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Unterm Feigenbaum

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Kein schlechter Start für einen Rabbi: Nach seiner Taufe laufen ihm zuerst zwei Jünger von Johannes neugierig hinterher und entscheiden, dass sie eben mal zu ihm überlaufen werden. Andreas holt seinen Bruder Petrus dazu, Jesus beruft Philippus und der schleppt wiederum seinen Kumpel Nathanael an. Der stellt sich erst noch etwas bockig an, kommt fast nicht über die Tatsache hinweg, dass Jesus aus dem beschaulich-gewöhnlichen Nazareth kommt. Und dann erfährt er durch ein Schlüsselerlebnis: Jesus kennt mich. Er sah mich schon unter dem Feigenbaum sitzen. Dieser einfache Satz von Jesus hat etwas tief in ihm berührt. Es war genau der Satz, den er hören musste, um von einem zweifelnden Beobachter zu einem überwältigten Nachfolger zu werden. Jesus, der Menschenflüsterer. Ich habe mich schon öfter gefragt, was es mit diesem Feigenbaum auf sich hatte. Vielleicht saß Nathanel tatsächlich vorher unter so einem Baum. Vielleicht war es aber auch der Hinweis auf einen Vers aus den Schriften, der ihm wichtig war und in dem die Einladung unter einen Feigenbaum mit der Ankunft des Messias in Zusammenhang gebracht wird (Sacharja 3,8–10). Oder Jesus hat einfach auf Nathanaels fromme Kindheit angespielt. Ich habe davon gehört, dass die jüdischen Kinder oft unterm Feigenbaum zusammensaßen, um aus den Schriften zu hören und die Geschichte des Volkes Israels zu lernen. In jedem Fall hat die Bemerkung Nathanel gereicht, um zu erkennen: Jesus sieht mich. Und er hat die gewaltige Einsicht: Du bist der Messias, der König Israels, auf den wir schon so lange warten! Und hier begann seine Nachfolge. Seine Geschichte mit Jesus.

Ich möchte euch erzählen, wo ich unter dem Feigenbaum saß und zum ersten Mal von Jesus hörte. Eigentlich begann meine Geschichte, bevor ich überhaupt da war. Unsere Geschichten wurzeln immer in den Geschichten anderer. Mein Weg mit der Kirche begann wohl bei meiner geliebten Oma. Sie hatte im Krieg ihren Mann und ihren ältesten Sohn verloren und die Folge war, dass die junge Witwe, die vorher kaum in die Kirche gegangen war, sich von nun an jeden Sonntag dorthin aufmachte. Sie ging auch in „die Stund“, wie man das damals nannte: eine Bibelstunde der „Hahn’schen Gemeinschaft“, einer Versammlungsbewegung des schwäbischen Pietismus. Am „Brudertisch“ wurde Gottes Wort gelesen und meine Oma saß aufmerksam dabei und öffnete ihr Herz für Gott. Neben ihr saß meine Mutter. Durch die Entscheidung meiner Oma, dass die Kirche und der Glaube nun Teil ihres Lebens waren, wuchs nun auch meine Mutter dort auf. Sie hörte von Jesus und entschied sich, ihm nachzufolgen. Ich kann das nur holzschnittartig skizzieren. Natürlich sind die Geschichten viel komplexer und sie müssten ausführlicher erzählt werden. Aber hier kann ich nur andeuten, wo meine Wurzeln liegen. Mein Vater, dessen Eltern auch „Kirchenleute“ waren, hatte genauso seinen Platz in der Kirche gefunden, und irgendwann trafen sich die Blicke meiner Eltern und es war um sie geschehen. Zumindest stelle ich mir das so vor. Und dann kam ich. Nein. Zuerst kam meine Schwester, die einige Tage nach der Geburt starb. Sie wurde kirchlich beerdigt und der kleine Sarg wurde unter großem Schmerz und mit dem Predigtwort „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen – der Name des Herrn sei gelobt“ in die Erde versenkt. Danach kam eine weitere Tochter, meine große Schwester, und dann war ich an der Reihe. Kaum angekommen, wurde ich über das Taufbecken gehalten, begleitet von dem Jesajawort, das über so vielen kleinen Kindern gesprochen wird: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein.“ Gott streckte seine Hand nach mir aus. Er spricht immer das erste Wort in unserem Leben. Immer. Und dieses Wort wird voller Liebe gesprochen. In meinem Fall kam es aus dem Mund eines evangelischen Pfarrers im Schwarzwald.

Die Kirche, das war der Ort, an dem wir unsere Lieder sangen, Freunde trafen, miteinander stritten und feierten.

So wurde ich in die Kirche hineingeboren. Sie umarmte mich und nahm mich unter ihre Fittiche. Auf ihrem Schoß staunte ich über Geschichten von der Arche Noah und von Jona, der im Wal landete. Sie lehrte mich, dass ein Eskimo auf Mokassins durch den Wald schleicht, dass ein lebendiger Fisch gegen den Strom schwimmt und dass Gottes Liebe wie Gras und Ufer ist (was ich bis heute nicht verstanden habe!). Die Kirche, das war der Ort, an dem wir unsere Lieder sangen, Freunde trafen, miteinander stritten und feierten – es war einfach der Ort, wo wir hingehörten. Und hier hörten wir von Jesus, der uns immer lieb hat und allen Schaden wiedergutmachen kann.

Warum ich da noch hingehe

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