Читать книгу Der Casta-Zyklus: Initiation - Christina Maiia - Страница 10
Yoav
ОглавлениеKaum hat er die Türen der Bibliothek hinter sich gelassen, umarmt ihn bereits die Hektik der Stadt mit ihren Gliedmaßen, während ihr omnipräsenter Geräuschteppich wie ein Tsunami über ihn hinweg rauscht. Jedes Mal, wenn er die Lern-Session beendet, das Laptop zusammenpackt und nach draußen geht, überkommt ihn das starke Gefühl, als er entere eine andere Welt, als bildeten die Drehtüren aus dem Lesesaal der Uni eine Art Wurmloch zwischen zwei völlig voneinander unabhängigen Universen, die nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun haben wollen.
Müde und enthusiastisch von einem ergiebigen Tag mit der Nase in dicken Wälzern galoppiert er die breiten Steintreppen hinunter. Auf dem Absatz spürt er ein flaues Gefühl im Magen. Wann hast du das letzte Mal was zwischen die Kiemen gekriegt, fragt er sich in dem ironischen Ton, mit dem er sich an guten Tagen mit sich selbst unterhält. Und heute ist genau so ein Tag. Die Sonne eines noch frühen, launischen April scheint motivierend auf die emsigen Ameisen der Stadt herab. Bald bin ich auch eine von ihnen, denkt sich Yoav, bald habe ich den Abschluss in der Tasche und dann ist es vorbei mit diesem freien, selbstbestimmten, geilen Studenten-Leben, mit den langen Nächten, den stundenlangen Computer-Sessions, den ziellosen Diskussionen nach ein paar Bier und einer Fluppe mit diesem Freak von einem durchgeknallten Roommate. Schluss mit den lockeren Klamotten, den ungewaschenen T-Shirts, den ausgelatschten Sneakers und dem roten Lieblings-Sweatshirt. Dann werde ich so ein steifer Schlipsie wie die Ameisen da draußen. Seine Stirn kräuselt sich bei dieser nicht allzu attraktiven Vorstellung. Aber was hab´ ich denn für eine Wahl.
Es ist noch Zeit für einen Burger, nicht dieses Dreckszeug mit der wuchtigen Vorsilbe, das die Großstadt wie eine Epidemie überschwemmt und zu einem kulinarischen Niemandsland hat verkommen lassen. Wie kann man dieses Zeug nur essen, hat er sich oft gefragt, wenn seine Kommilitonen den Mist suchtartig in sich reinstopften, ohne wirklich satt davon zu werden. Nein, lieber zu Tony, der noch weiß, wie man einen Burger macht, richtig frisch, knackig, riesig und mit ganz viel Liebe. Die paar Meter mehr lohnen sich immer, beschließt Yoav und wirft sich in Vorfreude seinen abgenutzt aussehenden, braunen Lederbeutel über die Schulter.
Zielstrebig biegt er um ein paar Blocks und dann in die enge Hinterhofgassen ein, welche die gläsernen Hochglanz-Fassaden und immer höher wachsenden Architekten-Tempel Lügen strafen. Hier, in diesem Paralleluniversum der Metropole, stapeln sich haushoch die Müllsäcke, Abfälle und Nebenprodukte der ach so hohen Zivilisation, die Dinge und Menschen, die sie als nutzlos ausgespuckt, weggeworfen und sich selbst überlassen hat. Bis der Gestank da oben in den noblen Etagen ankommt, denkt sich Yoav. Er weiß das. Der Grat zwischen der einen oder anderen Welt ist so schmal wie der Bordstein, der sie voneinander trennt, und wenn man nicht von Haus aus mit ordentlich Kohle aufgewachsen ist, dann hilft einem nur noch ein heller Kopf und sehr, sehr viel Glück. Yoav ist äußerst dankbar für den zweiten Teil dieser Gleichung, der ihm in die Wiege gelegt wurde, warum auch immer, pures Schwein, was nicht heißt, dass er die andere Seite nicht kennt.
Nach zwanzig Minuten Hochhaus-und Hinterhof-Labyrinth öffnet sich abrupt der strangulierende Zugriff der Stadt und ein weites, brachliegendes Gelände breitet sich vor seinen Augen aus. Gras hat sich teilweise der alten Industrieanlagen bemächtigt und heroisch durch das jetzt nutzlose Metall gekämpft. Alte Schienen erinnern noch an den Gütertransport von und zu dem alten Schlachthof hin, dessen wenig ruhmvolle Vergangenheit nun unter Staub und wucherndem Grün vergraben liegt. Alte, herumliegende Matratzen lassen vermuten, dass sich hier nachts ein paar von der Stadt ausgespuckte Seelen ausruhen und etwas Frieden zu finden versuchen. Zur Linken hat sich wacker eine Reihe einfacher Läden und Kioske gehalten, welche von sehr billigen Mieten und von zwangsweisen Sparern zu jeder Tages- und Nachtzeit profitieren.
In vielerlei Hinsicht ist dies hier das echtere, ehrlichere Bild der Stadt, sinniert Yoav, als er direkt auf Tonys Bude zusteuert. Die wirklich gefährlichen Ecken liegen woanders, in den großen Türmen, in denen so ungleich mehr Glamour und nur vermeintlicher Anstand haust, oder aber in den Ghettos voller blanker, archaischer Überlebens-Brutalität, dem blinden Fleck dieser Stadt. Aber hierher kommen diese Leute nicht. Auch Yoav hätte Tony und seine Bude nie gefunden, wäre da nicht die Zeit gewesen, da er um jeden dazuverdienten Penny und um jede Chance eines Zuhauses dankbar gewesen war. Nein, nicht nur Tonys Offenbarung von einem Burger treibt ihn immer wieder hierher. Er wird auch niemals seine Freundlichkeit, Gastfreundschaft und Güte vergessen, egal was auch in seinem Leben noch passieren mag.
„Hey Yoav!“, tönt es ihm herzlich entgegen, während er zeitgleich mit einem magischen Klingeln in den kleinen, hellen Imbissraum fällt. Ich bin Zuhause, denkt er sich zufrieden und tritt hungrig ein.