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(Aber-)Glaube

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Im Zusammenhang mit der antiken Schifffahrt gab es ein starkes Bedürfnis nach Religiosität und göttlichem Beistand. Grund dafür war zunächst einmal die Auseinandersetzung mit der nicht einschätzbaren Naturgewalt Meer. Das Mittelmeer konnte an einem Tag spiegelglatt und am nächsten Tag ein brodelnder Hexenkessel sein. Es lag nahe, diese unvorhersehbaren Wendungen mit übernatürlichen Auslösern wie den Launen der Götter zu erklären. Hinzu kamen die vielen Unglücksfälle auf See. Wer mit dem Schiff ablegte, konnte nie sicher sein, dass er heil zurückkehren würde. Der gefährliche Beruf, die lange Dauer, abgeschieden von der Welt im Allgemeinen und der Familie im Besonderen, die Eintönigkeit langer Seereisen – all dies ging auch in späteren Zeiten mit einem starken (Aber-)Glauben einher.

Wer also in See stach, bat zuvor die von ihm verehrte Gottheit mittels Opfern und Gebeten um Beistand und Schutz während der Fahrt. Nach sicherer Ankunft erfolgte ein Dankopfer. Dabei stellten Anker beliebte Dankvotive (Weihgaben an eine Gottheit) dar. Gern ließ man aus einem Zehntel des Ertrags einer Unternehmung ein Weihgeschenk anfertigen – selbst wenn es sich bei der Unternehmung um Piraterie handelte! Im Zusammenhang mit der Schifffahrt gab es viele Formen der Götterverehrung, darunter Bordheiligtümer und religiöse Festfahrten per Schiff. Es wird kaum überraschen, dass man sich besonders gern an Götter wandte, die allgemein mit dem Meer in Verbindung gebracht wurden und deren Wohlwollen daher sicheres Reisen versprach. Dazu gehörten etwa Poseidon oder Neptun, Nereus mit seinen Töchtern, die Dioskuren oder auch Isis. Manche olympischen Götter wie Apollon, Hera oder Artemis erschienen im Zusammenhang mit der Seefahrt in maritimen Sonderformen. Seefahrer wendeten sich außerdem an Aphrodite, der man den Beinamen „Gute Reise“ (griechisch Euploia) verliehen hatte. In Knidos errrichtete man bezeichnenderweise direkt am Hafen ein Heiligtum für Aphrodite Euploia.

Auch Götter, die den Handel begünstigen sollten, und jene, von deren Unterstützung man sich ganz allgemeines Gedeihen und Wohlstand versprach, wurden in Tempeln in Hafennähe angebetet: In Rom waren das unter anderem Fortuna, Spes und Ceres. Aber auch speziellere Gottheiten wie der genius nautarum, der Schutzgott der Flussschiffer, wurden verehrt; dies bezeugen Weihesteine, die in Ettlingen und in Marbach am Neckar gefunden wurden. Man sprach auch die Flussgottheiten selbst an, also etwa Rhenus, für den Weihinschriften in Vechten (Niederlande) am Rhein entdeckt wurden.

In Este, in Norditalien, lassen sich aus dem Wissen über maritime Heiligtümer gewisse Rückschlüsse auf einen Hafen ziehen. Dort fand man zwei wichtige Kultstätten am West- und am Ostrand der Stadt, die beide am Ufer eines Armes der Etsch lagen. In Este selbst konnte man keine direkten Überreste von Hafenlagen finden, lediglich Hinweise darauf. Dieser Verdacht wird jedoch erhärtet durch das Wissen, dass die Kultstätte im Westen den Dioskuren geweiht war, den Beschützern der Schifffahrt und des Handels. Im östlichen Heiligtum fand man zahlreiche Votivgaben: überwiegend Angelhaken, Nadeln zum Reparieren von Fischernetzen, Waagebalken und Gewichte. Alles in allem ist das immer noch kein Beweis, aber ein starker Hinweis auf einen ehemaligen Hafenstandort.

Für die Seeleute war das Meer nicht nur ein Spielball der „offiziellen“ Götter, sondern auch von allerlei Dämonen und natürlich von gefährlichen Meerwesen bevölkert. Insgesamt war Aberglaube weit verbreitet und verbot etwa die Anwesenheit von Frauen an Bord, wollte man nicht das Unglück auf sich ziehen. Und auch Orakel und Omen waren in der Schifffahrt von besonders großer Bedeutung. Man versuchte dem Unglück entgegenzuwirken, indem man Schiffen die Namen von Göttern gab oder ihnen große Augen aufmalte, die das Böse abwehren sollten.

Als in der Kaiserzeit die römischen Häfen gezielt ausgebaut wurden, schlich sich in die maritime Götterverehrung ein politischer Unterton ein, wobei man nicht vergessen darf, dass in der Antike ohnehin keine so strikte Trennung zwischen den Lebenden und der Götterwelt herrschte, wie sie uns heute selbstverständlich erscheint. Viele Kaiser wurden bereits zu Lebzeiten und/oder nach ihrem Tod als vergöttlicht angesehen und entsprechend verehrt. Für Kaiser Augustus galt dies schon zu Lebzeiten, obwohl das in Rom selbst politisch nicht möglich gewesen wäre. Im östlichen Mittelmeerraum waren dagegen die Traditionen andere, und Rom weit genug entfernt, sodass man sich in dieser Hinsicht nicht einschränken musste. Dabei gab es in der Verehrung offenbar eine maritime Besonderheit: Bereits zu seinen Lebzeiten wurde die Rolle des Retters für diejenigen, die in See stachen, auf Augustus übertragen. Sueton beschreibt, wie eine Gruppe Kaufleute von einem alexandrinischen Schiff dem Augustus bei ihrer Ankunft im Hafen von Puteoli opferten, anstatt in den lokalen Tempel zu gehen.4 So verwundert es nicht, dass man in großen Häfen wie in Caesarea in Palästina oder (nach dem Tod des Augustus) auch in Ostia Tempel in exponierter Lage errichtete, die dem Kaiser und der Stadtgöttin Roma geweiht waren.


Dort, wo die beiden Hauptstraßen einer römischen Stadt (Cardo maximus und Decumanus maximus) sich kreuzen, liegt ihr Zentrum – in Caesarea wie in vielen anderen Hafenstädten nicht zufällig in unmittelbarer Nähe des Hafens. Auch der Augustus- und Roma-Tempel ist auf diesen ausgerichtet.

Seit Kaiser Trajan wurden Hafenanlagen ganz eindeutig in die kaiserliche Propaganda einbezogen und bezeugten auch militärische Triumphe: Bei der Einfahrt in das trajanische Hafenbecken in Portus war vom Schiff aus zunächst eine Kolossalstatue des Kaisers in militärischem Dress zu sehen. Erst wenn das Schiff tatsächlich in das Becken einfuhr, schob sich der große Hafentempel ins Blickfeld. Auch die mögliche Weihung dieses Tempels an den Liber Pater, der eigentlich weder ein Gott der Schifffahrt noch des Handels war, könnte Teil des kaiserlichen Bildprogrammes gewesen sein, nach dem der gesamte Hafen gestaltet war.

Die politische Motivation im Zusammenhang mit Häfen beschränkte sich nicht allein auf die Kaiser. So hatte Herodes der Große in Palästina klar erkannt, dass die Errichtung eines Tempels für den Kaiserkult an prominenter Stelle auch für ihn von Vorteil sein könnte: Er ließ nicht nur einen Tempel für Augustus und Roma direkt an seinem monumentalen Hafen in Caesarea errichten, sondern benannte den ganzen Hafen überdies mit der griechischen Version des Namens Augustus: Sebastos. Deutlicher kann man seine enge Verbundenheit mit dem Kaiser wohl kaum zeigen (zu Sebastos s. S. 79–88).

Es gab noch weitere Anknüpfungspunkte zwischen Häfen und Heiligtümern: Der „Sicherheitsaspekt“, unter dem die Götterverehrung im maritimen Zusammenhang gesehen werden kann, wurde bereits angesprochen und wird noch deutlicher, wenn man beachtet, dass Häfen in der Nähe markanter Küstenformationen oder gefährlicher Schifffahrtshindernisse mit wichtigen Heiligtümern einhergingen. Beispiele dafür sind das Artemision auf Euböa, ein Poseidon-Heiligtum nahe des Kap Tenaro an der Südspitze der Halbinsel Mani auf der Peloponnes oder die Heiligtümer in Perachora, nördlich von Korinth. Aber logistische Aspekte spielten ebenso eine Rolle: Schließlich zogen überregionale Heiligtümer ein großes Publikum an, das zum großen Teil auf dem Wasserweg anreiste. Eine gute Hafenanbindung konnte daher auch für ein Heiligtum von Bedeutung sein. Viele Häfen haben ihren Ursprung überhaupt erst in der wachsenden Bekanntheit der Heiligtümer in ihrer Umgebung, etwa Panormos, in der Nähe von Didyma (heute Türkei).

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