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Eve

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Die Tür schwebt lautlos beiseite. Sie bleibt in der Mitte des offenen Wohnraums stehen, um ihren Gast zu empfangen. Wie ein Zeitportal, denkt sich Eve, diese Tür ist wie ein Portal, hinter dem die Vergangenheit auf mich lauert und mich in einer einzigen Sekunde wieder einholen kann. Doch dieses Wagnis ist sie eingegangen, als sie sich entschlossen hat, nach ihm zu suchen. Wegen Kisha. Und nur wegen Kisha, bestärkt sich Eve, während die große Silhouette den vom schwächer werdenden Licht des Nachmittags beschienenen Raum betritt.

„Hallo Sal“, empfängt sie ihn, als er zögerlich auf sie zugeht. Ihre Welt verdichtet sich plötzlich auf die Größe eines Sandkorns. Fast zwanzig Jahre Abstand und doch so vertraut. Eve widersteht dem ersten Impuls, ihn so zu begrüßen als sei nichts geschehen.

„Hallo Eve“. Der Schatten der Vergangenheit bleibt nur wenige Meter von der Tür entfernt stehen, als spüre er die Barriere, die ihn von ihr und von der Gegenwart trennt.

„Komm doch herein,.... bitte“. Sie weist auf den gedeckten Tisch. „Ich habe uns einen Kuchen gebacken, du erinnerst dich vielleicht, Zitrone, und eine Tasse Tee?“

„Gerne.“ Sal sucht sich die Tischseite zur Wand hin aus und lässt sich in einen der ergonomisch geformten Stühle fallen. Er rückt unentschlossen darin herum. Während Eve in ihrer offenen Küche das Tee-Wasser aufsetzt, suchen seine Augen nach ihrem Gesicht. Sie bleiben einen Augenblick dort liegen, neugierig, behutsam, wie eine sanfte Berührung, die er ihr unbemerkt stehlen kann, ohne um Erlaubnis fragen und diese Distanz überbrücken zu müssen, die zwischen ihnen jetzt existiert. Es fühlt sich an wie damals, stellt er erstaunt fest, wie vor einem einzigen, dünnen Flügelschlag der Zeit. Als sei ich niemals fort gewesen.

Eve dreht sich zu ihm um. Seine Augen fliehen schnell. „Ein schönes Haus hast du da“, bemerkt er, um von seiner Verwirrung abzulenken. Werde ich mich jemals nicht wie ein Teenager fühlen, wenn ich sie sehe?

„Danke, das ist sehr nett von dir.“ Eve geht mit der Teekanne auf ihn zu. Für einen Augenblick beobachtet auch sie diesen Mann. Salomon Stone. Seltsam. Eve spürt ein Gefühl in sich, das ihr nur allzu bekannt vorkommt. Wie kann das sein, nach all dieser Zeit? Und doch ist da seine Stimme, die nicht so recht zu der in ihrer Erinnerung passen will, vielleicht weil etwas anderes in ihr mitschwingt, eine Art Bruch, eine Wunde vielleicht oder einfach nur der grobe, unaufhaltsame Abrieb der Zeit. Sie setzt sich ihm gegenüber und schenkt in beide Tassen den frisch gebrühten Darjeeling ein.

Dann unterhalten sie sich ein wenig. Sie sprechen über banale Dinge des Alltags, das Wetter, die letzte Ernte, die Akademie, ein paar gemeinsame Bekannte. Sie machen harmlose Konversation, die dem Grad ihrer früheren Vertrautheit nicht gerecht wird, die aber für beide genügend Raum schafft, ihre Aufgewühltheit zu beruhigen. Sal rührt mit betont langsamen, kreisenden Bewegungen den Löffel in der Porzellantasse um, als würde er nach den Worten darin suchen, nach denen, für die er eigentlich hierhergekommen ist. Eine seltsame Spannung liegt jetzt in dem Haus, eine energetische Kollision von Damals und Heute, von Nähe und Distanz.

Wir sind nicht mehr die, die wir waren, denkt Eve. Dieser Gedanke macht sie gefasster. „Danke, dass du so schnell gekommen bist. Ich weiß das wirklich sehr zu schätzen“, leitet sie zu ihrem eigentlichen Thema über.

„Das ist doch eine Selbstverständlichkeit, Eve. Das Mindeste, das ich für dich und Kisha tun kann.“ Sein Lächeln wirkt angestrengt. „Du weißt, ich würde alles für dich tun, was in meiner Macht steht. Das schulde ich dir.“ Er stockt eine Sekunde. Warum hat er das nur gesagt? Eine erste Ahnung beschleicht ihn, dass er hier nicht mehr heil herauskommen wird, und noch schlimmer, dass er es auch gar nicht will. Er schaut sie an, suchend.

„Das ist doch Schnee von gestern“, entgegnet Eve gelassen. Ihr Blick bleibt fast neutral.

Ein kleiner Stich bohrt sich in Sals Herz. Warum? Wäre es ihm lieber, es läge eine Anklage in ihrem Ton, ein Beweis dafür, dass es ihr schwer gefallen ist, ihn damals gehen zu lassen, dass sie immer noch wütend auf ihn ist? Warum ärgert er sich nur so über ihre Losgelassenheit? „Nein, nein, ich bestehe darauf“, erwidert er schnell. „Es war richtig, mich zu kontaktieren, und ich werde dich nicht enttäuschen.“

„Schön“, entgegnet Eve freundlich, „magst du vielleicht ein Stück Kuchen? Es ist Kishas Lieblings-Sorte. Ich backe ihn fast jeden Sonntag für sie, wenn sie von der Akademie nach Hause kommt. Außer an solchen natürlich, wenn sie auf einer Mission.......“ Sie stoppt plötzlich. Ein kleiner Schatten fällt über ihr Gesicht.

„Hast du vielleicht ein Foto von der Kleinen?“, rettet Sal sensibel die Situation.

„Aber sicher.“ Das holografische Display, das Eve über einen kurzen mentalen Befehl ansteuert, schaltet sich sofort hinter Sal ein. Er dreht sich um.

„Sieht sie nicht ganz wie ihr Vater aus?“, freut sich Eve. „Dieselben Haare, dieselbe Stirn und diese rebellische Körperhaltung, ganz so wie Martin.“

Salomon lächelt angespannt. Sein Lächeln wirkt ambivalent, eine Mischung aus Stolz, Freude und Scham. Hier ist sie also, das kleine Wesen, das ich für meine Missionen aufgegeben habe, für meine dummen Ambitionen. Schon so groß und so sehr ein Abbild ihres Vaters. Du hast dich vor deiner Aufgabe gedrückt, Sal, sie einfach Eve überlassen, ein elender Feigling bist du.

Das Gefühl des Scheitern jenseits all seiner Erfolge auf den großen Missionen überkommt ihn in diesem Augenblick wie eine Flut, die sich bis hierhin aufgestaut hat. Er weiß, er wird sie nicht mehr lange aufhalten können. Schon jetzt verspürt er den Impuls, Eve zu Füssen zu fallen und sie um Vergebung anzuflehen, doch er weiß auch, dass das viel zu selbstsüchtig, zu kindisch und zu früh wäre. Wie kann man fast zwanzig Jahre Schuld mit so einer infantilen Geste tilgen wollen. Nein, er wird es auf andere Weise wiedergutmachen müssen, dauerhafter, verlässlicher, reifer. Sal atmet tief durch und unterdrückt mühevoll den Drang in seinen Augen. Dann dreht er sich wieder zu Eve um. „Schon so erwachsen“, sagt er so gelassen wie es ihm gelingt.

Eve nickt. Sie hat ihn studiert, während er das Bild in sich aufgesogen hat. So wie früher kann sie in diesem Gesicht alles lesen. Sie sieht den Stolz, die Scham und die Rührung. Sal liegt wie ein offenes Buch vor ihr, gleichgültig wie sehr er sich auch noch um Haltung bemühen mag, und als sie ihn so sieht, bewegt sich unerwartet auch etwas in ihr. Es gibt noch einen weiteren Grund, warum er jetzt hier ist, erkennt sie in diesem Augenblick, und dieser Grund heißt Liebe. Die Liebe, die sie alle drei miteinander verbindet, unauflösbar, von Anfang an und für immer, ganz gleich, wie viele Lichtjahre zeitweise zwischen ihnen gelegen haben mögen und wie viel Schuld. Und diese Liebe gebietet ihr jetzt, ihm diese Chance zu geben, diese zweite Chance, alles für sich selbst und für sie drei wieder gut zu machen.

„Komm“, sagt Eve mit einem warmen, fast zärtlichen Ton zu Sal, „ich zeige dir das Zimmer deiner Enkelin.“

Der Casta-Zyklus: Initiation

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