Читать книгу Warum ich da noch hingehe - Christina Schöffler - Страница 19

Feiernd unterwandern wir die Ordnungen der Welt

Оглавление

Wir feiern auch, dass Gottes Reich schon anbricht. Dass mit Jesus eine neue Weltordnung entsteht, in der Gerechtigkeit regiert, in der die Letzten die Ersten sind und die Armen und Unterdrückten Grund zum Jubeln haben.

Einer der Menschen, von denen ich tief beeindruckt bin, ist der Christ und Friedensaktivist Shane Claiborne. Eigentlich, so erklärte er in einem Vortrag, mache er nichts Ungewöhnliches: Er möchte einfach die gute Nachricht leben, die Jesus uns gebracht hat. Deshalb lebt er mit seiner Lebensgemeinschaft „The Simple Way“ in einem heruntergekommenen Viertel in Philadelphia. Sie bieten Nachhilfe für ihre Nachbarskinder an und pflanzen mit ihnen zusammen Blumen und Gemüse in den verlassenen Hinterhöfen an. Sie öffnen ihre Tür für Menschen in Not und kommen immer wieder mit den Vorschriften in Konflikt. Einmal tauchte die Polizei auf und erklärte, sie hätten wieder gegen das Gesetz verstoßen.

„Welches Gesetz?“, fragte Shane erstaunt.

„Das Bordellgesetz“, wurde ihnen geantwortet. „Es legt fest, dass nur eine bestimmte Anzahl von Menschen in einem Haus wohnen darf.“ Shane meinte darüber lachend, dass sie wohl die erste christliche Gemeinschaft in Amerika seien, die gegen das Bordellgesetz verstoßen habe.

Was ich an Shane besonders mag, ist, dass er nicht anklagend darüber redet, wie schlecht die Welt ist und dass wir Christen doch endlich tun sollten, was Jesus gesagt hat. Er folgt einfach Jesus nach – und in seinen Aktionen ist immer eine Festfreude zu spüren. Wenn er zum Beispiel davon berichtet, dass sie Waffen einschmelzen und zu Gartengeräten und Musikinstrumenten machen. (Die Waffen sind Spenden von Bürgern oder sie bekommen sie aus den Asservatenkammern der Polizei.8) Bei einer anderen Aktion warfen sie Geldscheine vor der Wallstreet auf die Bürgersteige und verkündeten: „Das gehört den Armen. Es gehört allen, die unter unserem System gelitten haben. Wir geben es, bußfertig über die Art wie wir leben und auch erfüllt mit Jubel!“ (und dazu wurde die Schofar geblasen – ein Instrument, welches das Jubeljahr einläuten sollte).9 Die fröhlichen Menschen zu sehen, die das Geld aufsammeln, inmitten von verwunderten Sicherheitsmännern und schnell vorbei eilenden Börsenmaklern, hat tatsächlich etwas von der Partystimmung in Gottes Reich! Gute Nachricht für die Armen. Ich weiß, ich bin nicht Shane Claiborne (und, Gott sei Dank, muss ich auch nicht so sein!), aber sein Leben inspiriert mich, darüber nachzudenken, wie ich in meinem Alltag, in meiner Kirche, etwas von der Festfreude des Evangeliums verbreiten könnte.

Neulich habe ich mich getraut, einer jungen Asiatin, die an der Kasse hinter mir stand, ihren Einkauf zu bezahlen. Der staunenden Nachfrage der Frau, warum ich so etwas tue, sagte ich schnell und ganz aufgeregt: „Ich bin so beschenkt. Jesus segne sie!“ Sie hat mich vor Freude in den Arm genommen und die Kassiererin hat uns dabei verwundert angelacht.

Und vergangenen Sommer haben wir unsere alte, immer etwas mürrische Nachbarin zum Kaffeetrinken in unseren kleinen Hinterhofgarten eingeladen. Ich habe sie sonst noch nie auf einem Nachbarfest gesehen, wahrscheinlich, weil sie nicht gerade die Stimmung anheizen kann. Wir saßen zwei Stunden lang mit ihr zusammen. Sie hat ein bisschen über die Ausländer geschimpft, aber der größte Teil unseres Gesprächs war wirklich wunderbar – wie eine Schatzkiste, die sie für uns geöffnet hat, als sie aus ihrem Leben erzählte. Am Ende hat sie sich sehr dafür bedankt, dass wir ihr zugehört haben und für den Kuchen (der leider etwas misslungen war). Wenn ich mich nicht irre, hatte sie dabei Tränen in den Augen.

Unsere Hoffnung als Christen ist ein stilles, verborgenes, aber kraftvolles Unterwandern der Ordnungen dieser Welt.

Von der Festfreude des kommenden Reiches Gottes spüre ich auch etwas, wenn eine Weggefährtin im Gottesdienst darüber berichtet, wie sie spät in der Nacht loszieht, mit frisch gebackenem Kuchen in der Hand, um ihn im Rotlichtviertel an die Prostituierten zu verteilen, und ihnen ein wenig zuzu­hören, manchmal sogar zu beten oder eine hilfreiche Adresse weiterzugeben, falls sie aussteigen wollen. Ich gerate in Feierlaune, wenn ich beim „Frühstück mit Jesus“ unserer wunderbaren Volksmission vorbeischaue und sehe, wie Woche für Woche für die Ärmsten unserer Gesellschaft ein liebevoll vorbereitetes Frühstück aufgefahren wird. Ich erlebe etwas von der Freude des Himmels in den stolz strahlenden Gesichtern der Flüchtlingskinder, die ein Theaterstück aufführen, das sie unter der geduldigen Regie einer Freundin aus der Gemeinde eingeübt haben. Und wenn meine Freundin, die Grundschullehrerin ist, von ihrem Alltag berichtet, in dem sie versucht, mit der Bitte „dein Reich komme“ im Herzen die Einzigartigkeit in jedem Kind zu feiern – auch in dem, das richtig anstrengend sein kann –, dann ahne ich etwas davon, wie dieses Gebet in unserer Welt Wirklichkeit werden kann.

„Hoffnung ist subversiv“10, schreibt die US-amerikanische Autorin Sarah Bessey. Das finde ich schön. Unsere Hoffnung als Christen ist ein stilles, verborgenes, aber kraftvolles Unterwandern der Ordnungen dieser Welt. Wir feiern die gute Nachricht für die Armen, wir feiern, dass Gott den Zerbrochenen nahe ist. Wir feiern, dass er Gefangene frei macht und Menschen erlöst von der Sklaverei der Sünde – und der Zuhälter. Wir feiern mit Brot und Wein. Wir spielen den Rhythmus der Gnade auf Bassgitarren, die ehemals Maschinenpistolen waren. Wir feiern Gottes Großzügigkeit an der Wall Street, an Schulen und Supermarktkassen und in den Hinterhöfen der Welt. Wir feiern mit denen, die sonst gerne übersehen werden und mit denen, die auch ein bisschen schwierig sind. Wir feiern mit Kuchen und zünden im Dunkeln Kerzen an, voller Hoffnung, dass sich die Dinge langsam, aber sicher ändern werden. Mit jedem dieser kleinen Festakte sagen wir: Das Gnadenjahr des Herrn hat angefangen.

Warum ich da noch hingehe

Подняться наверх