verfahrensakten i.S.d. § 25 SGB X sind alle Unterlagen, die den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens betreffen,[140] und zwar unabhängig davon, ob die Behörde sie zu den Verwaltungsakten im engeren Sinne nimmt. Der Aktenbegriff[141] ist objektiv zu bestimmen und nicht vom Willen der Zulassungsgremien abhängig.[142] Die Voraussetzung, dass die Akteneinsicht zur Geltendmachung oder Verteidigung der rechtlichen Interessen notwendig sein muss, ist ebenfalls nicht nach der Rechtsauffassung der Zulassungsgremien zu beurteilen. Maßgebend ist vielmehr, ob aufgrund einer vertretbaren Rechtsauffassung oder Würdigung der tatsächlichen Vorgänge die Akteneinsicht für die Wahrung der rechtlichen Interessen dienlich sein kann.[143] Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht liegt immer dann vor, wenn eine tatsächliche Unsicherheit über ein Rechtsverhältnis zu klären, ein rechtlich relevantes Verhalten nach dem Ergebnis der Einsichtnahme zu regeln oder eine gesicherte Grundlage für die Verfolgung eines Anspruchs zu erhalten ist.[144]

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Die Einschränkung des Einsichtsanspruchs nach § 25 Abs. 3 SGB X kommt nur ausnahmsweise in Betracht.[145] In offensiven Konkurrentenstreitverfahren etwa müssen den Konkurrenten bereits aus Gründen der „Waffengleichheit“ alle die Mitbewerber betreffenden Informationen zur Verfügung gestellt werden, insbesondere die Ausschreibungs- und Bewerbungsunterlagen,[146] aber auch der Praxisübergabevertrag[147] und der Gemeinschaftspraxisvertrag (Berufsausübungsgemeinschaftsvertrag).[148] Nur in Kenntnis des Inhalts der die Mitbewerber betreffenden Verwaltungsvorgänge sind die abgelehnten Bewerber in der Lage zu beurteilen, ob die ihnen nachteilige Auswahlentscheidung auf zutreffende tatsächliche und rechtliche Grundlagen gestützt ist.[149]

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Fraglich ist aber, ob dies auch für Vertragsärzte gilt, die nicht i.S.d. § 12 SGB X formell am Verfahren beteiligt sind oder waren und welchen Umfang deren Akteneinsichtsanspruch gegebenenfalls hat. Zu dieser Konstellation kann es bei rein defensiven Konkurrenzsituationen kommen, also dann, wenn der betreffende Arzt nicht selbst um die streitige Position konkurriert, sondern einen neuen Konkurrenten lediglich abwehren will. Ob die Äußerung des LSG Nordrhein-Westfalen, ein gegenläufiges schutzwürdiges Interesse i.S.d. § 25 Abs. 3 SGB X könne angenommen werden, wenn „die Mitbewerber das Verfahren nur betreiben, um einen Konkurrenten aus Wettbewerbsgründen zu verhindern“,[150] diese Sachverhalte im Blick hatte, ist unklar. Auch in defensiven Konkurrentenstreitverfahren besteht grundsätzlich ein Einsichtsrecht, das aber nicht weiter reicht als die potentielle Drittwiderspruchsbefugnis.[151]

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Der Anspruch auf Akteneinsicht entsteht mit der Einleitung eines Verfahrens vor den Zulassungsgremien (Verwaltungsverfahren gemäß § 8 SGB X) und besteht bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens.[152] Nach h.M. endet das Verwaltungsverfahren mit Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts, durch Antragsrücknahme, sofern der Verfahrensbeginn von einem Antrag abhängig gewesen ist oder durch Erledigung i.S.d. § 39 Abs. 2 SGB X.[153] Das bedeutet für die Akteneinsicht im Verfahren vor den Zulassungsgremien, dass nur Akten noch laufender Verfahren einzubeziehen sind sowie Akten abgeschlossener Verfahren, soweit Elemente aus diesen Verfahren noch für das laufende Verwaltungsverfahren von Bedeutung sind.[154] Ist der Anspruch auf Akteneinsicht – etwa aus zeitlichen Gründen – erloschen, steht die Gewährung von Akteneinsicht im Ermessen der aktenführenden Behörde, so dass weiterhin ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung über den Akteneinsichtsantrag besteht.[155]

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In den Bundesländern, die bereits ein Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erlassen haben, kommt grundsätzlich auch ein Recht auf Zugang zu den bei den Zulassungsgremien vorhandenen amtlichen Informationen nach Maßgabe des jeweiligen Landesgesetzes in Betracht. Das Informationsfreiheitsgesetz des Bundes ist hingegen nicht anwendbar. Bei den Kassenärztlichen Vereinigungen auf Landesebene handelt es sich um Körperschaften des öffentlichen Rechts des jeweiligen Bundeslandes (§ 77 Abs. 5 SGB V)[156]. Maßgebend für den Anwendungsbereich des Informationsfreiheitsgesetzes ist nicht die Errichtung der betroffenen Körperschaft durch Bundesgesetz, sondern die Aufsichtskompetenz über den Selbstverwaltungsträger.[157]

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Das IFG ist auch während eines laufenden Verfahrens vor den Zulassungsgremien anwendbar. Das führt zu einer Anspruchskonkurrenz zwischen dem IFG und § 25 SGB X, wobei ein bestimmter Vorrang oder eine Rangfolge der Anspruchsgrundlagen nicht besteht.[158] Die Beteiligten des Verfahrens können wählen, ob sie Akteneinsicht nach § 25 SGB X verlangen oder einen Informationszugang nach dem IFG begehren.[159] Da sich bei einem Vorgehen nach § 25 SGB X oder IFG unterschiedliche Kostenfolgen ergeben können, muss ein Verfahrensbeteiligter genau prüfen, welche Anspruchsgrundlage für ihn günstiger ist.[160] Anders als das Akteneinsichtsrecht nach § 25 SGB X besteht das Informationsrecht nach IFG auch nach Abschluss des Verfahrens vor den Zulassungsgremien.[161]

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Für die Geltendmachung des Informationsanspruchs ist nicht der Sozialrechtsweg, sondern der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.[162] Der Informationsanspruch nach IFG hat keinen spezifischen Bezug zum sozialrechtlich begründeten Rechts- und Pflichtenkreis der Zulassungsgremien. Er ist auf Zugang zu den amtlichen Informationen gerichtet. Das Rechtsgebiet, aus dem die Informationen, die Grundlage oder der Zweck ihrer Aufzeichnung oder die im Zusammenhang mit ihnen verfolgte Verwaltungsaufgabe entstammen, ist für den Auskunftsanspruch grundsätzlich unbeachtlich.[163]

Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, eBook

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