Читать книгу Der Casta-Zyklus: Initiation - Christina Maiia - Страница 17

Schutzlos

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Die erste Euphorie über ihre Entdeckung ist in der brütenden Hitze des Mittags verdampft. Das fremde Meer rauscht beruhigend heran, doch ein neues Problem materialisiert sich dafür mit unübersehbarer Gewissheit: Mister PS und sein beschränkter Energievorrat. Ich kann es drehen und wenden wie ich will, stellt Kisha resigniert fest, aber der Portable Suit muss weg. Nur noch 4,5 bis vielleicht 5 Stunden Rest-Betriebszeit bleiben, und die brauche ich dringend für die Stadt und was auch immer an Lebewesen sich dort herumtreiben wird. Nicht auszudenken, wenn ich mich dort völlig ungetarnt sehen lassen muss.

Schweren Herzens verabschiedet sich von der Membran, die sie noch von diesem zweifelhaften Planeten trennt, streift den Ring von ihrem Arm und packt ihn sorgfältig zu dem Survival Pack in den Kanister. Die ersten ungefilterten Atemzüge dringen in ihre Lungen vor. Ein langanhaltender Hustenanfall folgt unmittelbar und ebbt erst wieder ab, als sie beschließt, es vorsichtiger anzugehen. Keuchend stützt sie ihre Arme für einen Moment auf die Knie und lehnt sich vornüber. Die Wellen umgarnen ihre Stiefel mit ihren nassen Armen. Kisha spürt, dass sie flacher und kürzer atmen muss als sonst, um die ungewohnte Atmosphäre absorbieren zu können. Nach einer Weile passt sie sich an und das Schwindelgefühl vergeht. Doch ihre Bewegungen bleiben schwer und ungelenk.

Eines ist sicher, beschließt Kisha nach einer Weile, während sie dem Strand entlang folgt, ich werde hier sicher keine Wurzeln schlagen. Nur ein wenig Treibstoff auftreiben und dann nichts wie weg. Noch sind es geschätzte vier Stunden Marsch bis zu den ersten Ausläufern der Stadt, vielleicht sogar mehr. Sie muss es einfach schaffen: beobachten, was dort geschieht, ausreichend kompatible Biomasse einsammeln und dann sofort zurück zur Sphäre. Ein solches Szenario wie dieses ist alles andere als geplant oder an der Akademie einstudiert worden. Es ist die blanke, unbarmherzige Improvisation. Verlass‘ dich auf deine Intuition, flüstert ihr eine motivierende Stimme von weit her in ihr Ohr. Nonna. Eine nur schwer erträgliche Wehmut überfällt Kisha ein Universum entfernt von daheim.

Eine Stunde später holt ein seltsames Pfeifgeräusch sie aus ihrer Trance heraus. Erst leise, dann immer deutlicher, zieht sich ein beißender, hoher Ton durch sie hindurch, auf einer Frequenz, die fast außerhalb ihres Spektrums liegt. Zunächst wird er noch durch das Wellenrauschen kompensiert. Doch bald hat Kisha keinen Zweifel mehr: Er muss direkt von der Stadt kommen. Panik steigt in ihr hoch. Erst diese feindliche Atmosphäre und dann auch noch dieser penetrante Ton! Ein verzweifelter Blick zum Kanister, die Versuchung ist kaum noch auszuhalten, aber noch ist es viel zu früh, den Portable Suit hervorzuholen und seine Abschirmung zu reaktivieren. Sie reißt sich zusammen und beschließt, die Situation so abgeklärt wie möglich zu analysieren: Selbst wenn der Multiscanner nichts Ungewöhnliches registriert hat, muss dieser Planet eine Art energetischen Abwehrmechanismus besitzen, der sich primär mental auswirkt. Ein kurzes Experiment genügt: Je mehr sie sich den Erfolg ihrer Mission zutraut, desto heftiger setzt sich eine höhnische Stimme in ihrem Kopf dagegen, die dies für einen ausgemachten Blödsinn hält. Es ist, als würde ein innerer Kampf in ihr ausgelöst, in einer Dimension, wie sie es bisher noch nie erlebt hat. All ihre Temperamentsausbrüche auf Casta 3 kommen ihr wie ein laues Lüftchen dagegen vor, wie der Flügelschlag eines altersschwachen, ausgelaugten Insekts. Was ist das nur für eine Macht, die sie derart blockiert? Ein Abwehrschild gegen extraplanetare Eindringlinge? Ein energetischer Kompatibilitäts-Test? Oder nur der traurige Status Quo auf diesem elenden Fels im Universum?

Entmutigt lässt sie sich für einen Moment auf den Strand sinken. Ihre müden Gliedmaßen strecken sich aus auf die Form eines X. Sie fühlt sich wie Treibholz, in die Brandung geschleudert, kein Hauch von Kontrolle, ausgeliefert. Mit ihren Händen greift sie in den Sand und lässt die feinen Körnchen zwischen ihren Fingern hindurch rieseln. Dann beobachtet sie die Wellen als wären sie Berührungen für ihre gequälte Seele. Doch alles in ihr ist taub, die Verbindung ist wie gekappt. Ihr Kern liegt unter einer Watte aus Blei, unter totem Gestein, das alle Sinne absorbiert und ihre Wahrnehmungen völlig verzerrt. Sie ist bereit, hier liegenzubleiben, sich aufzulösen und für immer zu vergehen. Ihre Glieder wiegen schwer wie Eisen, fremd und ausgehöhlt, wie der leere Panzer eines längst verrotteten Insekts.

Sie starrt hinauf in den Himmel. Er strahlt in reinstem Azurblau, ein sarkastischer Kontrapunkt zu ihrem inneren Nichts. Keine Wolke begrenzt ihren Blick bis weit hinauf ins All. Da oben, ganz weit weg, drängt sich ein Gedanke auf, da ist Casta 3 und alles, was ich liebe. Es ist nur ein Impuls, kein echtes Gefühl. Das Bild von Nonna baut sich vor ihr auf, wie eine dieser Wellen, die jetzt auf ihre Finger treffen, eine Erinnerung vielleicht, wofür sie hierhergekommen ist, eine Botschaft, die von weit her geschickt wurde: Kämpfe, Kisha, scheint die Welle zu sagen, du wirst es schaffen, steh‘ auf!

Sie streckt ihre Arme weit aus, dehnt sich, atmet tief durch den Herzpunkt hindurch. Sat kar tar, das heilige Mantra, hallt durch sie hindurch wie Atem, bevor die Energie zu ihr zurückfließt, erst zäh, dann immer freier und schneller. Kisha krallt ihre restliche Kraft zusammen und richtet sich schwerfällig auf. Die Sandkörner rieseln von ihrem Raumanzug herunter wie schlechte Gedanken von ihrem Bewusstsein. Sie greift zu ihrem Kanister, schnallt ihn quer über ihre Schultern und beugt sich nach unten, um sich eine Ladung Wasser ins Gesicht zu spritzen. Die salzigen Tropfen brennen auf ihrer Haut. Danke, Nonna, schickt sie in Gedanken zurück ins All, dorthin, wo sie zu Recht den Ursprung vermutet.

Der Casta-Zyklus: Initiation

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