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Teil 3 Die Dogmatik der FremdrechtsanwendungI. Zur Fremdrechtsanwendung im Strafrecht › 7. Ausfüllung akzessorischer Tatbestandsmerkmale mit ausländischem Recht

7. Ausfüllung akzessorischer Tatbestandsmerkmale mit ausländischem Recht

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Das Strafrecht enthält somit vielfach Blanketttatbestände und normative Tatbestandsmerkmale, bei denen die Strafnorm selbst nur die „Sanktionshülle“[1] bereit stellt, deren Ausfüllung sodann durch andere Rechtsnormen erfolgt. Das Strafrecht bemüht sich hierbei nicht um eigene Begriffsbildungen, sondern bedient sich der Vorarbeit außerstrafrechtlicher Rechtssätze.[2] Da im weiteren Verlauf dieser Arbeit das Verhältnis zivilrechtlicher Abhängigkeit der Strafnorm untersucht werden soll, beschränkt sich die Untersuchung nun im Folgenden auf diesen Bereich.[3] Die außerstrafrechtlichen zivilrechtlichen Normen und Rechtsbegriffe werden von der Strafnorm dabei mit der Prägung und dem Inhalt in Bezug genommen, die sie durch das Zivilrecht erfahren haben.[4] Je stärker der außerstrafrechtliche Bezug einer Norm ist und je weniger Raum dabei für eine eigenständige strafrechtliche Begriffsbildung bleibt, desto eher wirken sich Änderungen der Bezugsmaterie auch auf das Strafrecht aus.[5] Sofern dabei nur Normen des deutschen Zivilrechts in Bezug genommen werden, finden sich hinsichtlich dieser Akzessorietätsbeziehungen keinerlei Besonderheiten. Anders ist dies jedoch bei Sachverhalten mit Auslandsbezug zu beurteilen. Verweisen Straftatbestände auf zivilrechtliche Normen, kann dies in der Konsequenz dazu führen, dass bei Auslandssachverhalten zur inhaltlichen Ausfüllung jener Straftatbestände des nationalen deutschen Rechts auf die Rechtsordnung eines anderen Staates zurückgegriffen werden muss und sich somit die Thematik der Fremdrechtsanwendung stellt.

a) Zur Fremdrechtsanwendung bei den normativen Tatbestandsmerkmalen

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Bei den normativen Tatbestandsmerkmalen gelangt man nur bei jenen Begrifflichkeiten zu einer Maßgeblichkeit ausländischen Rechts, die den Vorschriften anderer Rechtsbereiche zu entnehmen sind (z.B. „Ehe“, § 171 StGB, „fremd“, § 242 StGB). Für diese Art der normativen Tatbestandsmerkmale ist kennzeichnend, dass die Werthaltigkeit dieser terminologischer Begriffe stark von anderen Rechtsgebieten abhängig ist.[6] Das Strafrecht tritt dabei bewusst als unselbständige und abhängige Rechtsmaterie zurück, um sich der Sachnähe willen die speziellere Begriffsinterpretation der Primärnormierung anzueignen.[7] Außerrechtlichen Tatbestandsmerkmalen („rücksichtslos“, § 315c I Nr. 2 StGB) oder solchen, bei denen das Strafrecht selbst die gesetzliche Definition vorgibt („Angehöriger, Amtsträger, Richter, Behörde“, § 11 StGB) oder dem Begriff durch die Aufnahme ins StGB eine eigenständige Bedeutung zugekommen ist („Urkunde“, § 267 StGB), fehlt die Bindung an ein außerstrafrechtliches Rechtsgebiet, weshalb eine Fremdrechtsanwendung in diesen Fällen nicht möglich ist.[8]

b) Zur Fremdrechtsanwendung bei den Blankettstraftatbeständen

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Ebenso ist innerhalb der Gruppe der Blankettstraftatbestände zu differenzieren. Naturgemäß stellt sich bei den Blankettvorschriften, die in Form von Binnenverweisungen ausgestaltet sind, die Frage nach einer Fremdrechtsanwendung nicht, da zur Ausfüllung der Blankettsanktionsnorm auf eine bestimmte Vorschrift desselben Gesetzgebers verwiesen wird und diese folglich an bestimmte inländische Normen gebunden sind. Anders ist dies bei den Blanketttatbeständen in der Form von Außenverweisungen, deren inhaltliche Ausgestaltung von einem anderen Normgeber als dem Gesetzgeber der verweisenden Norm stammt. Da die Ausfüllungsnorm zumeist in der Form von Rechtsverordnungen oder Verwaltungsakten ausgestaltet ist, wäre es zwar rechtstechnisch möglich, sie bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt dem ausländischen Recht zu entnehmen.[9] Auch bei der Verweisung einer Blankettstrafnorm auf eine andere Rechtsordnung oder Rechtsvorschriften steht rechtstechnisch einer Fremdrechtsanwendung nichts entgegen. Jedoch entspricht es allgemeiner Ansicht, dass Blankettstrafnormen nicht mit ausländischem Recht ausgefüllt werden können.[10] Dies gründet sich darin, dass nur durch ein Zusammenlesen von Blankett und ausfüllender Norm die Strafvorschrift entsteht, die als Grundlage der Sanktionierung dient. Die Heranziehung von ausländischen Rechtsvorschriften zur Ausfüllung der Blankettnorm würde zu einer Anwendung sowohl von deutschem als auch von ausländischem Recht führen, wofür sich in den Vorschriften des Strafanwendungsrechts der §§ 3-7 StGB jedoch keine Rechtsgrundlage finde.[11] Anders ist dies nur bei der Ausfüllung durch unionsrechtliche Normen, da diese unmittelbaren Vorrang vor dem nationalen Recht genießen. Das Unionsrecht bildet zusammen mit den förmlichen Gesetzen des Bundes und der Länder die Gesamtrechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und stellt daher taugliches Verweisungsobjekt nationaler Strafvorschriften dar.[12] Ausländische Verwaltungsvorschriften können daher als Ausfüllungsnorm eines deutschen Blankettstrafgesetzes herangezogen werden, sofern diese durch EU-Richtlinien harmonisiert wurden und damit auch die zu deren Umsetzung erlassenen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates Teil des gemeinsamen europäischen Umweltrechts sind, wodurch ihre Anwendung in der Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung gründet.[13] Einen Fall der gesetzlich angeordneten Fremdrechtsanwendung enthält § 330d StGB.[14] Der neue Absatz 2 ermöglicht die Anwendung deutscher Strafnormen des Umweltstrafrechts auch dann, wenn die Tathandlung in einem anderen Mitgliedstaat der EU begangen wurde und dabei gegen Pflichten aus dem Umweltverwaltungsrecht eines anderen Mitgliedstaates verstoßen wurde.[15] Da die tatbestandsrelevanten Rechtsvorschriften des § 330d I Nr. 4 a StGB nicht mehr nur auf deutsche Umweltgesetze beschränkt sind, sondern auch alle umweltrelevanten Verordnungen der Union inklusive des harmonisierten Umweltrechts der Mitgliedstaaten umfassen, wurden die deutschen Umweltdelikte nunmehr in unionsrechtsakzessorische Tatbestände gewandelt.[16] Eine Fremdrechtsanwendung bei Blankettstrafgesetzen ist darüber hinaus auch dann anerkannt, wenn die Einbeziehung ausländischer Normen auf einem ausdrücklichen Rechtsanwendungsbefehl des deutschen Gesetzgebers beruht.[17] So wird etwa in § 38 V WpHG ausdrücklich Bezug auf ausländische Verbotsnormen zu Insiderrecht genommen.[18] Eine ausdrückliche Ausdehnung auf den Schutz ausländischer Rechtsgüter durch eine autonome Entscheidung des Gesetzgebers enthält beispielsweise auch der Straftatbestand der Steuerhinterziehung nach § 370 VI AO. Der BGH ordnet diesen Straftatbestand als Blankettstrafgesetz ein, bei dem zur Ausfüllung auch ausländische Steuervorschriften herangezogen werden können.[19]

c) Zur Bedeutung der Abgrenzung normativer Tatbestandsmerkmale von den Blankettnormen

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Für die Fremdrechtsanwendung hat der Umstand, dass Blankettnormen nicht mit ausländischem Recht ausgefüllt werden können, zur Folge, dass noch vor der Frage, welchem Recht außerstrafrechtliche Inzidentfragen bei Auslandssachverhalten zu entnehmen sind, jene von den normativen Tatbestandsmerkmalen abgegrenzt werden müssen. Die Abgrenzung der Blankettstrafgesetze von den normativen Tatbestandsmerkmalen bereitet in der Praxis häufig Schwierigkeiten und gab auch in der Literatur Anlass zur Auseinandersetzung.[20] Mangels klarer Unterscheidungskriterien und fließender Übergänge wird eine Differenzierung zwischen Blanketttatbeständen und normativen Tatbeständen als reichlich willkürlich und wenig tragfähig zum Teil generell abgelehnt.[21] Abgesehen von der Frage nach geeigneten Abgrenzungskriterien finden sich zudem beinahe für jede ergänzungsbedürftige Norm verschiedene Meinungen hinsichtlich ihrer Charakterisierung.[22] Eine Abgrenzung ist jedoch auch im Hinblick auf die dogmatische Einordnung des Irrtums und aus verfassungsrechtlichen Aspekten von Relevanz.[23] In Bezug auf die Einordnung von Irrtumsfragen ist bis heute umstritten, ob nur der Inhalt der Ausfüllungsnorm zum Tatbestand des Blankettgesetzes gehört oder auch ihre Wirksamkeit und Existenz und ein Irrtum hierüber somit als vorsatzausschließender Tatbestandsirrtum zu behandeln ist.[24] Im irrtumsfunktionalen Kontext wird daher von vielen Autoren vertreten, dass eine Differenzierung nicht sachgerecht sei und für Blankettgesetze dieselben Regeln wie für normative Tatbestandsmerkmale gelten sollen.[25] Aus verfassungsrechtlicher Sicht bestehen überwiegend Bedenken hinsichtlich des Bestimmtheitsgebots und des Parlamentsvorbehalts nach Art. 103 II GG. Bei Blanketttatbeständen soll nicht nur die Sanktionsnorm, sondern auch die Ausfüllungsnorm den Anforderungen der Gesetzesbestimmtheit nach Art. 103 II GG entsprechen müssen, während sich die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei den normativen Tatbestandsmerkmalen nur auf die Strafrechtsnorm selbst, nicht jedoch auf die begrifflich einbezogenen außerstrafrechtlichen Normen beziehen sollen.[26] Eine vertiefende Auseinandersetzung mit dieser Problematik soll im verfassungsrechtlichen Teil dieser Arbeit erfolgen.

Zur Fremdrechtsanwendung im Wirtschaftsstrafrecht

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