Читать книгу Der Casta-Zyklus: Initiation - Christina Maiia - Страница 13
Quincy‘s
ОглавлениеEs ist kurz vor Mitternacht, als Yoav sich seine grauen Jeans und den schwarzen Pullover überzieht, um noch einmal sein Zimmer zu verlassen. Boyle hackt dem Geräusch nach zu folgern noch immer in Trance auf der Tastatur seines Laptops herum. Die Nacht hat sich bereits der Stadt bemächtigt, und dies ist gewöhnlich Boyles liebste Zeit, so wie sie auch die beste Zeit von einem Teil von Yoav ist, vielleicht von dem echten, noch unverfälschten Teil in ihm.
Nachdem er aus der Underground-Station in eines der weniger verbauten Viertel am Stadtrand hochgespurtet ist, steigt ihm sogleich der Geruch der Nacht und all ihrer Gewürze in die Nase, die dieses ethnische Mischmasch in sie wirft. Hier wohnen die weniger Betuchten, die lebendigen Seelen von überall her. Der ganze Boulevard scheint unter dem Rhythmus der verschiedenartigen Beats, Sounds und Stimmungen nur so zu vibrieren. Yoav liebt dieses Viertel, mit ganzer Seele, ihren Drive, ihre Diversität, ihre verrückten Farben, ihre Straßen, in denen kein Laden dem anderen gleicht, ihre ungebremsten Stimmen und ihren groovigen, exotischen Sound. Für ihn ist dies eine schmackhafte Suppe aus freier, leidenschaftlicher Individualität, und nicht dieses für hip gehaltene, schicke, konventionelle Einheits-Instant-Pulver aus Downtown. Es ist sein ganz persönlicher Mond, der Nabel seines nächtlichen Seins, zu dem er mindestens zweimal die Woche pilgern muss wie ein Gläubiger zu seinem Schrein.
Als er die wenigen Steinstufen zu der knallgrün lackierten Tür herunter trabt, öffnet ihm Mo bereits die Pforte. Er begrüßt ihn mit einem fröhlichen „Hey, man, wie geht`s, Y?“ und winkt ihn lachend durch. Die Bar ist noch relativ leer zu dieser Zeit. Sie wird sich erst in etwa einer Stunde bis zum Anschlag füllen, wenn nicht nur die lokalen Freunde der Nacht, sondern auch die coolen Hipsters aus den Nobelvierteln anrücken werden, um sich auszutoben. Quincy hat nicht allzu viel dagegen, solange sein Laden läuft und er keinen Ärger mit den Bullen bekommt. Zum Glück gibt es Mo, falls eine angetrunkene Flachpfeife, dessen Papa zu viel Geld und zu gute Beziehungen zum Bürgermeister hat, sich mal wieder mit einem Gast aus dem Viertel anlegen muss. Mit seiner stoischen Fröhlichkeit und seinen 130 Kilo umfassenden Lebend-Masse kann Mo schnell für den nötigen Abstand sorgen.
„Hey, Quincy“, freut sich Yoav, als er seinen Mentor entdeckt. Er klopft ihm freundschaftlich auf die Schulter. Quin lehnt gerade entspannt an der Theke und goutiert wie immer seinen ersten Whiskey Sour des Abends. Wie so oft hat er sich seinen beigefarbenen Leinenanzug übergestreift und den passendem Panamahut aufgesetzt, was dem Kraftpaket eine geradezu absurde Aura von Leichtigkeit verleiht.
„Hey Y, was geht heute, Junge? Bist du bereit?“
„Wie immer, Quin, ich kann‘s kaum erwarten.“
„Gut, gut. Um 1 geht dein Gig los. Kannst dich noch kurz warm machen, wenn du willst“, setzt Quincy mit einem Grinsen hinterher.
„Nicht nötig, aber danke.“
Yoav schlängelt sich schnell durch das Labyrinth der einfachen Holztische und der früh eingetroffenen Freunde der Drinks und des Jazz und der Frauen hindurch. Vor dem nachtblauen Vorhang der Bühne ab wirft er seinen Lederbeutel ab und streicht dann liebevoll über den Tastaturdeckel des Flügels. Sein schwarzer Lack ist von den Jahren ganz spröde geworden. Doch das Innenleben, die vergilbten Tasten aus Elfenbein und Ebenholz, die Saiten, Hölzer und Filze, die schon viele Bühnen und zu viele unsensible Finger gesehen haben, produzieren einen Sound, der Yoav seine Augen schließen und die Welt da draußen komplett vergessen lässt. Der Klang dieses Instruments ist so einzigartig, dass manchmal, in besonders genialen Momenten, wenn er ganz allein mit ihm ist, wenn alle Gäste gegangen sind und er nur für sich und vielleicht noch für Quincy und Mo darauf spielt, ihm geradezu sphärisch vorkommt - wie etwas aus einer anderen Welt. Dieser Flügel legt eine Magie auf alles, das um ihn herum existiert, zumindest für Ohren, denen die Seele noch nicht abhandengekommen ist.
„Bis gleich“, verabschiedet sich Yoav von seiner Muse und schlendert vorfreudig zurück zu Quin an die Bar.
„Es wird voll heute, mach dich auf was gefasst“, warnt ihn der Barbesitzer vor. Ein ironisches Lachen bahnt sich vorne durch seine vollen Lippen. Es legt eine Lücke in der strahlend weißen Zahnreihe frei, die Quin irgendwie kumpelhaft aussehen lässt. Doch dies trifft selten zu. Wenn sein Mund schweigt, kann einem ganz gewaltig eng um den Hals werden, erinnert sich Yoav an ihre erste Begegnung. Doch bei Menschen, die Quin mag, explodiert sein Lachen und man wird schnell wieder relaxed.
„Kein Problem, ich werde schon für den Sound sorgen, den du brauchst, um die Gläser voll zu kriegen“, erwidert Yoav ironisch.
„Du weißt schon, mein Junge, ich mein‘s nicht so. Aber heute ist Freitag und da kommen die ganzen Schnösel in ihren schwarzen Anzügen. Da geht‘s nur noch um Weiber und um Saufen. Die werden wenig von deinem göttlichen Spiel mitbekommen.“
„Das ist ok, Quin, ich kann damit leben, wenn du‘s auch kannst“, grinst Yoav zurück.
„Die üblichen 5% für die Studenten-Kasse, Y“, legt Quincy fest. Dann zieht er bereits zur Eingangstür davon, um eine Gruppe wichtiger Gäste persönlich zu begrüßen.
Y, denkt sich Yoav, sie nennen mich hier Y, wie why. Das passt irgendwie.