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Jesus in meiner kleinen Subkultur

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Ich erlebte auch, dass wir uns umeinander kümmern und uns den Schwachen annehmen sollen. Seit ich denken kann, und bis zu seiner schweren Erkrankung, hat mein Vater den „Kassettendienst“ in unserer Gemeinde übernommen. (Für alle jüngeren Leser: Dabei handelte es sich um einen Live-Mitschnitt der Predigt auf Band, damit die Kranken, die nicht zum Gottesdienst kommen konnten, die Predigt zu Hause auf ihrem Rekorder hören konnten – die Mutter des Podcasts also!) Ich sehe meinen Vater noch vor mir, diesen großen Mann, wie er kurz vor dem Glockenläuten mit seinen weit ausholenden Schritten zur Sakristei lief, dem kleinen kalten Raum neben dem Hauptschiff der Kirche, um von dort aus die Predigt aufzunehmen. Hier hatte mein Vater, dem größere Menschenansammlungen Probleme machten, seinen Platz gefunden. Es war sein Dienst für die Kirche. Am Ende seines Lebens wurden seine Schritte durch die Erkrankung kleiner und stockender. Aber solange er gehen konnte, führte ihn sonntagmorgens sein Weg in die Sakristei. Als Kinder durften meine Schwester und ich ihn ab und zu begleiten. Wir saßen zitternd vor Kälte neben unserem Papa und ich liebte jede Minute. Ich blickte auf die Stecker und Kabel und fühlte mich wie auf einer wichtigen, geheimen Mission. Sobald ich sicher mit dem Fahrrad unterwegs war, wurde ich montags, oft zusammen mit meiner Schwester, losgeschickt, um den kranken und alten Menschen unserer Gemeinde die Kassetten zu bringen. Sie gehörten eben auch dazu, genauso wie die ältere, allein lebende Bäuerin, die jeden Sonntag nach der Kirche zum Essen kam oder die alleinstehende Verwandte, mit der wir immer zusammen Weihnachten feierten. Ich ging mit meiner Schwester in die Jungschar und später in den Mädchenkreis und den Sommer verbrachten wir oft mit unseren Freundinnen auf einer Freizeit vom evangelischen Jugendwerk.

Jesus kommt in unsere Welt. In unsere Kultur. Aber er lässt sich nicht von uns vereinnahmen.

Die Kirche war für mich also immer mehr als nur ein Gottesdienst, zu dem ich gehe. Mein Glaube war auch eine kleine Subkultur, zu der ich mich zugehörig fühlte. Und Gott gehörte zu uns. Wenn es mir auch nicht wirklich bewusst war, glaubte ich doch irgendwie, dass er so denkt und handelt wie wir. Und bestimmt sah er auch so ähnlich aus. Jesus war auf jeden Fall evangelisch. Und ein weißer Europäer. Ich muss jetzt immer ein bisschen lächeln über die bayerischen Altarbilder und die Art und Weise, wie das Jesuskind darauf abgebildet ist. Schau her, denke ich mir heute: der Herr Jesus aus Oberammergau. Eine Zeit lang fand ich das blöd und hätte mir gewünscht, dass das Jesuskind mal asiatisch oder wenigstens jüdisch aussieht. Aber inzwischen denke ich, dass es doch eigentlich genau so richtig ist: Egal, auf welchem Teil der Erde und in welcher Subkultur wir aufwachsen: Jesus kommt in unsere Welt. In unsere Kultur. Das ist Teil der Menschwerdung Gottes. Aber er lässt sich nicht von uns vereinnahmen. Er ist der Nazarener, aber er ist auch der Sohn Gottes. Wir sollten uns das immer bewusst machen. Jesus ist nicht evangelikal oder liberal. Er ist nicht schwarz oder weiß. Er kommt zu uns und er kommt auch zu dem, der ganz anders ist. (Wie viel Leid hätten wir in der Geschichte der Kirche verhindert, wenn wir dem Evangelium nicht eine dominante Kultur und Weltansicht mit untergeschoben hätten!)

Brian McLaren schreibt, dass unser größtes Problem nicht unsere Unterschiedlichkeit ist, sondern, dass wir um unseren Glauben eine Identität bauen, mit der wir uns von anderen abgrenzen und klar sagen: Die gehören nicht dazu. Und solche Menschen gab es auch bei uns. Eine meiner besten Freundinnen war katholisch. Unser Dorf war vor allem evangelisch und so gehörte sie zu den wenigen Kindern, die sich, zusammen mit den einsamen Katholiken aus der Parallelklasse, zu einem extra Religionsunterricht trafen. Ich habe nie darüber nachgedacht, warum wir nicht einfach zusammen von Gott hören konnten. Katholisch – das war eben schon ein bisschen anders, so anders, dass ich daran zweifelte, ob das noch in Ordnung war. Und auch bei manchem anderen blieben wir besser getrennt. Bei einem Tanzkurz wollte ich lieber nicht mitmachen. „Das Bein, das sich zum Tanze hebt, wird im Himmel abgesägt!“ war ein Spruch der Alten, bei dem wir zwar lachen mussten – aber sicher war sicher. Einbeinig im Himmel war ja auch keine tolle Perspektive. Weltliche Rockmusik schien im Himmel auch eher nicht gespielt zu werden, und so hörte ich Jerusalem statt ACDC – was vielleicht tatsächlich die bessere Wahl war.

Warum ich da noch hingehe

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